𝒃𝒂𝒍𝒍𝒂𝒅𝒆
𝑮𝒂𝒕𝒕𝒖𝒏𝒈 𝒅𝒆𝒔 𝑻𝒂𝒏𝒛𝒍𝒊𝒆𝒅𝒆𝒔
𝒏𝒂𝒄𝒉 𝒅𝒆𝒎 𝑽𝒐𝒓𝒃𝒊𝒍𝒅 𝒅𝒆𝒓 𝒍𝒊𝒕𝒆𝒓𝒂𝒓𝒊𝒔𝒄𝒉𝒆𝒏 𝑩𝒂𝒍𝒍𝒂𝒅𝒆
𝒇𝒐𝒓𝒎𝒂𝒍 𝒏𝒊𝒄𝒉𝒕 𝒇𝒆𝒔𝒕𝒈𝒆𝒍𝒆𝒈𝒕
𝒈𝒆𝒍𝒆𝒈𝒆𝒏𝒕𝒍𝒊𝒄𝒉 𝒗𝒐𝒏 𝑫𝒊𝒄𝒉𝒕𝒖𝒏𝒈𝒆𝒏 𝒐𝒅𝒆𝒓 𝑺𝒕𝒊𝒎𝒎𝒖𝒏𝒈𝒆𝒏 𝒊𝒏𝒔𝒑𝒊𝒓𝒊𝒆𝒓𝒕
~
Juni 1829
Ich laufe und laufe, bis ich an meinem Lieblingsplatz ankomme.
Es ist ewig her, dass ich das letzte Mal hier war. Als Kind habe ich mich hier immer versteckt, wenn ich keine Lust mehr hatte, bei meinen Eltern mitzuarbeiten. Dieser Ort war mein Rückzugsort, aber seit Yoongi da war, habe ich einen neuen Lieblingsplatz gefunden, und das war neben ihm auf dem Klavierhocker.
Jetzt allerdings, da Yoongi weg ist und seine Abwesenheit im Musikzimmer zu stark geworden ist, muss mein alter Zufluchtsort wieder herhalten.
Ich weiß nicht, wie lange ich hier auf meinem Baum sitze und in den Himmel starre, aber als die Sonne langsam hinter den Bergen verschwindet und den Himmel in bunten Farben färbt, nähern sich Schritte.
Fest klammere ich mich an dem Ast des Baumes fest.
Eigentlich dürfte ich vom Weg aus nicht zu sehen sein.
Aber die Person, die wenig später am Fuße des Baumes steht und genau in meine Richtung schaut, kennt mein Versteck und weiß, dass ich hier bin.
Ich traue meinen Augen kaum, als ich meinen besten Freund - ist er das noch? - erblicke und fast von meinem Zweig falle.
Im nächsten Moment liegen wir beide auf dem staubigen Boden, ich habe meine Arme fest um seinen Hals geschlungen und er klammert sich in mein Hemd. Offensichtlich bin ich ein wenig zu stürmisch vom Baum gesprungen, sobald ich realisiert habe, dass der junge Mann dort vor mit wirklich Yoongi ist.
Ja, und nun liege ich auf ihm drauf und habe nicht vor, ihn jemals wieder los zu lassen. Aber da bin ich offensichtlich nicht der Einzige. Yoongis Griff um meine Taille wird fester, ich bekomme fast keine Luft mehr, aber genau das brauche ich gerade auch, um sicher sein zu können, dass er wirklich hier ist. Bei mir.
Die Sonne ist vollständig verschwunden und der Himmel färbt sich mittlerweile dunkelblau, als ich mich langsam hochkämpfe, meinen Freund - die Abwesenheit des "besten" hat noch keine wirkliche Bedeutung, aber so fühlt es sich irgendwie besser an - mit mir ziehe und im Sitzen meine Beine um seinen Oberkörper schlinge.
Ich löse mich so weit von ihm, dass ich ihm ins Gesicht schauen kann, sehe seine glänzenden, müden Augen, das strahlende Lächeln auf seinen Lippen und den Staub in seinen Haaren.
"Was machst du hier?", flüstere ich, kämpfe mit den Tränen und schaffe es trotz aller Bemühungen nicht, meine Stimme kräftiger klingen zu lassen. Dann vergrabe ich mein Gesicht in seinem Hemd, das so vertraut nach Zuhause riecht, dass ich den Kampf verliere und der weiche Stoff doch nass wird.
"Ich habe dich so vermisst. Ich wollte dir schreiben, habe es aber nicht geschafft. Ich konnte... das in meinem Kopf nicht.... Und meine Lieder sind immer schlechter geworden."
Auch Yoongi weint nun stumm gegen meine Schulter, klammert sich noch fester an mich und schafft es nicht, weiter zu reden.
Ich erwidere die innige Umarmung. Mein Herz pocht schnell gegen meine Brust und ich spüre das Herz meines Freundes im selben, viel zu hektischen Tempo klopfen. Unsere Herzen schlagen in Allegro.
"Ich hab dich auch vermisst Yoongi. Und ich habe mir solche Sorgen gemacht, ich-" meine genuschelten Worte werden von einem lauten Schluchzer unterbrochen und ich klammere mich noch enger an ihn.
"Es tut mir so leid mein Ggukie"
Mein Ggukie. Das ist noch schöner als mein Liebster. Und aus Yoongis Mund sowieso tausendmal besser. Ich presse meinen Kiefer fest zusammen, kämpfe gegen den Gedanken an diese sündhaft weichen Lippen, die sich nun plötzlich wieder so nah bei mir befinden. Die ganze Zeit habe ich sie vermisst. Das Gefühl von ihnen auf meinen. Und jetzt, da sie direkt vor mir sind, darf ich sie nicht berühren. Diese Umarmung ist vermutlich auch schon viel zu viel. Eigentlich dürfen wir das nicht. Wir sind viel zu nah. Aber die beginnende Nacht schützt uns, verbirgt uns vor den Blicken anderer Leute.
Hier sind nur wir beide. Yoongi und ich. Es ist immer noch so surreal, dass er tatsächlich vor mir ist. Vielleicht träume ich auch nur und falle gleich im Schlaf vom Baum. Wer weiß...
Aber wenn das hier ein Traum ist, sollte ich ihn auskosten. Ist es auch unzüchtig, von soetwas zu träumen? Das kann man immerhin nicht kontrollieren.
Aber für einen Traum ist das hier sowieso zu intensiv. Ich spüre Yoongis Körper eng an meinem, spüre seine Wärme, seinen Puls, nehme seinen Geruch wahr, das Kitzeln seiner weichen, dunklen Haare. Das kann kein Traum sein.
Und weil das hier Realität ist, kann ich das, was ich in meinen Träumen machen würde, nicht tun.
Bevor ich aber Abstand nehmen kann, um sicher zu gehen, dass ich nicht wieder anders handele, als ich es mir eigentlich vorgenommen habe, werde ich von meinem Freund aufgehalten und Sekunden später spüre ich wieder das einmalige Gefühl seiner Lippen auf meinen. Dieser Kuss ist anders, als unsere unschuldigen Küsse vor fast zwei Jahren. Viel mehr Sehnsucht liegt in ihnen, intensive Leidenschaft. Und noch etwas anderes. Ich kann nicht sagen, was es ist, aber es fühlt sich unglaublich an. Mein ganzer Körper kribbelt, ich habe das Gefühl, dass Yoongi und ich anfangen zu schweben. Wir fliegen weg von Wien, weg von allen Problemen, allen negativen Gedanken, allen Pflichten.
Nur wir beide. Nicht mehr auf dem staubigen Feldweg, sondern im Himmel. Ich fühle mich wie von watteweichen Wolken umhüllt, behütet und geschützt. Oder vielleicht sind die Wolken auch Yoongis warme Hände, die meinen Körper eng umklammern und immer fester an ihn ziehen. Als hätte er Angst, dass ich verschwinden würde, wenn er mich nicht fest genug festhält. Als hätte auch er Angst vor dem Aufwachen aus dem wunderbaren Traum, in dem wir uns im Moment noch befinden und in dem wir uns vor der Realität verstecken.
Ich presse mich enger an ihn, möchte immer mehr von diesem unglaublichen Gefühl, dass durch meine Adern rauscht und meine Muskeln unter Strom setzt. Yoongi lässt alle Ängste, alle Zweifel verschwinden, füllt sie mit schwerelosen, verträumten Melodien und... Liebe.
Das muss dieses fremde Gefühl sein, dass ich nicht genau definieren kann.
Ich... liebe ihn. Und ich glaube, er liebt mich auch.
Yoongis ganze Welt, die mir immer ein wenig verschlossen geblieben ist, liegt plötzlich offen vor mir. Ich sehe seine geheimsten Gedanken, seine Gefühle und Emotionen. Und er sieht meine. Jeden einzelnen Bestandteil meiner Welt
Aber vermutlich kennt er sie schon lange in und auswendig. Länger als ich sie kenne. Er ist nicht nur talentiert, sondern auch unglaublich schlau, und ich war immer ein offenes Buch für ihn. Er konnte die Gefühle deuten, die mir selbst verborgen geblieben. Ich war unfähig, mich selbst zu verstehen.
Oder vielleicht... viel wahrscheinlicher war einfach meine Angst zu groß. Sie hat mich mein ganzes Leben lang gelähmt. Sie hat mich meine eigenen Gefühle verdrängen lassen. Ich habe mich selbst mit meiner Angst gehindert, meinen Weg zu finden. Ich habe mir verboten, mir meine Gefühle einzugestehen, aus Angst vor deren Folge.
Nur langsam und zögerlich lösen wir uns voneinander, schauen uns atemlos an. Der Mond leuchtet voll und hell über uns am Himmel, erhellt unsere erröteten Gesichter und geschwollene Lippen. Yoongis Diamanten glänzen wie nie zuvor, heller als die Sterne am dunklen Nachthimmel. Und in diesem Moment weiß ich es.
"Ich komme mit dir", sage ich endlich die Worte, die ich schon vor zwei Jahren hätte sagen sollen. Ganz plötzlich sind sie da, wie auf den Nichts. Und ich kann sie aussprechen ohne Angst.
Ich bin überrascht von meinen Worten, weil ich mir nie erlaubt habe, überhaupt einen Gedanken an diesen Weg zu verschwenden, geschweige denn diese Entscheidung zu treffen. Aber jetzt hat mein Herz das für mich erledigt, hat sich ohne zu zögern entschieden für etwas, zu dem mein Kopf niemals ja gesagt hätte.
Aber jetzt sind die Worte draußen, und ich merke wie mein Körper sich entspannt. Vermutlich war diese Entscheidung schon die ganze Zeit gefällt, aber sie brauchte einen Auslöser, um ausgesprochen zu werden.
Mein Freund, der so plötzlich ohne Vorwarnung vor mir aufgetaucht ist, war dieser Auslöser. Ich kann ohne ihn nicht mehr leben. Ich möchte bei ihm sein. Wenn er wieder abreist und mich hier alleine lässt- Nein. Das kann ich nicht. Nicht mehr. Das habe ich zu lange ausgehalten, zu lange ignoriert.
Yoongis Lächeln wird breiter und er umfasst sanft mein Gesicht.
Fast erwarte ich Zweifel in seinen Augen, Worte der Unsicherheit aus meinem Mund. Das wären die natürlichen Antworten meines Kopfes gewesen.
Aber Yoongi sagt nichts dergleichen. Er sagt gar nichts.
Stattdessen verbindet er unsere Lippen erneut, lässt mich seine Gefühle spüren. Lässt mich die Melodien spüren, die seine unglaubliche Freude und Erleichterung ausdrücken und mir gleichzeitig die Angst nehmen, die wieder meinen Rücken hinaufkriecht. Leise seufze ich auf, als seine Zunge liebevoll in meinen Mund eindringt und die Musik unserer Leidenschaft erneut lauter werden lässt. Ein Crescendo zum Forte. Nein, das ist Fortissimo. Mindestens.
Ich gebe mich dem Kuss hin, genieße die sanften Liebkosungen seiner Zunge, lasse mich in seine Umarmung fallen. Nach und nach verschwindet meine Angst, wird verdrängt von diesem unbeschreiblichen Gefühl der Freiheit.
Stunden später lösen wir uns langsam voneinander, weil es trotz der warmen Sommertemperaturen nachts ziemlich kalt ist und unsere Liebe uns auch nicht ausreichend wärmt.
Wortlos machen wir uns auf den Weg, mit ineinander verschränkten Händen, pochenden Herzen und prickelnden Lippen. Wir beide lächeln breiter als der volle Mond am Himmel, die Liebe ist greifbar um uns herum.
Am Ortseingang trennen sich unsere Hände und wir nehmen stillschweigend Abstand, laufen im völligen Einklang weiter nebeneinander her durch die kühle Nacht, bis wir bei unserem Ziel ankommen. Die Fenster beider Häuser sind vollständig dunkel, vermutlich schlafen unsere Familien schon lange. Meine Eltern sind es gewohnt, dass ich nachts lange draußen bin. Noch so eine Angewohnheit, die ich mir zugelegt habe, seit ich vor zwei Jahren die falsche Entscheidung getroffen habe.
"Bis morgen mein Ggukie."
Ich bin seins. Er ist meins. Dafür sind keine weiteren Worte nötig.
Wir werden unseren Weg finden.
Ich hoffe es.
Denn sobald Yoongi im Haus seiner Familie verschwunden ist und ich die Tür meines Elternhauses hinter uns ins Schloss fallen lasse, ist die Angst wieder da.
Größer als je zuvor.
~
Ich hatte auch Angst. So so sehr. Ich wollte nur zu dir, aber ich hatte Angst, dass deine Eltern mich sehen.
Ich hätte zu dir gehen sollen. Es tut mir so leid.
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