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~Gegenwart
„Hast du schon gegessen, meine Liebe?", fragte mein Bruder fürsorglich.
Ich nickte, während ich an der Wand lehnte und beobachtete, wie seine Freunde an ihren Motorrädern hantierten.
„Sehr schön.", strich er mir sanft über den Arm, bevor er lächelte.
Ich erwiderte es herzlich, obwohl ich nicht in der Laune war. Aber für meinen Bruder sprang ich gerne über meinen eigenen Schatten.
Hongjoong; mein älterer Bruder und derjenige, der für mich verantwortlich war, da unser Vater oft außer Haus zutun hatte. Während unser Vater mit gefährlichen bzw. berauschenden Mitteln arbeitete, die er mit mehreren Kollegen herstellte, um sie dann zu verkaufen, beauftragte dieser meinen Bruder, zu Hause auf mich aufzupassen, Aufträge entgegen zu nehmen und nebenbei in seiner Werkstatt Autos zu reparieren, um sich nicht auffällig zu machen. Dafür standen seine drei engsten und besten Freunde an seiner Seite; Mingi, Yunho und Wooyoung. Zu viert schmissen sie das legale Geschäft meines Vaters und versuchten unauffällig an Kunden heranzukommen, um das eigentliche Geschäft, das illegale Geschäft, zu fördern. Die Jungs versteckten den Stoff meist hier oder wo anders, dealten mit Waffen und versuchten täglich unsere Reichweite zu erweitern. Während Mingi und Yunho die Läufer waren und oftmals in der Werkstatt arbeiteten, machten mein Bruder und Wooyoung die gefährlichere Arbeit. Sie verpfiffen Schmuggler, Heuchler sowie Diebe und kümmerten sich um die Waffen. Es kam somit auch mal vor, dass die beiden jemanden verprügelten oder sogar töteten.
So schaute meine Welt aus... Ich war umgeben von verwerflichen Machenschaften und war mitten drinnen, während ich damals, als ich noch etwas jünger war, gar nichts von dem hier verstand...
Heute verstand ich aber sehr gut. Ich begriff, dass unsere Familie so tief in der Scheiße saß, sodass es keinen Weg mehr hier raus gab. Ich wusste auch, dass meine Familie dazu gezwungen wurde, diesen Weg zu gehen. Schließlich wollte mein Vater seinen Kindern nur eine Möglichkeit bieten, zur Schule gehen zu können. Er wollte seinen Kindern nur etwas zu Essen anbieten können...
Deshalb reagierte Hongjoong so sensibel darauf, wenn es um das Essen ging. Er legte viel wert auf meine Mahlzeiten, weil wir sie früher nie regelmäßig hatten. Wir waren beide sehr dünn gewesen, was den SchülerInnen und der Lehrerschaft nie entging. Damals ging das ganze Geld für unsere schulische Bildung drauf.
Dabei hätte mein Vater mal auf die Bildung ein Scheiß geben sollen, wenn ich daran dachte, wie beschissen diese damals war...
„Ich habe gerade eine Nachricht von eurem Vater erhalten...", sprach Yunho, unser Computergenie. „Er sagt, dass ihnen jemand dicht auf der Spur ist..."
Er schaute auf sein Handy, das einen besonderen Programm drauf hatte. Diesen übertrug er auf unser aller Smartphone, sodass unsere Nachrichten nicht zurückverfolgt werden konnten.
„Dicht auf der Spur? Nicht schon wieder.", seufzte Mingi.
„Wer ist es?", fragte Hongjoong streng.
Diese Strenge eignete er sich über die Jahre an... Mein Bruder war eigentlich kein kalter Brocken gewesen. Noch nie... Aber die Toten und das Geschäft prägte uns beide anders. Eine Tatsache, die mein Vater verhindern wollte... Nur leider konnte man seine Kinder nicht vor allem und jeden schützen.
„Er hat keinen Namen, aber Fotos. Hier.", reichte Yunho meinem Bruder das Handy.
Dieser konnte sich somit die Fotos desjenigen ansehen, der hinter dem Geschäft meines Vaters kommen wollte und wohl kurz davor stand. Wooyoung winkte mich zu sich rüber, sodass ich mich von Wand abstützte, um mir die Fotos ebenfalls ansehen zu können. Sobald ich mich zu ihnen stellte, erkannte ich die Person, die sie sich ansahen. Es handelte sich hierbei um einen jungen Mann, der zwischen 20-30 Jahren sein müsste. Er trug schwarzes Haar und schien etwas größer zu sein. Er war recht gut gebaut, wobei sein Gesicht nicht sonderlich zu erkennen war. Dennoch konnte ich sehen, dass seine Lippen dicker ausfielen, seine Augen etwas größer waren und der für jemanden, der meinem Vater näher kam, zu gepflegt aussah.
„Und jetzt? Sollen wir ihn aufsuchen?", fragte Wooyoung, dabei war seine Frage eher an meinen Bruder gerichtet.
Yunho schüttelte den Kopf.
„Chef sagte, das sei ein Auftrag für Y/N..."
Auf der Stelle landeten alle Blicke auf mir. Nur mein Bruder sah verwundert zu seinem Freund.
„Wieso?"
„Weil sie die beste Schützin von uns ist.", erkannte Mingi das entscheidende Detail.
Die beste Schützin...
Damals wusste ich nicht, ob ich auf den Titel stolz sein sollte...
Doch heute? Heute trug ich den Titel mit gehobenem Kinn. Ich konnte selbstbewusst sagen, dass ich keines meiner Ziele verfehlte, es sei denn, ich wollte es so. Dabei war egal, von welcher Entfernung gesprochen wurde. Sobald ich meinen Sniper hatte, meine Lieblingswaffe, war auf mich zu zählen.
Die Leute in dem Geschäft lobten mich dafür. Ich bekam für eines meiner Talente die Anerkennung, die ich verdiente. Auf diese wurde nicht gespuckt und getreten, wie es vermutlich die Menschen aus meiner Vergangenheit gerne getan hätten, weil sie mich für ein Nichtsnutz hielten.
Nein... Ich konnte endlich auch mal was und das wurde gesehen.
„Exakt richtig!", schnalzte Yunho mit der Zunge. „Der Typ ist nämlich ein Polizist und muss von einer weiten Entfernung erschossen werden."
Wie von selbst musste ich die Augen schließen, sobald darüber gesprochen wurde, dass es ein Polizist war, den ich aufsuchen musste.
Ich dachte automatisch an meine Mutter. An meine geliebte Mutter, die vor meinen und den Augen meines Bruders erschossen wurde...
„Mama!", schrie ich auf, sobald der Schuss ertönte.
Ich saß im Auto, sodass mich keiner hören könnte, bis auf mein Bruder, der mindestens genauso schockiert aus dem Autofenster sah, wie ich es tat...
Da fiel sie nämlich auf einmal...
Unsere Mutter...
Ihr fielen all die Tüten aus der Hand, in denen sie die Einkäufe drinnen hatte, mit denen sie uns Sushi versprach... All die Lebensmittel rollten von ihr, während sie in Zeitlupe fiel. Der laute Knall brannte sich in mein Kopf, ähnlich wie der Anblick des Blutes, das aus dem Körper meiner Mutter floss.
Mein Mund stand mir offen, als ich meine Hand an das Autofenster drückte.
Sie... Sie hatten sie erschossen...
Und das schlimmste daran war... Dass sie gar nicht getan hatte. Sie war doch nur einkaufen...
Ich musste bei der Erinnerung die Augen öffnen.
Aber damals verstand ich es nicht. Heute begriff ich es jedoch.
Meine Mutter war eine loyale Frau und mit meinem Vater glücklich verheiratet gewesen. Sie hätte ihn niemals verraten, auch nicht, wenn dafür ihr Leben auf dem Spiel stand.
Sie wollte flüchten...
Denn ihr lag nicht nur das Leben ihres Ehemannes am Herz... Ihr war die finanzielle Zukunft ihrer Kinder wichtiger gewesen...
Und das. Genau das... Konnten privilegierte Menschen, die alles in den Hintern geschoben bekamen, nicht nachvollziehen. Deshalb hielten sie ihre Finger auch an den Abzug.
Denn sie mussten nie hungern... Nie so, wie es meine Familie tun musste...
„Bist du bereit dazu, Y/N?", fragte mich mein Bruder mit sanfter Stimme und ich nickte.
Ich wusste, dass es für ihn wirkte, als wäre ich alles andere, nur nicht bereit. Für ihn war ich aber immer noch das kleine Mädchen, das von ihren Klassenkameraden gehänselt wurde und die sich nicht wehren konnte... Dabei sollte Hongjoong langsam begreifen, dass ich erwachsen wurde. Ich hatte bereits vier Aufträge hinter mir. Ein fünfter würde mir auch nichts mehr anhaben können...
„Na, gut... Lass ihr die Fotos zukommen, Yunho.", befahl er.
Yunho nickte, worauf die anderen sich wieder ihrer Arbeit widmeten.
Ich hingegen besuchte die geschlossene Kammer in der Kfz-Stelle. Ich begab mich dorthin, wo mein geliebt Sniper sich aufhielt...
Die Tür zu der Kammer geöffnet, erwartete ich eine große Staubwolke, weil mein letzter Auftrag ein halbes Jahr her war. Da die Jungs sich regelmäßig aber hier drinnen aufhielten, sah es doch ziemlich ordentlich aus und auch vom Staub war gar nichts zu sehen. Somit schritt ich hinein, nur um an all den Kisten entlang zu gehen und am Ende der Kammer die Tasche zu sehen, die meinen Sniper drinnen hielt. Ich kniete mich zu der Tasche runter, worauf ich den Reißverschluss öffnete. Ohne groß zu zögern, nahm ich das Gewehr hervor. Ich umfasste meinen geliebten Sniper, wobei es sich so anfühlte, wie vor einem halben Jahr. Er fühlte sich genauso schwer...
„Y/N...", vernahm ich plötzlich die Stimme meines Bruders.
„Hm?", gab ich von mir, ohne mich zu ihm gedreht zu haben.
„Der Typ, der von dir erschossen werden muss..."
Ich musste über meine Schulter gucken, als er eintrat.
„Ja?", drehte ich mich endgültig zu ihm.
„Sein Vater hat unsere Mutter getötet..."
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🌚... Hi.
Ein weiterer Einblick, nur dieses Mal in die Gegenwart. Mhm... Wie fandet ihr den? Eher lame oder sind die gegebenen Umstände nachvollziehbar?
Mal sehen, was ihr vom nächsten Kapitel halten werdet! Ich hoffe... Nur gutes 🙊
Stay Healthy&In love,
N 💜
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