Victoria POV
--
Die Schulwoche verging wie im Flug, und plötzlich stehe ich vor meiner Haustüre mit meinem Handgepäckkoffer, bereit um mit Jasper und seiner Familie für ein Wochenende wegzufahren. Meine Gasteltern waren überraschenderweise sofort überzeugt von der Idee, Chris hat sich sogar sehr gefreut dass ich schon so schnell Anschluss gefunden habe. Keshaw hat sich mit keiner Silbe dazu geäussert, doch ich kann mir vorstellen dass er die Idee eher nicht so prickelnd findet. Immerhin kann er Jasper nicht leiden, was auf Gegenseitigkeit beruht. Das ist aber nicht mein Problem - ich freue mich jedenfalls auf das Wochenende.
Ein grosser SUV biegt auf den Kiesplatz vor dem Haus ein, und sofort entdecke ich Jasper hinter dem Steuer. Er winkt mir zu, parkiert, und steigt aus. „Hey!", begrüsse ich ihn fröhlich, und drücke dem Jungen einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „Hey du", erwidert Jasper mindestens so glücklich, und greift nach meinem Koffer. „Wo ist denn der Rest?", frage ich verwundert als ich sehe, dass nur Jasper im Auto sass, und verlegen kratzt dieser sich im Nacken. „Also... eventuell habe ich ein wenig gelogen", stammelt er dann, und abwartend hebe ich eine Augenbraue.
„Meine Eltern kommen nicht mit, weil Emery auf einen Geburtstag eingeladen wurde und das ganze Wochenede mies drauf gewesen wäre, wenn sie nicht hätte gehen dürfen. Sie kann aber nur in ihrem eigenen Bett ruhig schlafen, und meine Eltern haben deshalb entschieden zu Hause zu bleiben bei Emery. Somit sind wir alleine." Ich nicke langsam, finde aber nichts Abwegiges an dem Gedanken, ein Wochenende alleine mit Jasper zu verbringen. Vielleicht lerne ich ihn endlich etwas besser kennen und endlich mit mir selbst vereinbaren zu können, was genau zwischen uns eigentlich läuft.
„Das ist schade, ich habe mich auf die Kleine gefreut. Aber keine Angst, du wirst dich sicher als guter Emery-Ersatz beweisen können." Sprachlos sieht Jasper mich an, und lachend steige ich auf der Beifahrerseite ein. „Das bekommst du zurück", motzt Jasper als er ebenfalls einsteigt, doch ich sehe sein Mundwinkelzucken sofort. „Das glaube ich erst wenn's soweit ist", lache ich leise, und mache es mir bequem.
--
„Willkommen in New York", trällert Jasper als die ersten Wolkenkratzer der New Yorker Skyline in Sicht kommen, und obwohl ich schon oft hier war kann ich mich trotzdem noch wie ein kleines Kind für diese absurd hohen Gebäude begeistern. Ich spüre Jaspers Blick auf mir während mein Gesicht so gut wie an der Scheibe klebt, doch davon lasse ich mich nicht stören. Ich mag New York einfach. „Ab hier dauert es nur noch etwas mehr als zwanzig Minuten", teilt Jasper mir mit, und ich nicke völlig in einer anderen Welt versunken. „Wir haben ein Penthouse mitten in der Stadt", fügt er dann noch hinzu, und wie von der Tarantel gestochen drehe ich mich um.
„Machst du Witze?!", frage ich aufgedreht, und lachend schüttelt mein Fast-Freund den Kopf. „Nein, tue ich nicht. Ich werte deine Reaktion mal positiv?" Wild nicke ich, und ein breites Lächeln macht sich auf meinem Gesicht breit. Mitten in New York! Ein Penthouse! Ich ziehe um.
Nach dieser Neuigkeit stört mich auch der dichte, chaotische Verkehr in New York absolut nicht mehr, und alles was ich tun kann ist, begeistert alles um mich rum zu mustern als wäre ich das erste Mal hier. „So, da sind wir", seufzt Jasper als wir in eine Tiefgarage fahren, und kurz darauf lädt er meinen Koffer aus. „Wie viele Stockwerke fahren wir?", frage ich aufgeregt, und lächelnd ergreift Jasper mit seiner freien Hand meine Hand. „Genug, glaub mir. Du wirst es sehen."
Nur teilweise zufrieden mit dieser Antwort lasse ich mich von Jasper zu den Aufzügen ziehen, und stelle schnell fest, dass er garantiert nicht untertrieben hat - beim zehnten Stockwerk höre ich auf zu zählen und vertraue der Anzeigetafel genug um nicht davon auszugehen, dass sie der Touristen wegen um fünf oder zehn Stockwerke lügt. Tatsächlich steigen wir beim sechzehnten Stockwerk aus - wobei dieses Stockwerk nur mit einem Badge erreicht werden kann - und betreten direkt ein grosses, helles Apartment - mit einer Wendeltreppe in der Mitte des Raumes. Während Jasper unser Gepäck aus dem Lift lädt laufe ich sofort zur grossen Fensterfront und bleibe begeistert davor stehen, als sich mir eine atemberaubende Aussicht bietet.
„Wow", flüstere ich völlig überwältigt, und muss mir schnell eingestehen: das hier ist besser als jedes Hotel, in dem ich bisher hier genächtigt habe. „Krass, was?", schmunzelt Jasper als er neben mir zum Stehen kommt, und legt mir eine Hand an die Taille. „Ohja. Wie könnt ihr sowas denn bezahlen? Das ist doch mega teuer!" Jasper zuckt mit den Schultern, und ich lehne meinen Kopf an seinen Oberarm. „Ich weiss nicht genau was passiert ist, aber meine Eltern hatten definitiv auch Glück mit diesem Penthouse. Es gehörte mal einem guten Freund der Familie, und durch irgendeinen Deal konnten meine Eltern es ihm abkaufen."
--
„Ich bin gleich wieder da, du kannst schon mal bestellen wenn du willst", teilt Jasper mir mit, und erhebt sich von seinem Stuhl. „Was willst du denn?", frage ich verwirrt, woraufhin meine Begleitung sich nochmals umdreht. „Was du nimmst", erwidert Jasper, und verschwindet in Richtung Toiletten. Ich zucke mit den Schultern und beschliesse, die Karte weiter zu studieren. Jasper hat mich, um ein schönes Wochenende einzuläuten, in ein teures Restaurant ausgeführt. Ich war hier schon mal mit meiner Familie, doch mit Jasper ist es sofort etwas völlig anderes. Es fühlt sich gut an, so als wäre ich zum ersten Mal wirklich hier.
Einige Minuten verstreichen, und entgegen Jaspers Bitte warte ich mit bestellen. Nach einer Viertelstunde beschliesse ich, nachschauen zu gehen. Schnell erhebe ich mich, streiche mein Kleid glatt und bahne mir in meinen High Heels einen Weg zwischen den Tischen durch. Ich betrete den Bereich der Badezimmer, laufe an einem knutschenden Paar vorbei, und stelle mich vor der Männertoilette hin. Ganz hinein traue ich mich dann doch nicht.
Das Paar hinter mir verhält sich nicht gerade unauffällig, und als das Mädchen lauter werdende Seufzer von sich gibt, drehe ich mich um - und erstarre an Ort und Stelle. $
Das Mädchen seufzt wegen Jasper.
Magensäure kriecht langsam in mir hoch, und ohne auf mich aufmerksam zu machen tragen meine Beine mich von selbst in den Restaurantbereich zurück. Dort sammle ich wie in Trance meine Sachen zusammen, lasse mir vom Portier meinen Mantel bringen, und verlasse das Restaurant ohne nur eine Träne vergossen zu haben - bis ich die kühle Nachtluft auf mir spüre, und sich die Bilder von eben erneut abspielen. Ganz langsam werden meine Augen feucht, und als ich mich umdrehe sehe ich, wie Jasper mit unordentlicher Frisur zum Tisch zurückkehrt - und sieht, dass dieser leer ist.
Bevor er mich hier draussen entdecken kann werde ich meine Schuhe los und fange an, so schnell wie noch nie zu laufen. Währenddessen laufen meine Tränen mittlerweile unaufhaltsam, und laute Schluchzer kommen über meine Lippen. Einige nächtliche Passanten drehen sich zu mir um, doch ich ignoriere sie und laufe, bis ich irgendwann anhalten muss um zu verschnaufen. Erst dann spüre ich das Vibrieren meines Handy's, und obwohl ich mir sicher bin dass es nur Jasper ist, hole ich es doch hervor.
Tatsächlich habe ich einige verpasse Anrufe und Nachrichten von diesem Arschloch, und als ich seinen Namen auf dem Display sehe zieht sich alles in mir schmerzvoll zusammen - doch zwischen all den Nachrichten finde ich tatsächlich auch Keshaw.
Keshaw: Gut angekommen?
Komischerweise fange ich noch heftiger an zu heulen als ich an meinen Gastbruder denke, und kurzerhand beschliesse ich, ihn anzurufen. Und tatsächlich meldet Keshaw sich sofort.
„Vicky, hey", begrüsst er mich, worauf ich mit einem lauten Schluchzer antworte. „H-Hey", stammle ich ins Mikrofon, und presse mir die Hand auf den Mund um nicht noch lauter zu heulen. „Scheisse was ist passiert? Hat er etwas gemacht?" Ich atme einige Male durch, um überhaupt sprechen zu können, und schlucke hörbar. Dann fange ich an Keshaw zu erzählen, was passiert ist, wobei ich immer wieder von Schluchzern unterbrochen werde. Währenddessen höre ich auf der anderen Seite ein Rascheln und Schritte.
„Wo bist du jetzt?", fragt Keshaw als ich fertig bin, und ich schaue mich um. „Keine Ahnung", flüstere ich, und beisse mir fest auf die Lippe. „Ich bin einfach losgerannt." Ich höre Keshaw seufzen, und daraufhin etwas leise klimpern. „Schick mir deinen Standort, okay? Setz dich in ein Café oder so, und bestell dir etwas Warmes. Wir finden eine Lösung, hörst du?" Ich nicke, und murmle ein "mhm" ins Telefon. „Ich habe Freunde in New York, und wenn dich keiner von denen bei sich schlafen lassen kann, buchen wir dir ein Zimmer. Wo ist dein Gepäck?"
Keshaw's klarer Kopf beruhigt mich gerade immens, und mittlerweile ist es mir wieder möglich, einige Worte nacheinander zu sagen, ohne dabei zu schluchzen. „Das ist noch im Penthouse", erwidere ich leise, und wische mir mit dem Handrücken meine Tränen weg. „Aber die wichtigsten Dinge habe ich bei mir. Um den Rest kümmere ich mich morgen."
„Okay, gut. Hol dir was warmes zu trinken und schick mir zur Sicherheit deinen Standort, ja?" Ich nicke. „Mach ich", murmle ich, und fahre mir durch die Haare. „Danke, Kesh." Ich höre ein leises Lachen am anderen Ende. „Nicht dafür, Vicky. Ich bin gerade bei Ash, sollte etwas sein und du kannst mich nicht erreichen, ist er auch erreichbar, okay? Hast du seine Nummer überhaupt?" Diesmal lache ich leise, wobei es eher aus Verzweiflung ist, und nicke erneut, obwohl Keshaw das nicht sehen kann. „Ja, habe ich. Ich melde mich."
„Gut. Bis später, pass auf dich auf."
Ich lächle. „Bis später." Ich lege auf, schaue mich um, und erblicke am Ende der Strasse tatsächlich das erste Café. Gefasster schlüpfe ich wieder in meine Schuhe, wische die letzten Tränen weg und mache mich auf den Weg. Im Café angekommen erhalte ich zwar fragende Blicke, doch keiner kommt auf mich zu - was mir gerade recht ist. Wie abgemacht schicke ich Keshaw meinen Standort mit einem Bild des Café's, und bestelle mir dann eine heisse Schokolade. Für Kaffee ist es definitiv zu spät, und Alkohol sollte ich vielleicht auch nicht zu mir nehmen.
Keshaw: Wunderbar. Ein Freund von mir, Jonas, wird dich in zwei Stunden abholen - es geht leider nicht früher -, du kannst bei ihm auf dem Sofa schlafen. Keine Angst, er ist ein netter Kerl.
Victoria: Danke dir. Diese zwei Stunden bringe ich schon rum.
--
Mittlerweile sind diese zwei Stunden vorbei, in denen ich keine Sekunde an etwas anderes als Jasper und das Mädchen denken konnte, und so langsam spüre ich, wie sich die Müdigkeit in mir breitmacht. Hoffentlich hat Jonas nicht noch Verspätung, sonst schlafe ich hier an Ort und Stelle ein. Ich bin gerade an meiner dritten heissen Schokolade, und spüre dass ich nicht noch eine vierte bestellen sollte, als sich im Hintergrund die Schiebetür öffnet.
„Ich soll hier eine Victoria abholen?"
Hä? Diese Stimme kenne ich doch?
Ruckartig schaue ich von meiner Tasse auf, und erkenne tatsächlich Keshaw, der lässig durch das Café spaziert kommt, und mich anschmunzelt.
„Kesh?!", frage ich völlig verblüfft, und ohne nachzudenken stehe ich auf und umarme eben genannte Person. Keshaw drückt mich unerwartet fest an sich, und platziert sein Kinn auf meinem Kopf. „Dachtest du wirklich ich lasse dich alleine heulend durch New York rennen?", murmelt mein Gastbruder, was mir sofort wieder die Tränen in die Augen treibt. Seine Umarmung fühlt sich gut an, vor allem jetzt.
„Danke", flüstere ich leise, und spüre, wie die erste Träne läuft. Während ich zum zweiten Mal an diesem Abend anfange zu heulen, hält Keshaw mich einfach fest und schweigt - genau, was ich gerade brauche. Es hört sich absurd an, vor allem wenn man darauf achtet wie unser Verhältnis vor noch nicht mal zwei Wochen war, doch gerade ist Keshaw alles, was ich brauche. Wer hätte das erwartet.
--
Kesh ^.^
Meinungen zum Kapitel?
Vergesst das Sternchen nicht <3
- Xo, Zebisthoughts
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top