Ein schlechter Tag

„Shit, shit, shit", zischte ich und trat den Joint schnell auf dem Boden aus, als meine Stiefschwester Mary um die Ecke geschlendert kam. Ich hätte mich besser verstecken sollen, als einfach nur durch die Seitentür und um die Ecke zu den Müllcontainern zu gehen. Tadelnd blickte sie mich aus ihren himmelblauen Augen an und verschränkte die schlanken Arme vor der Brust.

„Och, María, ernsthaft?" Als sie den Kopf schieflegte, fielen ihre blonden Locken über ihre Schulter.

Ich versuchte den restlichen Rauch mit meiner hellbraunen Hand wegzuwedeln, obwohl ich wusste, dass es nichts bringt und seufzte.

„Wenn Mr. Jones dich erwischt, fliegst du von der Schule."

„Ja, ich weiß", stöhnte ich gequält. „Ich hatte eine harten Tag, okay?"

Als ihre Augen sich vor Schreck weiteten, dauerte es einen Moment, bevor ich verstand, wieso sie mit der Hand wedelte und rannte ohne weiteres Zögern weg, sobald die Warnung in meinem trägen Hirn angekommen war. Um die Ecke blieb ich stehen und schnappte nach Luft, doch auch über das Pochen meines Herzens und mein Japsen hörte ich den College-Dekan poltern. Er hielt meiner Schwester einen Vortrag über die Null-Toleranz - Politik der Hochschule in Bezug auf Drogen und mir rutschte das Herz in die Hose. Betreten musterte ich die Backsteinmauer und ließ meine Stirn dagegen sinken. Was zur Hölle hatte ich da gerade getan? Meine Schwester Mary, Vorzeigestudentin, Sonnenschein des Crystal Falls College, meinetwegen suspendiert. Ich überlegte kurz, ob ich zurückgehen und die Sache aufklären sollte, doch vermutlich wären wir dann beide dran.

Niedergeschlagen schlurfte ich durch die Seitentür und den Flur entlang zur nächsten Toilette. Dort drehte ich den Wasserhahn auf und ließ mir erst einmal kaltes Wasser über meine Unterarme laufen, um klarzukommen. Dann formte ich eine Schale aus meinen Händen und trank einige Schlucke. Das war so typisch. Mary war der Sonnenschein und ich der verfickte Mitternachtsregen. Ich machte etwas Dummes, Mary versuchte mir zu helfen und sie bekam den Ärger. Seit mein Stiefvater, der sie aus seiner ersten Ehe mit in unsere Familie gebracht hatte, vor zwei Jahren bei einem Autounfall gestorben war, war es noch schlimmer geworden.

„Ach, fuck it", murmelte ich und spritzte mir das eiskalte Nass ins Gesicht. Mein Make-Up war jetzt auch egal. Als ich den Hahn zudrehte und in den Spiegel schaute, sah ich aus, als hätte ich geweint. Mein schwarzer Bob war zerzaust, meine braunen Augen waren vom Kiffen blutunterlaufen und die schwarze Schminke lief mir über die vom kalten Wasser geröteten Wangen. Jetzt waren immerhin die roten Augen nicht mehr suspekt.

Ich wischte mir das Make-Up mit dem Daumen ab, wusch mir noch einmal die Hände und trat dann wieder hinaus.

*

„Oha, du siehst scheiße aus", begrüßte mich mein bester Freund Sam, als ich den Vorlesungssaal betrat, in dem gleich „Palimpseststrukturen in romantischer Prosa" stattfinden würde. Ich hatte kurz überlegt, ob ich schwänzen sollte, doch da es die letzte Sitzung vor der Klausur war und Prof Biggins immer noch einmal alle wichtigen Inhalte zusammenfasste, hatte mich doch hergeschleppt. Stoned und voller Selbsthass. Passte doch irgendwie zu Autoren der Romantik.

Ich rutschte durch die Klappstuhlreihe zu Sam, wo ich neben ihm in mir zusammensackte und den Kopf auf den Tisch knallte.

„Hey Chica, was ist mit dir los?", murmelte er in sanfterem Ton zu mir und legte seine Hand auf meinen Rücken.

„Wenn ich das nur wüsste", stöhnte ich. „Ich bin der schlechteste Mensch dieser Welt." Ich hob meinen Kopf gerade so weit, dass ich ihm einen Seitenblick zuwerfen konnte. Er fuhr sich mit der freien Hand, durch sein dunkles Haar und musterte mich mit besorgtem Stirnrunzeln aus seinen graugrünen Augen. Ein kleines Lächeln zuckte schließlich um seine Mundwinkel, bevor er sagte: „Das stört dich doch sonst auch nicht."

„Sonst zerstöre ich ja auch nicht das Leben meiner Schwester, wenn sie versucht mich zu retten", nuschelte ich in meinen Ärmel, den ich unter mein Gesicht gelegt habe.

„Naja, irgendwie schon, oder?" Der Penner grinste. Unter dem Tisch trat ich nach seinem Schienbein. Er zischte vor Schmerz und rieb sich die getroffene Stelle. „Erzähl doch jetzt endlich, was du angestellt hast. Schlimmer als das geklaute Auto kann es ja wohl kaum gewesen sein."

„Erinner mich bloß nicht daran", seufzte ich und begann zu berichten, was vorgefallen war.

Sam spitzte seinen Mund zu einem „Uuuuhhh" und zog die Augenbrauen zusammen, als hätte ich ihn nochmal getreten. Und da wusste ich, dass es vermutlich das Schlimmste war, was ich je getan hatte. Noch schlimmer als das geklaute Auto.

„Sie hätte sich aber auch nicht opfern müssen", warf er schließlich lahm ein, als könnte er meine Ehre damit irgendwie vor dem Fall in den tiefen Brunnen retten und ich warf ihm einen abschätzigen Blick zu.

„Du redest über Mary fucking Goodwell. Meine goldige Stiefschwester würde sich auch für eine Fliege opfern." Ich richtete mich auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Sam legte den Kopf schief, als würde er darüber nachdenken und stimmte mir schließlich langsam nickend zu, als Prof Biggins den Saal betrat und die Vorlesung begann.

*

Als ich nach Hause kam, hörte ich bereits durch die geschlossene Wohnungstür, dass meine Mutter die Nachricht von Marys Entlassung aus dem College erhalten hatte. Ich kniff kurz die Augen zu und holte tief Luft, bevor ich die Tür aufschloss und den schmalen Flur betrat.

„Drogen auf dem Campus? Dein Vater würde sich im Grabe umdrehen. Dios mío!" Ihre Stimme war schrill. Das hieß, sie war schon eine Weile dabei sich in ihre Tirade hineinzusteigern. „Was soll ich nur mit dir machen? Ich reiße mir den – María! Hallo, mein Schatz!" Überschwänglich kam sie auf mich zugetrippelt und schloss mich in ihre fleischigen Arme. Ihr graumeliertes kurzes Haar war zerzaust, als hätte sie e sich gerauft und ihre dunklen Augen waren gerötet. Sie hatte geweint. Ich hatte es wirklich verbockt. So richtig. Gerade öffnete ich den Mund, um meiner Mutter die Wahrheit zu sagen, als ich Mary im Augenwinkel den goldgelockten Kopf schütteln sah. Und dann war der kurze potenziell glorreiche Moment des Mutes verpufft und ich sank in mir zusammen.

„Hola", murmelte ich und kickte meine verlotterten Schuhe von den Füßen. „Qué pasa?", gab ich vor, nicht zu wissen, was vorgefallen war. Mary nickte grimmig.

„Ach, deine chaotische Stiefschwester hat es geschafft sich von der Uni werfen zu lassen! Wegen Cannabis! Ist das zu fassen?" Empört schüttelte sie den Kopf.

„Naja, diese Nulltoleranz-Politik ist aber auch übertrieben, oder? Wer ab und zu ein bisschen Gras raucht, ist doch kein Junkie", versuchte ich lahm die Situation zu entschärfen, doch meine Mutter warf mir lediglich einen tadelnden Blick zu, bevor sie sich Mary wieder zuwandte.

„Du, junge Dame, wirst dir einen Ausbildungsplatz suchen. Bis Ende der Woche. Sonst fliegst du aus dieser Wohnung raus. Dann kannst du auf der Straße mit den anderen Süchtigen vergammeln! Ich bin es leid deine Undankbarkeit länger ertragen zu müssen. Wenn dein Vater wüsste, was aus dir geworden ist-" Zitternd holte sie Luft und schniefte dramatisch.

„Mamá! Es ist schon Mittwoch! Wie soll sie denn bis Freitag einen Ausbildungsplatz finden? Das ist unmöglich!" Ich versuchte wirklich, mich für meine Schwester einzusetzen, doch sie ließ mich einfach nicht.

„Ist schon in Ordnung, kleine Schwester. Ich habe gute Zeugnisse. Ich werde etwas finden. Wenn man Fehler begeht, muss man dafür geradestehen." Mary sprach mit ruhiger, fester Stimme und sah meiner Mutter in die Augen, als sie dies sagte.

Völlig entsetzt starrte ich sie an. Mein Mund stand sogar offen. For real. Sie hatte immer schon ein ausgeprägtes Helfersyndrom gehabt, aber das hier war absurd.

Meine Mutter presste die Lippen aufeinander, als hätte sie es lieber gehabt, wenn Mary sich beschwert hätte, wenn sie sich verteidigen würde, ihr irgendeinen Grund geben, weiterzustreiten. Doch so konnte sie nur verärgert den Kopf schütteln und in die Küche stapfen.


1265 Wörter

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