36 - Star Wars: Episode drölf

„Jetzt sitzen wir hier und albern nur rum, wozu haben wir diesen dummen Film überhaupt angemacht?" Entschlossen packe ich die Fernbedienung und drücke auf den roten Aus-Knopf.
„Hast du gerade Star Wars – Episode IV als ,dummen Filmʼ betitelt?" Vincents Gesichtszüge entgleisen vollständig. Aufgebracht reißt er mir die Fernbedienung aus der Hand. Mein Mini-Fernseher geht wieder an und Darth Vader flackert über den Bildschirm vor uns. Er wirkt dabei ähnlich düster wie mein Freund. Ach ja, ich vergaß. Vincent hat eine dermaßen sentimentale Einstellung zu dieser alten SciFi-Filmreihe, dass er sämtliche DVDs besitzt. Vincent Stein, der sonst jede noch so alltägliche Kleinigkeit auf irgendeine Art und Weise digitalisiert, hat sich allen Ernstes Star Wars – Episode I bis drölf – auf DVD angeschafft. D-V-D. Und außerdem hütet er die Dinger wie eine Elster ihren Schatz.

„Ich verbitte mir sowas!", wettert er gegen meinen jovialen Scherz, woraufhin ich in ein schallendes Lachen ausbreche.
„Das war ein Witz, und ich darf mich über alles lustig machen", behaupte ich und strecke ihm die Zunge raus.
„Ach so?", fragt er spitz. „Nicht mal ich darf mich über alles lustig machen, dabei ist das quasi mein Job, wenn man's mal genau nimmt."
„Das ist ja wohl eher noch mein Job als deiner, Mr. Musikproduzent", entgegne ich und lache ihn aus.
Vincent schlingt einen Arm um meine Schultern und nimmt mich leicht in den Schwitzkasten, während er mich mit seiner anderen Hand prompt am Bauch kitzelt.
„Seit wann bist du Kolumnistin, Charlotte Kolumna? Ich dachte, du bist 'ne super seriöse Reporterin."
Kichernd strample ich mich frei und drücke ihn weg.
„Nicht Kolumnistin – Kommunistin!", korrigiere ich ihn. „Ich schreibe vielleicht keine Kolumnen, aber bei meinen Witzen kriegt wenigstens jeder sein Fett weg. Du bildest da keine Ausnahme." Ich tippe mit dem Zeigefinger gegen seine Nasenspitze und komme seinem Gesicht stetig näher. Als unsere Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander trennen, fragt er: „Soll ich jetzt so tun, als ob ich das witzig finde?"

„Blödmann", flüstere ich grinsend, boxe ihn schwach und überbrücke die letzte Distanz zwischen uns. Vincents Hände streichen über meinen Rücken und unter mein T-Shirt. Seine Finger erreichen den Sport-BH, den ich nach dem Yoga-Workout vorhin anbehalten habe und ich bemerke, wie er plötzlich stutzt, denn es ist einer ohne Verschluss.
„Och, nö." Vincent löst sich von mir und sinkt stöhnend mit dem Hinterkopf auf die Sofalehne. „Das ist mir zu anstrengend", nörgelt er. Ich schüttle lachend den Kopf.
„Tja, wenn du so faul bist, dass du mich nicht mal ausziehen willst, gibt's eben keinen Sex", erwidere ich und gebe ich mich gleichgültig.

Mein Freund atmet mit geschlossenen Augen tief ein, dann öffnet er eins.
„Nicht mal einen klitzekleinen Blowjob?"
„Klitzeklein, ja?", spotte ich. Vincent richtet sich auf und kommt mir wieder näher.
„Entschuldige, was hast du gestern Abend nochmal gesagt? Gigantisch? Kolossal?"
„Das waren ganz bestimmt nicht meine Worte", widerspreche ich mit einer fuchtelnden Geste, kralle mich aber bald darauf in sein weißes T-Shirt, weil er meine Lippen mit einem weichen Kuss verschließt. „Höchstens monströs", murmle ich sanfter zwischen zwei Küssen und merke, wie er schmunzelt.
„Du solltest dir ein anderes Wort überlegen. Monströs trifft es ja wohl irgendwie nicht so ganz. Darunter stelle ich mir eher grün und schleimig vor", sagt er leise.
„Das trifft es nicht?", gebe ich gespielt ahnungslos zurück und quieke auf, als er mich in die Seite pikst und mich runter auf die Sitzfläche der Couch drückt.

„Du bist ganz schön frech, Fräulein", befindet er und wickelt sich eine meiner blonden Haarsträhnen um den Finger.
„Und du bist ganz schön schwer, hast du zugenommen?" Ich hebe sein Shirt an und klatsche mit der flachen Hand auf seinen Bauch. Vincent zieht scharf die Luft ein. In seinen Augen flackert kurz etwas auf, das ich nicht einordnen kann. Was immer das auch war, es ist sofort wieder verschwunden.
„Wie kannst du dich praktisch nur von Fertiggerichten ernähren und trotzdem noch mit dieser hammermäßigen Figur allen Typen den Kopf verdrehen?", wirft er mir vor.

Angetan lächle ich über das Kompliment. Ich bin meilenweit davon entfernt, irgendwelchen Kerlen mit meinem natürlichen Körperbau den Kopf zu verdrehen. Zu Botticellis Zeiten hätte ich mit meinem B-Körbchen, meinem gesunden Speck auf den Rippen und dem Apfel-Po vielleicht die Blicke der Herrenwelt auf mich gezogen. Leider war ich da noch nicht mal Quark im Schaufenster, und heute muss ich erst mit den Männern reden, damit sie mir nachlaufen.

„Du bist süß." Ich lächle und streichle liebevoll seine vor Hitze gerötete Wange. Er genießt es. Verträumt betrachte ich seinen Gesichtsausdruck, der mir unmissverständlich zeigt, wie zufrieden er ist. Eine Sache beschäftigt mich dennoch und ich werde den Gedanken seit heute Morgen nicht mehr los. Er hat hartnäckig eine Sitzblockade in meinem Hinterstübchen gestartet und will sich einfach nicht vertreiben lassen. „Essen wir jetzt eigentlich bald bei meinen Eltern?", frage ich vorsichtig. Vincent seufzt nachgiebig.
„Na gut." Mit dem Daumen fährt er über meine linke Augenbraue, fokussiert dabei nachdenklich meine Lippen. Er weiß, wie wichtig es für mich ist, dass meine Familie ihn kennenlernt. Seine Zustimmung sorgt dafür, dass mir ganz warm im Innern wird. Gerade will ich zu einem leisen Danke ansetzen, da unterbricht er mich stumpf: „Aber jetzt vögeln wir erstmal, okay?" Ich lache.
„Okay", bestätige ich grinsend und ziehe ihn zu mir runter ...

+

Wir liegen noch immer Arm in Arm auf dem Sofa, aber unsere Klamotten sind vor uns auf dem Boden verteilt wie nach einer Explosion im Kleiderschrank und ich male mit meinen nude-lackierten Gelnägeln Kreise auf seine Brust. Ich räuspere mich.
„Sagst du mir noch, wieso das so lange gedauert hat, bis du ja zu dem Treffen mit meinen Eltern gesagt hast?" Meine Hände fühlen sich schwitzig an. Vincent verschränkt davon scheinbar unbeirrt seine Finger mit meinen. Seine Kiefer mahlen.
„Ich erzähle dir jetzt mal was über mich." Er atmet tief durch und ich drücke seine Hand. „Die Eltern meiner Ex-Freundinnen hatten alle einen katastrophalen Eindruck von mir, nachdem ich sie kennengelernt habe", berichtet er, woraufhin ich fragend eine Augenbraue hochziehe.
„Was hast du denn gemacht?" Er fährt sich durch das braune Haar und in seinem Blick erkenne ich Stress. Ich erlebe Vincent wirklich nur sehr selten besorgt und das steigert meine eigene Unruhe.
„Einmal wurde ich erwischt, wie ich die Rosen im Vorgarten meiner ersten Freundin besoffen vollgepisst habe", erklärt er locker und ich lache auf, „und dann hab ich versucht, der perfekte Schwiegersohn zu sein ..." Seine Stimme klingt gegen Ende des Satzes immer trübsinniger.
„Vielleicht ist das das Problem", sinniere ich und stupse ihn an. „Sei du, kein Druck."
„Das sagt sich so easy, Chacha", meint er, vergräbt seine Nase kurz in meinen langen Haaren, atmet ein und haucht mir dann einen Kuss auf die Schläfe. Ich kraule ihn im Nacken. „Meine letzte Ex war –" Er unterbricht sich, schluckt. „Also wir waren ewig zusammen, bevor ich ihre Eltern endlich kennenlernen durfte. Ich hatte gerade mit dem Studium angefangen. Musik, TU, du weißt schon."
„TU wusste ich noch nicht, aber ja", werfe ich ein. Vincent nickt und räuspert sich.

„Marias Eltern waren ... richtige Arschlöcher. Tut mir leid, aber ich kann's nicht netter ausdrücken. Sie waren einfach zwei fiese Ekelpakete, alle beide. Maria hat sie belogen, weil sie mich schützen wollte. Sie hat ihnen erzählt, ich würde Jura studieren und danach in einer renommierten Anwaltskanzlei durchstarten. Fand ich nicht geil. Hab ich ihr auch vorgeworfen, aber dann hab ich nachgegeben, denn sie hat vehement drauf bestanden, dass es nur das Beste für mich wäre, wenn ich mich an ihre Story halte. Wir sind hin zu ihren Eltern, und ich hab zwar wenig Enthusiasmus an den Tag gelegt, aber ihr zuliebe mitgespielt." Er legt eine Pause ein und atmet durch. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie die sie behandelt haben. Was sie ihr für Sachen gesagt haben. Das waren solche Assis. Jedenfalls ..." Vincent stockt und fährt sich durchs Haar. Ich kraule ihn einfach weiter im Nacken. „Ich hatte damals ein paar überschüssige Kilos drauf. Mein Gewicht hat dauernd geschwankt. Ich bin halt in meiner Jugend wie bekloppt gewachsen und konnte praktisch dauernd essen. Die Nährstoffe hab ich damals auch dringend gebraucht. Aber später – Na ja, ich hatte mir miese Essgewohnheiten antrainiert in dieser Zeit und bin halt so moppelig geworden. Nicht, dass ich das gewollt hätte, aber ich war mehr interessiert daran, meine Musikkarriere ins Rollen zu bringen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt keine Lust, mich mit ausgewogener Ernährung zu befassen, auch wenn ich unzufrieden mit meinem Körper war. Meine Ex fand übrigens, dass ich mich gehen lasse. Das war ein krasser Streitpunkt zwischen uns, aber das ist nochmal ein völlig anderes Thema." Vincent greift nach seinem Glas und trinkt einen Schluck. „Bei der Verabschiedung von Marias Eltern damals haben sie –" Er lacht krächzend. „Sie haben wahre Worte der Liebe gesprochen, quasi die Botschaft des Christentums: Ihr Vater meinte, Maria hätte sich gleich einen Anwalt an Land ziehen sollen und nicht so 'ne Nullnummer von Jura-Student –"

Ich ziehe brüskiert die Luft ein.
„Was zum Teu-"
„Und ihre Mutter hat hinzugefügt, dass es ruhig ein sportlicher Anwalt sein darf, weil sie keine nimmersatten Enkelkinder durchfüttern will", beendet er seine Ausführungen. Mir klappt die Kinnlade runter. „Wir sind raus aus der Tür und ich bin mitten auf der Straße zusammengebrochen. Meine Nerven sind komplett mit mir durchgegangen. An viel erinnere ich mich nicht mehr, nur daran, dass ich das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu kriegen. Ich war Burnout-gefährdet, und sie wusste das sogar, ich hatte ihr erzählt, dass mein Hausarzt mir eine vierwöchige Kur verschreiben wollte. Aber Maria hatte trotzdem kein Verständnis dafür. Sie hat mir nur an den Kopf geschleudert, dass sie diese Krise lächerlich fände, weil ich schließlich derjenige war, der auf dieses Treffen mit ihren Eltern bestanden hat. Danach haben wir uns für eine Weile getrennt und ... Später sind wir nochmal zusammengekommen, aber das war sowieso 'ne beschissene Idee von uns."

„Ich kann nicht glauben, dass dir das wirklich passiert ist. Scheiße, das tut mir so leid", murmle ich schockiert. Er zuckt die Schultern.
„Lässt sich nicht mehr ändern." Ich mustere ihn von der Seite.
„Das ist heftig. Danke, dass du mir das erzählt hast." Er lacht und schließt die Augen.
„Fühl dich geehrt. Ich pack nicht gern über dieses Treffen aus."
„Verständlich." Vincent richtet sich ein Stück auf und zieht mich näher zu sich. Ich kuschle mich an ihn; versuche zu verdauen, was er mir geschildert hat. Doch es sticht unangenehm.
„Meine Eltern werden dich lieben, du wirst sehen", verspreche ich.

„Mir wird schlecht beim Gedanken daran, dass meine Eltern auch 'nen Knacks haben. Nicht so wie die von Maria. Aber auch übel", nuschelt er an meiner Halsbeuge. Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich hab nachgedacht über deinen Vorschlag, dass wir besser früher als später bei meinen Alten vorstellig werden." Ich schaue ihm still in die Augen. „Passt es dir kommenden Freitagabend?" Ich nicke. „Gut, dann mache ich morgen was für diesen Freitag bei meinen Eltern aus. Könntest du mit deinen sprechen, ob sie uns nächsten Freitag dann bei sich empfangen?"
„Klar", bestätige ich und befreie mich aus seiner Umarmung. Ablenkung kann jetzt nicht schaden, also setze ich ein Lächeln auf. „Hast du Hunger? Ich hole uns die Bestellzettel aus der Küche, wenn du mir was Bequemes zum Anziehen bringst", schlage ich ihm einen Deal vor und stehe von der Couch auf.

Die Taktik geht auf. Vincent grinst dreckig.
„Sind Strapsen bequem?" Gespielt verdrehe ich die Augen.
„Das Überraschungsmoment geht doch flöten, wenn du bestimmst, wann ich welche trage und wann nicht", maunze ich und klimpere dabei unschuldig mit den Wimpern. Lasziv beuge ich mich vor und schnurre: „Und das ist doch genau das, was die Erregung bei euch Männern ins Unermessliche treibt, dachte ich immer."
Ich muss nur mit den Fingerspitzen gegen seine Brust drücken, Vincent folgt meiner Bewegung sofort und lehnt sich zurück, schaut dabei abwartend zu mir auf und ich muss gestehen, ich koste meine Machtposition in diesem Moment absolut aus. Es ist schön, endlich – nach so langem Suchen – zur Abwechslung mal an jemanden geraten zu sein, der nicht dauernd den dominanten Macho-Arsch raushängen lassen muss, sondern durchaus Gefallen daran findet, wenn ich nach Lust und Laune die Führung übernehme. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. „Ich hätte gern 'ne Jogginghose und 'nen weiten Pulli", kommandiere ich ihn in Richtung Kleiderschrank ab, nicht ohne ihm vorher einen zärtlichen Kuss auf die Wange zu hauchen. Dann tänzle ich auf nackten Füßen in die Küche.

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