Kapitel 16

Dean

Das Dinner verläuft genauso wie der Empfang davor. Es ist langweilig und steif und frage mich die ganze Zeit wieso ich so scharf drauf war hier herzukommen. Die Leute hier sind alle nur nett, weil sie sich etwas davon erhoffen und nicht, weil sie einen mögen. Ich habe immer gedacht, dass es das Beste ist, wenn man reich ist und die teuersten Klamotten und Autos hat, aber im Grunde ist mein Blick hinter die Kulissen von den reichten Menschen Miamis enttäuschend. Natürlich, die Atmosphäre ist berauschend, die modischsten Abendkleider und Anzüge wo man nur hinsieht und erst dieses riesige Haus, das für heute Abend blitzblank und edel dekoriert worden ist. Das würde mir alles die Schuhe ausziehen, wenn ich nicht in fast jedem Augenpaar, das ich erblicke, falsche Freundlichkeit und Heuchlerei sehen würde.

Der zweite Gang wird serviert. Soweit ich auf der Karte lesen kann - die im Übrigen auf Französisch ist - ist es Reis mit Lamm. Der französische Namen davon klingt viel teurer und edler, aber im Grunde ist es doch nur Reis und Lamm. In der Hoffnung, dass ich den Wein auch in das richtige Glas und nicht in das Wasserglas schenke, fülle ich mir mein Glas auf. Und bekomme prompt einen missbilligenden Blick von der Dame mir gegenüber zugeworfen. Die eindeutig über 70-jährige Frau hebt die Hand, und im Nullkommanichts ist ein Kellner herangelaufen, um ihr halbvolles Glas aufzufüllen. Oh, wow. Hier darf man nicht einmal selbst einschenken. Hilfesuchend blicke ich mich um. Der Blick der alten Dame ist mir unangenehm und ich bemerke ganz genau, dass er noch eine Weile kritisch auf mir liegt.

Als ich Jocelyn allerdings neben einem Kerl sehe, der sich weit zu ihr herüber lehnt und ihr leise etwas zuraunt, ist mir plötzlich egal, wo ich hier bin. Ich wollte noch nie so sehr aufspringen und ein riesiges Drama veranstalten. Zum Glücke aller dreht in diesem Moment der Mann neben mir den Kopf in meine Richtung und stellt sich mir vor. Ich erkläre kurz, den Blick immer wieder zu Jocelyn schweifen lassend, wer ich bin und führe wieder ein bisschen Smalltalk. Das scheint es zu sein, was man hier hauptsächlich macht. Reden, reden, reden. Doch ich merke mir nicht, was der Mann beruflich macht oder wie viel Aktien er bei wem hat. Ich konzentriere mich viel zu sehr auf Jocelyn und diesen Kerl, der neben ihr auch immer einer brünetten Frau lange Blicke zuwirft. Merkt sie das denn nicht? Und überhaupt, denkt sie nicht eine Sekunde an mich, wenn sie mit anderen Männern flirtet?

Anscheinend tut sie das doch, denn plötzlich fällt ihr Blick auf mich und ihre lachende Miene gefriert für einen Moment. Doch schneller als ich schauen kann, hat sie wieder dieses unechte Lächeln im Gesicht. Sie nickt zu etwas, was der Kerl sagt und kichert leise. Dann wendet sie den Blick ab und nimmt das Dessert von einem Kellner entgegen. Soviel ich weiß, ist es ein gewöhnliches, allerdings veganes Mousse au Chocolat.

Als auch das von allen verspeist ist, stehen die meisten wieder auf und gehen gemächlich wieder zurück in den großen Saal mit den schneeweißen Stehtischen. Ich habe vor mich wieder zu Jocelyn zu stellen und die restliche Zeit auszusitzen, aber die ist gerade völlig vertieft in ihr Handy. Dann macht sie ruckartig auf dem Absatz kehrt und verschwindet im Getümmel der Galagäste in die Eingangshalle, wo sie sich ihre Jacke holen lässt. Zuerst bin ich mir nicht sicher, was ich davon halten soll, dass sie anscheinend einfach abhauen will, aber dann denke ich mir, dass ich hier nichts zu suchen habe und dass ich lieber mit ihr verschwinde, als hier zu bleiben.

Also trete ich neben sie aus der hohen Haustüre. Sie scheint mich jetzt erst zu bemerken, jedenfalls zuckt sie stark zusammen, als sie mich neben sich sieht. "Dean" Sie räuspert sich leise. "Wo gehst du hin?" Ich zucke mit den Schultern und frage mich, ob wir mit Jacks Auto abhauen werden, aber Jocelyn läuft einfach an dem Parkservice vorbei und die Auffahrt entlang. Für so hohe Schuhe, kann sie ganz schön schnell gehen. "Weiß nicht. Da wo du hingehst. Das da drin ist nichts für mich." Erschrocken bleibt sie stehen.

Die Straße haben wir schon erreicht, doch hier ist kein Auto zu sehen und selbst sie wird doch nicht mit High Heels nach Hause laufen, oder? Es sind zwar nur ein paar Straßen, aber ich musste mir oft genug anhören, wie unbequem diese Dinger sind. "Du solltest trotzdem wieder reingehen." Sie blickt nervös die Straße entlang. Ich runzle die Stirn, meine Gedanken überschlagen sich. "Wieso? Wirst du wieder von einem Freund abgeholt?" Jocelyns Augen blitzen auf. Dann wendet sie den Blick ab. Oh. Jetzt werde ich wütend. "Wieso bist du dann nicht mit deinem Sitznachbar nach Hause gefahren? Es sah aus, als hättet ihr euch echt gut verstanden." Ich trete einen Schritt auf sie zu, aber Jocelyn blickt mich weiter stur an. Mit den Absätzen ist sie fast so groß wie ich, aber ein kleines Stück fehlt trotzdem noch. "Harry ist verheiratet, Dean. Und seine Frau ist schwanger. Sie haben sogar schon einen Namen, Mia." Ich denke an die Frau, die er vorhin immer angeblickt hat. Ups.

Sie kneift die Augen zusammen. "Bist du etwa eifersüchtig, Dean?" Jetzt zieht sie beinahe schon grinsend eine Augenbraue nach oben. "Was wäre, wenn ich es bin?", sage ich leise, sie genauestens im Blick behaltend. In ihren Augen funkelt etwas, das ich nicht ganz einordnen kann. Und sie öffnet den Mund, um etwas zu erwidern, aber in diesem Moment hält ein alter, blauer Skoda neben uns. Jocelyn schließt für einen Millisekunde die Augen, als würde gleich etwas passieren, was ihr überhaupt nicht gefällt, aber im nächsten ist sie wieder das kleine Monster, das ich vor Wochen kennengelernt habe. Ihre Augen sind eiskalt. "Geh rein, Dean. Ich habe etwas zu erledigen." Sie scheint einen letzten Versuch zu starten mich loszuwerden.

Die stumme Bitte in ihren Augen überrascht mich. Ich bin fast schon so weit, zurückzutreten und wieder in der Villa der Whitfields zu verschwinden, als eine junge Frauenstimme fragt:"Dean? Das ist Dean, J?" Erst jetzt fällt uns beiden auf, dass das Fenster an der Fahrerseite geöffnet ist. Ein Mädchen, etwa so alt wie wir mit rotem Haar und dunklen Augen streckt den Kopf durch die Öffnung und mustert mich kritisch. Ohne rot zu werden meint sie schließlich:"Er ist heißer, als du erzählt hast." Jocelyn seufzt leise und wendet sich zu dem Mädchen um. "Hey J. Können wir ihn Zuhause absetzten?" Sie zuckt mit den Schultern. "Klar. Aber wenn er will, kann er auch mit uns zu Abend essen. Ich wette, ihr seid beide nicht satt geworden, oder?" Ich nicke noch vor Jocelyn.

J lacht, dann deutet sie mit dem Kopf auf das Auto. "Na los, steigt ein. Ich habe Oliver schon gesagt, dass es heute eine Burgerparty gibt. Das ist ja schon so was wie Tradition geworden." Jocelyn steigt vorne ein und ich rutsche auf die Rückbank. "Hab mich gewundert, dass du nicht früher geschrieben hast. Was hat dich fliehen lassen?" Jocelyn seufzt und streicht sich erst über das Kleid, bevor sie antwortet:"Clyde wollte wieder mit mir reden. Du weißt schon, der Typ mit dem Jack mich verkuppeln will." Entrüstet schaut J Jocelyn an. "Du brauchst mir nicht erklären wer Clyde ist! Ich kenne ihn nur zu gut. So lange ist meine Zeit in der High Society nun auch wieder nicht her!" "Du hast recht, tut mir leid."

Eigentlich wollte ich mich ja zurückhalten, aber das kann ich einfach nicht. "Entschuldige, aber wer bist du?" Die beiden Mädchen werfen sich einen langen Blick zu, durch den sie anscheinend diskutieren. Dann, schlussendlich, wendet Jocelyn ergeben den Blick ab und meint leise:"Elaine hat vorher von ihr erzählt, Dean. Das ist Janine Whitfield."

Ich mustere das Mädchen genauer. Jetzt, wo ich weiß, dass sie ihre Schwester ist, sieht sie Lindsay auffallend ähnlich. Die gleiche Haarfarbe und eine genauso schlanke Figur. "Freut mich, Janine. Ich brauche mich wohl nicht vorstellen. Und wenn doch, ich bin der heiße Typ, der bei den Ashtons eingezogen ist." Janine lacht, aber Jocelyn wirkt zu besorgt. Um sie aufzuheitern stößt Janine sie mit dem Ellenbogen in sie Seite. "Oliver wird ihn mögen." Oliver? Ist das der, mit dem sie abgehauen ist? 

Wir halten noch bei einem Fast-Food-Restaurant, wo Janine beim Drive-By-Schalter so viele Burger und Pommes bestellt, dass ich mich frage, wie wir das zu viert nur alles verschlingen können. Jocelyn zahlt mit einer Kreditkarte aus ihrer funkelnden Handtasche, ohne dass die beiden sich absprechen. Für mich wirkt es fast so, als verstehen sich die beiden über einen versteckten Ohrhörer oder so. Sie verstehen sich ohne ein Wort. 

Dann geht es weiter in eine ruhige Wohngegend. Es ähnelt der, in der ich in Spanien gelebt habe. Keine meterhohen Mauern mit Überwachungskameras oder Pools, die größer sind als ein normales Wohnzimmer. Eine mittelständische Wohngegend mit Miethäusern und Kindern, die am Straßenrand auf Fahrrädern fahren. Etwas, dass ich in der Gegend der Ashtons noch nie gesehen habe. Es fühlt sich gut an, nach all den teuren Schnickschack von der Gala wieder etwas gewöhnliches und vertrautes von früher zu sehen.

J parkt in einer Tiefgarage, in der Putz von der Wand bröckelt und in der keine Porsche oder Mercedes stehen. Es macht mir nichts aus. Und Jocelyn auch nicht. Sie wirkt glücklich, als wir die Treppe zu einer der Wohnungen hochgehen. Als Janine gerade die Wohnungstür aufsperrt, ertönen hastige Schritte vom Erdgeschoss, die schnell näher kommen. Ein Mann in unserem Alter bleibt vor Janine stehen und drückt ihr einen liebevollen Kuss auf die Lippen, dann dreht er sich um und umarmt Jocelyn fest und wirbelt sie in der Luft herum. Ihr Kleid beurteilt er mit "Hübsches Teil" und erst dann wendet er sich mir zu. Ich locke hastig meine Fäuste, die sich unwillkürlich geballt haben. Ich vermute Oliver ist größer als ich und auch muskulöser. Seine kurzgeschorenen braunen Haare geben ihm ein ungehobeltes Aussehen, aber die Art, wie er die beiden Mädchen gerade begrüßt hat, zeigt mir, dass er nicht wirklich der brutale Schläger ist, dem er auf den ersten Blick ähnlich sieht. Mir fällt ein Tattoo auf, dass ich auf seinem Oberarm befindet, aber ich will ihn nicht unhöflich anstarren. Er blickt mich sowieso schon so missmutig an. "Dean, was?", fragt er abgehackt und ich nickt. "Ja, der bin ich. Freut mich." Ich halte ihm die Hand hin, in die er erst nach einigen Sekunden kraftvoll einschlägt. "Ich bin Oliver, J's Verlobter.", bei dem letzten Wort zucken seine Mundwinkel und verziehen sich zu einem Lächeln. Ich wusste, dass er nicht so unnahbar ist, wie er tut. "Na kommt, die Burger werden kalt.", sagt Jocelyn und hält die Wohnungstür auf. 

Ich lasse die anderen vorgehen und so hat Jocelyn die Chance mich abzupassen, nachdem Oliver und Janine weiter in die Wohnung gegangen sind. Sie greift mit der Hand nach meinem Hemd und zieht mich zu ihr herab. Die Lippen ganz dicht neben meinem Ohr flüstert sie:"Ich werde dich fertig machen, wenn du auch nur daran denkst, irgendjemanden zu erzählen, dass du Janine und Oliver getroffen hast. Verstanden?" Als ich nicht reagiere spricht sie weiter. "Die beiden haben viel gegeben, um zusammen sein zu können und ich werde alles dafür tun, damit nie jemand erfährt wo sie sind. Sie sind meine Familie." Und mit einem letzten warnenden Blick streift sie ihre Schuhe ab und verschwindet den schmalen Flur entlang. Ich sehe ihr nach. Ein einfaches Niemand darf wissen wo die beiden sind hätte gereicht.

Die Wohnung ist schön eingerichtet. Hell und offen. Es wirkt wie ein Zuhause. Janine und Oliver haben den Couchtisch schon mit Servietten und Cola gedeckt, als ich eintrete. Jocelyn ist nirgends zu sehen. Ich lege mein Jackett ab und hänge es über die Stuhllehne eines Esszimmerstuhls. In dem Augenblick kommt Jocelyn aus einem kleinen Raum, der am Wohnzimmer angrenzt, in knallrotem T-Shirt und schwarzer Jogginghose - wahrscheinlich Janines, denn Jocelyn würde niemals etwas so auffälliges tragen. Die Glückliche. Ich werde wohl noch eine Weile in diesem unbequemen Anzug feststecken. 

Doch Oliver überrascht mich. "Hol Dean doch bitte eine meiner Trainingshosen aus dem Kleiderschrank, Joyce. Ich denke, die sollten ihm passen." Er wendet sich an mich und hält darin inne, Kunststoffverpackungen aus einer der Plastiktüten zu holen und auf dem niedrigen Tisch auszubreiten. "Außer du magst lieber den Fummel da anbehalten?" Ich schüttle den Kopf. "Nein, was Bequemeres wäre echt cool." "Dann komm." Jocelyn deutet auf den Raum, aus dem sie gerade gekommen ist und geht zielstrebig auf den hohen Schrank zu. Auf dem großen Doppelbett liegt ihr blaues Kleid. Sie zieht nach kurzen Überlegungen eine locker fallende Stoffhose hervor. Eine schwarze Baggy Hose. Ich liebe diese Dinger. Sie lässt mich alleine und ich ziehe mich schnell um.

Als ich zurück ins Wohnzimmer komme, sitzen die drei gemütlich auf dem Sofa und warten auf mich. Sobald ich mich gesetzt habe, halten sie sich allerdings immer noch mit essen zurück. Und sobald es an der Tür klingelt, verstehe ich auch, wieso. Es kommt noch jemand. Hätte ich mir denken können, das Essen wäre für uns viel zu viel. Ein Mädchen mit dunkelbraunen Haaren und Stupsnase kommt ins Wohnzimmer gelaufen und bleibt erschrocken stehen, als sie mich sieht. "Oh." Sie mustert mich genau. "Du bist Dean.", das war keine Frage. Sie tritt vor mich und ich stehe schnell vom Sofa auf. "100 Punkte." 

"Ich bin Kathrin, aber du kannst mich Kate nennen." Als ich ihr wie Oliver die Hand hinhalte, winkt sie ab und umarmt mich kurzerhand. "Sei nicht albern, Dean. Wenn Joyce dich hierher mitgebracht hat, dann vertraut sie dir - und das bedeutet, dass du ab jetzt zu uns gehörst." Sie grinst mich an. "Und übrigens, hübsche Klamotten. Sie würden dir allerdings besser stehen, wenn sie ein paar Nummern kleiner wären." Sie zwinkert Oliver zu, der neben einem genauso muskulösen Typen, wie er es ist, im Türrahmen zum Wohnzimmer steht. 

Der tritt jetzt vor mich, schlägt mit der einen Hand bei meiner ein und mit der anderen auf meinen Rücken. "Ich bin Alex. Freut mich Dean, haben schon viel von dir gehört." Ich werfe Jocelyn einen Seitenblick zu, den sie schulterzuckend erwidert. Alex lacht. "Keine Sorge, Kumpel. Joycie redet nur schlecht über Menschen, die es verdient haben." 

Ich glaube schon, dass er gleich fragt, ob ich es denn verdient hätte, aber er sagt nichts mehr. Doch sein Blick sagt alles. Trotz der Offenheit und Freundlichkeit, die er gerade an den Tag gelegt hat, wird er mich noch einmal genauestens auf die Probe stellen. Das alles erinnert mich an den Tag, als Jayden mir gedroht hat, dass er mich fertig macht, wenn ich Jocelyn verletze. Offensichtlich hat Alex das Gleiche vor. Ich frage mich, wann er mir drohen wird.

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