THIRTY-THREE - Freunde

Victoria POV

--

Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung ob es der Arm, der gerade auf meinem Bauch gelandet ist, oder der dumpfe Schmerz in meinem Kopf ist, der mich geweckt hat - auf einer Schmerzskala würde beides etwa denselben Wert erreichen. Fakt ist aber dass ich nun wach bin, und nach einem kurzen Blick neben mich wünsche ich mir nichts sehnlicher als gleich wieder einschlafen zu können.

Dass Keshaw und ich ein Bett teilen erscheint mir als logisch, aber dass wir das eng aneinandergekuschelt tun erscheint mir als etwas fragwürdig.

Ich runzle die Stirn das der Schmerz hinter meiner Schläfe nicht weniger wird und frage mich, woher er kommt. Bis mir innerhalb einer Sekunde sehr schnell klar wird, dass wir uns gestern Abend ziemlich betrunken haben. Ich seufze und will die Bettdecke zurückschlagen, als die kühle Luft nicht nur wie erwartet meine Beine und Arme streift, sondern meinen gesamten Körper. Erschrocken blicke ich an mir herab und stelle nüchtern fest, dass ich nichts ausser eine Unterhose trage. Gar nichts.

„Oh mein Gott", flüstere ich leise als mein Blick langsam zu Keshaw schweift, und ganz langsam zähle ich eins und eins zusammen. Wir haben miteinander geschlafen, und ich kann mich nicht mal richtig daran erinnern. Keshaw ist mein Gastbruder. Bis vor paar Wochen habe ich ihm die Pest an den Hals gewünscht. Und ausserdem habe ich erst gestern abgebrochen was auch immer zwischen Jasper und mir war.

Ich schlucke leer und versuche so ruhig wie möglich aus dem Bett zu steigen, ehe ich mir ein willkürliches Shirt aus meinem Koffer schnappe und im Badezimmer verschwinde. „Scheisse, scheisse, scheisse", fluche ich ständig wieder leise, während ich mir durch meine völlig verstrubbelten Haare fahre und im Badezimmer auf und ab gehe. Das hätte nicht passieren sollen. Ich muss noch einige Monate bei meiner Gastfamilie sein, wie soll ich mich je wieder wie eine normale Gastschwester fühlen wenn Kesh und ich diese Grenze ganz klar überschritten haben?

Ich werde ihn nie mehr als bloss einen guten Freund sehen können. Ich kann mir vorstellen dass Keshaw hiermit gut klarkommen wird, immerhin ist er berüchtigt um seinen Frauenverschleiss vor dem Aufhalt im Internat, aber ich bin nicht so. Eigentlich. Ich habe keine meterlange Liste mit One-Night-Stands, nicht dass ich überhaupt eine Chance auf solch eine Liste hätte - wahrscheinlich würden meine Eltern mich vor die Türe setzen wenn ich ihrem Ansehen dermassen schädigen würde. Mich als unerfahren zu betiteln was diese Situationen angeht ist also definitiv angemessen.

Mit einem lauten Seufzen setze ich mich auf den Toilettendeckel und stütze meine Ellbogen auf meinen Oberschenkeln ab. Was ist wenn Keshaw mehr in diese Situation interpretiert? Ich lasse meinen Kopf in meine Hände fallen und schüttle ihn dann einige male. Nein, das wird er nicht. Hoffe ich jedenfalls, denn das würde die Situation nicht gerade einfacher machen.

„Vicky?"

Ich erstarre mitten in meiner Bewegung und versuche, mich nicht von dieser Morgenstimme, die ausgerechnet meinen Namen sagt, verführen zu lassen.

„Bist du da?"

Ich höre wie Keshaw die Bettdecke zurückschlägt, und nach ein paar mit Stille gefüllten Sekunden ertönt ein leises "oh".

Ja, oh.

Ich stehe langsam auf und lege meine Hand an den Türgriff, bevor ich nochmals kurz durchatme und die Türe öffne. „Ich bin hier", murmle ich, und entdecke einen noch etwas verwirrten Keshaw, der in seiner Unterhose auf dem Bettrand sitzt. Er hebt den Blick als er meine Stimme hört, und für einen kurzen Moment starren wir einander bloss an, ehe ich den Blick abwende und zu meiner Seite des Betts laufe, um mich ebenfalls auf den Rand zu setzen.

„Und jetzt?", frage ich leise in die Stille hinein, und nehme meine Stimme als viel zu laut wahr. Dabei ist es einfach nur viel zu leise zwischen uns. „Keine Ahnung", erwidert Keshaw nach weiteren stillen Sekunden schlussendlich nüchtern, und reibt sich mit einer Hand übers Gesicht. „Ich wünsche mir ehrlich gesagt dass wir einfach weiterschlafen könnten", gibt er dann mit einem bitteren Lachen zu, was mir ebenfalls ein Mundwinkelzucken entlockt. „Da bist du nicht alleine."

Ich seufze, und umfasse meine Knie. „Sollen wir einfach so tun als wäre das nie passiert?" Langsam nickt Keshaw, ehe er sich zu mir umdreht. „Wir können es probieren, ja." Ich nicke ebenfalls, ehe ich nach Keshaw's Shirt von gestern greife, und es ihm hinhalte. „Dann zieh dir jetzt bitte etwas an." Keshaw nimmt sein Kleidungsstück schmunzelnd entgegen, ehe er eine Augenbraue hebt. „Kannst du mir sonst also nicht wiederstehen?"

Ich boxe meinen Gastbruder in den Oberarm und hebe ebenfalls eine Augenbraue. „Erinnerst du dich daran was wir vor weniger als einer Minute gesagt haben?" Kesh zuckt mit den Schultern und zieht sich sein Shirt über. „Du hast nichts von flirten gesagt", erinnert er mich dann unschuldig, woraufhin ich die Augen verdrehe. Das kann ja was werden.

„Gut, dann lass mich deutlicher werden: Du und ich sind Freunde, mehr nicht." Keshaw lacht und wuschelt mir durch die Haare, während er selbst zu seinem Koffer geht um sich eine Jeans zu holen. „Keine Angst Vicky, ich werde dich schon nicht verführen." Mit diesen Worten und einem Zwinkern verschwindet mein Gastbruder im Badezimmer, und sobald die Türe zu ist lasse ich mich rücklings in meine Bettdecke fallen.

Das war... interessant.

Wir tun jetzt also so als wäre nichts passiert. Brillianter Einfall, Vicky. Wirklich, dein Award für die dümmste Idee überhaupt wartet sicherlich schon auf dich.

Ich schliesse die Augen und schüttle den Kopf. Irgendwas sagt mir, dass Keshaw seine Neckereien auf keinen Fall unterlassen wird, und genau das könnte mein Problem werden. Ich darf ab jetzt auf keinen Fall mehr trinken wenn er in meiner Nähe ist. Auch wenn er nicht in meiner Nähe ist. Wie ich gestern erfolgreich bewiesen habe, kann mein betrunkenes Ich Keshaw nämlich schon nicht wiederstehen wenn er sich gar keine Mühe gibt - wie sollte das denn werden, wenn dieser mich auch noch provoziert? Nein, das wird nicht passieren.

Alkohol gibt es erst wieder wenn ich in Deutschland bin.

Entschlossen richte ich mich wieder auf und beschliesse, mich selbst vielleicht auch mal etwas angemessener anzuziehen. Soweit ich weiss war unsere Freundschaft noch nicht so weit, dass ich in einem Shirt und Unterhosen bekleidet vor Keshaw stehe, was umgekehrt übrigens auch gilt. Mit wenigen Handgriffen sammle ich meine Kleider vom Boden, die gestern dort gelandet sind, und verstaue sie in meinem Koffer. Langsam verschwinden die Spuren von dem was nie hätte passieren sollen, und immer wie besser gelingt es mir, daran zu glauben dass wir normal weitermachen können.

Wir werden jetzt frühstücken gehen, und dann New York etwas erkunden. Als Freunde. Gastgeschwister. Mehr nicht.

--

Mhm... klar. Freunde ;)

Wie lange denkt ihr dass die beiden so tun können als wäre nichts passiert?

Vergesst das Sternchen nicht! <3

- Xo, Zebisthoughts

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top