Karma

Ich stand nervös vor der Tür, die zu Haleys Wohnung führte, und sagte mir selbst streng, dass ich dazu erzogen worden war, mich besser zu benehmen als ich es getan hatte. Schnell ließ ich einen kleinen Film all meiner pampigen, erbärmlichen Momente ablaufen, die ich in letzter Zeit mit Haley erlebt hatte, und schämte mich sehr für mein Verhalten. Es gelang mir genug Mut aufzubringen, um meine Hand zu heben und entschlossen an die Tür zu klopfen.

"Wer ist da?" Die kratzige, heisere Stimme von jemandem, der offensichtlich sehr lange geraucht hatte, ertönte so laut in meiner Nähe, dass ich zusammenzuckte und tatsächlich hinter mich blickte, weil ich dachte, dass jemand hinter mir stand. Als ich niemanden sah, wandte ich mich wieder der Tür zu, die genauso aussah wie unsere Wohnungstür.

"Ähm, hier ist Natalia von oben.", antwortete ich, wobei ich mich selbst mit der Verwendung meines vollen Namens überraschte, aber ich hatte das Gefühl, dass diese unheimliche Stimme diese Förmlichkeit verlangte.

"Ich bin eine Freundin von Haley." Okay, technisch gesehen eine Lüge, aber wenn es dazu diente, mich bei ihr zu entschuldigen, konnte es doch nicht so falsch sein, oder?

Es war zu hören, wie jemand die Schlösser öffnete, und als ich die Tür genauer betrachtete, sah ich, dass es drei waren, im Gegensatz zu dem einen, das unsere Tür hatte. Die Tür öffnete sich einen Spalt und gab den Blick auf eine Sicherheitskette und ein Paar blasser, wässriger Augen frei, die mich anstarrten.

Eigentlich war das alles ein bisschen gruselig. Sie hatten eine Sicherheitskette? Wer zur Hölle, dachten sie, würde hier einbrechen?

Ich lächelte die alte Dame beruhigend an, die mich durch den Spalt ansah. Ich lernte also endlich Haleys Tante kennen, und so wie sie aussah, musste sie eine Großtante sein, denn sie wirkte regelercht antik.

"Hi, ist es in Ornung, wenn ich kurz bei Haley vorbeischaue?", fragte ich mit meiner höflichsten und freundlichsten Stimme. Ihr wisst schon, der Ton, den man für ältere Menschen vorbehält, und es ist wirklich schwer, den herablassenden Ton zu vermeiden, nicht wahr?

Die Tür wurde leicht geschlossen, als sie die Kette entfernte, dann öffnete sie sie vollständig und schätzte mich offen ein. Es muss gesagt werden, dass ich das Gleiche tat. Sie war winzig und sah zerbrechlich aus, aber ich war bereit zu wetten, dass sie eine ziemlich Schreckschraube war.

Ihre Hände wirkten wie Klauen und waren vom Nikotin braun gefärbt, und ihr Mund war von den Falten umgeben, die Langzeitraucher bekamen. Natürlich konnte es auch sein, dass sie ihre Lippen häufig voller Missbilligung schürzte, wie sie es in diesem Moment tat.

Passend zum Thema des Tages sah sie überhaupt nicht beeindruckt von mir aus.

"Sie weint in ihrem Zimmer. Ich vermute das ist deine Schuld?"

Ich schluckte, diese Frau konnte es in puncto beunruhigender Unverblümtheit mit meiner Mutter aufnehmen. "Ja, wahrscheinlich.", gab ich zu. "Ich bin hier, um mich zu entschuldigen."

"Das ist auch gut so.", brummte sie, trat zur Seite und ließ mich eintreten. "Haleys Zimmer ist da drüben.", sagte die alte Dame und deutete mit einem knorrigen Finger auf eine geschlossene Tür.

"Danke." Ich straffte die Schultern und suchte mir einen Weg durch die verschiedenen antik aussehenden Möbelstücke im Hauptraum, der unserer Wohnung im ersten Stock so ähnlich und doch so anders war.

Wisst Ihr, warum Zierdeckchen aus dem allgemeinen Gebrauch verschwunden zu sein schienen? Nun, ich glaube, ich habe herausgefunden, wohin sie verschwunden sind. Es war, als würde Haleys Tante ein Auffanglager für alles Alte und Muffige betreiben.

Ich klopfte leicht an Haleys Tür, da ich mir der Blicke ihrer Tante bewusst war und hoffte, Haley würde schnell öffnen, damit ich ihre mmissbilligenden Blick entgehen konnte.

"Mir geht's gut, danke, Tante." Haleys schwache Stimme drang durch die Tür, und ich verspürte einen Anflug von Mitleid mit ihr, weil sie zu Hause ständig diese "alte Leute"-Stimme benutzen musste.

"Ich bin es, Talia.", rief ich. "Darf ich reinkommen?"

Haley gab ein seltsames Geräusch von sich, das irgendwo zwischen einem überraschten Quieken und einem Schluchzen lag, und sagte dann zögernd: "Sicher."

Ich öffnete die Tür und schloss sie dann schnell hinter mir, um etwas Stabiles zwischen mich und Haleys unheimliche Tante zu bringen.

Es dauerte eine Minute, bis sich meine Augen an die Helligkeit des Raumes gewöhnt hatten, nachdem es im Hauptraum recht dunkel gewesen war. Haleys Zimmer war so weit von der drückenden Dunkelheit des offensichtlichen Bereichs der Tante entfernt, wie es nur möglich war.

Es gab viel Weiß, eine weiße Kommode, einen weißen Schrank, einen weißen Korbsessel und ein weißes Bett mit einer weißen Bettdecke darauf. Die Wände waren in einem hellen Grün gestrichen, das von kleinen Strudeln in helleren Farben durchzogen war, und es wie den Ozean aussehen ließ; der ganze Effekt war wirklich sehr hübsch.

Ich konzentrierte mich schnell wieder auf meine Aufgabe, als Haley leicht schniefte. Sie saß im Schneidersitz auf dem Bett, neben ihr stand eine Schachtel mit Taschentüchern, und in ihrer Hand hielt sie einzerknüllt aussehendes Stück Stoff.

Sie sah so unglücklich aus, dass ich mich wie die größte Ratte fühlte, die es womöglich gab.

"Ist es in Ordnung, wenn ich mich setze?", fragte ich und deutete auf das Bett, woraufhin sie nickte und ein Stück zurückrutschte, damit ich mich zu ihr setzen konnte.

Als ich mich niedergelassen hatte, warf sie ihr Taschentuch in den Mülleimer und sah mich mit einem winzigen Funken Trotz an, den ich noch nie in ihren großen blauen Augen gesehen hatte.

"Ich nehme an, Jack hat dich geschickt.", schniefte Haley und schob sich eine weiche Strähne ihres hellbraunen Haares hinter eines ihrer Ohren.

"Nein, hat er nicht.", ewiderte ich leise. "Ich meine, er wollte natürlich, dass ich mich entschuldige, aber ich glaube, er wollte erst runterkommen und sich vergewissern, dass es dir gut geht."

Sie lächelte leicht und seufzte dann. "Er ist süß. Du hast wirklich Glück, weißt du?", sagte sie und Neid triefte förmlich aus ihrer Stimme.

Ich nickte, das hatte ich wirklich, trotz des ganzen Unsinns, in den ich im Moment verwickelt war.

"Das habe ich.", stimmte ich zu. "Und ich weiß, dass ich es manchmal nicht zu schätzen weiß. Hör zu, Haley, ich muss mich wirklich entschuldigen. Ich habe seit kurzem eine echt miese Zeit, aber das ist absolut keine Entschuldigung dafür, so auf dich loszugehen."

Haley nickte und lächelte ein wenig. "Weißt du, ich bin eigentlich ganz froh, dass du mich endlich mal angeschrien hast, ich hatte langsam genug von den ganzen abfälligen Bemerkungen."

Verdammt, die hatte sie bemerkt? Andererseits hätte sie wohl ziemlich begriffsstutzig sein müssen, um sie zu übersehen. Es herrschte Stille im Zimmer, während ich damit kämpfte, nicht in meinen Schuldgefühlen zu versinken, und dann nutzlos für eine Entschuldigen wäre. Haley durchbrach das Schweigen, indem sie plötzlich sagte:

"Ich verstehe einfach nicht, warum du mich so sehr hasst. Ich habe mir immer Mühe gegeben, wirklich nett zu dir zu sein."

Ah, das war unerträglich. So gemein ich auch erscheinen mag, ich hasste die Vorstellung, mich hinzusetzen und mit jemandem darüber zu diskutieren, warum genau ich ihn nicht mochte, aber das war es, was ich tun musste, um mein Verhalten zu erklären.

"Du warst immer sehr nett zu mir.", stimmte ich entschuldigend zu. "Und genau darin liegt vielleicht das Problem."

"Ich war zu nett zu dir?"

Sie schaute total ungläubig drein. Es erschien schon ziemlich komisch ... selbst für mich.

"Nun, vielleicht nicht genau das, aber du hast mich anders behandelt.", erklärte ich. "Wenn die Jungs dabei sind, bist du richtig munter und kicherst, aber wenn nur wir Mädels da sind, verschließt du dich und weigerst dich, mit Simone und mir zu sprechen, als wärst du zu gut für uns oder so."

"Aber das war es nicht.", protestierte sie. "Ich wusste nur nicht, was ich zu euch sagen sollte. Du und Simone seid so cool und selbstbewusst und ich dachte, es wäre dir lieber, wenn ich so tue, als wäre ich nicht da, wenn wir zusammen sind."

Cool und selbstbewusst? Junge war dieses Mädchen schlecht im Einschätzen von Menschen.

"Dann haben wir es wohl geschafft, uns einander misszuverstehen.", sagte ich langsam.

"Vielleicht.", erwiderte Haley leise, biss sich nervös auf die Unterlippe und sagte dann schnell: "Ich wollte nie, dass du denkst, ich sei unaufrichtig oder nur hinter den Jungs her. Ich dachte wirklich, wir könnten Freunde sein, aber du hast von Anfang an so getan, als wäre ich der Feind, und ich wusste nicht, wie ich deine Meinung ändern sollte."

Ich gab es nur ungern zu, aber sie hatte tatsächlich völlig recht. Ich hatte so ziemlich in der Sekunde, in der ich sie traf, beschlossen, dass sie der Feind war. Die Leute schienen zu vergessen, dass Männer nicht die Einzigen waren, die dummerweise einen Beschützerinstinkt für ihre Freunde und Familie entwickelten.

Ich stehe sowohl Matt als auch Jack lächerlich nahe, und ich muss irgendwie gedacht haben, dass sie versucht, uns auseinander zu bringen ... oder vielleicht war es nicht einmal das, gestand ich mir kläglich ein, vielleicht war es nur so, dass ich es nicht mochte, wenn ein anderes Mädchen in mein Gebiet eindrang.

"Oh mein Gott!", rief ich plötzlich aus, als mich eine gewaltige Erkenntnis traf. "Ich bin wie Micky. Ich bin dein Micky gewesen."

Sie lächelte leicht darüber, aber ich wollte nicht witzig sein. Ich hatte wirklich gerade die schrecklichste Erleuchtung überhaupt gehabt.

"Du warst nicht so schlimm wie Micky.", versuchte sie mich zu beruhigen, aber davon wollte ich nichts hören.

"Ich hatte Vorurteile gegen dich und dir eine Menge Kummer bereitet, den du nicht verdient hast, oder nicht?", fragte ich. "Also bin ich es im Prinzip, ich bin ein verdammter Micky und es tut mir wirklich, unglaublich leid."

"Ist schon okay." Haley sah ein wenig unbehaglich aus angesichts meiner offensichtlichen Verzweiflung. "Du hattest mit einigen Dingen recht. Ich tue wirklich so, als würde ich Football mögen, obwohl ich keine Ahnung habe, worum es dabei geht, und manchmal ist meine Kleidung dem Wetter nicht angemessen."

"Also spürst du die Kälte doch?", fragte ich, bevor ich mich zurückhalten konnte.

Sie schien jedoch nicht beleidigt zu sein, sondern lachte nur ein wenig und nickte. "Ja, manchmal friere ich."

"Warum trägst du dann, was du trägst?"

"Weil", sie bedeckte plötzlich ihr Gesicht mit den Händen und murmelte durch sie hindurch, "Ich werde mich jetzt wirklich erbärmlich anhören, aber es ist, weil das alle anderen auch tragen." Sie schaute mich über ihre Finger hinweg an. "Schrecklich, oder?"

Ich zuckte mit den Schultern und versuchte, diplomatisch zu sein. "Zieh an, was du willst. Niemand, schon gar nicht eine Jeans-Süchtige wie ich, sollte darüber urteilen, was du tragen willst. Bitte verschwende keine Zeit damit, zu glauben, dass eine meiner geimenen Ansichten irgendeinen Wert hat. Du bist so hübsch, ich bin mir sicher, dass du auch in einem Sack gut aussehen würdest."

Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme ein wenig neidisch klang, aber als sie rot wurde, konnte ich mir ein Seufzen verkneifen, weil sie dadurch süß und unschuldig wirkte und nicht so, als hätte sie einen schlimmen Sonnenbrand, wie es bei mir immer der Fall war. Immerhin war das wirklich nicht ihre Schuld.

Wow, es sah so aus, als würde ich schon besser werden.

"Ich bin nicht so hübsch wie du.", erwiderte Haley nach einem Moment und ich schnaubte laut bei dieser offensichtlichen Lüge. "Nein, ich meine es ernst.", protestierte sie. "Du siehst nicht, wie die Jungs dich ansehen, du bist so selbstbewusst, du lässt dich von niemandem verarschen und das finden sie heiß." Sie errötete daraufhin noch mehr und ich rollte mit den Augen.

"Es ist ein Unterschied, ob man jemanden anstarrt, weil er gerade hereinmaschiert ist und sich total blamiert hat, oder ob man jemanden anstarrt, weil man ihn attraktiv findet.", sagte ich eindringlich. "Du könntest jeden Kerl haben, den du willst, aber du flirtest nur mit der Gruppe Jungs, mit der du abhängst. Sobald jemand anderes in deine Nähe kommt, ziehst du dich zurück. Ich dachte immer, das läge daran, dass du nur Matt oder einen der anderen willst, aber das ist nicht der Fall, oder?"

Sie drückte ein Kissen an ihre Brust und schüttelte traurig den Kopf. "Ich bin schüchtern.", murmelte sie. "Und vielleicht sah es so aus, als wäre ich zu anhänglich, weil ich ständig zu Besuch kam und so, aber Matt und die anderen schienen mich zu mögen. Es war mir sogar egal, dass sie wahrscheinlich nur Mitleid mit mir hatten, weil andere Jungs nichts mit mir zu tun haben wollten."

Ergh! Ich hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt und ordentlich durchgeschüttelt. Wie konnte sie nur so blind sein? Ich spürte jedoch schnell, wie meine Frustration nachließ und durch Mitleid und ein wenig Verlegenheit darüber ersetzt wurde, dass ich sie so falsch eingeschätzt hatte.

"Oh Haley.", seufzte ich. "Wir sind beide untauglich in dieser Männersache, nicht wahr?"

"Du nicht, du hast ja Jack.", erwiderte sie aufmunternd.

Etwas in meiner Brust zog sich bei ihren Worten schmerzhaft zusammen und ich schüttelte den Kopf. "Nein, habe ich nicht.", sagte ich ihr wahrheitsgemäß. "Das hatte ich nie, nicht wirklich jedenfalls. Es war nicht echt, nichts davon, ich habe ihn irgendwie überredet, mir beizubringen, wie man mit einem Kerl zusammen ist, weil ich so schlecht darin war."

Ihre Augen weiteten sich und ich konnte sehen, dass sie versuchte zu verstehen, was ich meinte, schließlich klang es ziemlich seltsam. Ich war aber nicht in der Stimmung, ihr meine ganzen erbärmlichen Taten zu erklären, schon gar nicht jemandem, den ich gerade erst aufgehört hatte zu hassen.

Ich schaute beschämt auf ihre Bettdecke hinunter und war überrascht, als sie leise sagte: "Ich kenne nicht alle Einzelheiten, wie du und Jack zuzsammengekommen seid, aber du musst ihn nur ansehen, um zu sehen, wie gern er dich hat."

"Als Schwester seines besten Freundes.", stimmte ich zu. "Aber mehr auch nicht."

Moment mal? Mehr? Wollte ich Jack als mehr als nur einen Freund? Die Antwort kam mir sehr schnell in den Sinn, und sie lautete ungefähr so: 'Natürlich willst du das, du verdammter Idiot!'

Das war das Stichwort für den Blitz, der in den Himmel einschlug und mich aufweckte.

Ich weiß, dass es völlig absurd erscheint, aber ehrlich, erst in diesem Moment habe ich meinen gesunden Menschenverstand auf meine Gefühle treffen lassen und zuckte wie von einem Stromschlag getroffen zusammen. Es war noch viel komplizierter, als ich mir jemals vorgestellt hatte.

Ich mochte Jack, und zwar so richtig. Vielleicht sogar ... Nein! So weit wollte ich nicht gehen, das war wirklich ein gefährliches Terrain, in das ich mich vorwagte.

Die ganze Zeit, die wir zusammen waren, hatte ich versucht, das Kribbeln als nichts weiter als eine chemische Reaktion, als Aufregung, oder was auch immer, abzutn. Ich hatte dafür gesorgt, dass ich es nie wirklich mit Jack in Verbindung brachte. Ich war so eine Idiotin, alle Anzeichen waren da gewesen; ich war eifersüchtig auf Haley, ich wollte die ganze Zeit mit ihm zusammen sein und ich war bereit, meine geistige Gesundheit und meine Beziehung zu meinem Bruder zu riskieren, um mit ihm zusammen zu sein.

Was, wenn er es wüsste? Oh mein Gott, das wäre zu peinlich, um es in Worte zu fassen, er würde denken, ich sei total erbärmlich.

Haley beobachtete mich mit einer gewissen Besorgnis, ich muss wohl ziemlich seltsam ausgesehen haben, als mir diese Gedanken durch den Kopf gingen. "Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte sie. "Du siehst aus, als hättest du gerade eine Ohrfeige oder so bekommen."

"Jack.", murmelte ich leise.

"Ah." Sie lächelte wissend. "Du liebst ihn, stimmts?"

"Nein.", schnappte ich schnell. "Nichts dergleichen. Das wäre ja auch total bescheuert."

"Wieso?"

"Darum." Einen Moment lang kämpfte ich mit der überwältigenden Gefühlswallung, die ich gerade erlebte. "Er gehört zur Familie, er ist der beste Freund meines Bruders, er geht weg ... ach, das ist wirklich furchtbar." Ich stand vom Bett auf und ertappte mich dabei, wie ich meine Hände rang.

"Es tut mir wirklich leid, Haley, aber ich muss gehen, ich hoffe, du verzeihst mir, wie ich mich in der Vergangenheit dir gegenüber verhalten habe. Ich glaube wirklich, wir könnten Freunde sein."

"Ja, das würde mir gefallen.", stimmte sie zu, obwohl ich merkte, dass sie durch meinen plötzlichen Wunsch zu gehen, etwas verwirrt war.

Ich wollte gerade gehen, aber aus einem plötzlichen Impuls heraus fragte ich: "Hey, warum nennst du mich immer Natalia?"

"Oh, als du hier ankamst, hat Micky mir erzählt...", sie stockte und unsere Blicke trafen sich in dem gegenseitigen Verständnis, was für ein Arsch dieser Junge doch war, "...er sagte mir, dass du ihn bei Leuten, die du nicht so gut kennst, bevorzugst.", beendete sie ihren Satz und schüttelte den Kopf: "Er hat mich verarscht, stimmts?"

"Ohja.", stimmte ich zu, lächelte sie noch einmal an und verließ ihr Schlafzimmer.

Wir waren noch keine Freunde, bei weitem nicht, aber ich glaubte, dass wir mit etwas Zeit und Offenheit meinerseits irgendwann Freunde werden könnten. Vorzugsweise in einer Phase, in der es nicht so viel Drama gab.

Ich lief durch das Wohnzimmer, froh, dass ich nicht wieder ihrer unheimlichen Tante begegnete, und stürmte die Treppe zu unserer Wohnung hinauf. Dort angekommen, rannte ich in mein Zimmer und kramte in meiner Tasche, bis ich mein Handy fand.

Auf keinen Fall wollte ich in dieser Nacht in der Wohnung bleiben, und da Simone sich weigerte, mich zu sehen, blieb eigentlich nur eine Person übrig, die nicht gerade ein Freund meines Bruders war.

Ich scrollte durch das Adressbuch, wählte Adams Nummer und packte, während ich darauf wartete, dass er abnahm, eine kleine Reisetasche. Einen Moment lang machte ich mir Sorgen, dass er nicht abnehmen würde, aber schließlich klickte es und Adams warme Stimme sagte:

"Hey Talia."

Ich war so erleichtert, dass ich mich auf mein Bett sinken ließ und breit lächelte.

"Hi Adam, wie gehts?"

"Viel besser, wenn du mich heute nicht ganz allein gelassen hättest, du Kuh.", sagte er scherzhaft. Ich brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, was er damit meinte, aber dann ging mir ein Licht auf. Es war ein Uni-Tag.

Ich hatte an diesem Morgen eine Vorlesung, aber ich hatte sie geschwänzt, um bei Jack zu sein, als er von dem Stipendium erfuhr. Der Gedanke an Jack und das Stipendium ließ mein Herz ein wenig sinken, aber ich riss mich zusammen und sagte leichthin:

"Oh, ich bin sicher, dass du auch ganz gut ohne mich zurechtgekommen bist." Ich atmete einmal tief Luft durch und fuhr fort: "Hey, ich weiß, das kommt total unerwartet und so, aber wäre es in Ordnung, wenn ich heute Nacht bei dir übernachte?"

"Oh." Adam klang überrascht, und das sollte er auch sein, wir waren zwar gute Kumpels, aber wir waren noch nicht so weit, dass wir spontane Übernachtungs-Partys hatten.

Dennoch hatte er offensichtlich etwas von der Verzweiflung in meiner Stimme gehört, denn eine Sekunde später antwortete er fröhlich: "Ja, natürlich ist es das. Stimmt etwas nicht?"

"Nein.", log ich. "Ich bekomme einfach nur einen Lagerkoller, weil ich die ganze Zeit nur in der Wohnung hänge, und dachte, es wäre schön, zur Abwechslung mal woanders abzuhängen."

Blöde Ausrede, ich weiß, aber ich hatte wirklich keine Zeit, mir etwas Besseres einfallen zu lassen. Es war klar, dass er nicht überzeugt war, aber der Gute stimmte einfach zu, dass es ihm auch manchmal so ging, und sagte, er sei auf dem Weg, mich abzuholen.

Ich war mit diesem Plan einverstanden, denn ich hatte wirklich keine Lust selbst zu fahren, ich würde wahrscheinlich auf der falschen Seite der Straße fahren oder so. Ich nutzte die Zeit, die er brauchte, um herzukommen, schrieb eine kurze Nachricht an die Jungs, um ihnen mitzuteilen, wo ich war und dass ich am nächsten Morgen zurück sein würde, und atmete tief durch, um mich zu beruhigen.

Ich würde das schon schaffen. Heute Abend würde ich mich bei Adam verstecken und morgen würde ich Matt von Jack und mir erzählen, wobei ich natürlich die Erkenntnis, die ich bei Haley hatte, auslassen würde. Ich machte mir nicht die Mühe, Pläne zu machen, was danach passieren würde, es hatte keinen Sinn, wenn Matt sich so verhielt, wie ich es mir vorstellte, würden Jack oder ich oder wir beide tot sein, was das Problem ziemlich gut lösen würde.

Ja, ich war ein bisschen melodramatisch, aber es war besser, als darüber nachzudenken, was passieren würde, wenn ich es Matt erzählte.

Als Adam auftauchte, war ich so froh jemanden zu sehen, der nicht in diesem Schlamassel verwickelt war, dass ich in seine Arme sprang, ihn fest umarmte und mein Gesicht schamlos an seiner Jacke verbarg.

"Hey." Ich konnte das Lächeln in seiner Stimme hören. "Schlimmer Tag?"

"Du hast ja keine Ahnung.", murmelte ich, bevor ich mich von ihm löste und mich zu einem beruhigenden Lächeln zwang. "Aber nichts Weltbewegendes.", log ich. "Lass uns gehen."

Und so nahm Adam mein Stichwort auf und fragte nicht nach meinem plötzlichen Fluchtbedürfnis. Stattdessen nahm er mich mit zu sich nach Hause, wo wir Pizza bestellten, Getränke zubereiteten (mein Wodka-Lemon bestand aus wesentlich mehr Wodka als Zitrone) und es uns auf derCouch gemütlich machten.

Im Hintergrund lief der Fernseher, aber wir schenkten ihm keine Aufmerksamkeit, sondern redeten ununterbrochen über viele Themen und lachten viel, obwohl ich zu geben muss, dass meine gute Laune ein wenig gezwungen war.

Die Sonne versteckte sich hinter den Bergen, der Mond und die Sterne kamen zum Vorschein, während wir uns unterhielten, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis mich die extremen Höhen und Tiefen des Tages einholten.

Ich begann immer öfter zu gähnen und meine Augen fielen mir zu. Während einer Gesprächspause muss ich völlig weggedriftet sein, so warm und gemütlich war mir.

Doch nur Sekunden, nachdem mir die Augen zugefallen waren, weckte mich ein Geräusch, und ich zuckte zusammen und war einen Moment lang verwirrt, wo ich war. Ich hatte ein Kissen unter dem Kopf und eine Decke über mir, die in der Nacht zuvor noch nicht da gewesen war, und helles, gräuliches Licht strömte durch die vorhanglosen Fenster von Adams etwas schmuddeliger Wohnung herein.

Ich kämpfte mich in eine sitzende Position und sah, wie Adam in einem zerknitterten T-Shirt und einem Paar seidiger Boxershorts von der Küchenzeile aus zu mir herüberschaute.

"Tut mir leid.", sagte er mit seinem goldigen Grinsen. "Ich wollte dich nicht wecken, aber ich habe die Kaffeedose fallen lassen." Er hielt sie hoch, damit ich sie sehen konnte, und fügte dann hinzu: "Willst du welchen?"

Ich schüttelte den Kopf, immer noch ein wenig desorientiert.

Dann traff es mich wie ein Schlag.

Morgen war heute.

Es war der Tag, an dem ich Matt endlich erzählte, was ich mit seinem besten Freund gemacht hatte, obwohl ich wusste, dass das, was er dachte, sein besten Freund mit mir gemacht hatte, die meisten Probleme bereiten würde.

Ich stöhnte und warf mir die Decke über den Kopf, weil ich mich noch ein paar Minuten länger verstecken wollte. Ich hörte Adam glucksen und dann seine Stimme sagen:

"Du hast wohl einen kleinen Kater, was?"

Und ja, jetzt, wo er es erwähnte, stellte ich fest, dass ich einen hatte. Trotzdem war das Pochen in meinem Kopf nichts im Vergleich zu dem seltsamen Pochen in meiner Brust.

Eigentlich war es sogar ganz nett, einen Teil des Elends, das ich fühlte, auf den übermäßigen Alkoholgenuss der vergangenen Nacht zu schieben. Als ich die Bettdecke zurückschlug, sah ich, dass ich die Kleidung trug, die ich den ganzen gestrigen Tag über getragen hatte. Klar! Ich war auf der Couch eingeschlafen, und Adam würde mich wohl kaum in meinen Pyjama packen.

Mann, ich muss so elendig aussehen, wie ich mich fühlte.

Als ich aufstand und feststellte, dass ich leicht schwankte und meine Blase zum Bersten voll war, fragte ich Adam, ob ich duschen könnte, und er nickte in Richtung einer geschlossenen Tür.

"Tut mir leid wegen der Unordnung.", entschuldigte er sich im Voraus und ich lachte leicht, als ich meine Tasche mit den frischen Klamotten aufhob.

"Ich lebe mit zwei Jungs zusammen, Adam, es wird nichts sein, was ich nicht schon gesehen habe."

Und das war es auch nicht, die Sachen lagen überall auf dem kleinen Kommoden verstreut, und die Duschmatte war eine einzige Sauerei, aber für einen Typen, der allein lebte, fand ich sie relativ sauber. Ich ging auf die Toilette, zog meine zerknitterten Klamotten aus und stieg in die Dusche.

Der Wasserdruck war miserabel und die Temperatur schien nicht über lauwarm hinauszukommen, was mir den Eindruck vermittelte, dass die Dusche meine Gefühle verkörperte. Das Schlafen auf der Couch hatte mir nicht nur einen schmerzenden Nacken beschert, sondern auch einen hämmernden Kopf und ein pochendes Herz, und ich musste wirklich völlig fertig aussehen.

Ich schrubbte mich mit dem Stück rissiger Seife ab, das ich in der Duschablage gefunden hatte, und benutzte das Shampoo und die Spülung, die ich mitgebracht hatte, um zu versuchen, ein wenig Normalität in meinen Körper zurückzubringen.

Der Plan war nicht ganz erfolgreich, aber ich fühlte mich schon ein bisschen menschlicher, als ich aus der Dusche trat und mir ein bereits leicht feuchtes Handtuch vom Handtuchhalter nahm, um mich abzutrocknen. Ich zog mir schnell ein Paar beigefarbene Cordhosen und ein schwarzes, tief ausgeschnittenes Oberteil mit dreiviertel Ärmeln an und ging ins Wohnzimmer, während ich mir die Haare abtrocknete.

"Deine Dusche ist scheiße.", informierte ich Adam und er nickte zustimmend, während er in Jeans und T-Shirt in einem Sessel saß und seinen Kaffee trank, er hatte sich offensichtlich umgezogen, während ich unter der Dusche stand.

Ich bürstete mein Haar und begann, es auf beiden Seiten meines Kopfes zu zwei Zöpfen zu flechten und fragte dabei beiläufig: "Wie spät ist es?"

Adam schaute auf seine riesige, übergroße Uhr (warum haben Männer eigentlich immer so riesige Uhren? Können sie die Zahlen auf kleineren Uhren nicht sehen oder so?) und seine Augen weiteten sich vor Überraschung.

"Scheiße, es ist kurz nach 11."

"Ernsthaft?" Ich befestigte den zweiten Zopf mit einem dünnen Haarband und starrte ihn erstaunt an. Trotz allem hatte ich sehr lange geschlafen. Vielleicht hatte mein Körper mir den Schlaf als eine Art Flucht angeboten. Für einen Moment wünschte ich mir, ich könnte einen Dornröschenschlaf machen und für 100 Jahre einschlafen, das würde die Sache ziemlich eindeutig lösen.

Unglücklicherweise klopfte die Realität hartnäckig an meinen bereits wunden Kopf, also sagte ich: "Ich gehe besser zurück, Matt und Jack werden sich schon fragen, wo ich bin."

"Kannst du vorher noch mit mir im Uni-Café frühstücken?", fragte Adam, stand sofort auf, stellte seine Kaffeetasse in die Spüle und schnappte sich eine Jacke und seine Autoschlüssel vom Tisch.

Ich dachte einen Moment lang darüber nach, während ich meine schwarzen Stiefel anzog. Eigentlich hätte ich so schnell wie möglich zurück in die Wohnung eilen sollen, aber mein innerer Feigling drängte sich vor meine widerstreitenden Gefühle und ich nickte. "Aber ein schnelles.", relativierte ich, als wir zur Tür hinausgingen.

Da es bereits halb zwölf war, als wir das Café erreichten, bestellten wir getoastete Käsesandwiches als eine Art Brunch, und er trank noch einen Kaffee, während ich mich für einen Orangensaft entschied, denn ich war schon nervös genug. 

Ich war kaum in der Lage, die kleinen Bissen meines Sandwiches hinunterzuschlucken, weil mein Magen sich heftig drehte, und ich starrte nichts ahnend aus den großen Fenstern, vor denen wir saßen, und überlegte, wie ich Matt von Jack und mir erzählen könnte.

Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich fast vergaß, dass Adam da war, und so zuckte ich erheblich zusammen, als er leicht hustete und zu sprechen begann.

"Talia, ich habe mich gefragt..."

Ich schaute ihn ein wenig benommen an, nickte dann und versuchte interessiert an dem auszusehen, was er zu sagen hatte.

"Als ich dich das erste Mal traf, hattest du dich gerade von diesem Brad getrennt, richtig?" Ich nickte erneut und war kaum in der Lage, das Interesse dafür aufzubringen, worauf er mit dieser Frage hinauswollte.

"Und ich habe verstanden, dass du damals kein Interesse an dieser ganzen Dating-Sache hattest, aber ich habe mich gefragt, ob sich das geändert hat, seit wir so gute Freunde geworden sind."

Ich erstarrte, mit meinem Glas Orangensaft auf halbem Weg an meinenLippen. Nein, nein, nein, nein, nein! Nicht jetzt! Nicht noch etwas, worüber ich mir Sorgen machen musste!

Ich stellte mein Glas mit einem dumpfen Schlag zurück auf den Tisch und versuchte, die Tatsache zu ignorieren, dass ich gerade knallrot geworden war.

"Du meinst, ich und du...?" Ich ließ den Satz unvollendet, aber es war offensichtlich, worauf ich hinauswollte.

Adam nickte, sein orangefarbenes Haar bewegte sich dabei leicht. "Wenn du das Gefühl hast, dass es für dich in Ordnung ist, dann ja, ich würde wirklich gerne mal mit dir ausgehen."

"Oh." Viel deutlicher hätte er es nicht ausdrücken können. So ein Mist. Ich hatte ihn schon einmal zurückgewiesen, ich war mir nicht sicher, ob ich es ein zweites Mal konnte, ohne ihn als Freund zu verlieren, und ich wollte ihn nicht verlieren.

Mein Verstand schwirrte, während er versuchte etwas passendes zu finden, das ich sagen konnte, aber er war zu erschöpft, vom ganzen Nachdenken über Matt. Ich war am Arsch.

Ich sah Adam an, und alles, was mir in den Sinn kam, war die Wahrheit, zumindest die konnte ich ihm geben, ich hatte das Lügen sowieso satt. "Die Sache ist die..." begann ich, doch in diesem Moment erschien jemand neben dem Tisch und warf einen Schatten auf unser Essen.

Adam und ich sahen beide auf, und ich musste mir ein Stöhnen verkneifen, als ich sah, dass es Micky war.

"Hey, das ist schon mal passiert.", sagte Adam, der sich durch das plötzliche Auftauchen seines Bandkollegen nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen zu lassen schien. "Diesmal komme ich nicht zu spät zu einem Bandtreffen, oder?"

"Nein." Micky schien Adam tatsächlich ein echtes Lächeln zu schenken, und ich dachte flüchtig, dass er eigentlich ziemlich hübsch aussah, wenn er nicht gerade finster dreinschaute oder grinste.

Alle auch nur vage freundlichen Gedanken an ihn verflogen jedoch, als er seinen Blick auf mich richtete und ich mich daran erinnerte, was ich ihm versprochen hatte, um es Matt selbst sagen zu können. Wahrscheinlich hatte er mich extra aufgesucht, damit er mich mit dieser "Respektiere ihn"-Nummer quälen konnte.

"Hi Micky.", sagte ich und gab mir Mühe, höflich zu klingen. "Das ist ... ähm ... ein wirklich schönes Hemd, das du da trägst."

Ausdem Augenwinkel sah ich, wie Adam überrascht die Augenbrauen hochzog, und ich musste mir ein fast hysterisches Lachen verkneifen, als ich hinzufügte: "Es bringt deine Augen zum Strahlen. Und das meine ich wirklich respektvoll."

Daraufhin brach Adam in Gelächter aus, aber Micky und ich sahen uns mit ernster Miene an. Micky öffnete den Mund, vermutlich um mir zu sagen, dass ich offensichtlich Schwierigkeiten hatte, zwischen Respekt und Verarschung zu unterscheiden, aber in diesem Moment klingelte sein Handy. Er holte es aus der Tasche und wandte sich vom Tisch ab, während er mit demjenigen sprach, der am anderen Ende war.

Adam, dessen Augen immer noch fröhlich funkelten, beugte sich vor und fragte:

"Was sollte das denn?"

Aber ich schüttelte den Kopf und deutete mit den Händen an, dass Micky noch in der Nähe war und ich noch nicht darüber sprechen wollte. Adam sah überrascht aus, nickte aber, dass er verstanden hatte. Ich nahm mein inzwischen kaltes Sandwich in die Hand und nahm einen großen Bissen, in der Hoffnung, Adam davon abzuhalten, das Gespräch fortzusetzen, das Micky unterbrochen hatte.

Da serwies sich jedoch als schlechte Idee, denn nur eine Sekunde später, als ich immer noch auf der Mischung aus Brot und geschmolzenem Käse herumkaute, fluchte Micky laut, knallte sein Handy zu, kehrte zum Tisch zurück und packte mich am Arm.

"Hey, was...", würgte ich, als er mich auf die Beine zerrte.

"Micky, was machst du da?" Adam schrie halb, stand ebenfalls auf und versuchte, ihn von mir wegzuschieben.

"Geh nach Hause.", sagte Micky eindringlich, griff nach meiner Tasche und drückte sie mir in die Hand. Ich umklammerte sie automatisch und wurde von Micky aus dem Café geschoben, während Adam protestierte und uns folgte.

"Wo ist dein Auto?", verlangte Micky, der sich auf dem Parkplatz umschaute und mein kleines Auto dort offensichtlich nicht sah.

"Ich bin ohne hier.", antwortete ich, schaffte es endlich, meinen Bissen herunterzuschlucken und drehte mich zu Micky um, um ihn anzufunkeln. "Lass mich los."

"Gut, dann musst du sie fahren.", sagte Micky, ignorierte mich und wandte sich stattdessen an Adam, der völlig verwirrt aussah.

"Okay, aber warum..." Auch er kam nicht zum Ende, denn Micky sah mich wieder an und sagte mit tiefer, ernster Stimme:

"Du musst nach Hause gehen. Sofort." Er ließ mich grob in Richtung Adam los, der seine Hände schützend auf meine Schultern legte und anfing, Micky entgegenzuschreien, was für ein Arsch er doch sei.

Ich bemerkte den Aufruhr nicht wirklich, da es mir eiskalt die Wirbelsäule hinauf und hinunterlief und es mir plötzlich schwerfiel, zu atmen.

"Lass uns gehen.", keuchte ich, packte Adam am Arm und zog ihn zu seinem Auto. Ich lief zur Beifahrerseite und stieg ein, in der Hoffnung, dass Adam keine Zeit damit verschwenden würde, Antworten zu verlangen, er schien jedoch etwas von meiner Panik mitbekommen zu haben und stieg ins Auto und legte den Gang ein, ohne zu diskutieren.

Eine Sekunde später schossen wir so schnell aus dem Parkplatz, dass es ein Quietschen von Gummi gab und wir wahrscheinlich einen schwarzen Fleck auf dem Asphalt hinterlassen hatten.

"Was ist hier los?", fragte Adam schließlich, als wir zügig durch den dichten Verkehr in Richtung meines Hauses fuhren.

"Das werden wir noch früh genug herausfinden.", sagte ich ihm knapp, nicht wirklich in der Stimmung, die Details zu erörtern. "Komm bitte nur so schnell wie möglich an."

Danach sagten wir nichts mehr, und als wir ein paar Minuten später neben meinem Auto anhielten, hatte er nichts dagegen, als ich aus dem Wagen schoss, bevor er seinen überhaupt zum Stehen gebracht hatte, er parkte einfach den Wagen und folgte mir, als ich die Treppe zu meiner Etage hinaufflog.

Ich fummelte an meinen Schlüsseln herum, so nervös, dass ich nicht in der Lage war, den richtigen zu finden, und als ich ihn dann endlich gefunden hatte, konnte ich meine Hände nicht dazu bringen, nicht mehr zu zittern, um ihn in das Schlüsselloch zu stecken.

"Hier." Adam nahm mir den Schlüssel ab und steckte ihn geradewegs in das Schloss, bevor er die Tür aufstieß und zurücktrat, während ich um ihn herum in den Hauptraum rannte.

Der Anblick war so schlimm, wie ich befürchtet hatte. Die Wohnung war ein einziger Trümmerhaufen, der Esszimmertisch war umgestürzt und die Stühle lagen verstreut herum, als wäre der seltsam aussehende WB Tasmanische Teufel durch unseren Essbereich gewirbelt.

Das andere, was mir auffiel, war eine riesige Delle im Putz neben meiner Tür und der Telefonhörer lag in Stücken auf dem Boden unter dem Loch. Man musste kein CSI-Spezialist sein, um herauszufinden, dass jemand das Telefon an die Wand geworfen hatte, und ich war bereit zu wetten, dass diese Person Matt war.

Es war jedoch nicht die Umgebung, die mich so sehr beunruhigte, dass ich das Gefühl hatte, plötzlich im Treibsand zu stecken und schnell zu versinken. Es war der Anblick von Matt und Jack, der mich brach, den ehemaligen Brüdern und Kameraden, deren Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren, mein Bruder mit einer Hand an Jacks Hemd, während es so aussah, als würde Jack versuchen, ihn wegzustoßen, und ich schrie:

"Nein Matt, lass ihn in Ruhe!" Bevor ich über die Folgen nachdenken konnte, die das haben könnte.

Matt und Jack drehten ihre Köpfe, um mich und Adam in der Tür stehen zu sehen, und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, als ich die leeren Blicke auf ihren Gesichtern sah.

Matts Gesichtsausdruck veränderte sich, als er mich sah, die bereits sichtbare Rötung seiner Haut wurde noch röter und ein wütender Ausdruck verzog den Mund, der sonst so bereit war zu lächeln.

Dieser groteske Blick erschreckte mich zutiefst und bestätigte all meine Befürchtungen, wie Matt reagieren würde, wenn er von Jack und mir erfuhr. Ich öffnete den Mund, um Jack zu warnen, aber es war zuspät. Matt wandte sich plötzlich von mir ab und schrie:

"Verdammter Mistkerl!"

Er schlug seine Faust hart in Jacks Magen, schleuderte ihn zurück an die Wand und schien sich nicht darum zu kümmern, dass der Kopf seines besten Freundes hart gegen den Putz schlug.

"Matt-" Jacks Stimme war so gequält, dass ich mich fragte, wie es sein konnte, dass Matts Herz nicht in zwei Teile zerrissen wurde, so wie es sich bei mir anfühlte.

"Quatsch mich nicht an.", knurrte Matt laut und seine Faust flog erneut, diesmal traf sie Jack mit einem kräftigen Schlag gegen den Kiefer.

"Verdammte Scheiße.", hörte ich Adam murmeln, bevor er an mir vorbeiging und sich zwischen die beiden Jungs drängte. "Matt, komm schon, Kumpel.", sagte er beruhigend, zog an meinem Bruder und schaffte es, ihn dazu zu bringen, Jack loszulassen, der an der Wand herunterrutschte und auf dem Boden sank.

Als Adam Matt zur Tür und damit zu mir schob, sah ich, dass seine Augen, die den meinen so ähnlich waren, mich mit dem verletzendsten Ausdruck ansahen, den ich je gesehen hatte.

Ich wusste, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, um zusammenzubrechen, hatte aber trotzdem eine schwere Zeit mich davon abzuhalten.

Ich sagte Adam wie betäubt, er solle Matt runter zum Parkplatz bringen, und ging weiter in die Wohnung, um Matts Autoschlüssel und seine Brieftasche zu holen. Matt konnte auf keinen Fall hier bleiben, er musste irgendwo hingehen, um sich abzukühlen.

Bevor ich Adam nach draußen folgte, kniete ich mich neben Jack und berührte sanft sein Gesicht auf der Seite, die nicht getroffen worden war.

"Jack?", fragte ich leise. "Bist du Okay?".

Er sah zu mir auf, sein Gesichtsausdruck ungläubig, in seinen Augen stand grenzenloser, intensiver Schmerz, aber ich wusste, dass er nicht davon stammte, dass er geschlagen worden war.

"Es wird alles wieder gut.", flüsterte ich, meine Stimme brach angesichts der Tatsache, dass ich das nicht mit Sicherheit wusste."Ich werde nachsehen, ob es Matt gut geht, und dann komme ich zurück und wir werden das klären. Er wollte dir nicht wehtun, er ist nur wütend, aber er wird darüber hinwegkommen."

"Ja.", stimmte Jack heiser zu, aber wir wussten beide, dass wir nur versuchten, einander zu beruhigen. Ich beugte meinen Kopf vor und küsste ihn sanft auf die Lippen, wohl wissend, dass er verletzt war, und darauf bedacht, seine Verletzungen nicht zu verschlimmern.

Ich wollte viel lieber bei Jack bleiben und mich von ihm mit leeren Worten trösten lassen, aber ich zwang mich, zurückzutreten und aufzustehen. "Ich bin gleich zurück.", versprach ich ihm und eilte aus der Wohnung und die Treppe hinunter zum Parkplatz, wo ich sah, dass Adam Matt losgelassen hatte und mit ernstem Blick einfach neben ihm stand.

Als er mich aus dem Gebäude kommen sah, kam er zu mir und ich lächelte ihn schwach an.

"Das alles tut mir alles so unglaublich leid.", begann ich. "Und danke, dass du da eingegriffen hast, ich hätte sie wahrscheinlich nicht trennen können."

"Kein Problem.", erwiderte er in seiner üblichen lockeren Art, obwohl es offensichtlich war, dass es ihm etwas unangenehm war, mitten in unsere kleine häusliche Auseinandersetzung geraten zu sein. "Jetzt verstehe ich, warum du es so eilig hattest, hierher zu kommen. Was hat Jack gemacht?"

Ich sah ihn einen Moment lang verwirrt an und begriff dann, dass er natürlich nicht wusste, warum Matt so ausgetickt war.

„Erzähle ich dir später.", sagte ich unbeholfen. "Jetzt sollte ich wohl..." Ich brach ab und gestikulierte in Richtung Matt, der jetzt an sein Auto gelehnt war und uns beobachtete.

"Klar, natürlich. Melde dich, ja?" Adam umarmte mich kurz und ging dann zu seinem Auto hinüber.

Als er wegfuhr, holte ich tief Luft und ging langsam auf Matt zu. Das würde nicht schön werden.





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