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𝑫𝒆𝒓 𝑮𝒓𝒖𝒏𝒅, 𝒘𝒂𝒓𝒖𝒎 𝒊𝒄𝒉 𝒎𝒊𝒕 𝒅𝒆𝒎 𝑻𝒓𝒂𝒖𝒎 𝒆𝒊𝒏𝒆𝒔 𝒋𝒆𝒅𝒆𝒏 𝑰𝑻𝒍𝒆𝒓𝒔 𝒂𝒓𝒃𝒆𝒊𝒕𝒆𝒏 𝒅𝒂𝒓𝒇 ...
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Etwas kitzelt meine Nase. Irgendwie ist es auf eine sonderbare Art und Weise sehr angenehm. Nicht so stark, dass ich niesen muss, sondern ganz sanft und warm fühlt es sich an. Langsam flattern meine Lider und das Licht dringt an meine Augen, bis ich schließlich die Strahlen der Sonne sehe, die sich durch das Rollo drängen.
In der nächsten Sekunde sitze ich kerzengerade im Bett. Meine letzte Hoffnung ist gestern gewesen, dass ich lediglich eine Mütze Schlaf nachholen muss, um dann feststellen zu können, die ganze abgedrehte Dora-Körpertausch-inklusive-Zeitreise-Sache sei doch nur ein absurdes Hirngespinst von mir gewesen. Tja, und wo befinde ich mich gerade? Pflanzen über Pflanzen und ich mittendrin. Hat ja super geklappt.
Akzeptier endlich das Unmögliche und komm damit klar, dass das irgendwie die Realität ist!
Ich seufze und schäle mich aus der dünnen Decke, lasse die Füße aus dem Bett gleiten und trete dabei fast in etwas hinein. In einen Karton ... Scheiße! Das Tagebuch! Wo ist es?
Nervös lasse ich den Blick durch die Umgebung streifen, taste dabei jeden Millimeter meines Schlaflagers ab, ehe ich es in dem kleinen Spalt zwischen Bett und Wand stecken sehe. Ich ziehe an einer Ecke, hole es hervor und begutachte es schuldbewusst.
Wie konnte ich nur darin lesen? Das sind Doras Gedanken. Die sind sicher nicht für die Augen anderer bestimmt ...
Ich schäme mich dafür, dass ich den letzten Eintrag gelesen habe. So sehr, dass ich es nicht gewagt habe, noch weiter daraus zu lesen. Aber ehrlich gesagt, ist es nicht nur das. Ich habe tatsächlich auch ein wenig Angst. Angst davor, noch mehr über Dora zu erfahren. Und das, obwohl ich zugleich unglaublich neugierig bin. Das Problem ist nur, dass ihre Worte etwas in mir ausgelöst haben. Eine Ahnung. Eine ziemlich üble Ahnung. Die geschriebenen Zeilen haben mich im Schlaf ununterbrochen verfolgt.
Was mache ich jetzt?
Erneut wandert mein Blick über den ledernen Einband und ich fahre das Herz gedankenversunken nach. Ganz automatisch gleiten meine Finger über den Buchrücken, hinab zum Lesezeichen und schon ist das Büchlein wieder aufgeschlagen.
07. September 2009
Nichts kann mich aufhalten. Alles ist geplant. Vorbereitet.
In einer Woche ist es so weit ...
Bei dem Gedanken läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Zugleich durchströmt mich ein Gefühl von Vorfreude. Denn das alles wird dann ein Ende nehmen.
Ich kann es einfach nicht mehr aushalten. Ich habe es wirklich versucht. Ich habe es immer und immer wieder über mich ergehen lassen. Mir gesagt, dass es irgendwann nicht mehr so schlimm ist. Dass es inzwischen irgendwie dazugehört.
Aber so ist es nicht.
Es hört nicht auf. Es wird immer schlimmer. Es wird nie aufhören.
Ich ertrage es nicht mehr.
Diese Zeilen lese ich jetzt bestimmt schon zum fünfzehnten Mal. Und auch nach meiner bescheidenen Nacht, in der ich sehr viel Zeit zum Nachdenken hatte, bleibe ich bei dem Gedanken, der sich beim ersten Überfliegen festgesetzt hat. Nun meine ich ganz exakt zu wissen, was am 15. September 2009 mit Dora passiert ist. Oder besser gesagt, was mit ihr passieren wird. Und einige dieser Schandmäuler von Ratschkattln haben mit einer ihrer bösartigen Theorien auch noch recht gehabt.
Genau das jagt mir eine Scheißangst ein. Genau deshalb traue ich mich nicht noch mehr aus dem Tagebuch zu lesen. Fürchte ich mich also vor einer finalen Bestätigung meiner Vermutung? Ja, das tue ich.
Dabei gibt es doch fast nichts, vor dem ich Angst habe. Schließlich bin ich Chuck Norris. Fast alles hat Angst vor mir. Auweia, der Schwachsinn geht schon wieder mit mir durch ...
Ich schüttele den Kopf und schlage das Buch zu, nur um es schnellstmöglich wieder im Karton zu verstauen und diesen ganz weit unter das Bett zu schieben. Aus den Augen, aus dem Sinn ...
Wenn ich jetzt nicht bald aus diesem Zimmer beziehungsweise diesem Haus komme, dann werde ich schwach und versinke in Doras niedergeschriebener Gedankenwelt. Das weiß ich. Und falls sich meine Vermutung bestätigt, bin ich — weil ich nun mal bin, wie ich bin — dazu gezwungen zu handeln. Was ziemlich wahrscheinlich Folgen mit sich ziehen wird. Vielleicht ungeahnte und schwerwiegende Folgen, obwohl ich nur auf einen positiven Effekt abziele.
Aber bevor ich etwas tue, das die Vergangenheit maßgeblich verändern könnte, möchte ich erst einmal wissen, was hier eigentlich los ist. Warum bin ich in Doras Körper? Wie konnte das überhaupt passieren? Wie gelange ich wieder in meinen Körper und meine Zeit zurück?
Während sich diese Fragen in meinem Kopf drehen, gönne ich meinem Körper nach dem gestrigen Gammeltag etwas mehr Luxus. Selbst eine Zahnbürste habe ich besorgt, weil es mir dann doch zu sehr gruselt, Doras zu benutzen.
Ehe erneut der Drang, in Doras Tagebuch zu spitzen, zu stark werden kann, gehe ich aus dem Haus und schwinge mich aufs Fahrrad. Ich atme die frische Morgenluft ein, spüre den Fahrtwind auf meiner Haut. Dabei fröstle ich aber kein Stück, weil mich zugleich warme Sonnenstrahlen treffen. Der Verkehr ist angenehm, nicht zu viele Autos und Fahrradfahrer sind unterwegs. Dennoch bevorzuge ich Wege, die noch weniger befahren sind, sodass ich die Natur um mich und das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt hören kann.
Schließlich komme ich vor dem Herzogkasten, in dem sich die Stadtbibliothek befindet, an. Als ich kurz darauf eintrete, steigt mir der unverwechselbare Geruch von Büchern in die Nase. Das allein löst schon ein Gefühl von Heimat in mir aus. Mein Blick streift liebevoll die kleinen Sitzgelegenheiten, die sich immer wieder zwischen unzähligen Regalen finden lassen und zum gemütlichen Lesen einladen. Früher bin ich hier sehr oft gewesen und habe in den Freistunden oder nach der Schule gestöbert.
Ich schreite über die braunen Fliesen und blicke auf die rustikale Holzdecke, die sich über mir erstreckt. Die spartanische Einrichtung, die in allen Bereichen minimalistisch gehalten ist, stellt da einen gelungenen Gegensatz dar und verbindet so Altes mit Neuem. Ich mag es generell sehr gerne, wenn zwei unterschiedliche Stile miteinander kombiniert werden, denn das mache ich auch oft in meinen Coverdesigns.
Als ich zu den Computern gelange, ergattere ich den letzten freien Platz und klicke sogleich auf das Browser-Symbol, damit die Recherche starten kann. Zumindest hoffe ich, dass dabei etwas Brauchbares herauskommt, immerhin ist mein Zustand bestimmt etwas, das tagtäglich so ziemlich jeden passiert.
Und da steht er: der Traum eines jeden ITlers — wenn man ihn aus meiner Zeit betrachtet. Denn sein lahmes Arbeitstempo treibt einen langsam, aber sicher in den Wahnsinn. Allein das Aufrufen der Suchmaschine dauert bei dem Hightech-Modell eine halbe Ewigkeit, sodass ich mich überhaupt nicht bei der Entscheidung hetzen muss, welches der Schlagwörter auf meinem Notizzettel ich zuerst wähle. Hat also alles seine Vor- und Nachteile.
Früher als gedacht ist der Browser bereit, sodass ich Körpertausch in der Suchleiste eingeben kann. Circa Tausend Sekunden später scrolle ich endlich durch die Ergebnisse und stelle fest, dass neben Filmen wie Freaky Friday, It's a Boy Girl Thing und Hot Chick noch viele weitere aussagekräftige Ergebnisse aufgelistet sind. Wenn meine Recherche darauf hinausläuft, dass ich mir jetzt einen dieser Teeniestreifen von der nächsten Videothek ausleihen muss, dann kann ich mir das gleich sparen.
Aber was habe ich erwartet? Wissenschaftliche Artikel? Auf realen Erlebnissen basierende Erfahrungsberichte?
Ich reibe mir die Augen, stütze die Ellbogen auf dem Tisch ab und lasse den Kopf in meine offenen Handflächen sinken. Dabei raufe ich durch die widerspenstige Mähne, die sich heute früh nach dem Duschen nicht bändigen lassen wollte. Wie macht das Dora nur?
Dann starre ich erneut auf den Bildschirm und switche auf die zweite von fünf Suchergebnisseiten. Auch hier treffe ich auf unnützes Geschwafel und ich spitze kurz auf meinen Zettel, um den nächsten Punkt zu begutachten. Als würde Zeitreise bessere Aussichten versprechen ... Unmotiviert stiere ich noch einmal auf die letzten Resultate und stolpere dabei über den Körpertauschblog. Ich überlege nicht lange und klicke darauf.
Du fühlst dich nicht wohl in deiner Haut? Du denkst, du steckst im falschen Körper? Du suchst nach Gleichgesinnten, um dich auszutauschen? Dann bist du hier genau richtig!
Okay, ... ich weiß nicht, ob mir das hier was bringt. Aber gut, geben wir dem abgedrehten Zeug eine faire Chance. Ich nehme, was ich kriegen kann und vielleicht melden sich hier ja auch Menschen, die sich nicht nur nach einer Geschlechtsumwandlung sehnen.
Die Seite bietet verschiedene Foren zum Austausch untereinander an. Ich blättere durch die Unterhaltungen, wobei die meisten davon handeln, dass Leute mit ihrer derzeitigen Situation und ihrem Körper nicht zufrieden sind. Es ist erschreckend, was manche schreiben, sodass ich manchmal nicht weiß, ob ich beim Lesen lachen oder weinen soll.
Alles in mir fühlt sich fremd an.
Mein Verstand ist 15 Jahre alt, aber ich stecke im Körper eines 70-Jährigen.
Ich will nicht mehr Ich sein.
Wo kann ich meinen Körper umtauschen?
Ich hätte gerne den Körper meiner Schwester, aber meine riesigen Möpse möchte ich bitte behalten.
Ich wünschte, ich wäre tot.
Keiner scheint hier allein zu sein. Es gibt genügend Menschen, die ähnliche Zustände oder einfach nur Verständnis und Anteilnahme äußern. Die Liste der Chats ist lang und ich arbeite mich strebermäßig durch, bis ich auf eine Unterhaltung stoße, bei der mir allein der Titel unter die Haut geht: Ich stecke im Körper einer fremden Frau in der Zukunft.
Gugu1974 am 09.05.2004, 23:27
Hallo!
Bevor ihr mich für verrückt erklärt, muss ich sagen, dass ich selbst dachte, ich sei reif für die Klapse.
Tatsache ist, dass ich mich seit zwei Tagen in einem Körper befinde, der nicht mir gehört. Aber das allein reicht nicht, denn ich bin scheinbar auch noch in der Zukunft gelandet. Zu meiner Person: Ich bin weiblich, 21 Jahre alt und komme aus dem Jahr 1995.
Die Frau, deren Körper ich seit vorgestern bewohne, ist 30 und lebt jetzt im Jahr 2004.
Das klingt alles so ziemlich nach meiner Situation, nur dass ich nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit festsitze ...
Ich habe keine Ahnung, warum mir das passiert und ob ich es jemals rückgängig machen kann, aber ich brauche wirklich Hilfe! Übermorgen soll ich — also die Frau, in der ich bin — eine Nierentransplantation bekommen. Davor habe ich furchtbare Angst. Was soll ich tun? Ich bin doch gar nicht sie! Aber ich will natürlich auch nicht, dass sie stirbt!
Die Arme ... Ich hoffe ja, dass Dora nicht in mir steckt, denn sonst muss sie vermutlich Ähnliches wie Gugu1974 durchmachen ...
Ich weiß, das klingt alles total surreal, aber das alles passiert mir tatsächlich. Gibt es da draußen irgendjemanden, dem es genauso geht? Kann mir irgendjemand helfen? Ich wäre um jeden Ratschlag dankbar!
Vielen Dank schon mal!
Liebe Grüße
Erst jetzt bemerke ich, dass meine Hände ganz schwitzig geworden sind und mein Puls rast. Falls das kein Fake ist, um Aufmerksamkeit zu erregen, dann ist diese Gugu in der gleichen Lage wie ich gewesen. Ob sie es wieder in ihren Körper und ihre Zeit zurückgeschafft hat? Oder steckt sie vielleicht immer noch fest? Jetzt muss ich einfach nur hoffen, dass ich in den Antworten etwas Aufschlussreiches dazu finde.
Voller Aufregung fixiere ich den Bildschirm und bewege den Cursor auf die Sprechblase zu. Nebenbei liegt dieser herbe Duft von Wald mit einer frischen Note in der Luft, der mir in die Nase steigt und etwas in mir erweckt. Erst da bemerke ich, dass zwei Hände auf der Tischplatte links neben mir abgestützt sind.
Ich sehe auf und blicke in wunderschöne dunkle Augen, die gerade interessiert aufblitzen. »Warum wusste ich, dass ich dich hier finde?«
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