A Slow Descent
Alex verschränkte trotzig die Arme und betrachtete mich misstrauisch.
"Ja, Karma.", stimmte er mir zu. "Ich schätze, du solltest vorsichtig sein, wem du sagst, dass er erwachsen werden soll, denn wenn er im selben Haus wie dein bester Freund wohnt, wird er Dinge über dich herausfinden, von denen du nicht willst, dass andere Leute sie wissen."
Seltsamerweise sah Alex nicht halb so zufrieden mit sich selbst aus, wie er es hätte sein sollen. Er schien sogar ein bisschen ... beschämt? Um Himmelswillen, ich werde diesen Jungen nie verstehen.
"Kluge Worte.", erwiderte ich ernst, und ich schwor, dass sich für ungefähr eine halbe Sekunde der Anflug eines Lächelns an seinen Mundwinkeln abzeichnete.
"Hörzu", seufzte er, wobei jede Spur von Heiterkeit sofort verschwand, und starrte angestrengt auf einen Punkt knapp über meiner linken Schulter, vermutlich, damit er mich nicht ansehen musste, während er sprach.
"Ich hätte es nicht tun sollen, ja? Matt und Jack sind total in Ordnung, weißt du? Ich war nur sauer auf dich, und dann habe ich gehört, wie Micky erzählt hat, dass er dich und Jack auf der Couch übereinander herfallen gesehen hat."
Ich errötete bei diesem Gedanken und schaute Micky finster an, wobei ich mich zum vielleicht millionsten Mal in der letzten halben Stunde fragte, wie er es geschafft hatte, die sanfte, sanftmütige Simone für sich zu gewinnen.
"Also, gestern nach ein paar Drinks", hier zuckte Alex mit den Schultern, "habe ich deine Nummer in Simones Adressbuch gefunden und dich angerufen, um dich irgendwie wissen zu lassen, dass ich es weiß. Als Matt rangegangen ist, platzte ich einfach damit heraus und legte auf. Ich weiß, dass es verdammt dumm war, aber ich habe es getan und ich kann es nicht zurücknehmen, also tut es mir leid und so weiter."
Was sagst man zu einer so blasierten Erzählung des Moments, der dein Leben in Stücke gerissen hat? Es gab nichts, was ich wirklich sagen konnte, also blinzelte ich nur und nickte dann, um seine Entschuldigung anzunehmen.
Sie machte den Schaden, den er angerichtet hatte, zwar nicht annähernd wieder gut, aber wenigstens erkannte Alex an, dass er etwas falsch gemacht hatte, und war bereit, es zuzugeben. Im Gegensatz zu anderen dachte ich und schielte zu Micky hinüber.
Es herrschte einige Minuten lang Schweigen, das ich brach, indem ich langsam sagte: "Also an dem Tag, als ich vorbeikam und wir diesen Schlagabtausch hatten, Alex, worum ging es da eigentlich?"
"Ach das." Alex machte eine wegwerfende Geste und rollte mit den Augen. "Micky war kurz vor dir hinten angekommen, und die beiden", er nickte in Richtung Micky und Simone, "versuchten gerade herauszufinden, ob sie sich streiten oder Sex haben sollten. Ich glaube, sie haben am Ende beides gemacht."
Er hielt inne und lächelte dann noch einmal kurz. "Hey, vielleicht habe ich dir sogar einen Gefallen getan. Ich wünschte mir jedenfalls, ich wäre woanders gewesen, als sie sich schließlich aufeinander stürzten..."
"Ja, schon gut, Alex!", schaltete Simone sich aufgeregt ein. "Ich denke, wir haben jetzt genug gehört."
Alex blickte mit seinen silbergrauen Augen zu Simone und nickte leicht. "Wie auch immer.", seufzte er, schlich durch den Raum und verschwand im Gästezimmer, das er vermutlich als sein eigenes nutzte, während er sich hier aufhielt. Ich fragte mich kurz, wie lange er wohl von Bridunna wegbleiben würde.
Würde die Schule seine Suspendierung aufheben, nachdem die Wahrheit ans Licht gekommen war? Irgendetwas sagte mir, dass Alex, selbst wenn sie es taten, nicht dorthin zurückkehren wollte. Vielleicht war es das Beste, wenn die Coogans Bridunna verließen, schließlich haben Kleinstädte ein sehr langes Gedächtnis, und ich wusste, dass viele Leute immer noch denken würden, dass Alex schuld war.
Mir kam der Gedanke, dass Simones Eltern endlich aufstehen und sich ihrer Verantwortung stellen mussten. Ich hoffte, dass sie das auch tun würden.
Es gab eine weitere lange Pause, während ich darüber nachdachte, wie verdammt gut meine Eltern im Vergleich zu scheinbar allen anderen waren. Aber ich wurde unterbrochen, als Simone sagte: "Es tut mir leid, was Alex getan hat, ich hatte keine Ahnung, dass er unser Gespräch belauscht hat, aber ich schätze, dieses Haus ist zu klein, um viel zu verbergen."
Ich wollte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass meine Wohnung kleiner war und dass Jack und ich es geschafft hatten, unsere seltsame Beziehung über zwei Monate lang vor meinem Bruder zu verheimlichen, entschied aber, dass das wohl nicht angebracht war.
Simone redete weiter, und obwohl ich von Enthüllungen die Nase voll hatte, hörte ich aufmerksam zu und ließ zu, dass sich weitere Teile des Puzzles zusammenfügten.
"Alex tut es wirklich leid, er kam zu mir und erzählte mir, was er getan hatte, kaum dass er aufgelegt hatte, und ich rief Micky an. Ich wollte, dass er bei euch vorbeigeht und dafür sorgt, dass Matt Jack nicht in Stücke reißt, aber er hat dich gesehen und dachte, es wäre besser, wenn du das klärst."
Das stimmte zweifellos, und ich nickte Micky steif zu, um ihm meinen Dank zu zeigen. Mehr als das bekam er jedoch nicht. Obwohl ich verzweifelt auf ein Zeichen der Vergebung von Matt wartete, würde ich verdammt sein, wenn ich Micky die gleiche Höflichkeit gewähren würde.
"Das war also meine Geschichte." Simone lächelte unbeholfen, offensichtlich beunruhigt über die anhaltende Aura der Feindseligkeit, die zwischen Micky und mir herrschte. "Willst du mir von deinen Missgeschicken erzählen?"
Es war nett von ihr, es als Frage zu formulieren, da wir beide wussten, dass ich ihr zumindest so viel schuldete, aber als ich Micky ansah, der sich arrogant auf der Couch zurücklehnte, wusste ich, dass ich auf keinen Fall meine Geschichte vor ihm darlegen würde. "Lass uns einen Spaziergang machen.", schlug ich vor, schnappte mir meine kleine Tasche und winkte zur Tür.
Simone zögerte und deutete dann ein wenig verzweifelt auf mein zerknittertes, schmutziges und knappes Outfit. "Willst du so rausgehen?", fragte sie, und ich spürte, wie sich ein unerwartetes Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete.
"Ja.", antwortete ich kühn, "Was soll's. Ich bin mir sicher, dass es da draußen jemanden gibt, der noch nicht gesehen hat, wie ich mich zum Narren mache, und es scheint unfair, dass er den ganzen Spaß verpasst."
Natürlich, so dachte ich einige Zeit später, wäre ich nicht so scharf darauf gewesen, meine kühne Behauptung aufzustellen, wenn ich mich daran erinnert hätte, wie kalt die Frühlingsmorgen waren.
Trotzdem liefen wir zügig, um uns warmzuhalten; Simone ganz aufgeregt und mit strahlenden Augen, während ich mich in meinen unpassenden Schuhen und meinem bewegungseinschränkenden Rock neben ihr abmühte.
In stillem Einvernehmen gingen wir in Richtung meiner Wohnung, wobei ich den ganzen Weg über ununterbrochen erzählte. Es war eine völlig hemmungslose Situation, und ich erzählte Simone alles, mein hässliches Verhalten und all das. Der gute alte erlösende Effekt!
Als wir mein Gebäude erreichten, fühlte ich mich etwas leichter, hatte die Situation etwas besser unter Kontrolle und beschloss schließlich einen neuen Plan, wie ich mit allem umgehen wollte.
Und zwar, mich bedeckt zu halten.
Das war's. Ich wollte mich auf die Uni konzentrieren, ich wollte sehen, ob ich ein paar Stunden mehr arbeiten konnte, und ansonsten wollte ich mich in meiner leeren Wohnung verkriechen, bis die Welt wieder in Ordnung war.
Ein brillanter Plan, wenn ich das mal so sagen darf.
Mit tadellosem Timing hatte ich gerade das Ende meiner Erzählung erreicht, die darin gipfelte, dass ich an diesem Morgen vor Simones Haustür auftauchte, als wir den Parkplatz vor meinem Haus erreichten. Simone sah völlig fassungslos aus, als ich anhielt und mich zu ihr umdrehte, um sie anzusehen.
"Ich hatte ja keine Ahnung.", murmelte sie leise. "Ich meine, als Micky mir erzählt hat, was er gesehen hatte, und ich es mit allem, was ich gesehen hatte, zusammenbrachte, nahm ich einfach an, dass du und Jack ganz natürlich und nett und, nun ja, normal zusammengekommen wärt!"
"Schön wär's.", murmelte ich. Doch dann schüttelte ich das Gefühl des Bedauerns ab und richtete mich auf. Ich hatte jetzt einen Plan, ich hatte nichts zu befürchten. Wenn ich mich mit niemandem streiten oder jemanden küssen würde, dachte ich, würde das gefürchtete Drama nichts gegen mich in der Hand haben.
"Nichts ist einfach.", erwiderte Simone, und damit hatte sie recht.
Wir standen ein paar Sekunden lang in betretenden Schweigen da. Während ich leicht fröstelnd auf dem Asphalt stand, wurde mir klar, dass Lügen zwar schlecht sind, die Wahrheit aber auch ein echtes Miststück sein konnte. Was sollte ich jetzt in Bezug auf Simone sagen?
"Nun, ich sollte zurückgehen.", sagte Simone leise und löste damit mein Problem.
"Okay." Ich schaffte es, mir eine bissige Bemerkung wie 'Oh, wir wollen Mickey ja nicht warten lassen' zu verkneifen, aber ich glaube, sie wusste, dass ich sie gedacht hatte.
"Ich rufe dich an, ja?", sagte sie und kam auf mich zu, um mich kurz zu umarmen. "Pass auf dich auf."
"Du auch.", murmelte ich und spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, obwohl sie nur zu ihrem Haus zurückging, das weniger als fünf Minuten Autofahrt von mir entfernt war. Achtung, kitschiger Kommentar voraus: in emotionaler Hinsicht, war sie jedoch viel, viel weiter von mir entfernt.
Es schien, als ob sie noch mehr sagen wollte, aber dann drehte sie sich einfach um und eilte davon und ließ mich mit der Frage zurück, wo wir zwei nun standen.
Wüde ich damit klar kommen, sie mit Micky zu teilen? Und noch wichtiger: Würde Micky damit einverstanden sein, sie mit mir zu teilen?
Einen Moment lang überlegte ich, ob ich in diesem Schlamassel moralisch die Oberhand hatte, aber dann wurde mir klar, dass auch ich die heilige Regel gebrochen hatte, die da hieß: Chicks before Dicks. Ich hatte sie belogen und ignoriert, um meine ganze Zeit und Energie auf Jack zu konzentrieren, und ich konnte ihr nicht verübeln, dass sie dasselbe tat.
Das redete ich mir fest ein, aber als ich die Treppe zu meiner leeren Wohnung hinaufging, musste ich zugeben, dass ich ihr das ernsthaft missgönnte.
*****
Der Rest des Tages und der nächste Tag vergingen wie im Fluge, während ich entschlossen vermied, an Jack zu denken.
Es war interessant festzustellen, dass ich kein Problem damit hatte, die Dinge, die ich gesagt hatte, oder die Art und Weise, wie ich mich Simone oder Matt gegenüber verhalten hatte, aufzuarbeiten, aber sobald meine Gedanken zu einem bestimmten blauäugigen Jungen zu schweifen begannen, schnellte eine Art Firewall in meinem Kopf hoch und ich beschäftigte mich mit etwas anderem.
Im Laufe des Mittwochs und Donnerstags putzte ich die ganze Wohnung (okay, nicht die ganze Wohnung, denn die Zimmer der Jungs mied ich wie die Pest) gründlich und ertappte mich sogar dabei, dass ich auf einen Stuhl kletterte, um die Oberseite der Küchenschränke zu schrubben, die sowieso nur ein zwei Meter Riese sehen konnte.
Ich arbeitete ein paar Extraschichten in der Buchhandlung und schleppte eine Tasche voller schwerer Jura-Lehrbücher aus der Bibliothek mit nach Hause und begann tatsächlich, sie zu lesen.
Außerdem nahm ich lange Bäder und kaufte ein neues Festnetztelefon, obwohl ich diese Entscheidung sofort bereute, denn jedes Mal, wenn es klingelte, sprang ich in einer Mischung aus Aufregung und Angst auf und hoffte und fürchtete zu gleichen Teilen, dass es Jack oder Matt sein würde.
Aber keiner von beiden rief an.
Am Donnerstagabend nahm ich gerade eines meiner langen, luxuriösen Bäder, als das Telefon zu klingeln begann. Mein Herz machte den inzwischen vertrauten Sprung in den Hals und ich betrachtete den Hörer, den ich mit ins Bad gebracht hatte, mit einiger Beklommenheit.
Ich zerrte mich aus der Wanne und wickelte mir ein Handtuch um, setzte mich im Schneidersitz auf die Badematte und ging ans Telefon.
"Talia?!" Die Stimme meiner Mutter war schrill, nachdem ich "Hallo" gesagt hatte.
Mein Magen war sich nicht sicher, ob er sich heben oder senken sollte, als ich ihre Stimme hörte, also hüpfte er einmal, um die Grundlagen abzudecken.
"Die Einzig wahre.", erwiderte ich, schnappte mir ein weiteres Handtuch und begann, meine nassen Haarspitzen zu trocknen. "Hi Mum."
"Komm mir nicht mit 'Hi Mum'!", schrie sie in den Hörer und ich zuckte zusammen und hielt den Hörer von meinem Ohr weg. "Wo sind denn alle geblieben? Wir rufen schon seit Tagen an. Das Haustelefon war einfach tot und eure Handys sind alle aus!"
Hmm, sieht so aus, als wäre ich nicht die Einzige, die das 'Aus dem Weggehen' Spielchen spielt. "Jack hat uns am Montag angerufen, um uns zu sagen, dass er das Stipendium bekommen hat, und dann nichts mehr!", fuhr sie fort.
"Also, waren es in Wirklichkeit nur drei Tage, in denen du nichts von uns gehört hast, Mutter.", warf ich ein, als sie innehielt, um Luft zu holen.
"Wenn du Kinder hast, Talia, und sie scheinbar nur für drei Tage von der Bildfläche verschwinden, werde ich dich daran erinnern.", erwiderte meine Mutter scharf.
Ich atmete einmal tief durch, wohl wissend, dass ich das Gespräch mit meiner Mutter falsch begonnen hatte, und sprach in einem versöhnlicheren Ton. "Du hast recht, tut mir leid, Mum. Die Dinge waren hier in letzter Zeit ziemlich hektisch."
"Die Dinge?", fragte sie.
"Du weißt schon, Uni, Arbeit, diese Art von Dingen.", antwortete ich in meiner bewährten, vagen Art.
"Oh, ich dachte, es liegt daran, dass Matt herausgefunden hat, dass du mit Jack geschlafen hast."
HERRGOTT NOCHMAL!!
Ich verschluckte mich an einem Keuchen aus Schock und Entsetzen, und war dankbar dafür, dass ich bereits saß, denn die Bemerkung meiner Mutter hätte mich ansonsten geradewegs auf den Boden befördert.
"MUM!", kreischte ich, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte, "Hast du unsere Wohnung verwanzt oder was?"
Sie schnaubte und ich konnte fast sehen, wie sie mitleidig den Kopf schüttelte. "Schätzchen, du weißt, dass ich keine elektronischen Geräte brauche, um zu wissen, was mit euch Kindern los ist. Ich habe Tom einfach angerufen und ihn gefragt. Ich glaube nicht, dass er es mir sagen wollte, aber er ist ein guter Junge."
Armer Tommo. Ich konnte es förmlich sehen, seine Augen weit aufgerissen und verängstigt, Mums bohrende Fragen, die dem Ziel immer näher kamen und dann, das Entscheidende, sie sagte ihm, dass seine Mutter wollte, dass er sie an seinem nächsten Wochenende besuchen kommt.
Ich konnte es ihm nicht verübeln, denn ich konnte für gewöhnlich auch nicht gegen meine Mutter standhalten, und ich hatte fast 19 Jahre Zeit gehabt, mich an sie zu gewöhnen.
Trotzdem war es neu für mich, dass Tommo überhaupt wusste, was los war. Jack muss es ihm erzählt haben, aber wie viel davon?
Ganz ehrlich, so viel zu einem Netz aus Lügen, das hier wurde langsam zu einem Netz der Wahrheit, und das war weitaus beängstigender.
Meine Mutter fing wieder an zu reden, und obwohl ich Angst davor hatte, was sie sonst noch für Dinge wusste, die bei mir so vor sich gingen, hörte ich zu, was sie zu sagen hatte.
"Gehe ich recht der Annahme, dass jemand dort war, um meinen Erstgeborenen daran zu hindern, ihn zu töten, angesichts mangelnder Anrufe, um mir das Datum von Jacks Beerdigung mitzuteilen?"
"Ja, ich war da, ich und mein Freund Adam, um genau zu sein. Matt hat ein paar Schläge verteilt, aber Jack war okay." Zumindest körperlich, fügte meine innere Stimme unnötigerweise hinzu.
"Ich habe dir doch gesagt, dass das passieren würde, oder nicht? Ich habe dich letzte Woche vor den Konsequenzen gewarnt, nicht wahr?"
Na wenigstens hat sie ganze zwei Minuten durchgehalten, bevor sie ein "Ich hab's dir ja gesagt" eingeschoben hat - es gab in der Vergangenheit schon Gespräche, bei denen das der erste Satz war.
Ich beschloss, in den sauren Apfel zu beißen und meiner Mutter einen schnellen Überblick über die Ereignisse der vergangenen Woche zu geben, und stellte fest, dass es mit jeder Nacherzählung einfacher wurde, darüber zu sprechen.
Als ich zu Ende gesprochen hatte, befürchtete ich einen Moment lang, dass die Verbindung abgebrochen war oder dass meine Geschichte meine Mutter so sehr gelangweilt hatte, dass sie eingeschlafen war, denn es herrschte eine lange Stille am Hörer. Gerade als ich überprüfen wollte, ob sie noch da war, sagte meine Mutter ruhig:
"Ich möchte, dass du nächste Woche die Rede auf unserer Jubiläumsfeier hältst."
Okay, ich war an die kurze Aufmerksamkeitsspanne meiner Mutter und ihre schnellen Gesprächssprünge gewöhnt, aber das war lächerlich! Ich schluckte den Schmerz über ihr offensichtliches Desinteresse an meiner aktuellen Krise hinunter und schaffte es, mit halbwegs normaler Stimme zu fragen: "Warum ich?"
Sie stieß ein amüsiertes Kichern aus. "Ist das nicht offensichtlich? Ich denke, es würde dir gut tun, ein wenig Zeit damit zu verbringen, über kitschiges Liebeszeug nachzudenken und eine amüsante und aufschlussreiche Rede über Hingabe und dauerhafte Zuneigung zu schreiben, das ist alles. Abgesehen davon kann ich mir niemanden vorstellen, den ich lieber damit beauftragen würde. Ich liebe deinen Bruder, aber er ist nicht gerade der wortgewandteste Mensch auf der Welt."
Wohingegen ich mir das Reden scheinbar nicht verkneifen konnte, auch wenn ich eigentlich die Klappe halten sollte. Schon klar, ich habe es verstanden.
"Danke, Mum, ich fühle mich geehrt.", antwortete ich, und das meinte ich auch wirklich so. Ich dachte ebenfalls, dass es schön war, noch etwas anderes zu haben, das mich von Jack ablenkte, da man nur eine bestimmte Anzahl an Bädern am Tag nehmen konnte, ohne sich wegen der Dürrekrise schuldig zu fühlen.
Dann reichte sie das Telefon meinem Vater, und ich spürte, wie sich ein zögerliches Lächeln um meine Mundwinkel schob, als ich seine tiefe, ruhige Stimme hörte."Deine Mutter hat mir gesagt, dass ich dir sagen soll, dass ich dich immer lieben werde, egal was passiert, aber ich möchte das mit einem Vorbehalt versehen: Ich werde dich immer lieben, es sei denn, du wirst ein Westküsten-Fan. Du verstehst das sicher."
*****
So vergingen zwei Tage und Nächte, ohne dass ich einen Zusammenbruch erlitt, und als ich am Freitagmorgen aufwachte, betrachtete ich dies als eine wahnsinnig große Leistung.
Ich saß in meiner einzigen Vorlesung des Tages und bemühte mich, dem Dozenten zur Abwechslung einmal zuzuhören. Adam war ruhiger als sonst, aber ob das daran lag, dass ich genauso zurückhaltend war oder dass er sich in meiner Gegenwart unwohl fühlte, wusste ich nicht. Oder besser gesagt, ich wollte es nicht wissen.
Wir gingen wie immer gemeinsam über den Campus, bis er in eine andere Richtung zur Bandprobe ging und ich nach Hause. Doch kurz bevor er ging, drehte sich Adam plötzlich zu mir um und sagte, ziemlich eindringlich, wie ich fand: "Lass diese Sache mit deinem Bruder und Jack nicht das Ende der Welt sein, okay? Geh trotzdem raus und denk ab und zu an andere Sachen."
Hmm, ich bin also ziemlich durchschaubar. Gut zu wissen. Ich nickte beruhigend und dachte dabei, dass ich nichts dergleichen tun würde, aber offensichtlich täuschte ich Adam, denn er schenkte mir eines seiner typischen strahlenden Lächeln und machte sich auf den Weg, um seine Bandkollegen zu treffen.
Lieber er als ich, dachte ich, als ich meine Tasche höher hievte und den Weg fortsetzte. Ich hatte einen glücklichen, Micky-freien Nachmittag vor mir, während ich wusste, dass mein armer Freund nicht dasselbe sagen konnte.
Dieses eine große Plus, das ich in diesem Moment in meinem Leben hervorgehoben hatte, ließ ein Lächeln über mein Gesicht huschen, das fast so breit war wie das von Adam, und ich grinste immer noch wie ein Idiot, als ich um die Ecke der Bibliothek bog und fast mit zwei Jungs zusammenstieß, die in die entgegengesetzte Richtung kamen.
"Entschuldigung.", sagte ich automatisch und hätte mir fast auf die Zunge gebissen, als ich merkte, wer vor mir stand.
"HeyTalia." Tommo warf einen besorgten Blick zwischen mir und Jack hin und her. "Wie geht's?"
Von einem Lächeln war keine Spur mehr in meinem Gesicht, als ich vage murmelte: "Ach, du weißt schon."
In diesem Moment hatte ich das seltsame Gefühl, dass Jacks Augen sich in einen metaphorischen Autounfall verwandelt hatten. Ich wollte nicht hinsehen, wirklich nicht, aber der Drang zu sehen, wie schlimm die Dinge waren, war genauso stark wie das Vorbeifahren an einem zerstörten Wrack, wenn nicht sogar stärker.
Als mein Blick den seinen traf, zog ich schnell und scharf die Luft ein. Oh Mann, jemand sollte einen Krankenwagen rufen, dieser Autounfall war ein ganz schlimmer.
Als wäre er sauer auf sich selbst, weil er mich seinen Blick hatte erhaschen lassen, riss Jack seine Augen von mir los und starrte entschlossen an mir vorbei, die Lippen fest zu einer dünnen Linie zusammengepresst.
"Richtig..." Tommo hatte diesen kleinen Moment offensichtlich bemerkt, und trat unbeholfen von einem Fuß auf den anderen, während er scheinbar nach etwas suchte, dass er sagen konnte. "Ich muss mal kurz ...", er brach wieder ab und sah sich um, vermutlich in der Hoffnung, etwas zu entdecken, das er als Ausrede benutzen konnte, um Jack und mich allein zu lassen. Da er offensichtlich nichts sah, beendete er das Gespräch mit den Worten: "...da rübergehen."
Ich registrierte seinen Weggang kaum, ich war zu sehr damit beschäftigt, meinen Herzschlag zu beruhigen, denn mir wurde ein wenig schwindelig bei der Geschwindigkeit, mit der das Blut durch meinen Körper zu pumpen schien.
Jack, verdammt sei er, hatte offensichtlich weniger eigensinnige Organe als ich, denn er bemerkte Toms Weggang, und er sah nicht glücklich darüber aus.
Sein Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde zurück zu mir, und dann, ohne auch nur ein einziges Wort zu mir zu sagen, machte er kehrt, um seinem Freund zu folgen. Ich reagierte aus purem Instinkt heraus, genau genommen gebe ich dem leichten Schwindel, den ich verspürte, die Schuld dafür, dass ich verzweifelt eine Hand ausstreckte, um Jack daran zu hindern, von mir wegzulaufen... schon wieder.
In einer Bewegung, die so automatisch erschien, wie meine gewesen war, zuckte Jack zurück, um den Kontakt mit meiner Hand zu vermeiden.
Soweit war es also gekommen, dass er bei dem bloßen Gedanken daran, mich zu berühren, zusammenzuckte. Fantastisch, Notiz an mich selbst: Recherchiere 'Autsch' in verschiedenen Sprachen, denn die deutsche Version schien einfach nicht mehr zu genügen.
"Bitte, nur eine Minute" Als es so aussah, als würde er immer noch gehen, schob ich alle Gedanken an Stolz beiseite und sagte erneutl: "Bitte Jack."
Er stockte in seinem Schritt und blieb dann, äußerst widerwillig, stehen. Dieser Junge war einfach wirklich zu nett.
Er machte jedoch keine Anstalten, zu mir zurückzukommen, so dass andere Studenten auf dem Weg zum oder vom Unterricht unbekümmert in ihrer eigenen kleinen Welt zwischen und um uns herumliefen.
Jetzt hatte ich Jack gestoppt und hatte keine Ahnung, was ich sagen wollte. Aber ich musste etwas sagen! Ich konnte nicht einfach eine aufrichtige Bitte äußern und dann stumm dastehen.
Wie kann es sein, dass mein Mund ein komplettes Gespräch ohne jeglichen Input meines Gehirns führen konnte und dann im entscheidenden Moment versagte. Er war defekt, ich brauchte einen neuen.
"Wie...wie geht es dir?", brachte ich schließlich stotternd hervor. Ich hatte sofort das Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Ziegelsteinwand hinter mir zu schlagen. 'Wie geht es dir?' Als Nächstes würde ich anfangen, über das Wetter zu reden.
Jack schien meine Frage ebenso lächerlich zu finden, denn durch den kleinsten Spalt in der Mauer aus Stein, die er über seine Züge errichtet hatte, sah ich ein Flackern des Unglaubens über sein Gesicht huschen. Dann antwortete er in einem flachen, monotonen Ton: "Mir geht es gut."
Ein Mädchen, das gerade an Jack vorbeiging, warf ihm einen seltsamen Blick zu und fragte sich offensichtlich, mit wem er sprach. Als ich mir über die plötzlich trockenen Lippen leckte und "Das freut mich.", zurück krächzte, schaute sie mich ebenso verwirrt an.
Ich konnte sehen, dass sie die zwischen uns herrschende Spannung spürte und sich fragte, was los war. Doch die arktischen Bedingungen zwischen uns müssen unangenehm gewesen sein, denn sie eilte bald davon. Macht nichts, so wie die Gerüchteküche an dieser Uni funktionierte, würde es wahrscheinlich nicht lange dauern, bis sie herausfand, was hier vor sich ging.
Vielmehr wird sie sogar froh über die Sekunde des Unbehagens sein, das sie empfunden hatte, denn nun könnte sie ihren Freunden erzählen, dass sie mit eigenen Augen gesehen hatte, wie Jack und ich einen bedeutenden Moment hatten. Es war ein gutes Gefühl, jemandem einen Dienst erwiesen zu haben, auch wenn es sich um eine völlig Fremde handelte.
"Wohnst du bei Tommo?", fragte ich, als das Mädchen um die Ecke verschwand.
Jack nickte steif, jedes kleinste bisschen seiner Körpersprache schrie: 'Ich will überall sein, nur nicht hier'. Obwohl ich wusste, wie unwohl er sich fühlte, versuchte ich verzweifelt, diese unerwartete Zeit mit ihm in die Länge zu ziehen, und sagte:
"Wusstest du, dass Simone mit Micky zusammen ist?"
Er nickte erneut und schaute dabei zu Tommo hinüber, der sich mit ein paar Jungs unterhielt, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich konnte spüren, dass Jack im Begriff war, sich zu ihnen zu gesellen und ich ihn wieder verlieren würde. Ich glaubte nicht, dass ich das ertragen konnte und platzte deshalb mit: "Ich habe Adam geküsst.", heraus.
Ich schlug mir sofort mit einer Hand vor den Mund und spürte, wie sich mein Inneres angesichts der völligen Dummheit meiner Worte verflüssigte.
Es war alles in dem Bestreben Jacks Aufmerksamkeit zu erregen, aber als er seinen Kopf wieder ruckartig in meine Richtung drehte, wurde mir klar, dass der Schmerz darüber, dass er mich ignorierte, nichts im Vergleich zu dem entsetzlichen Gefühl war, das ich in diesem Moment empfand.
Ich konnte ihn nicht ansehen, ich konnte mich körperlich nicht dazu durchringen, aufzublicken. Ich glaube, die Scham über mein Verhalten hatte sich in einer Verkrampfung der Muskeln in meinem Nacken manifestiert. Das war das Mindeste, was ich verdiente.
"Weißt du", Jacks Stimme war dermaßen ruhig, als er endlich sprach, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. "Manchmal sagst du solche Dinge und ich frage mich, was in deinem Kopf vorgeht."
"Ich mich auch." Das Elend ließ meine Stimme so leise werden, dass ich nicht glaubte, dass er mich gehört hatte, aber das hatte er offensichtlich, denn er schloss die Lücke zwischen uns und rannte dabei fast ein paar Studenten um, die ihm über den Weg liefen.
"Wenn du deine eigenen Gedanken nicht begreifen kannst, wenn du nicht verstehst, was dich dazu bringt, die Dinge zu sagen, die du tust, welche Hoffnung hat dann jemand anderes?"
Dummerweise füllten heiße Tränen meine Augen und verschleierten meine Sicht, sodass ich seinen Gesichtsausdruck nicht richtig sehen konnte, als er sich zu mir beugte.
"Also gut, ich werde dir eine letzte Lektion geben, und das ist alles, was ich für dich übrig habe, also hör gut zu."
Ich schluckte pflichtbewusst meine Tränen hinunter und hörte zu.
"Finde heraus, was du willst, und dann mach es einfach, verdammt noch mal."Jack wartete einen Moment, vermutlich um das ganze Gewicht seiner Worte auf sich wirken zu lassen, dann wich er zurück und senkte seinen beängstigend intensiven Ton, als er hinzufügte: "Das war's."
"Aber-", begann ich zu protestieren, weil ich das nicht wirklich als hilfreich empfand und mir die Endgültigkeit in seinem Tonfall nicht gefiel, als er "das war's" gesagt hatte.
"Nein." Jack schüttelte leicht den Kopf. "Es reicht jetzt." Er drehte sich um und begann zu gehen, so dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob er wollte, dass ich ihn hörte, als er sagte: "Mir reicht es jetzt."
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