23 - Gourmet-Pasta à la Vincent Stein
Dag grinst mit mir um die Wette. Wir sitzen in unserer Stammdönerbude, in einer kleinen abgeschirmten Ecke ganz hinten im Laden. Die Cola in den weiß-geriffelten Plastebechern vor uns sprudelt. Hunderte winzige Blubberbläschen treiben an die Oberfläche und zerplatzen mit einem leisen Zischen.
„Charlotte ist dein persönlicher Jackpot, Vincent", stellt Dag fest. Es aus seinem Mund zu hören, macht die Erkenntnis, die ich gestern Abend hatte, nur umso realer. „Sie ist der Eimer unter dir, du Arsch", bedient er sich eines mittelmäßigen Wortspiels und mein freches Grinsen verblasst, bis nur noch ein verliebtes Lächeln davon übrigbleibt. Ich ignoriere seine Spitze einfach.
„Irre wie viel man für eine Frau fühlen kann, oder?", sinniere ich.
Bis ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe, hat sich meine gesamte Welt nur um Charlotte gedreht. Wir waren zusammen duschen in aller Herrgottsfrühe, sind dabei fast in der Wanne eingepennt und haben diesmal sogar gemeinsam ihre Wohnung verlassen. Nichts davon hat sich auch nur in irgendeiner Weise komisch oder übereilt angefühlt. Es klingt so abgedroschen, aber es ist tatsächlich, als würden wir uns schon seit Jahren kennen – und gleichzeitig ist es neu und aufregend. Kaum zu fassen, dass mir sowas Magisches wie die Beziehung mit ihr so ohne Weiteres passiert. Ich bin ein verdammter Glückspilz.
Beherzt stopfe ich mir den Rest Falafel in den Mund und greife nach meinem Getränk, weil die scharfe Soße am Gaumen brennt.
Dag scheint auf einmal völlig vertieft in den Anblick seines Mittagessens.
„Wenn's passt, dann passt es", murmelt er und ich lehne mich zurück, die Beine breit, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Alles gut, Mann?", frage ich ihn ernst. Ich kenne Dag. Er wirkt nachdenklich und das ist bei ihm nie ein gutes Zeichen. Etwas beschäftigt ihn und macht ihn traurig, das sehe ich ihm an der Nasenspitze an. „Du hast deinen melancholischen ‚Ich bin voll der deepe Künstlertyp'-Blick drauf."
Für den Bruchteil einer Sekunde verharrt er noch in seiner Trance, dann beginnt er zu lachen.
„Was für ein Blick?" Ich falle in sein Lachen mit ein.
„Na der ‚Ich bin Singer-Songwriter und meine Texte sind mega deep'-Blick. Der halt." Dag lacht ein wenig lauter. „Tu nicht so, als wüsstest du nicht, was ich damit meine!"
„Nee", prustet mein bester Freund. „Weiß ich echt nicht, Alter." Ich zucke gespielt unbeteiligt die Schultern.
„Tja, dann nicht. Kann ich ja nix für, wenn du die Gehirnkapazität von 'nem Toastbrot hast." Dag zeigt mir den Mittelfinger.
„Du mich auch, Stein." Grinsend wische ich mir meine Hände an der Serviette ab.
„Na gut ..." Dag atmet tief durch. „Dich davon schwärmen zu hören versetzt mir 'nen Stich. Ich freu mich natürlich für dich und alles ... Aber ich wünschte, mich würde jemand so vermissen, wie du sie vermisst." Der Ernst in seiner Stimme überrascht mich ein wenig. Ich setze mich auf und lehne mich vor.
„Ich wusste nicht, dass dich das dermaßen runterzieht", sage ich und warte ab, aber Dag sieht mir nur stumm in die Augen.
„Wenn wir den Blickkontakt nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden brechen, müssen wir uns leider küssen", scherzt er einen Moment später. Wir lachen und als wir uns wieder beruhigt haben, bin ich unschlüssig, ob ich das Thema nochmal anschneiden soll. Dag nimmt mir die Entscheidung ab. Er redet über Musik und die Studioarbeit, zwei Dinge, über die ich immer sprechen könnte.
+
Gegen sechs schließe ich die Tür zu meiner Wohnung auf. Ich muss wirklich dringend aufräumen, bevor Charlotte in zwei Stunden hier auftaucht. Total chaotisch ist es zwar nicht, aber zumindest staubsaugen und wischen sollte ich wohl. Meine Jacke hänge ich vorbildlich auf einen Bügel, meine Schuhe verstaue ich im Schuhschrank, der zur Garderobeninstallation gehört, dem Herzstück meines sonst eher kargen Flurs. Zwei, drei Schritte genügen und ich betrete das geräumige, lichtdurchflutete Wohnzimmer. Aus Gewohnheit schalte ich das Soundsystem meines Fernsehers ein. Musik schallt aus den Boxen. Was Peppiges. Genau das Richtige, um eben klar Schiff zu machen. Ich wippe im Takt mit und checke mein Handy. Charlotte hat mir geschrieben, dass sie gleich Feierabend macht und nur einen kurzen Stopp bei sich zu Hause einlegt, bevor sie herkommt. Ich tippe eine knappe Antwort und teile meinen Standort mit ihr. Mein Smartphone werfe ich danach auf die Couch. Zeit diese Junggesellenbude auf Vordermann zu bringen.
+
Ich halte den Staubwedel noch in der Hand, als es klingelt und ich unsanft aus meinem Putz-Wahn gerissen werde.
„Scheiße", murmle ich und blicke an mir herab. Ich trage ein ausgeleiertes T-Shirt und eine fleckige Jogginghose. „Hey", begrüße ich Charlotte über die Gegensprechanlage.
„Hi", flötet sie und mir wird innerlich sofort warm.
„Gibst du mir zwei Minuten, damit ich mir vernünftige Klamotten anziehen kann?", bitte ich sie.
„Du könntest mir nackt die Tür öffnen." Ich schmunzle.
„Das machen wir wann anders."
„Okay", stimmt sie zu und seufzt enttäuscht.
Kopfschüttelnd drücke ich auf den Knopf, neben dem das Schlüsselsymbol abgebildet ist. Im Schlafzimmer schlüpfe ich in die Jeans und das frische Shirt, die ich mir vorhin rausgelegt habe. Ein Spritzer Parfüm sollte ausreichen. Ich richte meine Haare, indem ich mit einer erbsengroßen Menge Wachs in Windeseile hindurchfahre. Die Hetzerei war berechtigt – oben klingelt es jetzt. Ich werfe aus Gewohnheit einen Blick durch den Türspion. Nachdem jemand die Adresse meiner letzten Wohnung im Internet veröffentlicht hat, bin ich paranoid geworden. Doch es ist kein ungebetener Gast, sondern meine Freundin, die vor der Tür steht und wartet. Sie trägt einen schwarzen Minirock und eine weiße Bluse, ohne BH. Ich atme tief durch und mache ihr auf.
„Na." Charlotte lächelt und tritt an mich heran.
„Du siehst höllisch sexy aus", erwidere ich ohne Umschweife. Sie schenkt mir einen verführerischen Augenaufschlag und faltet die Hände in meinem Nacken. Ich ziehe sie an der Hüfte zu mir und lasse es mir nicht nehmen, die Rundung ihres Hinterns nachzuzeichnen.
„Und du riechst sexy", schnurrt Charlotte, ehe sie in ihren Vans auf Zehenspitzen geht und mich küsst. „Außerdem siehst du gut aus in deinen vernünftigen Klamotten." Sie setzt die letzten beiden Worte in Anführungszeichen und zupft an dem Band-Shirt, das ich mit meinem ersten Griff ins Regal erwischt habe. „Die Ärzte sind ja bekanntermaßen extrem vernünftig", kommentiert sie trocken.
Ich ziehe sie am Handgelenk zu mir in die Wohnung.
„Ohne die Ärzte gäbe es SDP nicht", informiere ich sie. Charlotte blinzelt erstaunt und sieht zu Boden, während sie ihre Schuhe abstreift.
„Vernünftig, sag ich ja."
„Magst du die Ärzte nicht?", will ich wissen und kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Das wäre das erste Mal, dass wir auf Kriegsfuß miteinander stünden.
„Ich liebe die Ärzte", beteuert Charlotte lachend. „Ich hatte bloß keine Ahnung, dass sie deine Karriere monumental beeinflusst haben."
„Haben sie aber", bestätige ich, helfe ihr aus ihrer Jacke und erzähle nebenbei, wie Dag und ich einander über Marlene kennengelernt haben. Charlotte lächelt sanftmütig.
„Ist komisch, dass wir eine gemeinsame Freundin haben, uns aber vorher all die Jahre noch nie über den Weg gelaufen sind, oder?", sagt sie dann und ich verstehe genau, was sie ausdrücken will. Ein bisschen fühlt es sich an, als hätte ich mein Leben verschwendet, bis wir einander begegnet sind. Die Zeit, die ich in Onenightstands investiert habe, erscheint mir im Nachhinein vollkommen bedeutungslos. Ich habe auf die Frau gewartet, die in diesem Augenblick vor mir steht, und auf keine andere. „Ja", gehe ich auf ihre Frage ein. „Schieben wir am besten alles auf Lenny." Charlotte lacht und ich nehme sie an die Hand, führe sie ins Wohnzimmer, wo ich aufs Sofa deute. „Setz dich. Möchtest du was trinken?", biete ich an. Charlotte nimmt tatsächlich Platz, klopft aber auf die freie Fläche neben sich.
„Sicher, dass du nicht vorher noch 'ne Runde rummachen willst?", fragt sie mich und ich zucke die Schultern.
„Dazu würde wohl niemand nein sagen." Ich plumpse neben ihr auf die Couch und werde prompt von ihr in die Kissen gedrückt. Sie ist schneller auf meinen Schoß geklettert, als ich meinen eigenen Namen buchstabieren kann. Ihre Hände streichen über meine Brust, während sie ihre Lippen wieder auf meine senkt, zart darüber leckt und so lange Einlass verlangt, bis ich ihn ihr gewähre. Ich streiche über den Minirock, der Falten wirft und registriere die Gänsehaut, die entsteht, als ich an der Unterseite ihrer Oberschenkel ankomme. Die Berührung macht sie schwach. Der Kuss wird erst zurückhaltender, dann härter, lustvoller. Sie löst sich von mir und stöhnt leise, weil ich meinen Daumen zwischen ihre Beine schiebe, ohne mehr als die Innenseite ihrer Schenkel zu berühren. Charlotte funkelt mich aus ihren braunen Augen an, angespannt, beinah flehentlich. Ich lasse meine Hand genau da, wo sie ist und küsse sie hinterm Ohr, wo sie ihr Parfüm aufträgt. Eine meiner Lieblingsstellen an ihrem Traumkörper. „Ich will vor dem Essen nur ein bisschen knutschen", provoziere ich sie. „Unschuldiges Geknutsche, du weißt Bescheid."
„Unschuldiges Geknutsche, alles klar", schnaubt sie und kneift verärgert die Augen zusammen. „Nimm sofort deine Finger da weg, oder ich raube dir auf der Stelle jedes letzte Fünkchen deiner Unschuld, Vincent." Ich leiste ihrer Aufforderung Folge und lege meine Hände stattdessen an beiden Seiten auf ihre Taille, küsse sie dabei erneut und es hat wahrhaftig etwas Unschuldiges an sich. „Da, bitte sehr", grummelt sie und ich fahre mit den Fingern durch ihr offenes Haar.
„War ganz gut, kriegst später vielleicht 'ne Belohnung für deine Mühen", töne ich und verdrücke mich in die Küche. „‚Ganz gut' – Ja, hau bloß ab und rette deinen süßen Arsch", ruft sie mir mürrisch hinterher.
„Komm mit, ich muss dir doch beibringen, wie man Spaghetti kocht", fordere ich sie auf. Charlotte gesellt sich tatsächlich ein paar Sekunden später zu mir.
Sie hat ihr Handy in der Hand und tippt scheinbar eine Nachricht zu Ende. Schließlich landet das Smartphone auf dem Küchentresen und ich lächle, weil sie sich von hinten an mich schmiegt.
„Schläfst du?", frage ich sie belustigt, denn es vergehen Minuten, in denen sie nichts sagt.
„Hm-mh", bestätigt sie summend. „Du bist langweilig und starrst lieber stumm den Topf an als mit mir zu reden, da ist mir klargeworden, dass Schlaf die bessere Zeitinvestition ist."
„Fang du doch ein Gespräch an", entgegne ich lachend.
„Alles soll ich selber machen, oder wie?", nuschelt sie unzufrieden.
„Willkommen im Leben." Ich fege ihre Hände von mir runter, allerdings bloß, um mich zu ihr umzudrehen und sie dann gleich auf ein Neues in den Arm zu nehmen. „Was ist denn los bei dir, dass du kein Wort rausbringst?" Irgendwie sorge ich mich um sie, stelle ich fest.
Charlotte lässt mich seufzend los und greift nach einem leeren Glas, das noch von heute Morgen auf der Anrichte steht.
„Ist das sauber?", fragt sie mich und bewegt sich in Richtung Spüle. Ich nehme ihr das alte Glas aus der Hand und reiche ihr ein neues, das sie mit Wasser befüllt. Sie trinkt einen großzügigen Schluck und sieht mich an, berichtet mir von ihrem stressigen Tag in der Redaktion.
„Du sollst fünf Artikel schreiben?", hake ich ungläubig nach. „Heißt das, du haust von Montag bis Freitag wie besessen in die Tasten, oder was muss ich mir jetzt darunter vorstellen?"
„Drei sind mein normales Pensum in einer Arbeitswoche, das ist der Anspruch, den ich an mich selbst stelle", erklärt sie unbeeindruckt. „Aber jetzt hat mein Chef mir die brandaktuellen Themen von zwei Kollegen zusätzlich angeboten, die beide krank sind. Na ja, er hat gesagt, ich soll einen der Artikel schreiben, mein Kollege Freddy würde den anderen übernehmen. Später hat er mich dann nochmal beiseite gezogen und gemeint, falls ich den zweiten Artikel wie durch ein Wunder auch noch schaffe, und der im Endeffekt besser als Freddys ist, publiziert er nur meine Sachen. Wenn ich Klausen von meinen Artikeln überzeugen kann, erscheinen also in unserer nächsten Ausgabe fünf Stück, die aus meiner Feder stammen. Jede Autorenschaft etabliert meinen Namen in der Journalismus-Branche weiter. Das ist eine riesige Chance für mich, aber es bedeutet natürlich auch mehr Arbeitsaufwand. Wäre problemlos machbar, wären die Leute nicht so nervig. Ich versuche immer zweite Meinungen einzuholen. Aber weißt du, wie viele Menschen ein Problem damit haben, ihre Meinung in Worte zu fassen? Und das sind Journalisten. Ist das zu glauben? Die sagen, sie fühlen den Artikel leider nicht", äfft sie ihre Kollegen nach.
„Argumentationsschwach, gib nix drauf", winke ich ab. „Mach's wie ich, werde dein größter Kritiker und danach können dir die Meinungen anderer egal sein, weil du weißt, du hast eh Recht." Charlotte grinst.
„Mit dir zu arbeiten muss echt ein Albtraum sein."
„Nee, mit Dag zu arbeiten ist der Albtraum. Ich weiß immerhin, was ich da tue, wenn ich Musik mache", lästere ich scherzhaft und regle die Hitze runter. „So, pass auf", wende ich mich mit erhobenem Zeigefinger an sie und schnappe mir die Nudeln. „Wasser kocht, die kommen in den Topf", erläutere ich.
„Wow", gibt sie monoton von sich.
„Der Hammer, oder?" Charlotte kehrt lächelnd zu mir zurück an den Herd und wuschelt mir durch die Haare.
„Das ist der absolute Wahnsinn", beteuert sie ernst und lacht kurz darauf. „Du klingst, als wolltest du mir den Nudelfix-3000 verkaufen."
„Für nur 999,99€ gehört er dir", lasse ich mich auf den Spaß ein. Anschließend küsse ich sie auf die Wange, nehme dabei ihre Hände in meine und genieße ihre Nähe einen Moment lang vollendet. „Sag mal, wie wär's eigentlich zur Abwechslung mal mit dem Abendessen im Restaurant, dass ich dir nach unserem zweiten Date versprochen habe?", durchbreche ich die Stille. „Bevor du mit Didi am Wochenende durchbrennst, will ich den Plan morgen noch in die Tat umsetzen." Von ihrem Lächeln wird mir innerlich warm. Charlotte streichelt mit dem Daumen in kleinen Kreisen meinen Handrücken.
„Soll ich dann deine unglaubliche Pasta mit der beim Italiener vergleichen?"
„Logisch. Und wehe ich gewinne mit meinen Pasta-Künsten nicht, dann verlass ich dich an Ort und Stelle."
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