NINE - Keiner fragt "warum"

Keshaw POV

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„Ich will jetzt wissen, wie du das wieder geradebiegen willst."

Meine Mutter klatscht mir einen – natürlich schon geöffneten – Briefumschlag vor die Nase, und vor Schreck spucke ich fast mein Müsli wieder aus. Da meine Mutter extremst, ja wirklich höchst verdächtig ruhig gesprochen hat, bin ich mir schon ziemlich sicher zu wissen, was in diesem Umschlag steckt. Ohne ihn zu öffnen.

„Lass mich erst mal essen", murre ich jedoch nur desinteressiert, denn das bin ich auch. Ehrlich gesagt könnte mir dieses ganze Drama nicht weniger am Arsch vorbeigehen. Ja, ich habe dem Typ die Fresse poliert. Ja, ich habe es gern getan, und ja verdammt, ich würde es jederzeit wieder tun. Mit Vergnügen, denn er hat es verdient.

Doch danach fragt keiner. Keiner fragt nach dem „Warum". Keinen interessiert es, wieso ich so wütend bin. Ganz einfach, weil es keinen juckt, denn schließlich wurde ich ja nicht körperlich, sondern nur psychisch verletzt. Und das ist ja was ganz Anderes. Das zählt nämlich nicht, denn man sieht es nicht. Man blutet nicht aus der Nase oder so, man bricht sich auch nichts.

Und wenn man es sagt, hört einem keiner zu. Ich könnte jetzt in die Schule gehen, und allen entgegenschreien, wie es mir geht, doch es würde niemanden interessieren. Denn gegen außen ist ja alles in Ordnung, nicht? Und genau deshalb geht mir das alles hier gehörig auf die Nerven, weshalb ich mich dazu entschieden habe, es einfach sein zu lassen.

Gut, dann werde ich eben angezeigt. Dann gibt's ein paar Sozialstunden, und dann ist alles wieder wie vorher. Ich kenne dieses Prozedere schon lange auswendig.

Ich höre meine Mutter beherrscht seufzen, und spanne für einen kurzen Moment meinen Kiefer an, ehe ich langsam wieder anfange, zu kauen. Zu meinem Übel sieht meine Mutter diese Angelegenheiten nicht so locker wie ich, obwohl auch sie das Prozedere schon kennen sollte. Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Anzeige bekomme. Um genau zu sein bin ich schon lange weit entfernt vom ersten Mal.

Aber eben, keiner fragt, wieso ich so bin. Und wenn keiner fragt, dann halte ich es auch nicht für notwendig, darüber zu sprechen.

„Du treibst mich in den Wahnsinn, Kesh", murmelt Mom dann leise, und ich höre, wie sie die Küche verlässt. Ich warte, bis ich die Haustüre höre, und lasse dann meinen Löffel sinken. Mit zwei Fingern schnappe ich mir den Umschlag, und lehne mich noch kauend etwas zurück, während ich den Brief herausfische.

Wie zu erwarten stammt er von der Polizei, und wenig überraschend werde ich wieder mal wegen Körperverletzung vors Gericht treten müssen. Mit einem verächtlichen Schnauben lasse ich den Brief auf den Tisch fallen, und trinke die noch übrige Milch in meiner Schüssel aus, ehe ich diese in den Geschirrspüler stelle, und wie meine Mutter vor wenigen Minuten ebenfalls aus der Küche verschwinde.

Eigentlich habe ich gehofft, der Typ würde schweigen nach meiner deutlichen Warnung, doch anscheinend scheint er doch sowas wie Eier in der Hose zu haben. Nur leider versucht er dies der falschen Person zu beweisen, denn ich halte sichtlich wenig von solchen Übungen. Und dabei habe ich mich bei der Prügelei sogar noch zurückgehalten, um ihm den Krankenwagen doch noch zu ersparen. Hätte teuer werden können, und ich bin mehr oder weniger pleite.

Ich will gerade auf meine Zimmertüre zugehen, als ich fast in eine weitere Türe hineinlaufe, und nur knapp ausweichen kann. Sofort schaue ich mich nach der für diesen fast-Unfall zuständigen Person um, und bin nur wenig überrascht, als meine Augen auf ein paar blaue, etwas erschrockene Augen treffen. Vicky, natürlich, wer denn sonst?

„Kannst du nicht aufpassen?", fauche ich meine neue Gastschwester an, die sich recht schnell von ihrem kleinen Schock zu erholen scheint, denn sie baut sich mit zusammengezogenen Augenbrauen vor mir auf. „Du bist doch derjenige, der die Türe fast umgerannt hätte", murrt sie nur, und schnaubt kurz. Ich schüttle nur augenrollend den Kopf, und beschließe dann, einfach in meinem Zimmer zu verschwinden. Ich habe jetzt wirklich nicht noch die Nerven dazu, mit Vicky zu diskutieren, was sowieso wieder nur in einem Streit enden würde.

Ich drehe mich also einfach wortlos um, öffne meine Türe, und knalle sie laut genug hinter mir wieder zu. Eine Weile ist es still, bis ich höre, wie Vicky leise etwas murmelt, was ich nicht verstehe. Dann höre ich ihre Türe ebenfalls, und direkt darauf ihr Bett. Ich lasse mich ebenfalls auf mein Bett fallen, und stöhne leicht genervt auf, als ich sehe, dass Ash mich anruft. Ich hasse es, zu telefonieren, doch bei Ash gehe ich eigentlich immer ran. Er ist mein bester Freund, er hat diesen Bonus bei mir.

„Ash, was willst du?"

Ich drehe mich auf den Rücken, und starre die Decke an. „Charmant wie immer, Kesh. Sag mal, hast du die Party vergessen?" Ich runzle die Stirn. Party? „Scheisse, du hast es wirklich vergessen", stellt mein bester Freund fest, ohne wirklich auf eine Antwort meinerseits zu warten, und ich seufze. „Klär mich doch einfach auf, wenn du eh schon weißt, dass ich's vergessen habe", murre ich leicht angesäuert, und vernehme ein Schmunzeln von Ash.

„Heute Abend ist die Party bei dieser einen Tussi da. Keine Ahnung, wie sie heisst, aber wir sind eingeladen. Alle sind eingeladen." Ich erinnere mich wieder, und schliesse kurz die Augen. Eigentlich bin ich gerade nicht so in Partylaune, doch andererseits werden mich ein paar Drinks sicherlich auf leichtere Gedanken bringen können. Diese Anzeige verbringt ungewollt viel Zeit in meinem Kopf, und das muss sich schleunigst ändern.

„Ich bin dabei. Holst du mich ab? Ich habe nämlich keine Ahnung, von welcher Tussi du sprichst, geschweige denn, wo sie wohnt." Erneut lacht Ash leise, ehe er sich räuspert. „Ich hole dich um sieben ab. Nimm deine kleine Gastschwester mit." Ich schnaube, und richte mich auf. „Nie im Leben! Ich kann sie nicht ausstehen, Ash, das weißt du. Wenn sie kommen will, soll sie sich doch selbst organisieren. Wie ich die letzten Tage gesehen habe, ist sie ja keineswegs alleine unterwegs."

Obwohl Ash das nicht sehen kann, setze ich einen sturen Gesichtsausdruck auf, und schmolle etwas vor mich hin. „Kesh, du nimmst sie einfach mit. Liv und Helen werden sowieso vor Ort sein, dann bist du sie im schlimmsten Fall auch schnell wieder los. Obwohl ich noch immer nicht verstehe, wieso du sie nicht ausstehen kannst." Ich seufze. „Halt einfach die Klappe, Ash. Ich frage sie, aber sei nicht beleidigt, wenn sie sich nicht mit mir in einem Auto aufhalten möchte. Das Sich-nicht-ausstehen-können beruht nämlich ganz klar auch auf Gegenseitigkeit, wenn du verstehst, was ich meine."

„Kesh, ich kenne dich. Es würde mich überraschen, wenn sie dich ausstehen könnte. Ich bin um sieben da."

Noch bevor ich irgendeinen Protest oder sonstiges hinterlassen kann, hat Ash schon aufgelegt, und ich sitze etwas planlos auf meinem Bett. Ich weiss nicht, wieso, aber ich will wirklich absolut nicht aufstehen, um Vicky zu fragen, ob sie mit mir und Ash in einem Auto sitzen will, um zu einer Party eines Mädchens zu gehen, das sie nicht mal annähernd kennt. Ich meine, sogar Ash weiss nicht, wie sie heisst. Das will was heißen, denn eigentlich ist er ein Archiv auf zwei Beinen.

Wenig motiviert erhebe ich mich, und gehe dann mit einem wehmütigen Blick zu meinem Bett auf die Türe zu, die mein Zimmer von meinem Badezimmer trennt. Oder besser gesagt, von unserem Badezimmer. Ich weiss nicht, was Mom sich dabei gedacht hat, doch eine gute Idee war es definitiv nicht, mein Badezimmer gleichzeitig zum Gästebadezimmer zu machen.

Ich klopfe zweimal an Vickys Tür, und betrete dann einfach ihr Zimmer, ohne auf eine Antwort zu warten. Auch, wenn ich das vielleicht hätte tun sollen, doch ich stehe schon in ihrem Zimmer, als das kleine Mädchen erschrocken einen Satz nach hinten macht, und mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrt. Im BH.

Da die Situation nicht gerade vorhersehbar war, weiss ich für einen kurzen Moment nicht, wie ich reagieren soll, weshalb ich sie einfach nur doof anstarre, während Vicky langsam zu begreifen scheint, wer ich bin, und was sie trägt. Oder eben gerade nicht. „Dreh dich um!", kreischt sie dann erschrocken, und ich beiße mir auf die Lippen, ehe mein rechter Mundwinkel leicht zuckt.

Provokant langsam drehe ich mich dann um, und kann die Wut in Vicky brodeln hören. „Perversling", zischt diese dann, und kurz darauf ertönt ein lautes Gerempel, begleitet von mehreren Flüchen. Zwar verstehe ich die Hälfte davon nicht, da sie deutsch sind, doch ich kann mir gut vorstellen, dass sie nichts Schönes bedeuten. Was mich bei Vicky aber auch sehr überraschen würde. Als erneut eine Menge Lärm ertönt, gepaart mit einem schmerzhaften, unterdrückten Stöhnen, räuspere ich mich kurz.

„Brauchst du Hilfe?"

„Halt die Klappe, ich bin gleich fertig. Was willst du überhaupt?"

Ich hebe eine Augenbraue, und mustere die Wand vor mir. „Ash hat gefragt, ob du mit auf die Party heute Abend willst." Plötzlich ist es mucksmäuschenstill, und ich frage mich, ob Vicky plötzlich bewusstlos geworden ist oder sowas. „Eine Party?", hackt Vicky schlussendlich nach, und ich nicke, ehe ich mich umdrehe. Zu Vickys Glück hat sie sich inzwischen ein Oberteil übergezogen, und jetzt gerade steht sie wie erstarrt mitten in ihrem Zimmer.

„Ja, eine Party. Und du sollst mitkommen." Vicky runzelt die Stirn, und setzt sich dann auf ihr Bett. „Planst du was?", fragt sie mich dann, und ich hebe auch noch meine andere Augenbraue. „Nein, wieso meinst du?" Vicky zuckt mit den Schultern, und sieht mich misstrauisch an. „Was weiss ich. Es kommt nur ziemlich plötzlich, dass ausgerechnet du mir sowas ausrichtest. Ash hat meine Nummer, er hätte mich doch direkt fragen können."

Ich schaue meine Gastschwester verwirrt an.

Was hat sie da gerade gesagt?

„Warte mal – Ash hat deine Nummer?" Sichtlich irritiert nicht Vicky, und ich lache ungläubig auf. „Das glaub ich jetzt nicht", sage ich dann leise, und schüttle den Kopf. „Er wollte, dass ich dich frage. Er wollte, dass ich mit dir reden muss", stelle ich dann unglaublich schlau fest, und Vicky kann es sich natürlich nicht nehmen lassen, zu grinsen. Sie liebt es, wenn ich verarscht werde. Was denn auch sonst?

„Der wird gleich was hören", murre ich angepisst, und fahre mir durch die Haare. „Bist du um sieben bereit?" Vicky nickt, und ich trete halb aus dem Zimmer, ehe ich nochmals den Kopf hineinstecke. „Wir warten übrigens nicht auf dich. Also mach, dass du fertig bist."

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„Und ich hatte gehofft, wir würden dich zurücklassen können." Immer noch leicht genervt sehe ich Vicky dabei zu, wie sie meinen Kommentar ignoriert, und in ihrem zugegeben gar nicht so mies aussehenden Kleid die Treppe runtergeht. Unten wartet Ash, der Vicky zur Begrüßung umarmt, und ihr dann noch sagt, wie gut sie aussieht. Ich dahinter übergebe mich fast im Strahl, und frage mich langsam, ob Ash vielleicht was von Vicky wollen könnte.

Er fragt sonst nie, ob wir jemanden mitnehmen können zu einer Party, da er genau wie ich sehr viel davon hält, mit so wenig Leuten wie möglich unterwegs zu sein. Wir begrüßen uns mit einem für uns typischen Handschlag, und bevor meine Mutter uns noch einen Strich durch die Rechnung machen kann, verlassen wir schnell das Haus.

Ash's Wagen steht bereit zur Abfahrt vor der Türe, und Vicky verdrückt sich von selbst auf die Rückbank. Sie scheint schnell zu lernen, was für sie in meiner Gegenwart ein klarer Vorteil sein wird. Wir fahren los, und Ash dreht das Radio laut auf, während er sich durch den Verkehr schlängelt. Es ist Freitagabend, und alle wollen feiern gehen. Nachvollziehbar, finde ich. „Hast du jemanden, mit dem du auf der Party sein kannst?" Ash sieht fragend in den Rückspiegel, und Vicky nickt. „Ja, Helen und Liv werden da sein."

Ash nickt zufrieden, und konzentriert sich dann wieder auf die Straße. „Gut. Sonst kannst du auch bei uns bleiben, wenn du willst. Wir könnten dich ein paar Leuten vorstellen." Obwohl ich Vicky nicht gut sehe, kann ich mir vorstellen, wie sie das Gesicht verzieht bei dem Gedanken daran, den Abend mit mir zu verbringen. Und tatsächlich kommt dann die Antwort. „Sorry Ash, es liegt nicht an dir. Aber dein Kumpel ist leider nicht die Partybegleitung, nach der ich suche."

Gleichfalls, Vicky.

Gleichfalls.

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Denkt ihr, die Party wird gut?

Und was haltet ihr so von Kesh, jetzt, wo ihr auch mal seine Sicht habt?

- Xo, Zebisthoughts

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