Kapitel 11
Jocelyn
Am Morgen nach meinem Kampf werde ich mal wieder von Dean geweckt. Er streicht mir erst sanft über die nackte Schulter, dann fährt er mit den Fingern über meinen Hals zu meiner Wange, um dort unter meinem schmerzenden Auge entlangzufahren. Ich erschauere, noch während ich im Halbschlaf bin und ohne die Augen zu öffnen, weiß ich sofort wer da neben mir auf der Bettkante sitzt. "Was soll das? Es ist Samstag!", ich drehe mich von Dean weg und ziehe die Decke über mein Gesicht. Auch wenn ich weiß, dass er mein blaues Auge schon längst gesehen hat. Um ehrlich zu sein, glaube ich, dass er es schon gestern Abend gemerkt hat - im Gegensatz zu Jack. Meine Augen sind noch immer geschlossen. Zum einen, weil ich verdammt müde bin und zu anderen, weil mein linkes Auge höllisch schmerzt. Dean lacht rau. Eine Gänsehaut stellt sich auf meinen Armen auf, als ich höre wie verschlafen er klingt. "Ich dachte, dass wir bevor es zu heiß dafür wird wieder joggen gehen könnten."
Sofort schlage ich meine Lider auf. Innerhalb von Millisekunden sitze ich aufrecht vor ihm, meine Decke bis zu den Schultern hochgezogen, damit er mich nicht in dem dünnen Top sieht, worunter ich nichts trage. "Ist das dein Ernst? Du willst noch einmal mit mir laufen, obwohl es für dich das letzte Mal so eine Tortur war?" Dean nickt, während er seinen Blick über mein Gesicht wandern lässt, an meinem Auge bleibt er hängen. Eine steile Falte erscheint auf seiner Stirn. "Wie wäre es damit: Ich gehe mit dir laufen, wenn du mir sagt woher das blaue Auge ist." Ich merke selbst wie ich erstarre. Ich kann es ihm nicht sagen. Doch ich will mit ihm laufen gehen. Ich bin die ganzen letzten Jahre alleine gelaufen, und als wir letztens zusammen unterwegs waren, hat es mir ziemlich gefallen - auch wenn ich viel langsamer war als sonst. Aber dennoch, ich würde nicht für eine Joggingrunde meine Geheimnisse preisgeben.
"Ich kann es dir nicht sagen, Dean. Und wenn du weiter fragst zwingst du mich nur dazu dich anzulügen. Und das will ich nicht.", als ich das sage, sehe ich ihm direkt in die Augen. Er muss verstehen, dass er sich da raushalten soll. Dass es ihm nicht das Geringste angeht. Dean mustert mich noch einmal, dann nickt er und sieht auf den Boden. "Du würdest es mir doch sagen, wenn du von jemanden geschlagen wirst, oder? Wenn du wo drinsteckst, wo du nicht mehr rauskommst? Wenn du Hilfe brauchst?" Für ein paar Augenblicke kann ich nicht anders, als ihn mit offenem Mund anzustarren. Dann nicke ich mit starrer Miene. Dean atmet erleichtert aus. "Gut, mir ist wichtig, dass du weißt, dass ich für dich da bin, wenn du mich brauchst. Also sei bitte nicht zu stolz, um nach Hilfe zu fragen.", Dean steht auf, während er das sagt, und da er mich dabei nicht ansieht, scheint er keine Antwort darauf zu erwarten.
Er geht zielstrebig zur Zimmertür und dreht sich dann noch einmal zu mir um. "Wenn du in fünf Minuten nicht fertig bist, werde ich ohne dich laufen, dass das klar ist!", meint er grinsend und als er mich so ansieht, ist es plötzlich ganz leicht meine Anspannung abzuschütteln und zu lächeln. "Als würdest du ohne mich auch nur eine Meile schaffen, Sanchez. Du würdest ohne meine Provokationen schon am Ende der Straße zusammenbrechen!" Dean antwortet nicht, er grinst mich nur an und verschwindet dann aus meinem Zimmer. Mit ihm geht auch die Wärme und die angenehme Aufregung in meinem Bauch.
Um mein Auge zu verdecken, setzte ich eine Sonnenbrille auf. Primitiv und oft benutzt, aber dennoch wirkungsvoll. Jack scheint jedenfalls nichts zu sehen, als ich mir und Dean zwei Wasserflaschen aus der Küche hole. Das könnte natürlich auch daran liegen, dass er nicht von seiner Zeitung aufsieht, weil er es nicht erträgt mich ansehen zu müssen. Ich sehe meiner Mom einfach zu ähnlich. Ich seufze leise, als ich aus der aufgeladenen Atmosphäre der Küche getreten bin und Dean eine der Flaschen in die Hand drücke. "Alles in Ordnung, Sunshine?", fragt er mich, aber ich zucke nur kurz mit den Schultern und nicke. Ich will jetzt nicht über die kaputte Beziehung zwischen meinem Vater und mir nachdenken. Dafür ist es auf jeden Fall viel zu früh. Also atme ich tief durch und konzentriere mich stattdessen auf den Jungen vor mir. Auch Dean hat eine Sonnenbrille auf, und unwillkürlich frage ich mich, ob er sie nur aufgesetzt hat, damit ich mir nicht alleine dämlich vorkomme, weil ich damit jogge. Ich meine, es ist nicht einmal neun Uhr morgens! Außerdem trägt er ein blaues T-Shirt und die Sporthose, die er auch letztes Mal getragen hat und die er, soweit ich weiß, auch im Schulsport an hat. Er hat keine richtigen Laufschuhe, weswegen er die Hallenturnschuhe trägt, die er ebenfalls im Sportunterricht trägt. Sie sind nicht ideal, aber besser als normale Straßenschuhe.
Gemächlich laufen wir nebeneinander her und sprechen dabei kein Wort. Aber das ist auch gar nicht nötig, denn die Stille, die zwischen uns herrscht ist nicht unbehaglich oder peinlich, sondern einfach nur Stille. Ich genieße die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf meiner Haut - auch wenn die einzige Haut, die nicht von meiner Kleidung verdeckt wird ein Teil meines Gesichtes, mein Hals, meine Unterarme und meine Unterschenkel sind. Schon nach ein paar wenigen Meilen fängt Dean an schneller und lauter zu atmen und seine Schritte werden langsam, aber stetig kleiner. Ich passe mich ihm an. "Wie wäre es, wenn wir eine kleine Pause machen um uns du dehnen, dann könntest du wieder etwas Luft holen." Dean nickt dankbar und wir verlangsamen beide unser Tempo bis wir schließlich stehen. Wir laufen meine gewohnte Runde am Strand entlang, und da der Weg nicht besonders breit ist, gehen wir erst ein paar Schritte in den Sand, bevor wir uns dehnen, damit andere Jogger oder Radfahrer nicht von uns gestört werden. "Wieso wolltest du heute eigentlich wieder laufen?", frage ich Dean, als ich mich zu meinen Zehen strecke. "Ich will wieder eine bessere Kondition bekommen. Seit ich eine Zeit lang geraucht habe, ist die total hinüber."
Überrascht richte ich mich auf. "Du hast geraucht?", frage ich ungläubig. Dean nickt, doch er sieht mich dabei nicht an. "Ich habe in dem Moment aufgehört, in dem ich in den Flieger gestiegen bin." Oh wow, dass hätte ich jetzt nicht erwartet. Dass der brave, vorbildliche Sohn geraucht hat, war für mich bis jetzt unvorstellbar. Na gut, angesichts dessen, was ich alles mache, dass mir keiner zutraut, ist meine Reaktion vielleicht etwas heftig. "Gibt es sonst noch etwas, was ich über dich wissen sollte?" Für einen langen Augenblick sieht Dean mich an, dann, ohne Vorwarnung, fängt er wieder an zu laufen. Also ja, es gibt Dinge, die er mir nicht sagen will. Interessant. Ohne Probleme hole ich ihn ein und zusammen beenden wir unsere Runde. Dabei sagen wir kein Wort. Einige Male wollte ich nachhaken, doch dann habe ich mich immer wieder selbst ermahnt, dass ich die letzte bin, die von anderen erwarten kann, dass sie ihre Geheimnisse preisgeben.
Als wir wieder in die große Hofeinfahrt einbiegen, die zu unserem Haus führt, sagt Dean doch etwas:"Ich war in einer Straßengang." Mein Kopf ruckt zu ihm herum, doch er sieht mich nicht an. "Das ist der Hauptgrund dafür, dass wir nach Amerika kamen und nicht ihr beide zu uns nach Spanien. Mom wollte, dass ich von meinen Freunden weg komme. Und wenn ich ehrlich bin, dann wollte ich das auch." Noch ehe ich antworten kann, ist er schon vor zur Haustür gejoggt und wenige Sekunden später dahinter verschwunden. Ich dagegen bleibe wie erstarrt stehen. Das was er gesagt hat, ist einfach so unfassbar. Er? In einer Gang? Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass er etwas mit Drogen, Waffen und schmutzigen Geschäften zu tun hatte.
Wenige Minuten später, als ich nach einer kurzen, aber wohltuenden Dusche in gemütlichen Wochenend-Klamotten in die Küche komme, tut Dean so, als wäre nichts passiert. Als hätte er mich nicht mit einem Satz total verwirrt und dazu gebracht meine Meinung über ihn noch einmal zu überdenken. Er fragt mich was ich frühstücken will, während er uns beiden eine Tasse Kaffee einschenkt. Ich stemme mich auf die Arbeitsplatte und zucke mit herunterbaumelnden Beinen mit den Schultern. "Ich hätte mal wieder Lust auf Joghurt mit Müsli und vielleicht einem Apfel." Dean nickt begeistert. "Gute Idee, Sunshine." Ich muss unwillkürlich lächeln, als ich den Spitznamen höre. Irgendwie ist er bereits ein Teil von mir geworden. Ich sehe ihm zu, als Dean einen Apfel aufschneidet und ihn mit etwas Müsli und Joghurt in zwei Schüsseln verteilt. So haben wir das bis jetzt immer gemacht. Dean bereitet uns unser Frühstück vor, während ich auf der Arbeitsplatte sitze und ihm ab und zu ein Messer oder einen Teller reiche. Das wurde fast schon zu einem Ritual.
Als Dean mir schließlich eine der Schüsseln reicht, gehen wir zusammen zum Esstisch und verschlingen unser Frühstück, während wir Grace und Jen zuhören, deren Stimmen aus dem ersten Stock zu uns herunterwehen. So viel ich verstehen kann, versucht Grace ihre Tochter dazu zu bewegen, dass ihr Lieblingsshirt, welches Jen schon seit ein paar Tagen trägt, auch mal in die Wäsche muss. Jack ist schon zur Arbeit aufgebrochen, weswegen ich mich entspannt zurücklehnen kann und das Frühstück mit Dean genießen kann. Wir sprechen nicht über das, was Dean mir anvertraut hat, und das ist auch gut so. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr darüber erfahren will und Dean scheint sowieso nicht darüber reden zu wollen.
Den ganzen Tag habe ich ziemlich gute Laune. Noch vor dem Mittagessen rufe ich Ava an und frage sie, ob sie Lust hat mit mir in die Stadt zu fahren um etwas durch die Geschäfte zu bummeln. Ava liebt es zu shoppen, und so finde ich mich eine halbe Stunde später bei ihr Zuhause wieder. Allerdings kommen wir gar nicht dazu weiterzufahren. Ava ist noch nicht fertig, als ich klingle und so lasse ich mich, als ich auf sie warte auf ihr Bett fallen. Als Ava dann endlich mit meiner Beratung das passende Outfit gefunden hat, haben wir beide keine Lust mehr auf das hektische Treiben in einer Einkaufsmall. Und so macht Ava es sich neben mit bequem und wir unterhalten uns über den neusten Tratsch, schauen ein bisschen Fernsehen und essen dabei Unmengen an Süßigkeiten.
Dean
Ich stecke mir gerade die letzte Gabel in den Mund, als Jocelyn nach Hause kommt. Genau wie gestern hat sie das Abendessen verpasst. Was nicht schlimm wäre, wenn sie davor Bescheid gesagt hätte. Ich weiß, dass Mom sich große Mühe damit gibt ruhig zu bleiben und das unhöfliche Verhalten von Jack's Tochter zu ignorieren, aber langsam verliert sie die Geduld. Auch Jack sieht den enttäuschten Blick von ihr und die Wut tritt in sein Gesicht. Er steht auf und ruft dabei laut nach Jocelyn, die nach einem kurzen "Hallo" nach oben verschwunden ist. Mom sieht jetzt erschrocken aus und ich sehe, dass sie mit sich kämpft, wahrscheinlich ob sie aufstehen soll oder nicht. Ich weiß wie sehr sie sich auf das Leben hier gefreut hat. Auf das Zusammenleben mit Jack, die neue Praxis, auf Jocelyn, welche wie eine weitere Tochter für sie werden sollte.
Sie entscheidet sich schließlich dafür, sich nicht in Jacks und Jocelyns zerrüttete Beziehung zueinander einzumischen. Jocelyn kommt mit zusammengepressten Lippen und verschränkten Armen zu uns zurück in den Raum und sieht ihren Vater abwartend an. "Wo warst du?", fragt Jack mit lauter Stimme und ich schlucke erschrocken den Schluck Cola herunter, ehe ich ihn noch ausspucke. Wenn mich jemand so plötzlich anschreien würde, würde ich mindestens zusammenzucken, doch Jocelyn zuckt nicht einmal mit der Wimper. Es sieht aus, als ist sie so etwas gewöhnt. Als Jack noch - immer für ein paar Wochen - bei uns in Madrid gelebt hat, hätte ich ihm niemals zugetraut, dass er seine eigene Tochter so anfährt. Klar, Jocelyn hat sich in den letzten Wochen schon sehr, sehr selten Zuhause blicken lassen, aber das könnte Jack auch anders klären. "Ich war bei Ava.", antwortet Jocelyn ungerührt. Jacks Augen funkeln wütend, aber er sieht seiner Tochter nicht ins Gesicht und schon gar nicht in die Augen. Die Vermutung, wieso, ist wie ein Schlag in den Magen für mich. Kann er Jocelyn etwa nicht ansehen, weil sie ihn an ihre Mutter erinnert? Ignoriert er sie deshalb die meiste Zeit? Tut er deshalb oft so, als wäre sie gar nicht da?
"Und warum hast du dann nicht angerufen, um Bescheid zu sagen? Grace hat für uns gekocht." Für einen Moment flackert so etwas wie Reue in Jocelyn's Blick auf, doch die ist genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen ist. "Ich habe es vergessen.", meint sie mit den Schultern zuckend, fügt dann aber noch "Aber du hättest mich sowieso nicht beim Abendessen mit deiner neuen Familie dabei haben wollen, nicht wahr Jack?" hinzu. Ich zucke zusammen und schaue sie betroffen an, aber sie bemerkt es nicht. Jack wird dunkelrot im Gesicht und zeigt mit einer Hand auf die Wand, hinter der die Treppe ins Obergeschoss liegt. "Geh in dein Zimmer, Jocelyn. Ich will dich heute nicht mehr sehen!" Sie verzieht wütend das Gesicht, dreht sich dann aber auf dem Absatz um und stürmt vernehmlich aus dem Raum. Ihre stampfenden Schritte können wir hören, bis sie mit dem zuknallen ihrer Zimmertür verstummen. Jack seufzt und dreht sich wieder zu uns um. Für die harten Worte eben sieht er ziemlich ruhig aus, fast schon unbeteiligt. Das Lächeln, das er uns zuwirft, als er sich wieder zu uns setzt, ist zwar etwas angespannt, aber auf jeden Fall echt.
Als ich mich eine halbe Stunde später nach oben verabschiede, nehme ich noch einen Apfel und eine Flasche Saft mit. Ich weiß zwar nicht, ob Jocelyn schon bei Ava gegessen hat, aber wenn nicht, wird sie sicherlich Hunger haben - und viel zu stolz und bockig sein, um nach unten zu gehen und sich etwas zu essen zu machen. Als ich im ersten Stock am Fitnessraum vorbeigehe, höre ich dumpfe Geräusche, fast schon Schläge, hinter der Tür. Weil es nur eine Person sein kann, die sich dahinter befinden kann, öffne ich die Tür nur ganz zaghaft. Ich habe nämlich keine Ahnung in welcher Stimmung sie gerade ist und wie sie auf meine Anwesenheit reagieren wird. Jocelyn steht mit dem Rücken zu mir, in einer engen Leggins und einem schwarzen Sport-Top. Ich kann die Träger ihres Sport-BHs an ihrem Rücken sehen und ich schlucke trocken, bevor ich ganz in den Raum trete. Bei jedem Schlag, den der von der Decke hängende Boxsack von ihr abbekommt, spannen sich ihre Muskeln an und ich sehe fasziniert zu, wie sie wütend, aber gezielt auf das Leder einschlägt. Es wirkt einstudiert, vertraut, als würde sie jeden Tag darauf einschlagen.
"Alles in Ordnung?", frage ich sie schlussendlich leise und sie zuckt zusammen, als hätte ich sie gerade angebrüllt. Sie wirbelt so schnell herum, dass ihre langen, zu einem Zopf gebundenen Haare gegen den Boxsack peitschen. Ich kann wieder einmal sehen, wie jede Emotion aus ihrem Gesicht verschwindet, wie sie ihre Mauern hochfährt, wie ihre Augen leer und ausdruckslos werden. "Was willst du hier, Dean?", sie spricht meinen Namen aus, als wäre er ein Fluch und auf meine Frage geht sie gar nicht erst ein. Zum Glück fallen mir in diesem Moment der Apfel und der Saft in meinen Händen wieder ein und schnell halte ich sie ihr hin. "Ich wusste nicht ob du schon gegessen hast. Wenn du willst kann ich dir aber auch noch etwas anderes aus der Küche holen." Jocelyn scheint völlig perplex zu sein. Sie will etwas sagen und öffnet den Mund, doch dann schließt sie in wieder ohne ein Wort zu verlieren. Sie starrt nur auf meine Hände. Ich will die Lebensmittel sanft in ihre legen, als ich erstarre. Wie konnte ich übersehen, dass sei keine Boxhandschuhe trägt? Nicht einmal Bandagen? Ich lege den Apfel und die Flasche auf ein kleines Regal neben mir, in dem alle möglichen Hanteln in den verschiedensten Größen liegen, dann nehme ich ihre Hände behutsam in meine und fahre langsam unter den blutigen Stellen entlang, die allmählich beginnen anzuschwellen. Jocelyn atmet zischend ein. Ich sehe ihr in die Augen und jetzt kann ich sehen, was sie fühlt. Die Mauern, die sie so massiv wie Gefängnismauern umgeben, scheinen Risse zu haben. Ich führe ihr Hände an meinen unteren Rücken und lege dann meine Arme um sie. Für einen Augenblick macht sie nichts, sie steht nur da. Doch dann legt sie ihren Kopf auf meine Brust, als ob sie meinem Herzschlag lauschen will, und schließt die Augen.
Ich halte die Luft an, als ich spüre, wie sie die Arme fest um mich schlingt. Fast so, als wäre ich ihr letzter Halt, ehe sie in einen tiefen Abgrund fällt. "Heute warst du wirklich bei Ava, oder? Was habt ihr gemacht?" Auf Jocelyn's Gesicht erscheint ein schwaches Lächeln. Scheint so, als würde mein Versuch sie abzulenken funktionieren. "Wir haben Filme geschaut und über Gott und die Welt geredet und dabei Unmengen von Süßigkeiten verschlungen.", für einen winzigen Moment lang sieht sie glücklich aus. Jung und unbesorgt. Doch dann werden ihre Gesichtszüge wieder hart und sie schließt die Augen, während sie ihre Wange näher an mich drückt. Einen Augenblick lang bin ich verwirrt. Was ist denn jetzt passiert? Doch dann beginnen ihre Schultern zu zucken und ich bemerke die kleine feuchte Stelle auf meinem Shirt - genau da, wo ihre Augen sind. Sie weint. Ich halte sie noch fester und lege mein Kinn auf ihren Scheitel. Mit einer Hand fahre ich weiter nach oben, um ihr sanft übers Haar zu fahren. Einige Minuten lang halte ich sie so, während Jocelyn zittert und bebt, sich aber jeden Laut verbietet. Sie weint still, ohne irgendein Geräusch von sich zu geben, in mein Shirt. Ich hasse es sie so zu sehen. So offensichtlich überfordert von der Beziehung zu ihrem Vater. So offensichtlich alleine. Doch eigentlich ist sie das nicht. Sie hat mich und Ava und unsere anderen Freunde aus der Schule hat sie auch. Sie hat Mom und Jen, die sie so gerne näher kennenlernen würden als bisher.
Ich murmle ihr immer wieder beruhigende Worte zu und umarme sie ganz fest, aber sanft. Hoffentlich bemerkt sie so, dass sie überhaupt nicht alleine ist. Als sie sich schließlich von mir löst, wischt sie sich schnell mit der Hand über die Augen, und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich sehe wie sie damit ihre Mascara nur noch mehr verschmiert. Als Jocelyn sieht, dass ich grinse, deutet sie mit schadenfroher Miene auf mein Shirt. Ich sehe an mir herab und sehe sofort den feuchten, schwarzen Fleck auf meiner Brust. Ich zucke mit den Schultern. "Das kann man wechseln." Ich greife nach ihren Händen und betrachte noch einmal ihre Verletzungen. "Im Gegensatz zu denen." Sie senkt den Blick und es scheint, als würde sie sich schämen. "Hey", sage ich während ich ihr Kinn mit einem Finger sanft nach oben hebe. "Das habe ich nicht gesagt, damit du dich schämst. Ich will, dass du auf dich aufpasst, und nichts anderes." Jocelyn weicht noch immer meinem Blick aus und ich seufze vernehmlich.
Bevor sie sich wehren kann greife ich nach ihrer Hand und ziehe sie aus dem Fitnessraum. "Was machst du?", ihre Stimme klingt rau vom Weinen. "Deine Hand braucht desinfizieren und kühlen.", antworte ich ihr nur, ehe ich sie im Badezimmer zum Badewannenrand führe, worauf sie sich nicht begeistert, aber dennoch, fallen lässt. "Wieso tust du das, Dean? Wieso verarztest du mich immer wieder?" Ich zucke mit den Schultern, während ich den Erste-Hilfe-Koffer aus einem der Schränke ziehe. "Weil du mir wichtig bist, Sunshine. Deswegen."
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Hey ihr Lieben,
ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ihr mir ein Feedback da lassen würdet. Vielleicht in Form eines Kommentares oder mit einem Vote. Ich weiß, dass es lange dauert, einen Kommentar zu schreiben, aber wenn euch ein Kapitel gefallen hat, könnt ihr ja einfach kurz auf den Stern drücken, damit ich weiß, welche Perspektiven/Situationen euch gefallen und welche nicht.
Ganz liebe Grüße und habt einen schönen Tag :D
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