2 🔒 Lay your hands on me





HARRIETT 03.12.2016

Wieder und wieder schaue ich auf meine Notizen, gehe den Ablauf in Gedanken durch und blicke gen Himmel. Ohne, dass ich es wirklich registriere, tigere ich vor den Türen hin und her. Und mache Felix damit völlig kirre. "Alter, Harrie!" keift er mit einem Male laut und lässt mich zusammen schrecken. Trotz seines harten, lauten Tons, lächelt er mich lieb an. "Beruhige dich, Harrie. Wir bekommen das schon hin." Dieses Mal legt er seine Hände nicht nur beruhigend auf meine Schultern, er zieht mich zu sich und schließt seine Arme um mich, um mich zu beruhigen. Das mein Herz nur noch schneller schlägt, als zuvor, weiß er nicht. Sein Aftershave riecht immer noch wahnsinnig gut und ich muss mich zwingen nicht genießerisch die Augen zu schließen, während er sanfte Kreise auf meinem Rücken malt.
"Wir bekommen das schon hin", versichert er mir, während er mir tief in die Augen schaut. Ich hingegen murmle nur: "Wenn du das sagst." Zuversicht klingt definitiv anders und auch die lieben Nachrichten von Niall, meinen Geschwistern und Eleanor, meiner besten Freundin, mindern meine Nervosität nicht einmal Ansatzweise. Sie drücken mir die Daumen, doch helfen kann es mir im Endeffekt auch nicht. Meine weitere Zukunft hängt von dieser Prüfung ab und damit liegt es ganz alleine an mir. Meine Freunde können mir nicht helfen.

Prüfend sehe ich zum x-ten Male auf die Uhr. Ich habe beim besten Willen keine Geduld mehr und möchte diesen furchtbaren Tag einfach nur noch hinter mich bringen. Doch bei meinem wiederholten Blick sinkt nicht nur meine Laune, sondern auch Felix' in unergründete Tiefen.

"Harriett, du machst mich wahnsinnig", seufzt er auf und kramt in seiner Tasche. Was genau er sucht weiß ich nicht und ich sehe es auch nicht. Viel zu sehr beschäftigt bin ich mit seiner nachfolgenden Handlung. Er sieht sich um, schaut zwischen der verschlossen Tür und mir hin und her und dann greift er nach meiner Hand, verschränkt unsere Finger, jagt mir nebenbei bemerkt einen Schauer über den Rücken und zerrt mich mit sich.

Der Hörsaal, welchen wir gestern noch in ein reines Chaos verwandelt haben, befindet sich direkt neben dem Eingang zum Naturwissenschaftsgebäude der Universität. Auch wenn es keine fünfzig Meter sind, die wir uns bewegt haben, möchte ich ihm am liebsten eine Scheuern.

"Felix, was soll das!" keife ich ihn an. Der kalte Wind pfeift mir um die nackten Arme. Doch ihn scheint es überhaupt zu stören, steht er doch selbst in einem lockeren, dünnen Hemd vor mir. Anstatt mir zu antworten, tritt er näher zu mir heran und streift eine Strähne meiner dunklen Haare aus dem Gesicht, um mir einen der Kopfhörer ins linke Ohr zu stecken. Er selbst nimmt den rechten Kopfhörer, drückt auf seinem Handy herum und schiebt es zurück in die Hosentasche.

Leise erklingt die Melodie und mir rutscht automatisch das Herz in die Hose.

'Shatterd' von Trading Yesterday erklingt leise, während Felix seine linke Hand leicht oberhalb meiner Hüfte platziert. "Wir zwei Hübschen werden uns jetzt ablenken, bevor du mich noch wahnsinnig machst." Für mich ist es völlig überflüssig noch zu denken. In dem Moment, in welchem der Refrain erklingt, in welchem der Wind durch meine langen Haare fegt, in welchem Felix mich dreht; in all diesen Momenten schaffe ich es nicht einmal darüber nachzudenken, ob ich schon geatmet habe oder nicht doch sicherheitshalber ein bisschen Sauerstoff zu mir nehmen sollte.

Eine Sache kreuzt meine Gedanken. Eine einzige.

Ich bin diesem Mann heillos verfallen.

Und bekomme es partout nicht gebacken, es ihm auch zu zeigen. Verdammte Axt, das kann doch nicht so schwer sein?

Meine Füße tragen mich wie von selbst, dabei kann ich eigentlich gar nicht tanzen. Theoretisch grenzt es an ein Wunder, dass ich Felix nicht die Füße breche, doch dieser kleine Moment, diese kleine heile Seifenblase, kreiert  eine für mich perfekte Illusion.

Eine illusion die ein jähes Ende nimmt.

"Ms. Lancaster, Mr. Wilde, wenn Sie dann bitte so freundlich wären und diesen Zirkus beenden könnten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar." Cheryl Cole, unsere 33- jährige Chemieprofessorin und meine selbsternannte Erzfeindin steht in der Tür zum sogenannten Nat-Gebäude. Die Schutzbrille hängt ihr wie immer aus der Kitteltasche und unnötigerweise trägt sie einen verboten, kurzen Rock mit hochhackigen Tretern. Alles ist wie immer. Ekelhafter Ton, keine Manieren, nuttige Kleidung und ein Todesblick in meine Richtung. Eigentlich durfte doch nichts schief gehen, oder? Wenn alles genau so war, wie immer? Natürlich ändert es nichts an der Tatsache, dass ich anlaufe wie eine Tomate und peinlich Entschuldigungen vor mich hin plappere.

Doch Felix lässt meine Hand nicht los. Er grinst der blöden Schrulle nur kess zu und läuft zusammen mit mir an ihr vorbei in den Saal hinein. Neben Ms. Cole sind auch die anderen Prüfer, samt Protokollant anwesend. Sie scheinen tatsächlich auf uns gewartet zu haben.

"Guten Tag", grüßt Felix jedes einzelne Mitglied des Prüfungsausschusses. Trottelig tue ich es ihm gleich, überlasse Felix aber weiterhin das Reden. Ich lasse ihn erklären, wie unser Plan aussehen wird, während ich die Chemikalien zusammen suche und beginne die Tafel anschließend zu beschriften.

"Können wir das schaffen?" fragt Felix flüsternd, nachdem der Versuchsaufbau und all die anderen Formalien abgeschlossen sind. Das schelmische Grinsen auf seinen Lippen macht viel mit mir. Beruhigen tut es mich auf keinen Fall und auf diesen blöden Bob der Baumeister- Spruch werde ich genau so wenig anspringen. Ich möchte das alles bloß so schnell, wie nur irgend möglich hinter mich bringen.


Mit einem Knall geht die Saaltür hinter mir zu. Dass ich zusammen zucke, kann ich nicht verhindern. Mein Hals ist trocken, ich zittere, wie Espenlaub und mir ist speiübel. In meinem Kopf rauschen sämtliche Möglichkeiten mit Lichtgeschwindigkeit von A nach B.

Die Schaumschlangen waren zu groß, die Farbe nicht deckend genug. Die Erklärung war sicher falsch. Haben wir die Butangasflasche zugedreht? Habe ich die richtige Formel angeschrieben?

Felix reißt mich schließlich aus meinen Gedanken. Dicht steht er vor mir und grinst: "Weißt du, was das Beste daran ist, dass wir diesen Kram hinter uns haben?" Er fragt, gibt mir jedoch keine Zeit, um zu Antworten. In Sekundenbruchteilen spüre ich seine warmen Hände an meinem Hals und seine weichen Lippen auf meinen.

Moment mal.

Völlig perplex lasse ich ihn mache. Doch ich reagiere nicht. Ich stehe einfach nur, wie angewurzelt da und weiß nichts mit mir anzufangen, dabei war es doch genau das, was ich wollte.

"Also irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt", sagt er nervös und fährt sich durch die Haare. So verunsichert habe ich ihn noch nie gesehen, dafür ist er gar nicht der Typ. Verunsicherung ist normalerweise mein Spezialgebiet.

"Nein - ich - also - verstehe mich nicht falsch, ich bin nur - überrumpelt", gebe ich ehrlich zu. Mit einem Blick in seine braunen Augen, mit einem Blick auf seine Lippen; ich kann es mir selbst nicht erklären, doch ein plötzlicher Schwall meiner alten "Ach - Scheiß - drauf" - Einstellung übermannt mich - was habe ich denn auch schon großartig zu verlieren - und ich sage frech: "Aber jetzt weiß ich ja, was Sache ist. Also wenn du nochmal von vorne anfangen willst..." Das Ende des Satzes lasse ich offen in der Luft hängen. Ich muss ihn auch gar nicht beenden, denn dafür habe ich keine Zeit. Felix grinst verschmitzt und legt seine Lippen erneut auf meine. Ich schmecke den Kaffee, den wir zuvor getrunken habe, rieche sein Aftershave, welches ich noch immer unglaublich anziehend finde und spüre seine warme Haut. Mein Herz klopft mir bis zum Halse und zum ersten Mal seit mich der Stress dieses blöden Studiums angefangen hatte aufzufressen, zum ersten Mal seit einer Ewigkeit war ich glücklich!

Allerdings hätte es mir vorher klar sein müssen, dass Glücklich sein nicht jedermanns Sache ist.

Gerade als sich Felix von mir löst und mir eine Strähne meiner widerspenstigen Locken hinters Ohr streicht, geht die Tür auf. Das Prüfungskomitee hat sich besprochen und wir werden wieder herein gebeten. Wie auch schon zu Beginn meiner persönlichen Hölle, lässt Felix meine Hand nicht los. Doch dieses Mal, dieses eine verflixte Mal, merke ich, dass auch er nervös ist. Seine Hand fühlt sich schweißig  an und  ich könnte schwören, dass auch er zittert.

Hand in Hand gehen wir zurück hinter den Experimentiertisch, auf welchen noch immer eine ganze Menge Schaum vor sich hin blubbert. Zwar ist es deutlich weniger, als am gestrigen Tag, doch ich bin mir sicher, dass wir mit dem Aufräumen noch ein wenig beschäftigt sein werden, bevor unsere Kommilitonen in die Höhle der Löwen eintreten können.

Aus den Mienen der vor uns sitzenden Prüfer ist nichts zu lesen. Absolut rein gar nichts. Ich erkenne nicht den leisesten Hauch einer Regung und klammere mich reflexartig noch mehr an Felix fest.

"Wir machen es kurz", beginnt Ms. Cole in ungewöhnlich eintöniger Stimmlange "Ms. Lancaster, Mr. Wilde. Sie sind durchgefallen."

Und in genau diesem Moment fällt mir nicht nur sämtliche Mimik aus dem Gesicht, nein. Auch mein Überlebensdrang springt aus dem Fenster, denn ich spreche fassungslos aus, was mir zuerst in den Sinn kommt: "Sie wollen mich doch verarschen!"

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Meine Lieben!
Ich bin absolut geflasht! Ich hätte nicht gedacht, dass diese kleine Story so viel Anklang findet aber ich freue mich natürlich riesig darüber! Vielen lieben Dank für jeden einzelnen Votes und jeden einzelnen Kommentar🌺 ♥️

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