Kapitel 16

Wie sollte Barry diesen Morgen nur beschreiben?
War er vor wenigen Tagen noch deprimiert und an Entzugserscheinungen leidend durch die Gegend geschlurft und hatte jede Person, die ihn auch nur schief ansah, mit Arbeit überladen oder auch gerne mal beleidigt, heute sah die Welt ganz anders aus: Die Sonne hörte gar nicht mehr auf zu scheinen, die Vögel zwitscherten und er kam sich vor, als wäre er direkt in einen Kitschfilm hinein spaziert. Dass er aus besagtem Film den Ausgang nicht mehr fand, machte ihm nichts aus, denn wenn man ihn fragte, konnte dieser Zustand gerne ewig währen. Selbst der anstehende Raub am nächsten Tag löste in ihm nicht mehr so große Schuldgefühle aus. Stattdessen erinnerte ihn die ganze Situation an die Ocean's-Filme mit einem Touch von Bonnie und Clyde – nur ohne das tragische Ende.
„Morgen, Boss", begrüßte ihn Mick ein wenig brummig von der Seite, als er Allen Research Laboratories betrat.
Barry wandte sich dem besten Freund seines Vaters zu und grüßte zurück: „Einen wunderschönen guten Morgen, Rory."
Dieser blieb stehen, runzelte die Stirn und musterte Barry von Kopf bis Fuß. „Haben Sie was genommen? Wenn ja, das Zeug will ich auch."
„Natürlich nicht!" Barry tat entrüstet, konnte aber nicht aufhören zu grinsen. Über sich selbst den Kopf schüttelnd, machte er eine abwehrende Handbewegung und ging voran zum Fahrstuhl. Dabei war er sogar so nett, die Fahrstuhltür zu stoppen, als sie sich direkt vor Micks Nase schließen wollte.
Sein Angestellter warf ihm einen letzten skeptischen Blick zu. Auf einmal hellte sich seine Miene auf: „Haben Sie etwa eine Lösung für das Strom-Problem gefunden?"
Barrys Laune trübte sich ein wenig. Er kratze sich im Nacken, während sich zwischen seinen Brauen eine steile Falte bildete. „Leider nicht. Auf der Erde scheint es nichts zu geben, was dafür genug Energie besi-" Er stoppte mitten im Satz. „Das ist es. Ich brauche nichts von der Erde!"
Mick sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren, aber das war dem Speedster egal. Er hatte nun die Lösung für sein Problem.

~*~

„Damit das hier klar ist", sagte Kara genervt auf und ab gehend, „ich bin nicht dein Notfallplan für alles. Morgen bin ich die Ablenkung – schön! Aber das mache ich hauptsächlich wegen dem Spaß und der Kohle, die dabei rausspringt. Lenas Firma ist nämlich käuflich."
Barry kam da nicht ganz mit. Weswegen war er nochmal hier? Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wie sie es gerade innerhalb von Sekunden vom Thema außerirdische Energiequelle zu L-Corp geschafft hatten. „Du willst die Firma deiner besten Freundin kaufen?"
Kara sah ihn an, als wäre er ein Kleinkind. „Nein? Barry, hörst du mir überhaupt zu? Ich will die Firma meiner Ex-besten-Freundin untergraben, nicht kaufen. Oder denkst du ernsthaft, ich will diesen Stress? Ich will, dass ihre Kryptonit-Waffen auf eine Art gebaut werden, dass sie gar nicht erst funktionieren."
Der Speedster zog die Brauen skeptisch zusammen, kommentierte diesen fragwürdigen Plan aber nicht. „Schön, sorgst du nun dafür, dass ich dieses Ding kriege?"
„Kein Problem." Kara setzte ein breites Lächeln auf. „Du bekommst es... nach dem Raubzug. Deal?" Sie streckte ihm die Hand entgegen. Das ließ sie wieder ein wenig wie die Superheldin wirken, die sie einmal gewesen war.
Kurz zögerte Barry – eigentlich würde er die Energiequelle lieber früher als später in seinen Besitz bringen – schlug schließlich aber ein. „Deal. Darf ich dich auf einen Drink einladen? Wir haben schon lange nichts mehr gemeinsam unternommen."
Misstrauen schlich sich für einen Moment auf Karas Gesicht, dann zuckte sie die Achseln. „Gerne, Barry. Vielleicht magst du mir dann auch mal erzählen, wer dich momentan so glücklich macht."
„Was meinst du?" Das Blut schoss ihm ins Gesicht.
Kara schnaubte belustigt. „Tu nicht so, man sieht dir sofort an, dass du Hals über Kopf verliebt bist. Glückwunsch." Das schien sie nicht ironisch zu meinen.
„Äh, danke", murmelte er, immer noch knallrot vor Verlegenheit. Ihm war bewusst, dass er sich wie ein verliebter Zwölfjähriger aufführte, aber er konnte nicht anders. Schnell lenkte er vom Thema ab: „Welche Bar? Danach Sushi?"
Sonderlich viel Zeit hätte er aufgrund seines Superhelden-Daseins eigentlich nicht mit Kara verbringen können, aber er entschloss sich, die Benachrichtigung zu ignorieren, die auf seinem Handy aufblinkte, als er gemeinsam mit Kara in einer schmuddeligen Bar saß, massenhaft Sushi aß und an die Shots sechzig Shots runterkippte. Ehrlich gesagt hatte er ziemlich viel Spaß, und daher las er das Alert auch gar nicht.
Es war eine Notfallmeldung aus S.T.A.R. Labs. Sie ging von Thea aus.

~*~

Es hatte nicht einmal wirklich harmlos angefangen.
Theas Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt, und das die meiste Zeit, die sie in S.T.A.R. Labs verbrachte, da Caitlin jede Sekunde von ihrem Training in Star City zurückkehren konnte. Und diesen Moment fürchtete sie, so schwer es ihr auch fiel, das zuzugeben. Diese Psychopathin, die sich zwischen sie und Barry gedrängt hatte, machte ihr schlichtweg Angst.
Und dann stand die brünette Barkeeperin auf einmal im Cortex und starrte Thea mit diesem durchdringenden Blick an, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte.
„Barry ist noch nicht zurück", sagte Thea mit zerbrochener Stimme. Sie hasste sich dafür, jetzt schwach zu wirken, aber sie wusste, alleine hätte sie gegen ein mörderisches Metawesen keine Chance. Daher machte sie sich erst gar nicht die Mühe, ruhig zu wirken, da das bei ihrem Gegenüber möglicherweise den Eindruck erwecken könnte, eine Machtdemonstration wäre nötig.
„Ich weiß", sagte Caitlin bloß, ohne eine echte Gefühlsregung zu zeigen. Ein kleines, feines, aber bedrohliches Lächeln zupfte an ihrem Mundwinkel. „Aber nach ihm habe ich auch nicht gesucht. Sondern nach dir."
Thea merkte, wie ihre Beine nahezu unter ihr nachgaben, und stützte sich hastig mit der Hand auf ihrem Schreibtisch ab. Es war widersinnig: Sie kämpfte auf den Straßen als Speedy, die maskierte Rächerin, gegen allerlei Bösewichte, und doch zitterte sie gerade wie Espenlaub. Denn gerade war sie nur sie selbst, keine gewissenlose Killerin, keine Terroristentochter – nur Thea. Und die sah sich wirklich nicht in der Lage, gegen einen Eismeta zu kämpfen.
„Wieso hast du nach mir gesucht?" Alles in ihr schrie nach Flucht. Dazu fröstelte sie. Ihr war, als habe Caitlin den Raum um einige Grade heruntergekühlt.
„Wir müssen reden."
„Worüber?" Thea wurde immer leiser.
Caitlins Lächeln wurde breiter, aber auch angsteinflößender. „Über deine... Gefühle." Die Kunstpause war wohlüberlegt gesetzt worden, und das merkte man, aber sie erfüllte ihren Zweck. Thea war in einer Verfassung, in der sie Caitlin alles erzählt hätte, nur damit sie sie in Frieden ließ.
Die Brünette machte einen Schritt auf Thea zu, hielt inne, als mache es ihr Spaß, die Jüngere zurückzucken zu sehen. Dann setzte sie sich überraschenderweise auf den Drehstuhl und lehnte sich zurück. „Lass uns plaudern. Setz dich doch auch, so wie jetzt ist es ungemütlich."
Dankbar schnappte sich Thea Ciscos Stuhl und nahm dort mit zitternden Knien Platz, möglichst weit von Caitlin weg. Dann schwieg sie. Sie selbst würde nicht den ersten Schritt in dieser Konversation machen.
Ein entnervtes Seufzen seitens der Psychopathin. „Stumm geworden, oder was? Mich soll diese Unhöflichkeit nicht stören, solange du gleich antwortest. Warst du mal mit Barry zusammen?"
Verdutzt blinzelte Thea. „N-nein?" Diese Gesprächswendung hatte sie irgendwie nicht kommen sehen.
„Gut." Caitlin sah nun um einiges freundlicher drein – wenn man das Verschwinden dieses eisigen Lächelns als ‚freundlicher' zählte. „Bist du in ihn verliebt?" Das Wort sprach wie ein Fremdwort aus und ließ so keinen Zweifel daran, dass sie nicht wusste, was es wirklich bedeutete.
„Nein." Irgendetwas sagte ihr, dass egal, was sie gesagt hätte, die Antwort offensichtlich war. Allein schon bei der Frage war Theas Gesichtsfarbe zu einem unangenehmen Rotton gewechselt.
Spöttisch zog Caitlin eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Wie du meinst. Wag es aber bloß nicht, mich noch einmal anzulügen, okay?" Das sagte sie ganz entspannt, in einem Ton, als würde sie ihr vergeben, ihre Lieblingstasse fallengelassen zu haben.
Am liebsten wäre Thea aufgesprungen und weggerannt, aber sie konnte sich im Anschluss an diese Vorstellung bereits über den gefrorenen Boden schlittern und ausrutschen sehen. Nebenbei gesagt fehlte ihr gerade die Kraft, um sich auch nur ein kleines bisschen zu rühren. Fieberhaft überlegte sie, wie sie ihr Handy zücken und einen Notruf senden könnte, fand aber keine Möglichkeit. „Okay, meinetwegen. Keine Lügen mehr. Natürlich nicht." Sie redete, denn sie hatte mit einem Blick in Caitlins Augen gemerkt, dass sie in Gefahr war, egal, was ihr frostiges Gegenüber behauptete.
Ihr seltsames Benehmen traf bei Caitlin auf keinerlei Irritation, es interessierte sie schlicht einfach nicht. „Hör mal, eigentlich habe ich nicht wirklich Lust, dieses Gespräch zu führen", sagte Caitlin überdeutlich, so als redete sie mit einem Kleinkind. „Also lass mich eine Sache klarstellen: Du hältst dich von Barry fern. Keine Widerrede."
Ohne dass eine von beiden es erwartet hätte, gab Thea Caitlin eine heftige Ohrfeige, die den Eismeta benommen vom Stuhl rutschen ließ. „Kommt nicht infrage", zischte Thea, zog ihr Handy und drückte auf den Notfall-Button. Dann wartete sie ein paar Sekunden, aber kein rettender oranger Blitz erschien im Cortex.
Caitlin hielt sich den Kopf und starrte Thea mit hellblau leuchtenden Augen an, als würde sie sie liebend gerne in der Luft zerreißen. Das Karamell der Haare des Eismetas wich einem Weiß, das sich vom Ansatz bis in die Spitzen zog. Die Wimpern wurden länger und dichter, das Makeup dunkler, markanter, mit einem silbrigen Touch am inneren Augenwinkel. Die Lippen waren blaugefroren.
Voller Entsetzen hatte Thea zugesehen, aber nun drang etwas zu ihr durch, das in ihr alle Lebensgeister erweckte: Caitlin würde sie töten.
Ohne noch eine Sekunde zu zögern, rannte Thea los, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her.

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