29 - Nichts, was wir nicht regeln könnten

„Wir müssen reden", beschließe ich, richte mich auf und ziehe mein T-Shirt sowie eine kurze Sporthose an. Vincent, der erst seit kurzem wieder wach ist, beobachtet mich.
„Hm?", macht er geistesabwesend. Ich lasse mich für einen kurzen Moment wieder auf die Matratze sinken und küsse ihn auf den Mund.
„Weniger gucken, mehr anziehen und mir ins Wohnzimmer folgen", fordere ich ihn auf, verlasse das Bett und bleibe im Türrahmen nochmal stehen, während Vincent sein T-Shirt vom Boden aufhebt.
„Ich mache mir einen Chai Latte, möchtest du auch?"
„Ist es was Ernstes?", übergeht er mein Angebot und schaut mich dabei unverwandt an.
„Klar ist es das." Ich klatsche zweimal in die Hände. „Hurtig, hurtig, aufgestanden." Vincent zerrt sich sein Shirt über den Kopf. Ich wende mich ab und marschiere in die Küche, wo ich heißes Wasser aufsetze und die Packung mit Instant Chai vom Regal runterhole.

„Charlotte?" Vincent steht halb in der Küche halb auf dem Flur und sucht Blickkontakt zu mir. „Wie ernst ist es?"
„Gedulde dich", sage ich besänftigend. „Setz dich schon mal auf die Couch, ich komme gleich und bringe unsere Chais mit." Mein Freund ist sichtlich unzufrieden mit meiner Antwort. Er fährt sich durch das zerzauste Haar.
„Okay", gibt er nach.
Damit ich ihn nicht unnötig auf die Folter spanne, beeile ich mich, verrühre das weiße Pulver mit dem Wasser in zwei hitzebeständigen Gläsern und trage diese ins Wohnzimmer.

Vincent hat sich inzwischen auf die Couch gehockt und trommelt mit den Fingern auf die Rückenlehne. Ich reiche ihm eins der Gläser und er bedankt sich, stellt es dann aber auf dem Coffeetable ab. Ihm zugewandt lasse ich mich auf dem Sofa nieder. Mein eines Bein baumelt über die Kante der Sitzfläche, das andere habe ich angewinkelt darauf abgelegt.

„Let's talk about sex", beginne ich und Vincents Gesichtsausdruck wechselt prompt von unruhig zu verdutzt.
„Was ist damit?", hakt er nach und ich atme tief ein, um meine Nervosität abzuschwächen.
„Ich schlafe wirklich wahnsinnig gern mit dir, aber mir ist eine Sache aufgefallen, die ich ansprechen muss." Mein Gegenüber schweigt abwartend. „Ich glaube, wir könnten beide von einem Hauch mehr Sensibilität deinerseits profitieren", fahre ich fort. Vincents Mundwinkel zuckt. Ich bin so angespannt, dass ich aus Verzweiflung lache. Irgendwie tut das ganz gut, auch wenn es unangemessen ist. „Lach nicht", klage ich ihn also trotzdem an.
„Sorry, ich reiß mich zusammen", meint er und verschränkt die Arme vor dem Körper, streckt die Beine aus. Seine Miene wird nachdenklich. „Entschuldige, aber ich stehe auf dem Schlauch. Kannst du genauer ausführen, was du meinst? Weißt du, alles was ich höre, ist ‚härter, fester'", imitiert er mich. „Ich mache mir gerade Sorgen, dass ich anderes eventuell ausblende. Ich will ja nicht deine Wünsche missachten."
„Na ja, das tust du nicht direkt", erkläre ich. „Ich äußere meine Wünsche schon. Es geht mir eher um meine Grenzen; und um deine."

„Wie meinst du das?"
„Okay, kurzum: Wenn du bestimmte Sachen machen willst, musst du mich vorher fragen. Dazu zählt jede Form von nicht ins Kondom abspritzen, aber auch Fixierung aller Art und Sorte. Ich lasse mich nicht gern festhalten und ich konnte den Orgasmus vorhin nicht richtig genießen, weil du meine Beine so in Position gehalten hast, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte. Oh, und bevor ich's vergesse: Wenn ich beim Vorspiel komme, lass mir danach wenigstens eine halbe Minute. Machst du ja schon. Du kannst dich in der Zwischenzeit gern auf dich selbst konzentrieren, aber ich brauche dann eine kurze Pause, weil ich sonst Schmerzen bei der Penetration habe." Vincent nickt konzentriert.
„Ich fasse nochmal zusammen."
„Hm-mh", bestätige ich summend und nippe an meinem Chai. Nacheinander hebt er drei Finger und zählt parallel auf: „Kein unerbetener Samenerguss auf irgendwelche Körperregionen, kein Festhalten, keine orgasmische Treibjagd."
„Exakt. Wo liegen deine Grenzen?", frage ich ihn. Vincent zieht spöttisch eine Augenbraue hoch.
„Ich werde nicht so gern geohrfeigt beim Sex, macht mir die Stimmung kaputt."
„Verstehe ich. Ich reagiere ungehalten, wenn ich das Gefühl habe, ich werde überhört", rechtfertige ich mein Verhalten.
„Bei aller Liebe, Chacha, dafür musst du dir eine sanftere Form von Gewalt überlegen. Ich habe kein Problem damit, wenn man mir Schmerzen in Maßen zufügt, aber ich will keine von dir gescheuert kriegen."

„Hast du einen Vorschlag, was ich stattdessen tun soll? Denn dich nur verbal drauf aufmerksam zu machen hat die letzten paar Male nicht so gut funktioniert."
„Schon klar", murmelt er und schnappt sich seinen Chai. Er trinkt einen Schluck. „Am besten kneifst du mich einfach in die Brustwarze. Da bin ich empfindlich, also bitte nicht so doll." Für einen kurzen Moment sind seine braunen Augen angsterfüllt. „Und wehe du drehst da irgendwas oder so 'ne Scheiße." Er schüttelt sich.
„Klingt, als hättest du in der Vergangenheit Höllenqualen gelitten", kommentiere ich.
„Das weckt unschöne Erinnerungen an meine Ex-Freundin", winkt er ab.
„Ich will dich doch aber nicht an deine Ex erinnern", erwidere ich empört.
„Tust du nicht. Du bist ganz anders als sie, und das ist auch gut so", stellt er klar.

„Andere Idee: Ich könnte dich beißen. Von mir aus in die Brustwarze." Vincent reißt die Augen auf.
„Das klingt furchtbar."
„Ich meine natürlich nicht richtig beißen. Nur so ein bisschen knabbern." Ich stelle mein Glas beiseite und rutsche zu ihm rüber, fahre mit den Händen unter sein T-Shirt und raffe den Stoff zusammen. Vincent fasst unter mein Knie und drückt es hoch. Ich setze mich auf seinen Schoß, wie er es will, und küsse ihn, bevor ich mich von ihm löse und den Rücken runde, sodass ich auf Höhe seiner Brust bin. Ich lecke zart darüber. Als ich bei seiner Brustwarze angelangt bin, gehe ich noch bedachter vor und liebkose die Stelle erst unschuldig, bis ich wie angekündigt daran zu knabbern beginne. Mein Freund zieht scharf die Luft ein.
„Okay, okay", höre ich ihn sagen und lasse sofort von ihm ab. „Ja, das könnte funktionieren", fällt er sein Urteil und streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Wenn du sauer auf mich bist, bist du dann immer noch genauso vorsichtig?"
„Das Risiko wirst du eingehen müssen", antworte ich trocken.

„Ich bin froh, dass wir drüber geredet haben." Er sagt es dumpf, und ich runzle die Stirn.
„So wirkt es nicht", stelle ich fest. Ich streichle seine Wange. „Was ist?"
„Es tut mir leid, wie rücksichtslos ich war", meint er seufzend. „Gespräche wie dieses hier sind mir halt völlig neu."
„Mach dir keine Vorwürfe. Ich schätze, viele heterosexuelle Männer werden nie von den Frauen, mit denen sie schlafen, auf sowas aufmerksam gemacht. Eine Menge Kerle benehmen sich viel schlechter als du."
„Die anderen sind mir egal." Er legt den Kopf in den Nacken und starrt die Decke an. Sein Adamsapfel hüpft, als er schluckt.
„Hör auf, dich zu schämen, das hilft keinem", sage ich und versuche ihn damit aufzumuntern. Mein Freund atmet aus. Er küsst mich auf die dünne Haut zwischen meinen Augenbrauen.
„Du hast ja recht", gibt er zu. Ich nehme seine Hände und verschränke seine Finger mit meinen.
„Und keine Angst, du musst dich jetzt nicht dauernd zügeln. Ich bin glücklich, dass du zu wissen scheinst, was dir Spaß macht. Kommunizier das einfach und gib mir die Möglichkeit, ja oder nein dazu zu sagen." Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und arbeite mich bis zu seinem Ohr vor. „Ich bin ziemlich sicher, dass ich ohnehin öfter ja sagen werde", flüstere ich. Endlich habe ich ein Lächeln aus ihm rausgelockt.
„Kriegen wir alles hin", sagt er und wir küssen uns. Ich danke Didi stumm, bevor ich mich vollständig in die Zärtlichkeit reinfallen lasse.

+

Wir liegen auf der Couch. Unsere Körper berühren sich an den Seiten und ich spüre eine Ruhe, die ich sonst nicht kenne. Ich stehe ständig unter Strom. Das verlangt mir mein Alltag ab, und ich ahne, dass es Vincent genauso geht.
„Wegen der Organisation, wann wir uns sehen können ...", beginne ich leise.
„Sch", macht Vincent langgezogen. Er hat die Augen geschlossen, hebt den Arm und legt ihn um meine Schultern. Ich schließe ebenfalls die Augen und atme seinen Duft ein. Er hat recht, wir sollten schweigen und genießen. Momente wie dieser sind selten geworden in unserer schnellen Zeit ...

Die Ruhe zerfließt, als er mich streichelt. Gar nicht, um die nächste Runde einzuläuten; bloß, um meine Nähe zu spüren. Seine Hände liegen warm auf meinem Rücken, auf meinen Armen, dann auf meinen Wangen. Ich werde von ihm wachgeküsst. Kaum habe ich die Augen wieder aufgeschlagen, verliere ich mich in seinen braunen Augen.

„Reden wir über die kommende Woche?", fragt er. Ich nicke, gähne und strecke mich. Dann setze ich mich auf.
„Ich hole meinen Kalender", sage ich, küsse ihn auf den Mund und dampfe ins Schlafzimmer ab. Mein Ringbuch-Kalender liegt auf dem Schreibtisch. Ich schnappe mir noch einen Stift und kehre zurück zu Vincent ins Wohnzimmer, der sein Handy in der Hand hält.

„Papier", bemerkt er spöttisch.
„Was dagegen?", säusle ich.
„Ist so old school. Mag ich." Ich grinse und schlage den Terminplaner auf. „Was hältst du von Mittwochabend?", meint er. „Und dann ... Freitagabend, Samstag, Sonntag? Kann ich dir alles freihalten."
„Hm-mh", stimme ich zu und male ein Herzchen zu den jeweiligen Tagen. Vincent, der mir dabei über die Schulter guckt, lacht. „Hör auf jetzt", schelte ich ihn. Mit dem Kugelschreiber tippe ich auf seine Nasenspitze.
„Ich mach das jetzt wie du", beschließt er und ich sehe, wie er am Handy die Emoji-Auswahl öffnet.
„Wie unkreativ bist du eigentlich?", ziehe ich ihn auf. Er zuckt die Schultern.
„Originalität ist tot."
„Du musst ja 'n klasse Musiker sein."
„Bin ich. Erstklassig."
„Du bist sechs Jahre alt?", scherze ich.
„Halt's Maul", lautet seine plumpe Antwort. „Nächstes Wochenende sind wir bei mir, okay? Und Freitag schmeiß ich alle früher raus, dann kannst du mich im Studio abholen. Ich führ dich rum."
„Deal."
„Du musst mir deinen Arbeitsplatz aber auch zeigen."
„Am Mittwoch?"
„Ist Mittwoch blöd für dich?"
„Nicht per se, aber für gewöhnlich schiebe ich da Überstunden."
„Mach nur. Mittwochnachmittag bin ich mit Dag zum Texten verabredet. Das kann eh dauern. Er braucht meist 'ne halbe Stunde mindestens, um reinzukommen."
„Dann ist es beschlossene Sache. Mittwoch, Freitag, Samstag, Sonntag", wiederhole ich.
„In welcher Farbe willst du dein Herzchen?"

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