FOUR - Willkommen in Amerika
Victoria POV
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„Du nimmst sie mit."
Allison stemmt die Hände in die Hüfte, und sieht ihren Sohn streng an. „Niemals. Ich treffe mich doch nicht mit meinen Freunden, wenn die dabei ist?" Keshaw zeigt auf mich, sieht mich jedoch nicht an. Wäre ja auch etwas zu viel Freundlichkeit seinerseits, nicht? „Keshaw Nowak! Ich sag's dir nicht mehr oft. Du wirst Vicky mitnehmen, Ende der Geschichte. Außerdem dachte ich, dass du hier gar keine Freunde mehr hast?"
Verwundert schaue ich zu Keshaw, und frage mich, wieso er nicht auch Adams heisst. Chris und Allison heißen doch beide zum Nachnamen Adams. Mit einem lauten Seufzer dreht Keshaw sich zu mir um, und seine grünen Augen bohren sich in meine. „Shoppst du gerne?", fragt er mich dann so gelangweilt wie es nur geht, und ich runzle die Stirn. „Naja... eigentlich schon." Keshaw nickt, und sieht wieder zu seiner Mutter. „Scheint so, als würde meine reizende Gastschwester die Stadt kennenlernen." Allison will ihrem Sohn was sagen, doch da hat dieser mich schon am Handgelenk aus dem Haus gezogen. Na immerhin trage ich Schuhe und habe meine Tasche dabei.
„Los, steig auf", murrt Keshaw, und zeigt auf sein Motorrad. Ich räuspere mich leicht, und nähere mich dem Gefährt dann langsam. „Das Teil beißt schon nicht. Hier, Helm." Noch bevor ich was tun kann, stülpt Keshaw mir einen Helm über den Kopf, und ich drehe mich überrascht zu ihm um. „Hey, du hättest mich das gerne selbst machen lassen dürfen", beschwere ich mich, und richte das Teil auf meinem Kopf. „Sorry, aber sie wartet nicht so gerne."
Ich runzle die Stirn, was man durch den Helm durch wohl nicht wirklich sehen kann. „Wer ist sie?", frage ich nach, und Keshaw seufzt. „Deine Shoppingbegleitung, damit ich mich mit meinen Freunden treffen kann, und du mir nicht verloren gehst. Mum bringt mich um." Ich verdrehe bloss die Augen, und steige dann vorsichtig auf das Motorrad auf. Deutlich eleganter schwingt Keshaw ebenfalls sein Bein über das Gefährt, und befiehlt mir, mich an ihm festzuhalten.
Also lege ich meine Hände an seine Seite, und bin überrascht, als er diese packt und auf seinem Bauch miteinander verschränkt. „Du fliegst sofort weg, wenn du dich nicht gut festhältst", sagt er bloss, und schiebt zuerst mir, und dann sich selbst die Visiere runter. Immer noch verblüfft darüber, dass Keshaw mich jetzt mit einer mir völlig fremden Person shoppen schickt, halte ich mich also etwas zögerlich an ihm fest, und schaue sehnsüchtig zum Haus, von dem wir uns langsam entfernen. In was bin ich hier bloss reingeraten?
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„Wir sind da." Ich steige ab – und plumpse dabei fast auf meinen Hintern -, und ziehe mir den Helm über den Kopf. Direkt danach nehme ich mehrere, gierige Atemzüge, da ich durch diesen Helm nur muffige Luft bekommen habe. Kesh verstaut das Teil in seinem Motorrad, und geht dann zur Türe des Hauses, vor dem wir stehen. Noch bevor einer von uns die Chance hat, anzuklopfen oder sowas, wird die Türe aufgerissen, und ein Mädchen hüpft heraus.
Als sie Keshaw entdeckt, springt sie ihm in die Arme, und etwas überrumpelt kämpft dieser um sein Gleichgewicht, ehe er das Mädchen wieder auf den Boden stellt. „Es gibt dich also tatsächlich noch", stellt sie fest, und wuschelt Keshaw durch seine Haare. „Ja, ich lebe noch... offensichtlich." Etwas zurückhaltend dreht Kesh sich zu mir, und räuspert sich erneut. „Das hier ist Victoria. Meine Gastschwester. Mum wollte, dass ich sie für heute beschäftige, aber ich habe noch was vor."
Das Mädchen sieht mit einer gehobenen Augenbraue zu Kesh, und schüttelt dann den Kopf. „Du bist unmöglich, Kesh. Du kannst die Leute nicht einfach abschieben, wenn du keine Lust auf sie hast." Sie hebt die Hand, als Kesh sich verteidigen will, und dreht sich stattdessen zu mir. „Hey, ich bin Olivia. Nenn mich doch einfach Liv, das ist viel schöner. Tut mir leid für das Verhalten dieses Idioten, aber ich verspreche dir, du wirst einen tollen Tag erleben."
Leicht überrumpelt schüttle ich Liv's Hand, und schlucke. „Ich bin Victoria, aber du kannst mich ruhig Vicky nennen. Und du musst dich dafür nicht entschuldigen, das ist die Aufgabe einer anderen Person hier." Sehr auffällig starre ich Keshaw an, der jedoch so tut als würde er mich nicht hören, und ich schüttle wie Liv eben den Kopf. „Lust auf Shoppen?", fragt diese, und ich nicke. „Und wie. Ich war noch nie in Philadelphia!" Liv lächelt mich warm an, und dreht sich dann zu Kesh um. „Hau schon ab, sie ist bei mir gut aufgehoben."
„Es ist mir ziemlich egal, wie gut sie aufgehoben ist, Liv. Hauptsache sie steht heute Abend wieder mit mir vor der Türe, damit Mum mich nicht köpft. Wenn sie bis dahin von einem Bären angegriffen wird, dann soll das eben so sein." Liv sieht Kesh eine Weile nur an, ehe sie enttäuscht den Kopf schüttelt. „Manchmal bist du wirklich widerlich. Los, geh schon. Triff dich doch mit deinen Saufkumpanen." Keshaw dreht sich wieder zu Liv um und will etwas sagen, doch sie hält ihm den ausgestreckten Mittelfinger vor die Lippen, und zeigt ihm deutlich, dass er sich vom Acker machen soll.
Das tut er dann auch, und ich starre seinem Motorrad nach. „Ich weiss nicht, was mit ihm ist. Aber er war schon immer so, seit seine Familie hierhin gezogen sind. Mach dir nichts draus, er ist gegenüber allen so." Ich nicke nur, und entscheide mich dazu, auf Liv zu hören. Keshaw erscheint mir tatsächlich als jemand, der gegenüber allen Personen so ist, und nicht zwingend etwas gegen einzelne Personen hat. „Komm, wir sind nicht hier um Trübsal zu blasen. Mein Auto ist da drüben."
Liv zieht mich an meiner Hand zu ihrem Auto, und ich steige auf der Beifahrerseite ein. Die Fahrt in die Innenstadt dauert nicht lange, und schon bald kann man sich vor dem Verkehr nicht mehr retten. Wir stehen im Stau. „Das ist hier immer die Hölle", meckert Liv, und stützt ihren Kopf an ihrer Hand ab, während sie mit der anderen das Lenkrad in Schach hält. Es ist wunderschönes Wetter, und obwohl ich nur ein Top und eine kurze Hose trage, habe ich das Gefühl, bald grilliert zu werden.
Liv hat ihre blonden Haare inzwischen zu einem Zopf zusammengebunden, und zeigt so ihre schön gebräunte Haut noch etwas mehr. An ihrem Ohr hängt ein kleiner Schmetterlingsohrring, bei dem ich sie unbedingt fragen muss, woher sie ihn hat. Ich suche schon lange nach genau so einem Anhänger, nur gibt's in Deutschland irgendwie nur diejenigen, die für kleine Kinder gedacht sind. Und ich bin mit sechzehn wohl etwas aus diesem Alter raus.
„Bitte versprich mir, dass du später nicht so fahren wirst, wie all diese Idioten hier es gerade tun", murrt Liv der Verzweiflung nahe, und hupt einem Auto hinterher, das ihr gerade die Vorfahrt genommen hat. „Und wenn du so fährst, dann komme ich zu dir nach Deutschland um dich zu schlagen. Und das meine ich auch so." Ich halte lachend meinen kleinen Finger hoch, und Liv hakt ihren kleinen Finger ein. „Versprochen", sage ich grinsend, und Liv hebt eine Augenbraue. „Besser so, ich nehme Pinky Promises sehr ernst."
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„Das ist ja alles riesig", hauche ich mehr als nur erstaunt, und lasse meinen Blick über die Mall vor uns schweifen. Riesig ist noch unglaublich untertrieben! „Ja... das ist es. Willkommen in Amerika, würde ich sagen." Ich nicke nur abwesend, und Liv zieht mich in die Mall rein, damit ich endlich wieder in der Gegenwart angelange. „Also, wo willst du zuerst rein?" Ich schaue mir die verschiedenen Läden an, die es hier gibt, und bin gleich erneut völlig baff. „Ich weiss nicht", sage ich nur, und schaue mir mit grossen Augen alles genauer an. „Es ist riesig. Die Auswahl ist riesig. Ich habe keine Ahnung Liv, ich bin verloren."
Liv lacht leise, und deutet mir dann an, ihr zu folgen. „Komm, ich zeig dir ein paar meiner Lieblingsläden. Du gewöhnst dich sicherlich schnell an alles hier." Ich nicke, und folge meiner neu gewonnenen Freundin. „Wirst du eigentlich auf meine Schule gehen?", frage ich Liv, während wir einen Laden betreten, von dem ich noch nie was gehört habe. „Ja, werde ich. Kesh auch, aber ich denke nicht, dass dich das wirklich interessiert." Ich schüttle heftig den Kopf, und entdecke ein Shirt, das mir ziemlich gefällt. „Nein, das tut es tatsächlich nicht. Ich hoffe, er ist nicht in meiner Klasse."
Liv schmunzelt, und folgt mir zu dem Shirt. „Keine Angst, er ist ein Senior, und du ein Junior, richtig?" Ich nicke erleichtert, und schnappe mir das Shirt in meiner Größe. „Ja, ich bin ein Junior. Und du?" Liv grinst, und zieht mich zu einer Jeans. „Ich auch. Vielleicht haben wir ja ein paar Kurse zusammen!" Ich nicke begeistert, während Liv sich ihre Größe raussucht, und die Jeans dann kritisch mustert. „Dann würde ich wenigstens jemanden kennen, der sich nicht wie der größte Vollidiot benimmt", murre ich eher zu mir als zu Liv, doch sie hört es trotzdem, und lächelt leicht.
„Kesh kann sich eigentlich auch ganz anders benehmen", sagt sie dann gedankenverloren, und hängt die Jeans wieder zurück. „Es kommt einfach nicht so oft vor. Aber er kann auch nett sein, sonst wäre ich ja nicht mit ihm befreundet." Ich seufze nur, denn das kann ich mir beim besten Willen nur schwer vorstellen. „Liv, er provoziert sogar seine Mutter ohne jegliches Gewissen", wende ich ein, und Liv runzelt die Stirn. „Das ist mir neu", murmelt sie dann, und zieht mich zu den Umkleidekabinen. „Worüber streiten sie denn?"
Ich zucke mit den Schultern, und denke nach. „Vor allem darüber, dass Keshaw vom Internat geflogen ist, und vielleicht angezeigt wird. Und er kommentiert alles was Allison sagt, und das nicht gerade nett." Nachdenklich nickt Liv, und schiebt mich dann in eine Kabine. „Das kenne ich nicht von ihm. Er und Allison waren eigentlich immer ein super Team. Ich kann Allison schon verstehen, sie hat viel dafür getan, dass Kesh auf so ein Internat gehen konnte. Es war sicherlich nicht einfach für sie, all das zu bezahlen, und ihren Sohn gehen zu lassen. Da wäre ich auf jeden Fall auch völlig ausgeflippt, wenn er vom Internat fliegt. Ich glaube, jede Mutter wäre das."
Ich nicke, und ziehe mir mein Top über den Kopf. „Ja, eben, deshalb verstehe ich nicht, wieso Keshaw dann so reagiert. Ich meine, vielleicht ist er ein Idiot, aber er sollte doch ebenfalls verstehen, dass seine Mutter bei diesem Verhalten keine Luftsprünge machen wird, oder?" Zweifelnd betrachte ich mich mit dem neuen Shirt im Spiegel der Umkleide, und Liv kommt herein. „Ich glaube, da steckt mehr dahinter", spricht sie dann meine Gedanken aus, und mustert mich. „Kauf es."
Ich seufze, und werfe einen Blick aufs Preisschild. „Okay", murmle ich dann, und schaue mich nochmals an. Ja, das gefällt mir. Das kaufe ich. Ich scheuche Liv wieder aus der Kabine raus, und schlüpfe in mein eigenes Top rein. „Wie bist du überhaupt zu einer Freundschaft mit Keshaw gekommen? Er sieht jetzt nicht gerade nach dem Typ aus, mit dem jeder befreundet sein will." Mit dem Shirt über dem Arm trete ich aus der Kabine raus, und Liv lacht leise.
„Ach, das war nicht wirklich geplant. Wir mussten eine Arbeit zusammen erledigen, für irgendeinen Ball oder so. Bei Prom zum Beispiel werden immer aus jeder Klasse ein paar Helfer losgeschickt, die beim Schmücken des Saals helfen. Keshaw und ich waren zwei von diesen Schülern, und wurden als Partner eingeteilt. Zuerst habe ich mich so unglaublich über ihn aufgeregt, das glaubst du mir gar nicht. Aber er hat mich irgendwie nicht losgelassen, weshalb ich dann immer wieder etwas mit ihm unternommen habe. Auch wenn ich ihn die ersten Male dazu zwingen musste. Irgendwie sind wir dann gute Freunde geworden."
Ich nicke erstaunt, und überreiche der Kassiererin mein Shirt. Während Liv etwas bei den Sonnenbrillen herumstöbert, rechne ich ab, und bedanke mich dann bei der Frau hinter der Kasse, die mir meine Einkaufstasche mit meinem Shirt drin entgegenstreckt. Zusammen mit Liv verlasse ich dann den Laden wieder, und beschließe, das Thema Keshaw für den Rest unseres Ausflugs ruhen zu lassen. Schließlich kann es doch nicht sein, dass so ein Typ sogar, wenn er nicht da ist, meine Gedanken kontrolliert, oder?
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Was haltet ihr von Kesh's Aktion?
Und wie findet ihr Liv so?
- Xo, Zebisthoughts
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