Heart's a Mess
Wir drei, Matt, Jack und ich, standen auf der Veranda des Hauses der Familie Whitby und blickten ängstlich auf die massive Eingangstür.
Es war sehr still um uns herum, kein Windhauch rüttelte an den Blättern der Bäume oder Sträucher, und alle Vögel schienen sich an diesem Nachmittag auf dem Grundstück eines anderen niedergelassen zu haben.
Die Mittagssonne schien auf den Boden und gewann langsam an Kraft, je höher sie in den Himmel stieg, aber ihre Wärme konnte den Kokon aus Trübsal, der mich und die Jungs einhüllte, nicht durchdringen.
Der Garten war voller dürrer, meist abgestorbener Pflanzen, aber die Zäune um die Koppeln sahen stabil und gut gepflegt aus, ebenso wie die Pferde, die innerhalb der eingezäunten Bereiche weideten. Ich hatte immer gedacht, dass Mr. Whitby sich besser um seine Pferde kümmerte als um alles andere, einschließlich seiner eigenen Familie.
Als ich das braune Backsteinhaus vor mir betrachtete, dachte ich, wie seltsam es war, dass ich Jack so gut kannte und sein Elternhaus mir doch so fremd war. Ich war nur eine Handvoll Mal in dem imposanten Haus gewesen, und keiner dieser Besuche war besonders angenehm oder von langer Dauer. Die allgemeine Stimmung an diesem Ort lud nicht zum Verweilen ein.
"Gut, dann bringen wir es hinter uns.", sagte Jack plötzlich und ließ mich erschrocken zusammenzucken. Er schritt voran und klopfte energisch an die Tür, und ich wartete auf das Erscheinen des meistgehassten Mannes in Bridunna (das allerdings nur unter Berücksichtigung, dass Alex kaum als Mann gelten konnte), und wagte kaum zu atmen.
Nach ein paar Sekunden ertönten schwere Schritte auf der anderen Seite der Tür, und wir alle drei spannten uns an, wobei Jack die Schultern straffte, als würde er gleich in die Schlacht ziehen. Ich nehme an, in gewisser Weise tat er das auch.
Die Tür öffnete sich und Mr. Whitby stand im schattigen Eingangsbereich und starrte uns grimmig an. Seine Miene zuckte nicht einmal, als er sah, wer vor seiner Tür stand, aber ich nehme an, dass er unseren Besuch erwartet hatte, denn es war eine jährliche Prozedur.
Er war ein großer Mann, ungefähr so groß wie sein Sohn, mit wässrigen blauen Augen und kurzem Haar, das, obwohl es einmal so dunkelbraun gewesen war, wie das von Jack, jetzt silbergrau war.
Als ich ihn schweigend musterte, sah er Jack unverwandt an, bevor er kalt sagte:
"Es muss wieder diese Zeit des Jahres sein."
Für die meisten Beobachter hätte es so ausgesehen, als hätte Jack nicht auf die Worte seines Vaters reagiert, aber ich beobachtete ihn so genau, dass ich gesehn hatte, wie er fast unmerklich zusammengezuckt war, und ich bewegte mich unruhig von einem Fuß auf den anderen, und wünschte mir, Matt würde nicht zwischen uns stehen.
Jack schien meine Unterstützung jedoch nicht zu brauchen, denn im nächsten Moment sagte er in einem Ton, der noch eisiger war als der seines Vaters: "Du brauchst keinen Besuch von mir, um dich an das Datum zu erinnern, Dad."
Ich war froh, dass Mr. Whitby darauf nichts zu sagen hatte, aber nicht so begeistert, als sein Blick von Jack auf mich fiel und das Gewicht seines Blicks mir das Gefühl gab, als würde er mich körperlich niederdrücken.
"Musstest wohl dieses Jahr ein Mädchen mitbringen, um dich zu beschützen, was?", sagte er angewidert und starrte mich weiter an, als wäre ich etwas Ekelhaftes, das jemand vor seiner Tür hatte liegen lassen, und ich schätze, je nachdem, wen man fragte, wäre die Behauptung vielleicht auch, dass ich genau das war.
"Was denkst du, vor wem ich Schutz brauche? Vor dir?", lachte Jack rau. "Unwahrscheinlich."
Es herrschte eine äußerst unangenehme Stille, als Jack und sein Vater sich gegenseitig abschätzten, und ich begann mich zu fragen, ob Jack vielleicht wirklich Schutz brauchte. Gott weiß, dass ich sofort einspringen würde, wenn er mich bräuchte, aber im Hinblick auf körperliche Auseinandersetzungen wäre ich nicht gerade eine große Hilfe. Vielleicht würde ich einfach nur Matt dazwischen schubsen.
"Talia, hast du nicht gesagt, dass du die Pferde sehen willst?", sagte Matt plötzlich ziemlich laut, als ob er meine Gedanken gelesen hätte und nicht besonders viel von der Idee hielt.
Ich neigte meinen Kopf und sah ihn ungläubig an. "Ähm, nein.", erwiderte ich ehrlich und fragte mich, was er sich dabei dachte.
"Ich bin sicher, dass du das vorhin getan hast, komm, ich zeige sie dir." Er nahm meinen Ellbogen und begann daran zu zerren, aber ich blieb standhaft.
"Ich habe schon Pferde gesehen.", sagte ich zähneknirschend, schaute zwischen ihm und Jack hin und her und fragte mich, warum mein Bruder seinen besten Freund in diesem entscheidenden Moment im Stich lassen wollte.
"Ja, aber jeder weiß, dass Whitby-Pferde etwas anderes sind.", entgegnete Matt stur.
Ich versuchte, seine Hand von mir loszubekommen, und sagte mit erzwungener Ruhe: "Sicher, aber ich habe auch schon Whitby-Pferde gesehen."
"Talia, komm JETZT mit mir!" Matt gab jeglichen Vorwand auf und zog so beharrlich an mir, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihm zu folgen, wobei ich sehnsüchtig über meine Schulter zu Jack schaute.
"Erschreckt die Pferde nicht.", rief Mr. Whitby uns hinterher, und Matt musste seinen Griff fester machen, um zu verhindern, dass ich mich umdrehte, zurückmarschierte und ihm eine Abreibung verpasste.
Als Matt und ich ein gutes Stück vom Haus entfernt waren und vor einer Koppel voller wohlerzogener Pferde standen, ließ er mich los, und ich blickte ihn vorwurfsvoll an, bevor ich mich demonstrativ an der Stelle rieb, an der er mich gepackt hatte.
"Warum hast du das gemacht?", verlangte ich, als ich zum Haus zurückblickte und sah, dass Jack und sein Vater hineingegangen waren. "Jetzt ist Jack allein mit diesem Scheißkerl und ich habe versprochen, dass wir für ihn da sein werden."
"Dieser Scheißkerl ist sein Vater.", erinnerte mich Matt, setzte sich auf die oberste Latte des Zauns und schaute kritisch zu mir hinunter.
"Das ist mir egal.", schnauzte ich, lehnte mich gegen die Holzlatten des Zauns und sah durch die Lücken zu den Pferden. "Ich hasse ihn. Und du hasst ihn auch, also sei nicht so scheinheilig."
"Ruhig, Tiger.", schmunzelte Matt. "Ich behaupte ja nicht, dass Mr. Whitby mein Lieblingsmensch auf der Welt ist, ich sage nur, dass er seine Gründe für sein Verhalten hat."
Nicht schon wieder dieser Ausreden-Quatsch, dachte ich verärgert. "Ja, und der Hauptgrund ist, dass er ein absolutes Arschloch ist...", begann ich, aber Matt unterbrach mich mit den Worten:
"Hör mal, weißt du, was am Tag des Unfalls passiert ist?"
Das ließ mich zurückschrecken und überrascht zu ihm aufblicken, denn die Ereignisse dieses Tages waren mir immer sehr schleierhaft gewesen, und ich schrieb einen Teil dieser Schleierhaftigkeit dem absichtlichen Verschweigen von Informationen durch Matt zu.
Ich erinnerte mich genau daran, was ich an diesem Tag gemacht hatte. Es waren Herbstferien, und Simone und ich waren hinunter zum Bach gegangen, der sich an der gesamten Länge von Bridunna entlangstreckte.
Es war ein ungewöhnlich warmer Tag für die Jahreszeit, und wir hatten uns mit ein paar Freunden am Ufer ausgestreckt und tratschten nach Herzenslust mit unseren 12 Jahren.
Wir hatten bereits ein paar Stunden dort verbracht, als plötzlich ein Polizeiauto, ein Krankenwagen und ein Feuerwehrauto mit heulenden Sirenen an uns vorbeirauschten. Simone und ich hatten uns erschrocken angesehen, weil wir wussten, dass in der Richtung, in der die Autos fuhren, nur drei Häuser lagen - das meiner Familie, das der Smiths und das der Whitbys.
Wir waren die Böschung hinaufgeklettert und stürmten den Einsatzfahrzeugen hinterher, und ich erinnere mich, dass ich immer wieder dachte: "Bitte lass es nicht meins sein, bitte lass es nicht meins sein, bitte lass es nicht meins sein..."
Natürlich war ich nicht in der Lage gewesen, einen zusammenhängenden Satz zu bilden, nicht einmal in meinem Kopf, aber ich wusste, was ich gemeint hatte.
Simone und ich waren etwa einen halben Kilometer gelaufen, als ich den Wagen meines Vaters auf der Straße auf uns zu fahren sah. Ich hatte fast geweint, als ich ihn so offensichtlich unverletzt sah, aber als er aus dem Auto gesprungen war und Simone und mich in eine feste Umarmung gezogen hatte, hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen, denn ich wusste, dass etwas wirklich Schlimmes passiert sein musste.
Mein Vater hatte uns in den Wagen verfrachtet und nach Hause gefahren. Er weigerte sich, unsere Fragen zu beantworten, und nahm den Umweg über die hintere Straße, der mir sagte, dass das, was auch immer passiert war, auf der Hauptstraße stattgefunden hatte, die die Grundstücke mit dem Rest der Stadt verband.
Zu Hause saß meine Mutter am Telefon, Tränen liefen ihr übers Gesicht, und das hatte mir mehr Angst gemacht als alles andere, denn viel härter als meine Mutter konnte man nicht sein. Simone und ich hatten uns auf der Couch zusammengekauert, während meine Eltern eifrig telefonierten und mit gedämpfter Stimme sprachen, aber schließlich hatte ich es nicht mehr ausgehalten und sie angeschrien, mir endlich zu sagen, was los war.
Erst da hatten sich meine Eltern hingesetzt und uns erzählt, dass es einen Unfall gegeben hatte und dass Jacks Mutter und sein Bruder ums Leben gekommen waren. Lizzie war in einem kritischen Zustand, aber noch am Leben und war mit dem Hubschrauber in die Stadt geflogen worden.
Mr. Whitby war mit seiner Tochter im Rettungshubschrauber mitgeflogen, aber Jack, der den Unfall als erster entdeckt hatte, war mit Matt zur Polizeiwache gefahren, um dort zu warten. Von dort kamen auch die meisten Telefonanrufe.
Danach hatten Mum, Dad, Simone und ich schweigend auf der Couch gesessen und gewartet. Ab und zu machte sich Mum eine Tasse Tee, aber sie trank ihn nicht, und am späten Nachmittag, als die Nachricht endlich kam, stand eine Reihe von Tassen mit Tee in verschiedenen Stadien der Abkühlung vor uns auf dem Tisch.
Die Nachricht war nicht gut. Lizzie hatte es nicht geschafft, und als Jack und Matt diese Nachricht erhielten, waren sie weggelaufen, und niemand wusste, wohin sie verschwunden waren. Das war äußerst besorgniserregend, denn in unserer kleinen Gemeinde wusste immer jeder über die Angelegenheiten der anderen Bescheid, und dass zwei der Goldjungen der Stadt verschwunden waren, ohne dass es Hinweise auf ihren Verbleib gab, war ungwöhnlich.
Bei Einbruch der Dämmerung war Simone nach Hause gegangen, und so waren nur Mum, Dad und ich da, als Matt und Jack gegen 19.30 Uhr ins Haus taumelten und aussahen, als hätten sie sich geprügelt. Beide waren mit Staub und Blutspuren bedeckt und ihre Kleidung war zerrissen.
Als ich mich daran erinnerte, sah ich Matt mit gerunzelter Stirn an.
"Ihr seid verschwunden.", begann ich langsam. "Und als ihr zurückgekommen seid, saht ihr aus, als hättet ihr euch geprügelt."
Matt nickte, sein sandfarbenes Haar fiel herunter und warf einen Schatten auf sein Gesicht. "Ja, das war die einzige Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, mit mir nach Hause zu kommen. Aber was ich meinte, war, ob du weißt, was an diesem Tag vor dem Unfall passiert ist?"
Ich schüttelte den Kopf und zog mich neben meinem Bruder auf den Zaun, wobei ich hoffte, dass der dicke Jeansstoff verhindern würde, dass ich mir an unangenehmen Stellen Splitter einfing.
"An diesem Tag gab es eine große Heulieferung für die Pferde, und Jack und ich haben Ballen vom Lastwagen in den Schuppen geschleppt.", begann Matt, er wandte sein Gesicht von mir ab, während er anfing mit einem Zweig zu spielen.
"Wir waren noch nicht lange dabei, als wir hörten, wie sich Jacks Eltern anschrieen." Er zog eine Grimasse. "Nicht gerade ungewöhnlich, wenn man bedenkt, dass es die beiden waren, aber Lizzie und Paul haben mit Alex Gumnuts auf ein Ziel geschossen, das sie in der Einfahrt aufgestellt hatten, und wir wollten nicht, dass sie das hörten..."
Matt warf den Zweig beiseite und starrte mit einem gequälten Lächeln auf das Haus der Whitbys. "Wir sangen John Farnham aus voller Kehle. Ich kann 'The Voice' immer noch nicht hören, ohne mich daran zu erinnern. Wahrscheinlich hat das die armen Kinder mehr traumatisiert als ihre Eltern zu hören..."
Er verstummte, und ich spürte, wie sich ein Kloß in meiner Kehle formte, bei der Vorstellung eines 14-jährigen Jacks, der seinen eigenen Schmerz verdrängte und versuchte, seine Geschwister davor zu bewahren. Matt schien zu verstehen, was ich fühlte, denn er nickte erneut.
"Ja, so war es in etwa. Jedenfalls stürmte Mrs. Whitby etwa eine halbe Stunde später, als wir gerade eine Pause machten, mit einem Koffer aus dem Haus. Sie schrie wie eine verrückte und man merkte ihr an, dass sie wieder betrunken war. Mr. Whitby kam auf die Veranda und schrie ihr ein paar wirklich üble Dinge entgegen, ich weiß noch, dass er ihr hinterher gespuckt hatte, und ich wurde so wütend auf ihn." Matts Lächeln wurde fast reumütig.
"Dann dachte ich, viel schlimmer kann der Tag gar nicht mehr werden ... wenn man das Schicksal herausfordert, nicht wahr?"
Ich starrte auf das Haus, voller Hass auf den Mann, der wahrscheinlich in diesem Moment drinnen war und Jack genauso niedermachte, wie er seine Frau immer niedergemacht hatte.
"Die Zwillinge kamen angerannt, als sie aus dem Haus kam, und wir gingen auch rüber.", fuhr Matt mit leiser, fester Stimme fort. "Mrs. Whitby schnappte sich Paul und Lizzie und schob sie ins Auto und forderte dann Jack auf, ebenfalls einzusteigen. Er sagte nein, sie sei betrunken und solle nicht fahren, und sie rastete total aus und sagte, er sei genau wie sein Vater, und wenn er so sei, wolle sie ihn sowieso nicht als Sohn haben."
Ich sog erstaunt die Luft ein und starrte meinen Bruder ungläubig an. "Das hat sie gesagt?!", fragte ich überrascht und würgte dann vor Wut, als er bestätigend nickte. "Warum würde jemand so etwas zu seinem Kind sagen?"
"Sie war ziemlich neben der Spur.", antwortete Matt, bevor er seine Hände kapitulierend hob, als ich mich wütend zu ihm umdrehte. "Ich sage nicht, dass das, was sie getan hat, nicht völlig daneben war, aber ich vermute, dass sie zu diesem Zeitpunkt so wütend und betrunken war, dass sie auf jeden losgegangen wäre, und Jack war gerade einfach nur da."
Ich schwankte ein wenig auf dem Zaun, wohl wissend, wie leicht es war, sich bei Jack zu entladen, weil ich es selbst schon getan hatte, wenn auch nie so schlimm wie das. Ich sah, dass Matt sich darauf vorbereitete, fortzufahren, und dachte flüchtig, dass dieses Gespräch wahrscheinlich das meiste war, was ich ihn je über ein anderes Thema als Football hatte sagen hören.
"Wie auch immer, während Jack seine Mutter ablenkte, versuchte ich, die Zwillinge aus dem Auto zu bekommen. Ich weiß nicht, was mit ihnen los war, sie waren zu verängstigt oder betäubt oder so, denn sie wollten sich nicht rühren, also musste ich auf den Rücksitz greifen und versuchen, sie selbst herauszuholen. Ich hatte es gerade geschafft, Paul abzuschnallen, als Jacks Mutter sah, was ich vorhatte, und ebenfalls auf mich losging. Bevor ich eines der Kinder herausholen konnte, fuhr Mrs. Whitby los, Paul hing praktisch aus der Tür und Jack und ich schrien ihn an, er solle springen, aber er wollte Lizzie nicht alleine lassen."
Er hielt inne, und ich merkte, dass er sich nicht ausgesucht hatte, zu verstummen, sondern dass ihn die Emotionen förmlich erstickten.
Ich saß einen Moment lang fassungslos da und verarbeitete, was er mir gesagt hatte, und war erschüttert über meine eigene Unzulänglichkeit, meinen Bruder zu trösten. Es schien, als gäbe es nichts zu sagen, obwohl ich verzweifelt versuchte, etwas Angemessenes zu formulieren. Am Ende platzte nur ein "Oh Matt!" heraus.
„Lass den 'Oh Matt'-Mist.", erwiderte er schroff und tat wie immer so, als wäre er allergisch auf Gefühle. „Ich habe dir nur vorher nichts von all dem erzählt, weil ich nicht wollte, dass du so blöd daher redest. Es ist ja nicht so, dass ich jeden Tag darüber nachdenke, was passiert ist, aber hin und wieder halte ich inne und denke, wie anders alles hätte sein können, wenn ich es geschafft hätte, die Zwillinge zu befreien." Er strich sich die Haare aus dem Gesicht und zuckte grimmig mit den Schultern. "Das älteste Klischee, das es gibt, oder? 'Wenn nur' und all das."
"Klischees sind aus bestimmten Gründen Klischees, nehme ich an.", antwortete ich und fragte mich, wie ich es geschafft hatte, jahrelang mit den beiden zusammenzuleben, ohne zu merken, dass mehr hinter der Unfall Geschichte steckte.
Jedes Mal, wenn ich das Gefühl hatte, Jack besser kennenzulernen, entdeckte ich, dass es noch etwas anderes gab, das ihn von mir trennte, etwas, das ich einfach nicht verstehen konnte. Ich begann auch zu begreifen, dass er vielleicht die ganze Zeit recht gehabt hatte, mich vor seinem Kummer abzuschirmen, möglicherweise war ich nicht bereit, mich dem zu stellen.
Es war nicht der beste Zeitpunkt, um eine Erleuchtung zu haben, also schob ich meine Gedanken beiseite und konzentrierte mich wieder auf Matt, der es geschafft hatte, den Kloß in seinem Hals zu überwinden und weiterzusprechen.
"Sie ist also losgefahren und hat dabei Alex fast über den Haufen gefahren, der immer noch auf der Einfahrt stand, und ich habe Jack angeschrien, dass wir seinem Vater sagen müssen, dass sie die Zwillinge mitgenommen hatte, aber er hat mich ignoriert und ist ihnen hinterher, die Einfahrt hinunter."
"Zu Fuß?!", fragte ich erstaunt.
"Zu Fuß.", bestätigte er. "Er hat nicht klar gedacht.", fügte er hinzu, als ob ich das nicht schon aus seinen Worten herausgelesen hätte. "Also ging ich rein und erzählte es seinem Vater, und das nächste, was ich weiß, ist, dass wir in seinem Wagen die Straße entlang fuhren und er ununterbrochenfluchte. Im Ernst, ich war ein 14-jähriger Junge und er sagte an diesem Tag Dinge, die ich noch nie zuvor gehört hatte, ziemlich krasses Zeug."
"Wir waren vielleicht ein paar hundert Meter weit gefahren, als wir am Devil's Elbow riesige Furchen im Kies sahen und ich wusste sofort, dass das Auto von der Straße abgekommen und in den Bach gestürzt war. Ich meine, Devil's Elbow ist schon schlimm genug, um nüchtern zu fahren, aber betrunken?" Matt schüttelte bei dem Gedanken den Kopf und seufzte.
"Jack war schon da, unten im Bachbett und hat an einer der Hintertüren gezogen. Danach ist es irgendwie alles verschwommen, ich erinnere mich, dass im Bach kein Wasser, aber der Schlamm wie Treibsand war, und dass wir uns alle angeschrien haben und ich einen Krankenwagen gerufen habe, aber das ist alles."
Er hielt erneut inne, und ich spürte, wie mir Tränen die Wangen hinunterliefen. Es war ein Schock für mich festzustellen, dass ich weinte, denn ich hatte keine der üblichen Nebenwirkungen wie ein geschwollenes Gesicht oder Brust zerreißende Schluchzer, die ich normalerweise bekam.
Vielleicht war es so, wie wenn man sich wirklich schwer, aber sehr schnell verletzt und statt zu weinen, füllen sich die Augen einfach mit Tränen über den Schock. Ich war mir sicher, dass das richtige Weinen später kommen würde, genauso wie wenn man sich selbst verletzt.
Ich dachte daran, wo wir während der Ereignisse des Tages waren, und fügte seiner Erzähling hinzu: "Und dann bist du mit zur Polizeiwache genommen worden, um zu warten." Wenigstens diesen Teil der Geschichte kannte ich.
"Ja", stimmte Matt zu. "Wir waren dort, bis wir erfuhren, dass Lizzie es nicht geschafft hatte und Jack abgehauen war."
Ich wischte mir über das Gesicht und wusste, dass ich mir den Dreck vom Zaun auf die Wangen schmierte, aber es war mir egal. "Was hast du gemacht?"
Matt zuckte noch einmal mit den Schultern. "Ihn gejagt, gefangen, mit ihm gekämpft, was hätte ich sonst tun sollen?"
Dann schwiegen wir und starrten einfach auf das Haus und warteten darauf, dass Jack wieder herauskam, schließlich schien es nicht mehr viel zu sagen zu geben.
Letztendlich mussten wir nicht allzu lange warten. Nur wenige Minuten nachdem Matt aufgehört hatte zu reden, schlug die Tür zur Veranda laut zu undJack stürmte über den Hof und lief über eine der Koppeln davon.
Ich sprang vom Zaun, bürstete mich ab und wollte ihm folgen, aber Matt rief mich scharf zurück.
"Was glaubst du, wo du hingehst?", fragte er. Er hatte sich keinen Zentimeter bewegt, als Jack aufgetaucht war.
"Wir müssen nachsehen, ob es ihm gut geht.", rief ich und gestikulierte in Richtung von Jacks schnell schwindender Gestalt.
"Nein, noch nicht.", sagte Matt entschlossen, und als ich ihn rebellisch ansah, schüttelte er entschieden den Kopf. "Ich mache das schon länger als du, vertrau mir, wir warten."
Ich seufzte, kehrte aber zum Zaun zurück und lehnte mich dagegen, um mich seinem überlegenen Wissen über das heikle Thema des 20. Septembers zu beugen.
Wir warteten so ungefähr 15 Minuten, denke ich, bevor Matt neben mir au fdem Boden landete und mir mit einer Kopfbewegung zu verstehen gab, dass wir Jack folgen sollten. Natürlich war er zu diesem Zeitpunkt nirgends mehr zu sehen, aber Matt schien genau zu wissen, wohin wir gehen mussten, und marschierte selbstbewusst vor mir her.
Wir durchquerten drei Koppeln und übersprangen dann einen letzten Zaun, um direkt gegenüber von Devil's Elenbow auf die Straße zu gelangen. Ich schätze, jetzt so im Nachhinein hätte ich wohl wissen müssen, wohin wir unterwegs waren, aber ich hatte nicht wirklich nachgedacht, und unser Ziel überraschte mich für einen Moment.
Ich sah Jack zunächst nicht, denn mein Blick wurde sofort von der verstärkten Sicherheitsbarriere angezogen, die nach dem Unfall errichtet worden war, um zu verhindern, dass weitere Personen in den darunter liegenden Bach stürzten.
Normalerweise hatte sie eine triste, graue Farbe, aber heute war sie mit Hunderten von Blumen und Karten geschmückt, die vermutlich von den Mitgliedern der Stadt dort angebracht worden waren. Ich sah, wie sich Matts Mund vor Abscheu über diesen Anblick verzog, und dann sagte er leise:
"Diese Stadt liebt Tragödien." Bevor er über die Sicherheitsbarriere sprang und sich auf den Weg zum Bachufer machte, wo Jack auf einem umgestürzten Baumstamm saß. Ich rutschte hinter meinem Bruder her und blieb einen Moment lang stehen und betrachtete die beiden.
Matt hatte eine starke Hand auf Jacks Schulter gelegt und Jack griff danach und hielt sie fest, seine Knöchel färbten sich weiß und standen im Kontrast zu seiner gebräunten Haut. Mein Blick wanderte weiter nach oben, und da wurde mir klar, warum wir auf dem Grundstück gewartet hatten.
Jack, mein starker, tapferer Jack, hatte offensichtlich geweint, seine Augen waren rot und wässrig, und ich wusste, dass er auf keinen Fall gewollt hätte, dass einer von uns dabei war, um das zu sehen.
Als ich Matt und Jack in einem Bild aus Trauer eingefroren sah, überlief mich ein Schauer und ich wünschte mir einen Moment lang, ich wäre nicht gekommen, ich hatte das Gefühl, nicht dazuzugehören. Im nächsten Moment jedoch schaute Jack an meinem Bruder vorbei zu mir, und was ich in diesem Blick sah, überzeugte mich davon, dass ich nirgendwo anders auf der Welt hätte sein sollen.
Instinktiv taumelte ich nach vorne über den unebenen Boden und kletterte über den Baumstamm, um mich neben Jack zu setzen, Matt stand auf der anderen Seite, so dass wir ihn wie Davenport-Beschützer flankierten. Ich griff nach Jacks Hand und verschränkte meine Finger mit seinen, lehnte mich an seine Seite und legte meinen Kopf an seine Schulter.
Matt setzte sich ebenfalls, seine Schulter berührte Jacks Schulter fast, aber nicht ganz, um ihm Halt zu geben und gleichzeitig sein eigenes und Jacks männliches Ego zu wahren.
Ich konnte spüren, wie Jack vor aufgestauten Emotionen fast vibrierte, und während wir in einer bedrückten Stille da saßen, bereitete ich mich auf einen Ausbruch vor. Schließlich konnte selbst Jack nicht alle Gefühle, die an diesem Tag hochkamen, lange unter Kontrolle halten. Selbst in seinem diszipliniertesten Zustand nicht.
Die Minuten verstrichen, während wir den Fröschen zu hörten, die in den winzigen Tümpeln mit schlammigem Wasser, vor sich hin summten, und ich konzentrierte mich darauf, nicht zu weinen. Schließlich, nach einer langen, langen Zeit, spürte ich, wie Jack einen großen Seufzer ausstieß und sich dann langsam löste. Widerstrebend ließ ich seine Hand los und lehnte mich zurück, um zu sehen, was er tun würde.
Er schaute zur Sicherheitsbarriere hinauf, als würde er sie zum ersten Mal bemerken, und der gleiche Ausdruck, den Matt gehabt hatte, als er die Tribute gesehen hatte, die die Leute hinterlassen hatten, verzog sein Gesicht.
"Das machen sie jedes Jahr. Ich hatte gehofft, dass sie mit der Zeit ihren Enthusiasmus dafür ablegen würden, aber bis jetzt ist das noch nicht passiert.", sagte er, seine Stimme war leicht kratzig, vermutlich vom Nicht gebrauch und den Tränen, die er zuvor geweint hatte.
"Es ist die beliebteste Jahreszeit für Blumenhändler im Umkreis von 100 Kilometern von hier.", bemerkte Matt mit fast grausamem Humor.
"Freut mich zu hören, dass jemand von diesem verdammten Scheiß profitiert.", knurrte Jack und überraschte mich ein wenig mit seiner Ausdrucksweise.
Er rieb seine Hände unruhig aneinander, stand dann plötzlich auf und ging ein paar Schritte vorwärts, um mit leerem Blick in den nahezu ausgetrockneten Bach zu starren.
Ich beobachtete ihn misstrauisch, ein wenig nervös, weil ich mich in der Gegenwart von so vielen, unverarbeiteter Gefühle befand, und spürte, wie sich mein Magen angespannt zusammenzog.
Wie sich herausstellte, hätte ich mich nicht auf einen Gefühlsausbruch gefasst machen müssen, denn als Jack wieder sprach, war es ganz leise. "Warum hat mir das keiner von euch gesagt?", fragte er.
Nach einem kurzen Moment der Überraschung sahen Matt und ich uns an, und als ich sah, dass er genauso ahnungslos war wie ich, zuckte ich mit den Schultern. Mein Bruder rutschte leicht auf dem Baumstamm hin und her, räusperte sich unbeholfen und fragte.
"Was gesagt?"
Jack steckte die Hände in die Taschen, wandte sich an uns und blickte dennoch über den Bach in die Ferne. "Dass diese ganze Scheiße schon zu lange andauert." Seine Stimme war sanft und traurig, aber nicht mehr so angespannt, wie sie zuvor gewirkt hatte. "Es ist sechs Jahre her und ich reagiere immer noch so wie damals mit 14, es reicht."
Er drehte sich wieder zu uns um, und ich war überrascht zu sehen, dass sein Gesichtsausdruck bemerkenswert klar und offen war. Selbst an normalen Tagen sah er normalerweise nicht so aus. "Klar, vor der ganzen Sache wegzulaufen, hat am Anfang Sinn gemacht, aber seitdem ist so viel passiert und ich muss auch mal erwachsen werden."
Er lächelte sein schiefes Lächeln und sagte: "Unglaublich, dass ich so lange gebraucht habe, um es herauszufinden. Ich saß da und habe meinem Vater zugehört, wie er in einem fort darüber geredet hat, was für ein Versager ich doch sei und mir wurde plötzlich klar, dass ich es satthabe, darauf zu warten, dass es in Ordnung ist, und dass er alles, was ich seit dem Unfall in meinem Leben getan habe, anerkennt."
Seine Stimme gewann plötzlich an Kraft und er fuhr fort: "Ich habe etwas zu tun, und ich könnte mein Leben damit vergeuden, darauf zu warten, dass er seinen Scheiß auf die Reihe bekommt." Er zuckte leicht mit den Schultern. "Wer weiß, vielleicht könnte ich es sogar zuerst tun, um ihm zu zeigen, wie es geht."
Es gab eine Pause und dann sagte Matt plötzlich: "Das Stipendium." Ich zuckte bei seiner Stimme neben mir zusammen und sah ihn verwirrt an.
Jack schien jedoch genau zu wissen, was Matt meinte. "Ja, ich habe eine Weile darüber nachgedacht und ich denke, das ist mein Ausweg." Er drehte sich wieder von uns weg. "Ich muss gehen, ich muss weg von all ... dem hier." Er fegte einmal mit seinem Arm durch die Luft und deutete so, auf die Blumen auf der Brücke, den leeren Bachlauf und, wie ich mit einem unguten Gefühl feststellte, mich.
"Du wirst es schaffen, Kumpel.", sagte Matt, sprang auf und klopfte Jack bestätigend auf den Rücken. "Keine Sorge."
Ich erkannte mein Stichwort und nickte aufrichtig, obwohl ich spürte, wie mir die Tränen kamen, als ich zum ersten Mal richtig darüber nachdachte, was es bedeuten würde, wenn Jack auf die andere Seite der Welt ziehen würde.
"Nach all der Zeit, die ich damit verbracht habe, dir zu helfen, solltest du es verdammt noch mal besser bekommen.", scherzte ich (oder war es eher ein würgen?), stand auf und lächelte die beiden tapfer an.
Dann verstummten wir, ganz in unsere eigenen Gedanken vertieft. Wir verharrten noch einen Moment so und starrten in verschiedene Richtungen, bis ein Flügelschlag ertönte und zwei Elstern plötzlich von einem nahen Ast abhoben und zwischen uns drei flogen.
"Eine fürs Leid, zwei für das Glück.", zitierte ich geistesabwesend. "Das ist doch ein gutes Omen, oder?"
Matt schaute zu dem Ast hinauf, von dem die Vögel geflogen waren und lachte. "Ja? Und was bedeutet sieben?", fragte er und deutete in Richtung des Baumes, woraufhin Jack und ich uns ebenfalls umdrehten.
Da saßen sieben Elstern in Reih und Glied auf dem Ast, und ich öffneteden Mund, um zu antworten, schloss ihn aber schnell wieder, als mir einfiel, was die Sieben in dem Kinderlied bedeutete. Jack sah mich an und ich wusste, dass er wusste, was ich sagen wollte: Sieben für ein Geheimnis, dass keiner wissen sollt.
Soviel zu Omen.
"Ich muss noch zum Friedhof.", sagte ich plötzlich, um das Schweigen zu brechen, das, wie ich bemerkte, viel zu lange angedauert hatte, während Jack und ich uns angesehen hatten.
Nur ein Tipp: Wenn Ihr jemals vorhabt, mit einem Satz die Stimmung zu zerstören und die Leute völlig von dem vorherigen Gespräch abzulenken, dann kommt Ihr nicht um 'Ich muss noch zum Friedhof' herum.
Matt schaute kurz zu Jack, um seine Reaktion zu sehen, bevor er mich finster anfunkelte und fragte: "Warum?"
Ich wusste, warum er so sauer war, es schien so, als hätte Jack die rührseligen Dinge des Tages hinter sich gelassen, und mein Kommentar hatte nicht gerade geholfen. Ich fühlte mich ein wenig schuldig wegen meiner Unachtsamkeit und fragte mich, ob ich jemals lernen würde, zu denken, bevor ich etwas sagte, und nahm mir vor anzufangen, mir mehr Mühe zu geben.
Jack schien sich jedoch nicht an meiner Bemerkung zu stören, sondern wartete interessiert auf meine Antwort.
Ich kramte in meiner Hosentasche und holte die Gumnuts heraus, die Alex mir gegeben hatte. Ich öffnete meine Handfläche, damit die Jungs sehen konnten, was ich in der Hand hielt, und beide beugten sich vor, um einen Blick darauf zu werfen.
"Ach ja." Matt nickte, als er sah, was ich in der Hand hielt, "Ich habe mich schon gefragt, wie Alex sie dieses Jahr dorthin bringen wollte."
"Ich komme mit dir.", sagte Jack und wieder sahen Matt und ich ihn überrascht an. Es war allgemein bekannt, dass Jack den Friedhof hasste und nie dorthin ging, also waren wir beide ein wenig überrascht von seinem plötzlichen Interesse.
"Okay.", erwiderte ich langsam. "Wenn du dir sicher bist."
Jack nickte und Matt zuckte mit den Schultern. "In Ordnung.", sagte er und begann, die Böschung zur Straße hinaufzuklettern. "Wir sehen uns dann im Haus."
Und so kam es, dass Jack und ich ein paar Minuten später die unbefestigte Straße zum Friedhof hinuntergingen. Es war einer, wie man ihn in jeder Kleinstadt findet: eine verlassene Kirche, überwucherte und ungepflegte Gräber, verrostete Tore, das ganze Drumherum.
Hin und wieder wurde dort jemand aus Bridunna beerdigt, aber die religiösen Menschen gingen gewöhnlich in das regionale Zentrum, wo es wesentlich mehr Menschen und daher bessere Gotteshäuser und Friedhöfe gab, und die, die es nicht waren, entschieden sich gewöhnlich für eine Einäscherung.
Mr. Whitby hatte darauf bestanden, dass die Zwillinge und seine Frau trotz Jacks Einwände dort begraben werden sollten. Die Familie war überhaupt nicht religiös, aber alle Familienmitglieder von Mr. Whitby waren seit Generationen auf dem Friedhof von Bridunna begraben worden, und er ließ keinerlei Argumente zu.
Als wir zwischen den Gräbern hindurchgingen, frischte der Wind auf und wirbelte den Staub, den wir mit unseren Schuhen aufgewirbelt hatten, in kleinen Strudeln auf, die abseits der Straße und im Busch verschwanden. Ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass genau das auch mit Jack passieren würde. Er würde entwurzelt und in unbekannte Gegenden geschleudert werden. Was sollte er ohne uns tun? Okay, oder besser gesagt, was zum Teufel sollten wir ohne ihn tun?!
Ich hatte meine Wimpern ein wenig gesenkt, um meine Augen vor dem Staub zu schützen, und lief deshalb fast an der kleinen Reihe von drei Gräbern vorbei, was seltsam war, da sie sich von den anderen Gräbern um sie herum abhoben, da sie relativ neu waren.
Als ich auf die drei Steine starrte, auf denen jeweils nur ein Name und das Geburts- und Sterbedatum eingraviert waren, überkam mich plötzlich eine überwältigende Abneigung gegen die Vorstellung, begraben zu werden. Weg von der Sonne und der Luft und ... na ja, von allem. Ich wusste auch ganz genau, warum Jack nie dorthin ging, so wie es mir nicht richtig erschien, war es auch für ihn nicht richtig.
Ich sah Jack absichtlich nicht an, als wir die Grabsteine betrachteten, denn mir kamen wieder die Tränen, und ich wollte nicht, dass sie überschwappten. Er hatte an diesem Tag schon genug um die Ohren, da wollte ich nicht auch noch eine weinende Frau auf die Liste setzen.
Ich atmete ein paar Mal tief durch, um mich zu vergewissern, dass ich mich wieder unter Kontrolle hatte, dann bückte ich mich und legte die beiden Gumnuts, die ich den ganzen Tag mit mir herumgetragen hatte, auf Pauls und Lizzies Gräber.
"Hey Leute.", sagte ich leise und suchte nach etwas, das ich sagen konnte. "Ähm, Alex sagt Hi.", sagte ich schnell. "Simone, Matt und ich auch."
Ich hatte das Gefühl, mich in meinen Bruder zu verwandeln, weil mir meine Gefühle unangenehm waren, und mir wurde plötzlich klar, warum Matt sich nicht freiwillig gemeldet hatte, um mit uns zu kommen, also stand ich wieder auf und ging einen Schritt zurück.
Ich machte mich bereit Jack anzuschauen und war überrascht zu sehen, dass er nicht auf die Gräber schaute, wie ich erwartet hätte, sondern auf mich. Ich lächelte ein wenig schwach, und er legte wortlos einen Arm um meine Schultern und zog mich an sich.
"Bist du Okay?", fragte er, und ich spürte, wie eine der unvergossenen Tränen, die hinter meinen Augen lauerten, letztendlich hervorbrach und meine Wange hinunterlief, weil er sich um mich sorgte, obwohl doch sein Schmerz jenseits aller Vernunft war.
"Wenn du es bist.", antwortete ich ehrlich, denn genau darin lag der Kern des Problems. Natürlich war ich traurig über den Tod von Paul, Lizzie und Jacks Mutter, aber der wirklich quälende Teil der Situation war, wie sehr Jack unter dem ganzen litt.
Ich stellte fest, dass es wirklich wehtun konnte, jemandem so nahe zu sein, und ich spürte, wie etwas ähnliches wie Eis sich in meinem Bauch ausbreitete, als mir klar wurde, dass es nur noch schlimmer werden würde, wenn Jack ging.
"Ich bin auf dem Weg dahin.", sagte er langsam, während ich verzweifelt versuchte, mir einzureden, dass ich froh war, dass er die Chance hatte, wegzugehen und sein destruktives Trauermuster zu durchbrechen.
Jedoch ist es gar nicht so einfach, sich selbst zu belügen, denn der Realitätsordner, den wir Menschen dummerweise tief in unserem Inneren vergraben haben, kennt immer die wahre Antwort und erfreut sich daran, uns an seine Cleverness zu erinnern.
"Es ist nur...", platzte es plötzlich aus Jack heraus, und ich schlug den Schlaumeier Ordner wieder zu und neigte meinen Kopf, um zu zeigen, dass ich zu hörte.
"Nur was?", fragte ich, als er Schwierigkeiten zu haben schien, zu formulieren, was er sagen wollte.
"Es ist nur so, dass ich mir zu 99 Prozent sicher bin, dass es richtig ist, zu gehen, aber das letzte Prozent will wissen, dass sie nicht recht hatte." Er gestikulierte in Richtung des Grabes seiner Mutter und klang dabei so, als müsste er sich zwingen, die Worte herauszubringen, und ich verstand. Jack hasste es, über diese Dinge zu reden, hasste es, sich als schwach darzustellen, weil sein Vater ihm immer gesagt hatte, dass er das sei.
"Weil weglaufen genau das ist, was mein Vater all die Jahre getan hat, und ist es nicht das, was ich zu tun hoffe? Nach all den großen Worten und dem Schwachsinn, dass ich nie wie mein Vater sein werde, ende ich nicht trotzdem genau wie er?" In seiner Stimme schwang am Ende ein Hauch von Panik mit.
"NEIN." Das Wort kam aus meinem Mund, ohne Rücksicht darauf, dass ich mir noch vor kurzem geschworen hatte, zu denken, bevor ich sprach. Es entsprang jedoch einem so ursprünglichen, instinktiven Gefühl, dass ich ihm nicht wirklich vorwerfen konnte, meine früheren Anweisungen ignoriert zu haben.
"Nein.", wiederholte ich sanfter. "Du läufst nicht weg, Jack, du entkommst, und das ist der entscheidende Unterschied."
"Ist es wirklich so ein Unterschied?", fragte Jack laut und ich stieß mich mit einem spöttischen Schnauben von ihm weg.
"Natürlich ist es das." Schrie ich schon fast. "Wenn du in einer wirklich gefährlichen Situation bist und es dir gelingt zu entkommen, sagt niemand: 'Oh, du bist weggelaufen, du großer Feigling', sondern: 'Gut gemacht, dass du dieser schrecklichen Situation entkommen bist.' Verstehst du den Unterschied?", fragte ich verzweifelt.
"Bitte glaub mir, Jack, du bist nicht schwach, du bist nicht erbärmlich, du bist es einfach nicht. Du bist stark und klug und der absolut beste Mensch, den ich kenne, das musst du mir einfach glauben."
Während ich sprach, veränderte sich seine Haltung auf seltsame Weise, er richtete sich irgendwie auf und hob den Kopf, und als ich zu Ende gesprochen hatte, holte er tief Luft, als ob er versuchte, meine Worte einzuatmen.
Ich wollte ihn gerade fragen, ob es ihm gut geht, als er ein paar kurze Schritte machte, um den Abstand zwischen uns zu überbrücken, und, ohne ein Wort zu sagen, seinen Kopf senkte und meine Lippen mit seinen einfing. Seine Hände umklammerten meine Kleidung, zogen mich an sich und hielten mich fest, als hätte er Angst, mich loszulassen.
Und was war mit mir? Ich fühlte mich, als hätte mich ein Vorschlaghammer getroffen.
Die Art, wie er mich hielt, wie er mich küsste, war technisch gesehen nicht anders als zuvor und doch so ganz anders. Plötzlich wurde mir klar, was mein Herz so unangenehm klopfen ließ, dass ich Kopfschmerzen bekam: Er kam zu mir, um Trost zu suchen. Er vertraute mir und kümmerte sich um mich und ... ich hatte eine Scheißangst.
Ich konnte es nicht tun, ich war nicht stark oder gut genug, um sein Vertrauen auf diese Weise zu halten. Ich würde ihn im Stich lassen oder enttäuschen, und den Gedanken daran konnte ich nicht ertragen.
Ich legte meine Hände auf seine Brust und drückte, bis er den Kuss löste und mich etwas benommen ansah.
"Was war das?", fragte ich und merkte, dass meine Wimpern von Tränen durchnässt waren.
"Ich weiß es nicht.", gab Jack zu, der offensichtlich ebenfalls etwas anderes gespürt hatte.
Wir starrten einander unsicher an, schwer atmend und nur wenigeZentimeter voneinander entfernt.
Schließlich schien Jack die Stille nicht mehr ertragen zu können, denn er streckte die Hand nach mir aus und sagte flehentlich: "Tally, bitte-"
"Wir sollten zurückgehen.", sagte ich schnell und schnitt ihm das Wort ab. Was auch immer er sagen wollte, ich konnte es nicht hören, ich hatte zu große Angst es zu hören.
Grausam zwang ich mich, an die Kratzer auf seiner Brust und den blauen BH in seinem Schlafzimmer zu denken, drehte mich schnell um und begann, den Weg zwischen den Gräbern hinunter zu marschieren.
Jack war lächerlich loyal, und ich wusste, wenn er das Gefühl hatte, dass er mir etwas schuldete oder dass wir einander etwas schuldeten, es viel schwieriger für ihn sein würde zu gehen, wenn er das Stipendium bekam.
Vielleicht würde er sogar nicht gehen, und er musste, das hatte er selbst gesagt. Zu welcher Dummheit ich ihn auch immer gezwungen hatte, was immer es auch war, das meine Brust schmerzen und mich schwindelig werden ließ, musste aufhören, ich würde es beenden.
Es war vorbei.
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