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Es regnete. Warum auch eigentlich nicht? Meine Laune hatte ihren Tiefpunkt erreicht, als meine Zukunft dank diesem kleinen Stück Papier nun offiziell in der Scheiße lag. Es war nicht die Kündigung an sich, die mich von der Arbeit in dem teuren Modegeschäft erlöste. Es war der Fakt, dass ich jetzt weder die Miete meiner Bruchbude, noch mein kleines Hobby bezahlen konnte; den Alkohol.
Wütend trat ich die leere Coladose vor meinen Füßen her. Ich war auf dem Weg in meine liebste Kneipe, Steve's Shots. So einfallsreich wie der Name war, so teuer sind auch die Preise für halbwegs guten Stoff, um die Welt um sich herum mal wieder zuvergessen. Die Dose vor mir flog vom Bürgersteig auf die Straße und ich drehte mich um, schaute zur Neonbeleuchtung des Gebäudes rauf. Wie oft ich mich schon hier betrunken und übergeben, mein Geld zum Fenster rausgeworfen und mich zum Affen gemacht habe? - Eindeutig zu oft. Ich drückte die dunkle Tür zu der Bar auf und atmete tief ein. Der Geruch von Zigarrenrauch, billigem Parfum und ein wenig Erbrochenem lies mich gleich wie zu Hause fühlen.
Es war heute Recht viel los, die drei Dartscheiben und der Billiardtisch waren belegt, die Sitzecken randvoll mit knutschenden Pärchen und trinkenden, grölenden Grüppchen. An der Bar war noch etwas frei, also lies ich mich direkt dort nieder, hängte meine durchnässte wasserdurchlässige Regenjacke über die kurze Stuhllehne.
„Und was kann ich dir heute bringen, Jaehee?", fragte Steve mich plötzlich. Der freundliche Barkeeper trocknete gerade Sektgläser ab, stellte sie kopfüber in den Schrank hinter sich.
„Solange du keinen Traumberuf oder Channing Tatum anbietest wird ein einfacher Scotch fürs erste ausreichen müssen."
Der dunkelhaarige Mann lachte und goss mir die gewünschte Flüssigkeit in ein Glas mit zwei Eiswürfeln, stellte es mir vor die Nase.
,,Wurde dir wieder gekündigt oder wie?"
Ich nickte und kippte seufzend das Getränk weg, verzog die Mundwinkel. Das Brennen wärmte meinen Hals mit der vertrauten Note und meine Muskeln entspannten sich etwas, die Wut verrauchte ein wenig. Ich trank Alkohol, vielleicht auch etwas zu viel als der Durchschnitts-Erwachsene, aber ich würde mich nicht gleich als Alkoholikerin betiteln. Ich meine ich nenne doch auch die kleinen Rotznasen von meiner Nachbarin Hyuna nicht fantastisch, weil sie dieses süße Gesöff Fanta tranken.
„Bin ich wirklich so unfassbar unerträglich Steve? Wieso kann ich meine Jobs nie länger als drei Wochen behalten?"
„Du trinkst schlichtweg zu viel", seufzte er und stellte das letzte Sektglas ins Regal, stützte sich dann auf der Theke ab und schaute mich mit einem dieser tadelnden Väter-Blicke an. Steve hatte eine Tochter in meinem Alter, diese studierte allerdings gerade Jura an irgendeiner Universität in Amerika, was mich zu der Frage brachte, wieso Steve eine Bar in Korea leitete. Ich meine das Mädchen heißt Abigail, ein Bild von ihrem Rotschopf hat Steve unter der Theke versteckt, fernab von den dreckigen Gedanken seiner anderen Kunden.
„Nur weil ich einmal eine Flasche in dem verdammten Wrap versteckt habe, heißt es nicht-"
„Du hast auch in einer Teetasse ganz in Ruhe Wodka getrunken", zählte er unbeirrt weiter auf.
„Gib es zu, du fandest die Idee mit dem Teebeutel sei auch eine echte Meisterleistung gewesen."
Steve schmunzelte und schüttele den Kopf: „Ich vielleicht, aber dein damaliger Chef eher weniger."
„Mein damaliger Chef war auch ein echte Spaßbremse."
„Er hat dich aber eineinhalb Wochen gut bezahlt."
„Wohl war."
„Der Alkohol ist dein größter Feind, Jaehee."
„In der Bibel steht geschrieben, ich solle meine Feinde lieben", erwiderte ich achselzuckend und schob ihm das leere Glas wieder zu, damit er es auffüllte.
„Ich glaube nicht, dass es sich wirklich darauf bezogen hat."
„Und ich glaube nicht, dass ich nur hier bin, um mich von dir belehren zulassen. Also-", ich hob mein Glas an und grinste.
„Auf den Alkohol. Die Ursache und Lösung der meisten Probleme."
Steve nickte mir nur zu, als ich auch das zweite Glas weg kippte.
,,Wie geht es deinen Brüdern?"
Ich lies meine Finger über den Rand des Glases streichen: ,,Ganz gut. Jihyun macht gerade sein Auslandsjahr in Japan und Jimin...Jimin lebt ebenfalls seinen Traum von einem koreanischen Idol."
,,BTS hieß seine Band, nicht?", fragte Steve und spülte einen Lappen in der Spüle aus, fing an das dunkle Holz zu polieren.
,,Jepp", ich lächelte, als ich an meinen älteren Bruder denken musste.
,,Er ist heute 23 Jahre alt geworden."
,,Hast du ihn angerufen?"
Ich schüttelte den Kopf: ,,Ich habe ihm über Whatsapp gratuliert, doch die Nachricht hat er noch nicht gelesen."
,,Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?", fragte Steve dann, schaute mich aufmerksam an.
,,Als ich 22 geworden bin. Wir haben geskypt", betonte ich mit einem angesäuerten Gesichtsausdruck.
,,Ich hab zwar nichts dagegen, ich meine mit Jihyun skype ich auch ab und an. Nur weiß ich bei ihm, dass er bald wieder nach Hause kommt. Jimin hingegen ist ja komplett aus geplant."
,,Vielleicht solltest du einfach-"
,,Nein", unterbrach ich ihn und schob ihm das Glas wieder zu ,er füllte es nachdem er den Lappen weg legte auf.
,,Es ist besser so. Besser er konzentriert sich so wie mein anderer Bruder auf seine Träume, statt sich mit seiner kleinen Schwester abzugeben die ihm mit ihren Problemen alles kaputt machen könnte."
,,Jae, er.." , begann Steve, doch ich schüttelte den Kopf und nahm das Glas in die Hand, lies die Flüssigkeit darin hin und her schwappen.
,,Wenn meine Eltern wüssten, was für eine Versagerin ich wäre, wie dreist ich sie belüge.. ich wäre dann nicht nur in meinem Elternhaus sondern in ganz Busan nicht mehr willkommen. Und wenn Jimin es mitkriegt - er wird irgendwas unternehmen, so ist er halt. Also bleibt alles so wie es ist."
,,Du bist keine Versagerin, Jaehee. Du bist 22, ein Alter in dem man vieles ausprobiert. Du hast deinen Traumberuf halt noch nicht gefunden."
,,Kann man professionelle Alkoholikerin werden?", fragte ich dann, trank das Glas in wenigen Zügen aus, während Steve mich schmunzelnd musterte.
,,Du kannst immer hier aushelfen, wenn du magst."
,,Danke Steve", lachte ich und stand auf, legte ihm mein letztes Bisschen Kleingeld auf den Tresen, zog meine ekelhaft feuchte Jacke wieder an.
,,Ich komme darauf zurück, wenn ich keine Alternative mehr habe. Bis denne."
Ich salutierte mit zwei Fingern und verließ die Bar, setzte mir die Kapuze unter dem kleinen Vorsprung über, da es noch immer schüttete. Ich sah in den Himmel.
Also nochmal.
Jaehee Park, versuchen wir jetzt Neuanfang Nummero 38. Vielleicht klappt es ja.
Mit meiner optimistischen Einstellung, die sicherlich dem Alkohol zuzuschreiben war, machte ich mich auf den Nachhauseweg.
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