Kapitel 19
Rose Weasley P. o. V.
Am Morgen nach Halloween besuchte Albus mich im Krankenflügel. Mit besorgter Miene und einer Packung Schokofrösche ließ er sich neben meinem Bett nieder. Mein Gesicht war mit Kratzern und Pflastern übersät, Madam Pomfrey hatte meine Haare auf magische Weise nachwachsen lassen und um mein verstauchtes Schienbein befand sich ein Verband. Ich versuchte ein tapferes Lächeln, aber mein Cousin sah mich lediglich ernst an. "Wie geht es dir?", erkundigte er sich fürsorglich und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel. Prompt zuckte ich zurück, das reichte ihm offenbar als Antwort. Es lag nicht an den physischen Schmerzen, nicht die Verletzungen, sondern die Berührung an sich hatte mich in Angst und Schrecken versetzt. Seine Nähe bereitete mir Unbehagen, obwohl er nichts dafür konnte, trotzdem rückte Albus taktvoll ein wenig weiter von mir weg. "Scheiße, Rose, das tut mir so Leid!", sagte er schließlich mit zusammen gebissenen Zähnen. "Sei nicht albern, du und Scorpius habt doch das Schlimmste verhindert!", erwiderte ich voller Dankbarkeit. Tatsächlich hatte ich an Halloween auf dem Weg zum Krankenflügel eine Panikattacke gehabt, aber die beiden hatten mich zuverlässlich zu Madam Pomfrey gebracht. Der Gedanke an meinen anderen Retter versetzte mich trotz allem in Aufregung und ich fragte mich unwillkürlich, warum er nicht mit gekommen war. "Er hat zu tun", informierte Albus mich, der offensichtlich meine unausgesprochene Frage verstanden hatte. Krampfhaft bemühte ich mich, nicht allzu enttäuscht auszusehen. Sehnte ich mich etwa nach Scorpius Malfoy? Nein. Natürlich nicht. "Naja, er muss viel wegen den Angriffen und Überfällen gestern Nacht klären, so als zweiter Schülersprecher. Apropos, wann darfst du hier raus?", wollte Albus wissen. "Wahrscheinlich schon morgen früh. Madam Pomfrey sagt, meine Knochen sind so gut wie geheilt und die paar Schrammen machen mir nur wirklich nichts aus!" Ich grinste so breit wie ich konnte und mein Lieblingscousin schien halbwegs beruhigt zu sein. Jaah, es war wahr. Meinem Körper ging es wieder fabelhaft. Meine inneren Verletzungen jedoch, die würden nicht so schnell verheilen. Sie befanden sich in mir drinnen, es waren tief eingeritzte Narben in meiner Seele, das Blut war noch lange nicht versiegt und kein Pflaster der Welt würde ausreichen, um den Schmerz zu lindern.
Madam Pomfrey hatte vergessen, das Fenster aufzumachen, sodass keine kühle Nachtluft meinen Schlaf erleichterte. Stattdessen wachte ich schweißgebadet mitten in der Dunkelheit auf und fing an, mir unkontrolliert die dicke Decke von den schwitzigen Beinen zu strampeln. Ich wimmerte laut auf, während mein Atem immer schneller ging und zu einem lauten Keuchen wurde. Schweiß. Überall Schweiß. Nein, ich durfte nicht zulassen, dass ich eine erneute Panikattacke bekam. Nicht schon wieder. Sein heißer Atem an meinem Hals, der von meinem Ohr abwärts zur Kehle wanderte. Mittlerweile zitterte ich so heftig, dass ich meine Arme kaum noch stillhalten konnte. Aus meinem Mund kam ein Schluchzer und ich raufte mir das Haar. Verzweifelt klammerte ich mich an jede einzelne Strähne, um bei Bewusstsein zu bleiben. Die Hände des Slytherins krallten sich in meine Brüste und drückten sie fest an sich. Egal wie sehr ich mich auch wandte, er ließ einfach nicht von mir ab. Der Griff der anderen war zu fest, ich konnte mich nicht losreißen. Ich musste die Kontrolle behalten, verdammt! Es gelang mir nicht. Seine feuchte Zunge fuhr langsam und auf ekelerregende Weise an mir entlang, sie schien überall zu sein. Ich quiekte laut auf und er flüsterte mir dreckige, unschöne Dinge ins Ohr, während die anderen laut lachten. Warum lachten sie so sehr? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendetwas auf dieser Welt lustig sein könnte. Ich presste mich noch mehr gegen die Wand, um meinem Peiniger zu entkommen, aber er war unerbittlich. Auf einmal spürte ich seine Zunge in meinem Mund und ich musste würgen. Half mir denn niemand? Es war so laut, irgendjemand schrie. Ich hielt mir weinend die Ohren zu, bis ich realisierte, dass ich es war, die schrie. Obnwohl ich aufhören wollte, konnte ich den Mund nicht schließen, stattdessen hielt mein Kreischen an, bis es schließlich in einem hysterischen Schluchzen und letztendlich in einem unkontrollierten, lauten Lachen endete.
Am Tag darauf wurde ich aus dem Krankenflügel entlassen. Ich musste schrecklich aussehen: Meine roten Haare waren zwar wieder so lang und gewellt wie vorher, aber meinen braunen gequälten Augen musste man den Schmerz, der mich jedes Mal aufs Neue durchfuhr, doch ansehen. Bestimmt würde es jeder erkennen und mich mit mitleidigen Blicken bedenken. Allein der Gedanke war so schrecklich, dass ich beim Frühstück im Krankenflügel nichts runter bekam. Anschließend sollte ich sofort zum Unterricht gehen, zuerst hatten wir Geschichte der Zauberei mit den Slytherins. Dann würde ich wenigstens ungestört mit Albus reden können, die ganze Sache hatte also schon mal etwas Positives. Als ich den Klassenraum betrat, herrschte eine recht aufgeladene und nervöse Stimmung. Es war Montagmorgen in der allerersten Stunde und trotzdem tuschelten alle Schüler und sahen mit wachen Augen hin und her. Meine Freundinnen konnte ich nirgends entdecken, daher ging ich schnurstracks zu den Slytherins. Mein sicherer Gang verlor jedoch an Unbeschwertheit, als ich Scorpius sah. Er hatte eine nachdenkliche Miene aufgesetzt und beide Hände auf die Tischkante hinter sich gestützt. Ich schluckte schwer und trat vorsichtig an die kleine Gruppe heran. "Hey, Rose", Albus' Stimme klang recht schwermütig. "Hi", sagte ich atemlos in die Runde und versuchte krampfhaft, nicht umzukippen, als Scorpius mich von oben bis unten intensiv musterte und sein Blick über meinen Körper glitt. Warte mal, hatte Scorpius Hyperion Malfoy mich gerade abgecheckt? Nein. Natürlich nicht. "Was gibt's denn neues? Habe ich etwas verpasst?", erkundigte ich mich und zupfte am Saum meines T-Shirts herum. "McGonagall hat gerade eine Ankündigung gemacht", unterrichtete Albus mich. Ich runzelte die Stirn: "Ach ja? Warum?" Alle sahen mich beschämt an und wagten es kaum, meine Verletzungen anzuschauen. "Wegen den ganzen Angriffen an Halloween", meinte mein Cousin geradewegs heraus. "Die Lehrer machen sich Sorgen aufgrund des neuen Häuserstreits, sie wollen den Frieden wiederherstellen. Daher setzen sie jetzt auf Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft. Süß, oder?" Seine beißende Ironie überhörte ich. "Was haben sie denn vor mit uns?", fragte ich stattdessen. "Sie haben die kompletten Kurse neu gemischt, sodass immer Schüler aus verschiedenen Häusern zusammen arbeiten müssen. Zudem wollen sie so ein neues Nachhilfeprogramm einführen, bei dem immer Schüler aus dem einen Haus einem Mitglied eines anderen Hauses hilft", sagte Albus kopfschüttelnd. Erst jetzt bemerkte ich, wie viele Schüler aus Ravenclaw und Hufflepuff hier waren und wie viele Slytherins und Gryffindors fehlten. "Außerdem", meldete Scorpius sich nun wütend zu Wort, "findet kein Quidditch mehr statt." Sogar mir - einer uninterressierten Quidditchniete - fiel angesichts dieser Neuigkeit die Kinnlade herunter. Scorpius nickte düster. "Jep. Wir dürfen zwar noch trainieren, aber die komplette Hausmeisterschaft wurde abgesagt, um den Konkurrenzkamps zu beenden" Er klang traurig und am liebsten hätte ich ihm aufmunternd auf die Schulter geklopft, aber ich traute mich nicht. Bevor einer von uns noch etwas sagen konnte, teilte Professor Binns uns einschläfernd wie immer in Vierer-Gruppen ein. Niemanden wunderte es, dass in jeder Gruppe je ein Gryffindor, ein Hufflepuff, ein Slytherin und ein Ravenclaw war. Mit einem Anflug von Bedauern musste ich zusehen, wie Scorpius zu Roxanne - die etwas verängstigt aussah -, Alice - die ebenfalls einen bedrückten Eindruck machte - und einem Ravenclaw ging. Roxy und Alice waren also auch in meinem neuen Kurs, aber Dominique und Lucy konnte ich nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich waren sie in dem neuen, zweiten Kurs gelandet. Glücklich stellte ich fest, dass ich mit Albus in einer Gruppe war. An unserem Tisch saßen außerdem zwei Mädchen, die ich nur vom flüchtigen Sehen kannte, obwohl wir seit über vier Jahren in einem Jahrgang waren. Eines von ihnen trug eine Ravenclaw-Robe, hatte schwarzes, lockiges Haar, grüne Augen, eine etwas krumme Nase und markante Gesichtszüge. Die andere schien eine Hufflepuff zu sein, ihr glattes Haar war blond und ihre Augen hellblau, sie stellte sich sogleich in einer atemberaubenden Sprechgeschwindigkeit vor: "Hey! Na, ihr? Du bist Rose, Rose Weasley, richtig? Ich hab schon sooo viel von dir gehört! Ich bin Penny, Penny Black, aber es reicht, wenn ihr nur Penny sagt! Ehrlich, wir müssen sooo viele doofe Sprüche wegen unserem Nachnamen ertragen. Ich meine, klar, unsere Vorfahren waren nicht die Nettesten, aber was können wir denn bitte dafür?" Penny zog eine Schnute. "Mein herzliches Beileid", kommentierte Albus trocken. Peinlich berührt gab ich ihm unter dem Tisch einen Fußtritt gegen das Schienbein, doch Penny nahm den Sarkasmus gar nicht wahr. "Jaaa, ich weiß, echt schlimm! Das ist übrigens Elinor, meine Schwester, wir sind Zwillinge! Aber zweieiig, darum sehen wir auch so verschieden aus. Was haltet ihr von dem ganzen neuen System? Krass, oder? Ich schwöre, ich hätte nie gedacht, dass so viele Angriffe passieren könnten, hallooo? Wo sind wir denn hier?" "In Hogwarts", murmelte Albus aus dem Mundwinkel. Zu meiner Überraschung kicherte Elinor an dieser Stelle und warf Albus einen neugierigen Blick zu, obwohl dieser sich doch gerade auf indirekte Weise über ihre Schwester lustig gemacht hatte. "Hä?", machte Penny verdutzt und stemmte die Arme in die Seite. "Nicht so wichtig", sagte ich schnell, da ich andere Leute nicht gern in unangenehme Situationen brachte. Penny fuhr rasch fort: "Das kam jedenfalls sooo überraschend und Rose, es tut mir sooo wahnsinnig Leid, dass dir das passieren musste. Aber Scorpius hat dich ja gerettet, ohlala, das war ja sooo romantisch!" Sie zwinkerte neckisch. Am liebsten hätte ich meinen Kopf in den Händen vergraben. Penny schien eine ganz Nette zu sein, aber es stellte sich schnell heraus, dass sie die Weisheit nicht mit Löffeln gegessen hatte. Sie wollte niemandem etwas Böses, aber an Taktgefühl und Feinheit mangelte es ihr. Und Dummheit und Dreistheit waren schon immer eine sehr schlechte Kombination gewesen. Verwundert sah ich, dass Elinor von einem ganz anderen Schlag war als ihre Schwester. Nie im Leben wäre ich darauf gekommen, dass die beiden verwandt, geschweige denn Zwillinge waren. Penny quatschte die gesamte Gruppenarbeit durch, während Elinor eher schweigsam war. Doch wenn sie das Wort ergriff, dann waren es kluge und durchdachte Worte. Im Gegensatz zu ihrer Schwester fasste sie sich kurz und drückte sich gewandt aus. Leider waren sie und mein Cousin eher damit beschäftigt, ironische Kommentare und gespielt ernste Bemerkungen über Pennys Erzählungen zu machen, die unentwegt von Frank Longbottom schwärmte. "Er ist sooo süß und freundlich und gutaussehend!", sie giggelte albern. "Ich schwöre es euch, an Halloween hat er mir zugelächelt. Mehrmals!" Kokett klimperte sie mit den Wimpern und stützte ihr Kinn auf ihren Händen auf. Albus schlug mit der flachen Hand auf den Tisch: "Nein! Wirklich? Im Ernst?" Penny nickte heftig, während der ernsten und gefassten Elinor ein Glucksen entwich. "Ja! Wenn ich es euch doch sage, Frank hat mich angelächelt! Es lief gerade ein Song von den Beatles, wisst ihr, unsere Eltern sind riesige Beatles-Fans, deshalb heißen wir ja auch Elinor, wegen Eleanor Rigby, und Penny, wegen Penny Lane. Cool, oder? Wo war ich nochmal? Ach ja! Es lief ein Lied von den Beatles, ich glaube, Paul McCartney hat gesungen, so hat es sich jedenfalls angehört, und Frank hat mich angelächelt, aber leider nicht angesprochen. Bestimmt hat er sich nicht getraut. Ich wette, er hat sich nicht getraut! Aber wenn er mich zum Tanzen aufgefordert hätte, meine Güte, ich sage euch: Wahrscheinlich wäre ich in Ohnmacht gefallen! Und sonst hätte ich gesagt: 'Sehr gerne, Mr Longbottom!', und natürlich einen Knicks gemacht! Das hätte ich gesagt!" Ihr Redeschwall endete in einem verträumten Blick. "Es ist doch immer gut, wenn man weiß, was man sagen würde", meinte Elinor ernst nickend. Sie und Albus hatten auf jeden Fall ihren Spaß, aber mich langweilte die Unterhaltung zutiefst. Und da scheinbar niemand aus unserer Vierer-Gruppe auch nur einen Gedanken an das eigentliche Projekt über die Riesenkriege verschwendete, blieb die gesamte Arbeit an mir hängen. Ab und zu warf ich unauffällig einen Blick zu Scorpius, der mich jedes Mal zu beobachten schien, dann aber schnell weg sah. Ich spürte ein Kribbeln im Bauch. War ich etwa . . . in ihn verliebt? Nein! Natürlich nicht!
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