62 - Seinen Mann stehen
Als die obligatorische Nachricht von Charlotte begleitet von einem leisen Pling in meinem Display auftaucht, erschrecke ich mich beinah zu Tode. Ich war so in die Zusammenstellung des perfekten Geschenks vertieft, dass ich alles um mich herum vergessen habe. Schnell reibe ich mir über die Augen, die vom intensiven Starren auf den Computerbildschirm müde geworden sind.
Nenn mir eine Farbe, lese ich. Was soll das denn?
Gelb.
Gelb? No way, kannst du knicken. Ganz bestimmt nicht.
Was ist falsch an Gelb? Gelb ist die Farbe der Sonne und der Freude, und der Osterglocken ... Gelb ist die Farbe von Bier!
Und Pisse. (Was ja je nach Marke aufs Selbe rauskommt.) Jetzt streng dich nochmal an und nenn mir wirklich eine Farbe.
Neongelb.
Du bist ein hoffnungsloser Fall.
:(
Um die Wirksamkeit des Smileys noch zu steigern, schicke ich ein Selfie hinterher, auf dem ich schmolle.
Komm mir nicht auf die Tour 🙄
Neongrün?
Na gut, weißt du was? Vergiss es, du hattest deine Chance ;) Ich lasse Didi eine Farbe aussuchen. Sie sagt Rot. Du wirst ihr noch dankbar sein.
Neonrot!
Neonleckmich ;*
Später vielleicht, bin gerade schwer beschäftigt.
Nehmt ihr auf?
Ich fotografiere den Veggie-Burger, von dem ich erst einmal abgebissen habe. So ähnlich, schreibe ich drunter.
Guten Appetit und liebe Grüße an Dag :)
<3
<3
Ich stecke mein Handy lächelnd ein und klicke mich zurück zur Website eines vietnamesischen Blumenladens, der hier irgendwo gleich um die Ecke sein muss. Natürlich sollen es klassische rote Rosen werden, aber ich möchte, dass der Zierstrauß aufwendig aussieht. Deswegen schaue ich mir Fotos an, auf denen Optionen vorgestellt werden und entscheide mich am Ende für ein mit Perlen besticktes, weißes Spitzentuch, das kunstvoll um Stängel und Bluten geflochten werden kann, sowie für kräftig grüne Rosenblätter. Alles soll von einem silbergewirkten Faden zusammengehalten werden.
„Vierzig Euro willst du für den Strauß ausgeben?", fragt Dag schockiert. Er hat seine Flipper-Runde offenbar beendet, beugt sich über meine Schulter und stiert ungläubig auf den Preis, der mir unten auf der Website angezeigt wird, jetzt, nachdem ich meine Wahl getroffen habe. „Geh doch lieber auf die Wiese und pflück ihr ein paar Blumen, das ist nicht nur günstiger, sondern auch romantischer."
„Digga, darum geht's doch", lache ich. „Wir wollen das Klischee bedienen. Ich hab gestern meinen Anzug für dieses Date gebügelt." Ich grinse ihn an und mampfe meinen Burger.
„Doch nicht den, den deine Mutter dir beim KaDeWe für die Diamanten-Hochzeit deiner Großeltern hat maßschneidern lassen", versetzt mein Kumpel liebevoll spottend. „Alter, Vincent, sag mir nicht, du trägst diesen Smoking."
„Natürlich den, Mann. Stimmt was nicht damit?", will ich wissen.
„Du siehst dir selbst doch gar nicht mehr ähnlich in dem Teil. Am Ende erkennt Charlotte dich nicht, wenn du vor ihrer Tür stehst, um sie abzuholen", prophezeit er düster.
„Sie wird fantastisch aussehen, mir bleibt nichts anderes übrig als mich ebenso in Schale zu werfen. Das ist abgesprochen."
Dag verschränkt kopfschüttelnd die Arme und zieht belustigt eine Augenbraue hoch.
„Wie seid ihr überhaupt draufgekommen, dass ihr diesen Kitsch durchziehen wollt?", lacht er.
„Das verrate ich dir nicht, mein Lieber", wende ich mich grinsend von ihm ab. Aber so leicht lässt Dag sich nicht verjagen. Er produziert ein paar weiblich anmutende Stöhngeräusche und ich fange unwillkürlich an zu lachen. „Ja ja, so ähnlich war's", gebe ich schließlich zu, damit er endlich aufhört.
„Hoffentlich weiß sie deine Bemühungen zu schätzen."
„Wir reden hier von Charlotte, und nicht von Maria", erinnere ich ihn.
„Für die hast du dich immer nur widerwillig in die Planung reingekniet", plaudert mein Kumpel munter weiter mit mir, während ich mir mit Küchenkrepp das Fett von den Fingern wische und den Strauß in Auftrag gebe.
„Ich weiß noch, wie ich Tickets für diese Travestie-Show im Friedrichstadtpalast für uns geholt habe, die sie unbedingt sehen wollte. Arschteuer für einen öden Abend im Varieté-Theater. Im Restaurant davor hat sie sich einen Salat und ein Glas Leitungswasser bestellt, sodass sie später nach ihrem einen Cocktail sternhagelvoll war. Sie hat extrem laut geschnarcht und mich am nächsten Morgen, als die Nachbarn sich beschwert haben, noch gezwungen, die Schuld dafür allein auf mich zu nehmen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, die Frau los zu sein", zetere ich.
„Du, die Geschichte könnte ich sogar mitsprechen, du hast mir das ungefähr drei Wochen danach immer noch erzählt."
„Au ja, bis du ausgerastet bist", gluckse ich. „Das war echt witzig."
„Das war auch das erste Mal danach, dass du wieder richtig von Herzen gelacht hast."
„Weil du auf offener Straße randaliert und 'ne Beule in diesen hässlichen Stromkasten getreten hast."
„Mit der Beule sah der besser aus als vorher", knurrt Dag.
„Stimmt, Dicka. Was war da nochmal für Graffiti drauf, 'ne mega entstellte Britney, wa'?"
„Wenn du mich fragst, war das 'ne Pottsau, keine Ahnung, wo du da Britney gesehen haben willst. Aber gut, du warst geil auf die Tussi. Zu der Zeit hast du jede Frau mit Ms. Spears verglichen."
„Ich steh dazu", meine ich bloß schulterzuckend.
„Dann kann ich das ja vor Charlotte ausplaudern."
„Mach doch, die steht auf Enrique Iglesias, das ist definitiv der peinlichere Celebrity-Crush."
Dag entgleisen die Gesichtszüge.
„Der macht doch aber übelst die Kack-Mucke."
„Denkst du, das interessiert die, oder was?", lache ich. „Ich weiß ja nicht, was du mit den Frauen im Bett anstellst, Bruder, aber ich musste meiner Freundin noch nie was vorsingen, während wir Sex hatten. Das juckt die doch null, was der für Musik macht."
„Ganz schön oberflächlich", schnaubt Dag.
„Siehst du, weil du deine Energie verschwendest und dich auf den Charakter der Mädels konzentrierst, hab ich Chacha und du elf Milliarden Probleme mit Cou-Sina", provoziere ich ihn und gehe damit anscheinend einen Schritt zu weit.
„Du hattest einfach unverschämtes Glück mit Charlotte, und das weißt du auch", murmelt Dag. Er hat seine Zigaretten rausgeholt und zündet sich eine an.
„Dicka ... Ich hab's nicht so gemeint."
Mein bester Freund winkt ab.
„Lass mal nicht drüber reden, okay?"
„Okay", stimme ich sofort zu. Rauch dringt aus seinem Mund und er lehnt sich auf der Couch zurück, sinkt in die großen Kissen.
„In welchem Restaurant gehst du mit ihr Essen, dass ihr in Abendgarderobe dort antanzen müsst?"
„Wir gehen ins Ritz."
Dag hustet prompt und hält sich die hohle Hand ans Ohr.
„Ihr esst im Ritz motherfucking Carlton?"
„Fünf Gänge."
„Ihr spinnt doch. Alle beide."
„Andere Paare geben jedes Jahr solche Unsummen aus. Weder Charlotte noch ich wollen das je wiederholen", verteidige ich unser einmaliges Vorhaben. „Ist nur der Vorgeschmack aufs Atlantik in Hamburg."
„Ich hab 'nen Vorschlag: Stellt euch doch einfach auf deinen Balkon und schmeißt das Geld runter."
„Was soll denn daran ironisch sein?"
„Was ist denn ironisch daran, euer Dinner ins Ritz zu verlegen?!" Ich muss schmunzeln. „Ihr Gehalt wurde nur erhöht, sie hat keinen Nobelpreis gewonnen."
„Chill doch mal, Dicka. Außerdem trau ich ihr den Pulitzer inzwischen zu, hast du überhaupt mal was von ihr gelesen?", scherze ich.
„Pff ... Du kannst mir erzählen, was du willst, Alter, aber du und sie, ihr seid so ein Klischee-Pärchen." Er grinst schief. „Das hat so den Coolness-Faktor von einem Gartentraktor", säuselt er. Ich zeige ihm lächelnd den Mittelfinger. „Aber ist das noch Punkrock? Wie dein Herz schlägt, wenn sie dich küsst, Vincent?", fährt mein Kumpel ungerührt mit seiner Stichelei fort.
„Halt's Maul. Los, ab in die Kabine mit dir. Du hattest hundert Jahre Flipper-Pause und gegessen hast auch schon. Nimm endlich deine Strophe auf."
„Ich hab recht", flüstert er mir noch auf dem Weg in die Booth zu.
„Ja, Charlotte ist meine Traumfrau, guck?", rufe ich ihm hinterher und drücke den passenden Knopf, damit er mich hören kann. „Ich sag's offen und ohne jede Scham."
„Pathetisch", haucht er ins Mikro und grinst.
„Sollen wir uns nochmal über dein Liebesleben unterhalten?" Dag setzt sich mit einem kühlen, verkrampften Lächeln seine Kopfhörer auf.
„Nein. Ich fang jetzt an, Herr Produzent.“
+
Bevor ich mich an diesem Abend bereits umgezogen auf den Weg zum Blumenladen und anschließend zu meiner Freundin machen will, um sie abzuholen, fragt mich Dag noch etwas, was mich aufhorchen lässt.
„Hat Lenny dir auch erzählt, dass es zwischen ihr und Olli kriselt?"
Prompt schüttle ich den Kopf.
„Kein Wort. Wieso, was ist denn mit denen?" Dag zögert. „Diggi, Marlene weiß, dass wir unsere drei Gehirnzellen brüderlich miteinander teilen, also hau raus", fordere ich ihn auf. „Über kurz oder lang hätte ich eh davon erfahren."
Er nickt.
„Hab mal bitte ein Auge auf sie. Sie ist echt unzufrieden und Olli hat's wohl inzwischen echt aufgegeben, sie aufzuheitern. Sie sagt selbst, sie reagiert ständig gereizt auf ihn, obwohl sie das gar nicht will."
„Hat sie ihre Tage?", frage ich. Dag findet das nicht witzig.
„Idiot", beleidigt er mich und schnaubt. Wahrscheinlich hat er seine Tage. „Nein, Mann. Sie ist unter Druck, weil sie Mama ist und nebenbei ihre Ehe vernünftig führen und auf ihre eigenen Bedürfnisse achten soll."
„Und, nu'? Das ist das Leben. Ich hab ihr vor 'nem gesagt, dass sie viel mehr ihrer Mama-Aufgaben an Olli abgeben sollte. Sie ist nicht alleinerziehend, tut aber als wär sie's. An seiner Stelle wär ich genauso angepisst."
„Du weißt, wie ihre Mutter –"
„Ach, papperlapapp", unterbreche ich ihn. „Was soll das, Dag? Wem hilft das? Lenny ist Lenny, ihre Mutter ist ihre Mutter. Sie kann nicht überall gleichzeitig sein, aber Olli und sie ziehen immer an einem Strang, wenn's hart auf hart kommt. Wenn sie sich mit ihm hinsetzt und die beiden reden, finden sie eine Lösung. Sie gefährdet das Wohl ihrer Ehe wissentlich, indem sie's nicht tut."
„Alter, hast du nicht zugehört, Stein?!" Langsam adressiert mich mein Kumpel, als hätte ich ihn persönlich angegriffen „Sie hat sich nicht unter Kontrolle. Er gibt auf, und sie ist wie in sich gefangen und gezwungen, dabei zuzusehen, wie ihre Beziehung zerfällt!"
„Stopp, stopp, stopp!", unterbreche ich ihn mit Nachdruck. „Das ist heftig scheiße für sie, wie sie sich im Moment fühlt. Aber sie liebt Olli und Tonya und
wird kämpfen. So ist Marlene. Du weißt, ich hab recht. Und jetzt sag mir bitte, was los ist, Dag. Du identifizierst dich doch voll mit ihr in dieser ganzen Situation, ich merk das doch."
„Blödsinn!"
„Ich hab recht", wiederhole ich ernst und stelle eine Vermutung in den Raum. „Sina hat endlich angefangen aufzugeben, hm?"
Dags Miene verfinstert sich.
„Dieses Endlich kannst du dir schön tief in den Arsch schieben, Vincent, capiche?"
„Dag, verdammt", sage ich. „Womit hast du gerechnet? Dass sie dich in deiner Starre weiter beobachten will wie 'ne promovierte Reptilienforscherin?"
„Ich hab ihr von Alexa erzählt", murmelt er. „Ich hab noch nie jemandem davon erzählt, der nicht live dabei war damals, und wozu?" Er massiert sich die Schläfen.
Ich greife nach meinem Kaffee, den ich noch nicht angerührt habe, seit ich ihn mir vor fünf Minuten eingegossen habe. Jetzt ist das Gebräu trinkwarm.
„Hier, gegen deine Kopfschmerzen." Ich reiche ihm die Tasse. Er bedankt sich leise und nippt daran. „Tut mir leid. Das war nicht besonders nett von mir", gebe ich zu. „Was ich über Marlene gesagt habe, gilt trotzdem auch für dich. Es ist beschissen, dass du dich gefangen fühlst. Aber genauso wie sie musst du raus aus deinem Krebspanzer. Ich bin mächtig stolz auf dich, dass du Sina von Alexa erzählt hast. Das war wichtig. Du musst nur halt wirklich bereit sein, durchzuziehen damit. Der Geist deiner Ex wird dir jede neue Beziehung verhageln, wenn du dich nicht innerlich von ihr verabschiedest. Hört sich vielleicht blöd an, aber überleg mal, ob Sina die Frau fürs Leben ist oder nur die, an die du dich klammerst, weil du Alexa verloren hast. Du und Lexi, das ist nicht mehr, Dag. Bitte, lass es los, es ist vorbei. Sina spürt auf jeden Fall, dass sie nur die zweite Geige in deinem Leben spielt." Ich verschränke die Arme vor der Brust. „Jemanden aufzugeben, den man gern hat, ist gar nicht so leicht; und sie hat dich gern, und du sie auch irgendwie, aber Liebe ist das nicht. Es hat seinen Grund, warum ihr das nie zueinander sagt. Das ist 'ne Lüge, die weder ihr noch dir so einfach über die Lippen käme. Eben weil ihr einander respektiert. Sei schlau und nutz das. Wenn du Schluss machst, war es wenigstens nicht komplett umsonst mit euch. Ihr habt dann beide was gelernt."
„Ich will nicht Schluss machen."
„Dag, denk doch auch mal an sie", beschwöre ich ihn. „Du willst nicht Schluss machen, aber mit ihr zusammen sein, willst du auch nicht."
„Ich hab Angst."
„Brauchst du nicht, du hast ja nicht mal vor, um sie zu kämpfen, oder etwa doch?"
„Sollte ich nicht? Ich muss doch meinen Mann stehen."
„Ich sag nichts mehr dazu, du redest Quatsch", beende ich das Gespräch und wende mich meinem Rechner zu. Das Blut in meinen Adern kocht. Ich verabscheue es, wenn er sich dumm stellt wie im Moment.
Mein Blick fällt auf den schönen Blumenstrauß. Die Seite des Händlers ist nach wie vor geöffnet. Sofort muss ich an Charlotte denken, und an dieses Gespräch auf der Party vor dem Eklat rund um Antonia. Darüber, ob wir uns trennen würden, wenn wir unglücklich miteinander wären. Die Antwort lautet: Ja.
Ich liebe sie. Das, was da zwischen Dag und Sina seit Monaten abgeht – nach sowas könnte ich mich nie wieder aufrappeln. Ganz anders als mein bester Freund. Er wird das überstehen. Ich hingegen könnte es niemals ertragen, meine Freundin so zu hassen. Das hab ich schon hinter mir und will es kein zweites Mal erleben.
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