beautiful
Das Piepen war zu hören, lange, bevor sie aufwachten. Monoton, Gleichmäßig. Es übertönte ihren Atem, den der anwesenden Angehörigen, die warteten. Warteten und hofften, stundenlang.
Als sie aufwachten, gleichzeitig, wussten sie nichts voneinander. Hatten nur diesen letzten Moment und daraus folgt nur eine einzige Frage.
„Wo ist er?“
Nicht gerade das, was man sich als Familienmitglied erhofft zu hören.
„Wo ist wer?“
„Der andere Junge. Wo ist er?“ Panik schoss in ihnen beiden hoch, doch keiner von ihnen konnte etwas tun, nur nach dem Arzt verlangen, der somit an zwei Stellen gleichzeitig gefordert war und sich für eines der Zimmer entscheiden musste.
„Wo ist Jeno? Lee Jeno?“ Jaemin musste sich zusammennehmen, ruhig zu bleiben, sah dem Arzt mit so wenigen Emotionen wie möglich entgegen.
„Er ist auch hier. Im gleichen Gebäude. Er liegt auf seinem Zimmer, wird wohl auch gerade aufgewacht sein.“ Ein leises Schluchzen entwich Jaemins Lippen, so erleichtert war er. Niemand außer ihm bekam es zu hören.
„Er hat Sie festgehalten, richtig?“ Er konnte nur nicken, spürte Jenos Umarmung, den unermesslichen Schmerz und das Nichts, als das Auto sie getroffen hatte.
„Weshalb standen Sie überhaupt auf der Straße? Mitten auf der Autobahn?“
„Muss ich das wirklich erklären?“ Es war Jaemin peinlich, dass er Jeno geküsst hatte und sofort danach abgehauen war. Und so war er froh, als der Arzt abwinkte.
„Noch nicht. Die Polizei kommt erst in ein paar Stunden.“
„Wie lange war ich weg?“
„Etwas mehr als zwölf Stunden. Was noch sehr wenig ist, aber Sie scheinen allgemein sehr glimpflich davongekommen zu sein.“ Jaemin wollte gar nicht wissen, wie es ihm ginge, wäre dies nicht der Fall.
„Vielen Dank“, murmelte er also, doch der Arzt lächelte nur.
„Haben Sie noch weitere Fragen?“ Jaemin blieb stumm, überließ seinen Eltern die Konversation. Seine Gedanken drifteten zu Jeno, natürlich. Er wollte wissen, wie es ihm ging, ob er tatsächlich ebenfalls wach geworden war, vielleicht noch vor ihm, oder ob er noch schlief. War er in Ordnung? Obwohl er Jaemin hatte beschützen wollen?
Das war er definitiv, denn er versuchte mit aller Kraft, die Schwester davon zu überzeugen, ihm entweder Jaemins Aufenthaltsort zu nennen, oder aber sofort einen Arzt heranzuschaffen, der ihm sagen konnte, ob mit Jaemin alles in Ordnung war, er überhaupt noch lebte. Das war Jeno das Wichtigste: Jaemins Leben. Ganz egal, was er davongetragen hatte, er hatte ein Leben verdient und Jeno wollte nicht der Grund sein, dass dem nicht so war, weil er ihn zu einem Kaffee eingeladen hatte.
Die Schwester beteuerte immer wieder, dass es ihr nicht möglich sei, den Arzt herbeizuholen, er käme in einigen Minuten, müsse sich um einen anderen Patienten kümmern. Jeno wurde mit jeder Sekunde ungeduldiger, unruhiger. Wenn Jaemin jetzt wirklich etwas geschehen war? Daran wollte er gar nicht denken, aber er tat es dennoch. Nicht freiwillig. Aber die Schwester hatte sein Zimmer verlassen und so war da niemand mehr, mit dem er hätte reden können, um diese Fragen fernzuhalten. Mit sich selbst zu reden führte zu nichts und täte er das, hielte jeder, der das Zimmer noch betreten würde, ihn für gänzlich verrückt.
Dabei wollte er doch nur Jaemin sehen. Nein, nicht einmal das war notwendig. Er musste nur wissen, dass er noch lebte, atmete.
Als die Tür aufging, saß er sofort aufrecht, sammelte seine Fragen zusammen.
„Ist Jaemin hier? Lebt er? Geht es ihm gut?“
„Ja, ja und ja. Ihre Familie ist auf dem Flur, falls Sie daran interessiert sein sollten, Besuch zu empfangen.“
„Ich will wissen, wo Jaemin ist.“
„Sie dürfen Ihr Bett nicht verlassen. Bleiben Sie bitte liegen, ihr Gesundheitszustand ist noch zu schlecht.“
„Aber...!“
„Wenn Sie Glück haben, kommt er bei Ihnen vorbei. Ihm geht es besser als Ihnen, eindeutig wird er sein Zimmer früher verlassen dürfen als Sie.“
Sofort nachdem der Arzt gegangen war, kamen seine Eltern ins Zimmer, lenkten ihn ab, wo er doch dieses Mal an Jaemin denken wollte. Aber er zwang sich, es auszuhalten, ließ seine Gedanken ab und an abdriften.
Sie blieben lange, dass Jeno schon genervt von ihnen war, und es erleichterte ihn, sie los zu sein. Nicht, dass er sich nicht freute, sie zu sehen, das war definitiv der Fall. Er war froh, dass sie hier waren, hätte er sich doch ohne sie verlassen gefühlt. Aber er wollte wissen, wie es Jaemin ging. Von ihm persönlich, nicht von irgendeinem Arzt. Und so begann er, alle Kontakte, denen er es zutraute, nach Jaemins Nummer zu fragen. Viele wunderten sich darüber, kaum einer fragte nach, Und wenn doch, erhielt er keine Antwort. Jeno scherte sich nicht darum, ob es demjenigen missfiel, er hatte wenig Lust, Freunden oder Fremden die Geschichte aufzutischen.
Er fragte sich durch, erhielt Tipps, Vermutungen, Verneinungen, Minute um Minute.
Irgendwer hatte tatsächlich Jaemins Nummer, nach Ewigkeiten der Fragerei tauchte sein Name im Chat auf. Sofort ergänzte Jeno ihn zu seinen Kontakten, verpasste ihm sogar einen Stern.
„Ganz, ganz wichtig“, murmelte er, schrieb bereits eine Nachricht.
Jaemins Antwort kam erst Minuten später, doch den Abend konnten sie vollständig damit verbringen, einander zu schreiben. Wenn sie sich nicht sehen konnten, musste es eben anders gehen, egal, wie kompliziert es gewesen war.
Jaemin war ausgesprochen erleichtert, als Jenos Nachricht auf seinem Bildschirm auftauchte. Seine Eltern waren schon vor Stunden gegangen, er hatte sich bis zu dem für den stillen Raum zu lauten Ton so sehr gelangweilt, dass er aus seinen Lieblingsbüchern neue Titel gebastelt hatte.
Seine Eltern hatten ihm keine neuen Bücher mitgenommen, und das andere hatte er ausgelesen, nachdem sie gegangen waren. Sie hatten es ihm mitgebracht, gemeinsam mit seinem Smartphone, da sie gewusst hatten, dass er es nicht lange ohne aushielt. Zu besorgt aber waren sie gewesen, um daran zu denken, dass ihr Sohn ein schneller Leser war und dieses eine, dünne Buch nicht reichen würde.
Jetzt war er hier, allein, aber nicht einsam, so glücklich, dass er sich fragte, wieso es so lange gedauert hatte, Jeno zu bemerken. Vielleicht, nein, ganz bestimmt, hatte es daran gelegen, dass Jaemin sich Jenos nicht würdig gefühlt hatte. So war er jetzt außerordentlich froh, dass er derjenige war, der Jaemin angesprochen hatte, denn er selbst hätte es niemals gewagt, ihn auch nur heimlich anzusehen.
Sie schrieben viel und lange, über alles, aber nicht das, was zwischen ihnen vorgefallen war. Jaemin traute sich nicht, es anzusprechen, und Jeno hielt es für besser, das persönlich zu klären. Er wusste von sich selbst, dass er häufig dazu neigte, Dinge falsch auszudrücken, wenn er es schrieb, sich anders zu verhalten, und gerade bei diesem Thema war es ihm wichtiger als alles andere, dass Jaemin ihn verstand.
Als es spät wurde, wirkte sich das auch auf ihre Gesprächsthemen aus. Dinge, die sie beschäftigten, fanden leicht ihren Weg durch die Finger des einen ins grelle Blickfeld des anderen, und für einen Moment fühlte es sich doch tatsächlich so an, als lägen sie nebeneinander, sich unterhaltend, einander zulächelnd.
„Ich wünschte, du wärst hier“, las Jaemin doch tatsächlich auf seinem Bildschirm, kaum dass er genau dieses Gefühl gespürt hatte, und er schämte sich auf einmal dafür, war durch Jenos Worte in Verlegenheit geraten und fragte sich plötzlich, was nur geschehen war, dass er Jeno innerhalb eines Tages so verfallen war.
19-11-03
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