3 🔒 It's now or never

NIALL 03.12.2016

Nein.
Nein.
Einfach nein.
Bitte nicht.

Am liebsten möchte ich in genau diesem Moment einfach los schreien. Das darf doch einfach nicht wahr sein!
Gerade als ich kurz davor bin, meinem Ziel einen Schritt näher zu gelangen, höre ich ein furchtbares Gepolter und gleich darauf ein fürchterliches, herzzerreißendes Schluchzen. Jemand schreit, etwas fällt auf den Boden.
All dies hätte mir völlig egal sein können, absolut schnuppe, immerhin habe ich beinahe die rosig, zarten Lippen der wunderschönen Sarah Adams auf meinen gespürt. Aber eben nur beinahe.
Denn jenes fürchterliche, herzzerreißende Schluchzen kommt mir viel zu bekannt vor, als das ich es einfach ignorieren kann.

"Verdammte Scheiße", fluche ich leise und sehe in ein verwirrtes, nebenbei bemerkt, wunderschönes, Gesicht. "Es tut mir Leid", stammle ich und erkläre ihr flüchtig, dass ich dringend nachsehen muss, was passiert ist. Noch bevor ich die beiden sehe, höre ich eine männliche Stimme beschwichtigend auf meine beste Freundin einreden. Eine männliche Stimme, für welche sie unter anderen Umständen mit Sicherheit sterben würde. Dass sie wahnsinnig in ihren Labor- und Prüfungspartner verknallt ist, dürfte kein großes Geheimnis mehr sein. Umso überraschter bin ich, als ich sie endlich sehe. Einige Meter von Sarah und mir entfernt, stehen sie da. Felix hat ihr Gesicht in seinen Händen und als er sie küsst, fällt mir beinahe alles aus dem Gesicht. Jackpot!

"Yes!" juble ich leise und boxe im 80er Jahre Schnulzen-Film-Stil in die Luft. Dass Sarah mir aus Sorge gefolgt ist, habe ich für diesen einen Moment vergessen. Hoppla. Peinlich.

"Eh, willst du mir was sagen, Niall?" fragt sie verwirrt und streift sich eine der dunklen Haarsträhnen hinters Ohr. Ihr Blick sagt eindeutig 'What the fuck?!'

"Ne, ne, alles gut." Mehr fällt mir gerade in diesem Moment einfach nicht ein, denn ich weiß nicht so recht, was genau ich tun soll. Soll ich mich freuen und lachend auf meine beste Freundin zugehen, ihr ein High Five geben? Immerhin kenne ich sie schon mein halbes Leben lang und daher weiß ich ganz genau, wie sie für Felix fühlt. Es gibt nichts, was wir uns nicht gegenseitig erzählen. Oder soll ich lieber erst einmal Sarah erklären, was genau hier gerade eigentlich passiert, warum ich hier stehe, starre und grinse, wie der letzte Vollidiot? Vor allen dingen sollte ich aber erst einmal Harrie fragen, warum zur Hölle sie so furchtbar geschrien hatte. Mir fällt in dieser Sekunde nämlich nicht ein einziger Moment ein, in welchem sie derart die Kontrolle verloren hatte. Und schon gar nicht vor anderen Menschen. Gleich nachdem sich diese Frage geklärt hat, die Frage, was Harrie passiert ist, kann ich mich immer noch um Sarahs tiefe Verwirrung kümmern.
"Ich muss das eben klären", meine ich zu Sarah und hauche ihr einen sanften Kuss auf die Wange. "Treffen wir uns in einer Stunde im 'McCarthy's'?"
"Ich bitte darum", antworte ich kess grinsend. Dass ich innerlich Luftsprünge machen könnte, weil sie von sich aus auf mich zugekommen ist, weil sie mich indirekt auf eine Art Date eingeladen hat, versuche ich, so gut ich kann zu überspielen. Ob es mir aber wirklich gelingt, glaube ich nicht.
Mit einem Lächeln auf den Lippen verabschiedet sie sich. Ich hingegen gehe mit einem mulmigen Gefühl im Bauch auf Harrie und Felix zu. Letzt genannter hält meine beste Freundin immer noch in den Armen, läuft jedoch knallrot an, als er mich sieht und löst diesen schönen Moment auf.
"Harriett?" frage ich leise und vor allem vorsichtig, da ich nicht hundertprozentig einschätzen kann, ob Harrie eher sauer oder eher traurig ist. Ein Blick in ihre Augen reicht: meine beste Freundin ist bitter enttäuscht. Und dieser Anblick bricht mir beinahe das Herz. Schon fast automatisch öffne ich meine Arme.
"Maus, komm her."
"Was machst du denn hier?" fragt sie bedröppelt und gleichzeitig froh, kommt aber direkt auf mich zu. Noch bevor ich antworten kann, ergreift Felix das Wort.
"Weißt du was? Ich kläre das jetzt! Wir treffen uns einfach später wieder okay?" Und damit verschwindet er auch schon. Zwar ruft Harrie noch einmal nach ihm, doch der Dunkelhaarige bleibt verschwunden.
"So eine verdammte Scheiße!" schreit sie mit einem Male auf und stampft frustriert mit dem Fuß auf.
Harriett ist ein unheimlich lieber, sehr einfühlsamer  Mensch. Sie ist emotional und genau das bekomme ich zu spüren. Ihre Trauer schlägt mit einem Male um in pure Wut und das nur, weil ich sie nach dem Grund ihres ungewöhnlich emotionalen Verhaltens gefragt habe.
"Wir sind durch die beschissene Prüfung gerasselt", jammert sie wieder. Diese Stimmungsschwankungen überfordern mich, sind aber nichts neues. Mittlerweile bin ich ihre Höhen und Tiefen gewohnt, denn vor allem wenn sie ihre Tage hat, ist sie nahezu unausstehlich. Diese eine Woche im Monat, ist die einzige, in welcher ich froh bin, wenn ich sie während der Tour nicht um mich habe. "Und weißt du warum? Nur, weil dein beschissener Freund sich an einer der Feiern an meine bescheuerte Professorin ran machen musste!"
"Wie bitte?!" frage ich entsetzt. Das kann doch nicht ihr Ernst sein?
Doch in ihrer blinden Wut führt sie weiter aus: "Diese blöde Schnepfe weiß ganz genau, dass ich mit Liam befreundet bin und seit er sich während seiner Pause mit Sophia an sie rangeschmissen und sie danach wieder fallen gelassen hat, hat die Alte mich noch mehr auf dem Kieker als sonst schon!"
Völlig fassungslos sehe ich meine beste Freundin an. Es gibt nur eins, was sie von dieser bescheuerten Vermutung wieder herunter holen kann. Klare Worte.
Und Schokolade mit Karamell.
"Ich brauche eine Zigarette", schnaubt sie wütend und dampft ab. Mich lässt sie einfach stehen, noch bevor ich etwas sagen kann. Mein gekränkter stolz möchte ihr hinterher brüllen, dass sie dieses Laster eigentlich schon vor Jahren aufgegeben hat. Mein Selbsterhaltungstrieb lässt mich jedoch schweigen. 
Also tue ich das einzig richtige: ich rufe auf dem Weg in die Campus Cafeteria ihren Bruder an, berichte Tom von ihrer gescheiterten Prüfung und besorge ihr eine heisse Schokolade.
Harrie meint es nicht so, sie war schlicht weg sauer und wusste nicht wohin mit den aufgestauten Gefühlen. Das weiß ich nicht nur, nein, ich verstehe es. Genau deshalb gönne ich ihr, ihre fünf Minuten, bevor ich mich auf die Suche nach ihr mache.

Es dauert ein wenig bis ich sie tatsächlich finde. Mit dem Gesicht in ihren Händen vergraben, sitzt sie auf einer Bank unter einer großen Eiche. Zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmt eine glimmende Zigarette.
Erst, als ich nur zwei Meter vor ihr stehen bleibe, schaut sie auf.
"Es tut mir Leid, das war total bescheuert", gibt sie sofort kleinlaut zu. Ich erwidere bloß mit einem trockenen 'Ja' und reiche ihr die Schokolade. "Du bist ein Engel."
"Ich weiß." Besserwisserisch grinsend lasse ich mir neben ihr auf die hölzernere Bank fallen und lege meinen Arm um ihre Schulter. "So und jetzt erzählst du mir, was los ist und dann verziehen wir uns von hier und treffen Sarah im 'McCarthy's', okay?"
"Ich bitte darum."

Den Kopf an meine Schulter gelehnt, fängt Harrie an zu erzählen und hört beinahe nicht mehr auf. Die gebürtige Schottin erzählt alles. Von A bis Z. Wie aufgeregt sie war, wie Felix sie beruhigt hatte, wie sie die Prüfung gemeistert hatte und wie stolz sie gewesen war. Vor allem aber beschwerte sie sich über die Frechheit, über die Unfairness, über die haltlosen Unterstellungen. Die Experimente seien nicht kindgerecht, sie seien zu gefährlich. Die Ausarbeitung sei schlampig, von der Verschriftlichung ganz zu schweigen. "Das ist absoluter Bullshit, Niall! Wir haben unsere Experimente mit unserem zuständigen Prof zuvor besprochen und, genau wie bei allen anderen, wurden sie abgesegnet. Wäre das nicht der Fall hätten wir es nie gemacht!"
"Ich verstehe das alles nicht", seufze ich auf. Ich mag vielleicht das chemische Verständnis einer Amöbe besitzen, doch selbst mir konnten die beiden ein bisschen Chemie beibringen, selbst ich konnte mich für Ihre Experimente begeistern.
"Horan?" Nach einem Moment der Stille wendet sie das Wort an mich. "Ich möchte jetzt was fettiges Essen und einen Schnaps, okay?"

Und genau das bekommt sie. Das 'McCarthy's' bietet nicht nur geniale, riesige und vielseitige Salate an, sondern auch großartige French Fries und leckere Burger.
In dem kleinen Lokal treffen wir sofort auf Louis, Eleanor, Tom und Sarah. "Du hast sie eingeladen?" fragt Harrie und betritt das modern eingerichtete Lokal. Ihre Stiefel klackern auf dem dunklen Laminat, als wir uns zu unserem Stammtisch begeben. Die Linke hintere Ecke, direkt hinter der Bar. Eleanor, welche uns als erstes bemerkt, kommt auf uns zu, noch während ich Harrie erkläre, dass ich ihr ein wenig Ablenkung organisiert habe. Ablenkung, die sie nur zu gut gebrauchen kann. Ablenkung, die sie in den nächsten Stunden zu genüge bekommt.
"Harrie, mein Schatz! Du kommst genau richtig, ich habe gerade die erste Runde Tequilla bestellt", quietscht Ellie fröhlich und schließt unsere gemeinsame beste Freundin direkt in die Arme. Ich hingegen begrüße Sarah zuerst mit einem gehauchten Kuss auf die Wange. "Danke Schön", flüstere ich. "Ach was! Als würde ich deine Freunde hängen lassen. Sie sind zum Teil auch meine Freunde und den anderen Teil überzeuge ich schon noch, keine Sorge." Anzüglich zwinkert sie mir zu und setzt sich schließlich neben Tom, als wäre nichts gewesen. Diese Frau macht mich wahnsinnig. Wahnsinnig scharf, das muss ich in diesen Moment einfach zugeben; eine Tatsache, die ich an diesem Abend unter Beweis stellen werde. Immerhin ist mir Harrie bei der Mission 'Endlich glücklich werden' einen Schritt voraus, das kann ich unmöglich auf mir sitzen lassen!

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