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,,Nimm den Schwanz aus dem Mund, man versteht dich ja kaum", nörgelte Yoona viel zu laut, meinem Geschmack nach.
,,Ich habe einen verdammten Presslufthammer in meinem Kopf", stöhnte ich und presste meine freie Hand auf die Schläfe, rollte mich auf die Seite. Der gestrige Abend schien doch schon ein wenig zu viel gewesen zu sein.
,,Was hast denn du gestern noch gemacht?", fragte meine gute Freundin überrascht, im Hintergrund hörte ich lautes Hupen und meine Augenbrauen zogen sich zusammen.
,,ES IST GRÜN DU PENNER! DAS GASPEDAL IST UNTEN RECHTS", schrie sie plötzlich und ich lies mein Handy stöhnend sinken, schaltete auf Lautsprecher und erhob mich langsam, torkelte ins Bad, legte das kleine Ding auf die Ablage.
,,Ich wiederhole erneut; ich bin ein klein wenig verkatert und dein Rumgeschreie macht es nicht gerade besser", brummte ich und erschrickte beim Blick in den Spiegel, wusch mir das zerknautschte Gesicht mit dem fetten Kissenabdruck über der einen Wange.
,,Die Tatsache so viele Arschköpfe auf der Straße fahren zu sehen sorgt dafür, dass ich nicht wirklich viel Mitleid aufbringen kann. Sorry Bae", brummte sie nur und ich trocknete mich mit dem kratzigen Handtuch ab.
,,Ist denn was interessantes passiert gestern?"
,,Ich hab es endlich geschafft an die goldene Tafel zu kommen", bemerkte ich nach kurzem Grübeln, grinste durch die Erinnerung und nahm mir die Bürste. Ich fing an meine Haare zu Bürsten, während Yoona sich erstmal beruhigen musste.
,,Du verarschst mich doch. Reden wir von der goldenenTafel?"
,,Naaa? Neidisch?" , fragte ich und band mir einen Dutt aus meinen schulterlangen Haaren.
,,Schon irgendwie", lachte sie und ich steckte mein Handy in das Bauchfach meines Pullovers, schlurfte zurück ins Zimmer und zog mir Plüschsocken über meine normalen Socken. Ich war Yoona so dankbar, mich damals zu diesem eigentlich sinnlosen Kauf zu überreden, doch heute waren die grauen Teile meine treuesten Weggefährten.
,,Wie hast du das geschafft?"
,,Mithilfe von 29 Shots und einem Engel", antwortete ich wahrheitsgemäß und schaltete mit einem leisen Klicken den Wasserkocher ein.
,,Ein Engel?"
,,Ein Engel namens Hobi."
,,So so. Gutaussehender Typ?"
,,Er ist das hotteste Schnittchen, das ich kenne."
,,Und du kennst viele hotte Schnittchen. Aber jetzt ehrlich, wie alt ist er, wie sieht er aus?"
Ich nahm eine Porzellantasse vom Regalbrett und platzierte einen Teebeutel darin, goss den Tee auf. Dann rief ich vor meinem inneren Auge wieder das Profil von Hobi auf, welches mir seit meinem ersten Blick zu ihm fest in Erinnerungen geblieben war.
,,Dunkles Haar, noch dunklere Augen. Er ist 23 und hat die niedlichsten Grübchen die man haben kann. Sein Lächeln und seine Lache rufen mehr Glücksgefühle in mir auf als der Zahltag am Ende des Monats. Oh und er ist ein toller Trinkfreund."
,,Trinkfreund? Hast du ihn etwa nicht unter den Tisch getrunken?", scherzte Yoona und ich lachte, verfrachtete meinen Tee und mich ins Schlafzimmer, wo ich meine freie Zeit hauptsächlich absaß.
,,Er hat sich echt gut gehalten. Ein weiterer Pluspunkt für Mr. Sunshine."
,,Mr. Sunshine? Dieser Hobi scheint einer von der ganz seltenen Sorte zu sein, was?"
Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht. Hobi war wirklich anders. Ich weiß, schrecklich chlichéhaft und viel zu romantisch für meine ärmlichen Verhältnisse. Liebe kann ich mir nicht leisten. Klar, man kauft sie nicht, aber man investiert Zeit und auch ab und an Geld, man verbraucht Emotionen und Kraft, die ich lieber an den Alkohol abgab. Dennoch war ich einem Wiedersehen mit Hobi nicht abgeneigt.
,,Und wie geht's deinen Eltern? Deinen Brüdern?"
,,Jihyun amüsiert sich in Japan, Jimin singt, tanzt, was weiß ich und meine Eltern sitzen wahrscheinlich wie immer bei sich zu Hause."
Vor meinen Augen flammte eine alte Szene auf. Mein Vater am Frühstückstisch, meine Mutter am Herd und wir Kinder in aller Eile am essen. Wie sehr ich diese Zeit vermisste. Als hätte jemand meine Gedanken gelesen, erschien auf dem Display die Anzeige von einem eingehenden Anruf meiner Mutter.
,,Du Yoona, ich lege eben auf, ich rufe dich nachher zurück", noch bevor sie antworten konnte, beendete ich unser Telefonat und nahm den Anruf von 'Mama' an.
,,Jae?"
,,Was gibt' s?", fragte ich, nachdem ich die vertraute Stimme meiner Mutter gehört habe.
,,Musst du heute arbeiten oder hast du frei? Ich weiß es ist relativ kurzfristig, aber könntest du nachher vorbei kommen Liebes?"
Ich runzelte die Stirn. Den leichten Kater und meine mangelnde Motivation mal beiseite, was wäre so wichtig, mich dazu zu animieren bei diesem bescheidenen Wetter mein Bett zu verlassen?
,,Also arbeiten müsste ich heute nicht, es ist Sonntag. Aber was ist denn los? Ist was passiert?"
Ich nahm gedämpfte, nervöse Stimmen im Hintergrund wahr, konnte sie allerdings nicht wirklich jemandem zuordnen.
,,A-also dein Vater wurde befördert"; meldete sich meine Mutter nach kurzer Pause wieder.
,,Er hat ein paar Kollegen zum Essen eingeladen und wir dachten uns, du könntest vielleicht auch kommen?"
So wie meine Mutter das ausdrückte, war es weniger eine Frage sondern mehr eine geschickt formulierte Aufforderung meinen Arsch zu bewegen. Genervt stellte ich fest, dass ich mich dann umziehen müsste und schminken und... sehnsüchtig sah ich von meinem Tee zu meinen grauen Socken. Und ich würde einen freien Tag im Bett verschwenden, ich faules Ding.
,,Wann soll ich denn da sein?"
,,Du kannst auch gleich rüber kommen."
Ich seufzte und quälte mich aus dem Bett. Wieder ein indirekter Befehl. Sie könnte auch sagen wenn du in zwanzig Minuten nicht klingelst, gibt es keine Stricksocken zu Weihnachten. Und ich habe in letzter Zeit eine Vorliebe für diese Kleidungsstücke entwickelt. Und um diese Vorliebe auszuleben, legte ich auf und tauschte die gemütliche Jogginghose gegen eine Jeans, setzte mir meine Brille vor meine kurzsichtigen Augen und kramte aus den Tiefen meines Kleiderschrankes eine rote Bommelmütze hervor. Zufrieden zog ich sie über meine Ohren und stopfte überflüssige Strähnen unter den wärmenden Stoff, schnappte mir meinen kleinen Rucksack und ging dann los zu meinen Eltern.
Ein Essen anlässig einer Beförderung. Das hatten wir schon ein paar Mal. Mein Vater arbeitet in einer Bank und hat sich vom Laufburschen bis zum stellvertretenden Geschäftsführer hochgearbeitet. Wenn er mir auch nur ein klein wenig von seinem Karriereerfolg vererbt hätte, wäre ich schon zufrieden gewesen.
Ich nahm zweimal den Bus, und bog nach einer halben Stunde in die Straße ein, die ich einst mit dem Vorsatz verließ, voll im Leben durch zu starten. Mittlerweile vermisse ich die Bodenheizung im Bad. Und auch das leise Ticken der Uhr im Wohnzimmer. Es war ungewohnt in der neuen Wohnung von völliger Stille eingehüllt zu werden.
Ich bog in den Vorgarten ein, stapfte über den Kiesweg zur Haustüre hin. In der Einfahrt standen neben dem Auto meiner Eltern noch ein schwarzer Kombi. Sonst fuhren die Kollegen immer so protzige Angeberteile. Ich klingelte und schaute auf das verzierte Namensschild, in welches Park eingraviert war.
So viele Erinnerungen, so viele schöne Erinnerungen.
Als die Tür aufging, lächelte ich und begrüßte meine Mutter mit einer herzlichen Umarmung.
,,Jae Schätzchen, komm rein, es ist viel zu kalt heute."
Auch der Geruch war wie immer. Die Hausmannskost meiner Mama war ein Segen. Die Aromen der Lavendelblümchen auf der Fensterbank vermischten sich mit dem herrlichen Duft von Kartoffeln und Hänchen.
Während ich meine Schuhe auszog und meine Jacke aufhang, grinste meine Mutter die ganze Zeit so verrückt.
,,Was ist los?", fragte ich belustigt und sie schüttelte den Kopf, ging bereits ins Wohnzimmer, in welches ich ihr kurz darauf folgte.
,,Lang ist es her, Schwesterchen."
,,Das kannst du laut sagen", antwortete ich und starrte Jimin perplex an.
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