adrenaline
Mitten in der Nacht wache ich von einem lauten Knall auf. Auch Levi, der neben mir liegt hat es gehört und setzt sich sofort hin. Seit unserem Gespräch sind ein paar Tage vergangen und nach langem Überlegen habe ich mich doch dazu entschieden, wieder bei ihm im Bett zu schlafen. Aber dieser Knall… „Zieh dich an“, befiehlt Levi mir sofort, ehe er aufsteht und in seine Schutzkleidung schlüpft. Ich tue es ihm gleich, als auch schon der nächste Schuss ertönt.
Adrenalin strömt durch meinen ganzen Körper und vor Nervosität zittern meine Hände. Das ist also einer dieser Notfälle, von dem mein Boss immer gesprochen hat; nur habe ich gehofft, bei sowas nicht dabei zu sein. Schweigend nehme ich die Waffe an mich, die er mir hinhält, sowie ein kleines Messer, welches ich in meiner Jackentasche verstaue.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als wir gemeinsam durch die Tür gehen und lautes Geschrei hören, wobei ich als erstes durch den Flur gehe und die ersten Türen sichere. Plötzlich kommt Berthold um die Ecke und will uns etwas zurufen, jedoch ertönt erneut ein Knall, ehe er gegen die Wand donnert und eine Spur aus Blut hinterlässt. Geschockt halte ich mir die Hand vor den Mund und muss die Tränen unterdrücken. Er ist einfach so... Scheiße. Hilfesuchend schaue ich zu Levi, der aber nur andeutet, nach vorne zu schauen. Zu Sicherheit greife ich schon nach meiner Waffe und halte sie nach vorne gerichtet, während wir langsam auf Berthold zugehen.
„Na so was“, ertönt dann eine, mir nur allzu bekannte, Stimme, als auch schon Erwin mit drei anderen Männern hinter sich auf uns zukommt. Fuck, der Sender! Den habe ich komplett vergessen! Nur deshalb ist er jetzt hier… warum bin ich nur so dumm? Was habe ich mir dabei gedacht? Nur deshalb ist Berthold jetzt… Schelmisch grinst er uns an wobei ich mich schützend vor Levi stelle. „Oh mein kleiner Bruder, musst du dich wirklich hinter deinem Hündchen verstecken? Traust du dich nicht, direkt mit mir zu sprechen?“, provoziert er, während er seine Knarre um seinen Finger dreht. Hat er etwa Berthold einfach so erschossen? Wenn ja, dann kann ich ihm das nicht verzeihen. Er hat ihm doch überhaupt nichts getan!
„Ich weiß nicht warum du hier bist und woher du dir die Erlaubnis nimmst, meine Männer zu erschießen, aber das Armband bekommst du nicht. Genauso wenig Ginza.“ Levi tritt neben mich und verschränkt seine Arme vor der Brust. „Was machst du da“, flüstert ich verzweifelt zu ihm, da ich ihn so nicht schützen kann. Er soll doch hinter mir bleiben! So wie ich Erwin einschätze, wird er nicht zögern zu schießen! Und ich könnte es mir nie verzeihen.
„Du bist so egoistisch, Levi. Aber du willst mir keine Wahl lassen“, sagt Erwin mit einer gespielten, bemitleidenden Stimme, ehe er mit den Fingern schnippst und plötzlich seine Leute auf mich zukommen, um mich festzuhalten. Aus Reflex ziele ich auf einen, jedoch schnappt er sich früh genug meine Hand und der Schuss geht daneben. „Lasst mich los“, brülle ich sofort, kann mich jedoch keinen Zentimeter bewegen, da die Kerle stärker sind, als sie aussehen. Erwin geht in der Zeit auf Levi zu, der ein paar Schritte nach hinten macht. Fuck, er will doch jetzt nicht…
„Meine Geduld ist zu Ende“, brummt Smith und zielt auf Levi. Automatisch lasse ich meine Arme locker, sodass die Jacke von meinen Schultern rutscht und ich die Typen von mir wegstoßen kann. Erneut stelle ich mich vor Levi und breite meine Arme schützend aus. Egal ob er das Armband verdient hat oder nicht, egal was er getan hat, es gibt Erwin noch lange nicht das recht, ihm irgendwie weh zu tun!
„Aus dem Weg“, brummt der Blonde nur angepisst, ehe schlagartig seine Faust in meinem Gesicht landet und ich gegen die Wand stoße. Keuchend halte ich mir meine schmerzende Wange, wobei mir für einige Sekunden Schwarz vor Augen wird. Der Schlag hat gesessen. Sofort zückt Levi auch seine Waffe, die aber von Erwin direkt aus der Hand geschossen wird. Kraftlos sacke ich auf den Boden und muss das ganze mit ansehen. Wozu habe ich denn so viel trainiert, wenn mich ein einziger Schlag so außer Gefecht setzt?!
„Ich gebe dir noch eine Chance, mir zu sagen, wo dieses verdammte Armband ist!“ Erwins Stimme wird lauter, die mir ungewollt eine Gänsehaut verpasst. Er macht mir Angst. Dieser Mann macht mir einfach nur Angst. „Nur über meine Leiche“, zischt Levi direkt zurück, als auch schon ein lauter Schuss ertönt. Die Panik in mir steigt, jedoch hat Erwin knapp neben Levi auf den Boden geschossen.
Ich bin total aufgeschmissen. Was soll ich tun? Was soll ich besser nicht tun? Diese angespannte Luft, diese Angst, dass gleich jemand bewusstlos und blutend zu Boden geht, das alles ist mir zu viel. Meine Waffe liegt bei den Typen, die jederzeit bereit sind, mich aufzuhalten. Erwin ist viel zu stark, er würde mich direkt wieder zu Boden schlagen. Ich bin absolut hilflos. „Dein Vater hat mich genauso sehr geliebt wie dich. Habe ich es also nur nicht verdient, weil ich nicht sein leibliches Kind bin? So funktioniert das nicht, Erwin.“ Levis Stimme ist kühl.
Frustriert fängt Erwin an zu lachen. Vielleicht hängt ihm doch noch etwas an Levi und er bringt es nicht übers Herz, ihm etwas anzutun. Aber warum dann das ganze? Ist es ein Armband wirklich wert, dafür über Leichen zu gehen? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, für ein Schmuckstück Menschen umzubringen. Unschuldige, wohlgemerkt. Berthold hat ihm mit Sicherheit nichts getan…
„Du sollst leiden“, haucht er schließlich, als er aufgehört hat zu lachen und schießt ein letztes Mal. Diesmal auf Levi, direkt an der Schussweste vorbei, in seinen Bauch. Ein schmerzerfüllter Schrei füllt den Raum, wobei Erwin sich wortlos umdreht und weggeht, gefolgt von seinen Leuten. Perplex schaue ich ihm nach und dann zu Levi, der auf die Knie sinkt und sich die blutende Wunde hält. In meinem Kopf rattert es; es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bevor ich es geschnallt habe und mich in Bewegung setzen kann, um zu Levi zu krabbeln. Meine Beine haben vor Schock keine Kraft mehr.
„Scheiße“, fluche ich vor mich hin und drücke Levi nach hinten, sodass er auf dem Rücken liegt. Aus seinem Bauch kommt so viel Blut... Fuck. Das ist doch alles nur meine Schuld. Wäre ich nur nie zu Erwin gegangen, dann wäre das alles nicht passiert. Mein Kopf ist am explodieren, erst dieser Schlag, der unendlich schmerzende Kopfschmerzen auslöst und dann auch noch das hier. Verzweifelt versuche ich mir in Erinnerung zu rufen, wie ich so eine beschissene Schusswunde behandle.
Erstmal muss ich sicher gehen, dass ich die Kugel nicht entfernen muss. Die Kugel ist nicht in der Nähe vom Darm, sondern weiter außen, also ein gutes Zeichen. Ich glaube mal, ich kann sie drinnen lassen.
Trotzdem muss ich die Wunde versorgen können. Vorsichtig ziehe ich also Levi die Schussweste aus und hole aus meiner Hosentasche das kleine Kästchen, welches ich damals bei Berthold bekommen habe. Dort ist alles drin, um Levis Wunde versorgen zu können – auch, wenn ich das bisher nur einmal geübt habe. „Das könnte jetzt etwas wehtun, okay?“, hauche ich leise und drehe Levis Kopf zu mir. „Hey, du musst wach bleiben“, sage ich diesmal etwas verzweifelter, wobei er mich schwach ansieht. Sofort steigen mir die Tränen in die Augen. Das hier kann doch nur ein schlechter Traum sein. Ich will Levi nicht verlieren, erst recht nicht so.
„Es tut mir leid“, flüstere ich leise, bevor ich die Wunde desinfiziere und so gut es geht das Blut wegwische. Da aber immer wieder neues austritt, gebe ich diese Methode schnell auf und versuche stattdessen, die Wunde direkt zu nähen. „Dir brauch nichts leidtun“, murmelt Levi leise und verzieht jedes Mal das Gesicht, wenn ich mit der Nadel in seine Haut steche. Es sieht nicht so gut aus wie bei der Übung, scheint aber trotzdem seinen Zweck zu erfüllen. Wenn Levi wüsste, dass das alles hier meine Schuld ist, wäre er jetzt nicht so. Er wäre wütend und würde mir den Kopf abreißen. Stattdessen ist er gerade fast am verbluten.
Schweigend lege ich ihm noch einen Druckverband an und hoffe wirklich, dass es reicht. Nachdem ich damit fertig bin, hole ich meine Jacke und ziehe Levi diese über. Sie ist ihm ein bisschen zu groß, aber das macht nichts. Durch den Blutverlust sind seine Hände ganz kalt geworden und anders weiß ich mir gerade nicht zu helfen. Plötzlich höre ich wieder Schüsse. Hat Erwin denn immer noch nicht genug?! Reicht es nicht, dass er schon jemanden umgebracht hat?! Das geht doch langsam viel zu weit!
„Eren“, brummt Levi leise und greift nach meiner Hand. Nach wie vor ist mein Gesicht übersäht mit Tränen, die ich mir wegwische, bevor ich zu Levi schaue. „Vom Büro aus führt eine Treppe nach unten… Danach in den Wald, immer geradeaus. Es kommt ein kleines Haus, von dem keiner weiß. Bring mich dahin.“ Levis Stimme ist schwach und es zerbricht mir buchstäblich das Herz. Ich hätte es nicht so weit kommen lassen sollen. Was bin ich nur für ein Mensch?
„Ich vertraue dir. Bisher weiß nur Furlan von dem Haus“, meint er noch dazu und sticht mir damit ein Messer in die Brust. Jetzt, wo ich ihn verraten habe, vertraut er mir... Schlimmer kann es nicht mehr werden. Ich fühle mich einfach miserabel. Wortlos nicke ich, ehe ich aufstehe und es gerade so schaffe, Levi auf meinem Rücken huckepack zu nehmen. Meine Beine zittern und eigentlich habe ich keine Kraft, aber die Schüsse im Hintergrund finde ich schlimmer, als ihn jetzt zu tragen. Seine Arme hat Levi fest um meinen Bauch geschlungen und seinen Kopf hat er auf meinem Rücken abgelegt, während ich ins Büro gehe und irgendwie aus dem Fenster steige. Tatsächlich ist dort eine Art Feuertreppe, sodass ich ohne große Mühe nach unten komme.
Es fühlt sich falsch an, jetzt einfach zu gehen, auch wenn es meine Aufgabe ist, Levi in Sicherheit zu bringen. Im Haus wir gerade wahrscheinlich jeder von Erwin abgeschossen und wir machen uns einfach aus dem Staub… so geht das doch nicht. Überlassen wir den anderen wirklich ihrem Schicksal? Und was ist mit den Verletzten oder den Überlebenden? So viele Fragen schleichen sich in meinen Kopf, die die Schmerzen nicht weniger erträglich machen. Besonders, weil ich keine Antwort darauf finde.
Nach einer ewigen Strecke durch den Wald kommen wir tatsächlich an einem sehr kleinen Haus an, welches ich einfach durch die Tür betreten kann, da Levi mir auf halber Strecke einen Schlüssel in die Hand gedrückt hat. Sanft lege ich ihn auf das Sofa und schaue ihn an. Das ist immer noch alles meine Schuld. Wie soll ich das nur wieder gutmachen? Meine einzige Aufgabe ist es, ihn zu beschützen und dabei habe ich versagt.
Dabei… mag ich ihn doch irgendwie.
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Bin noch nicht geübt darin Action zu schreiben, hoffe es ist trotzdem in Ordnung so :)
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