1 🔒 My chemical romance
HARRIETT ✨ 02.12.2017
Sämtliche meiner Glieder zittern, als ich mir den weißen Kittel überziehe. Meine Nervosität wird mir morgen alles zerstören, dessen bin ich mir sicher. Auch der kurze Blick zu Felix hilft mir nicht. Normalerweise reicht ein Blick in das verschmitzt grinsende Gesicht, in die sanften, braunen Augen meines Laborpartners, um mich zu beruhigen. Dieses Mal nicht. Der morgige Tag wird unter Garantie in die Geschichte eingehen. Und das definitiv nicht im positiven Sinne. Eher im Sinne von hunderten Schlagzeilen über brennende Hörsäle, tote und verletzte Studenten, sowie eine lebenslange Haftstrafe.
"Hier, Harrie", sagt Felix grinsend und wirft mir die schwarzen Handschuhe zu. In der Aufregung habe ich sie völlig vergessen. Also fange ich sie mit einer Hand auf, während die andere mit einem klatschenden Geräusch auf meiner Stirn ankommt. 'Scheiße, Scheiße, Fuck, Mist', denke ich kontinuierlich und versuche gleichzeitig die chemischen Formeln nicht zu vergessen.
Ganz im Gegensatz zu mir, scheint Felix die Ruhe selbst zu sein. Völlig gelassen händelt er die Butangasflasche, als wäre es einfaches Haarspray. Ich hingegen bin selbst mit handelsüblichen Seifenblasen so vorsichtig, als bestünden sie aus Glas.
In meinem Hinterkopf befindet sich ein Satz. Nur einer. 'Wenn das schief geht, sind wir geliefert.'
Während ich das Seifenwasser blau einfärbe, erklärt Felix in sanftem Ton, was wir tun werden. Unsere Aufgabe lautet lediglich, ein spannendes Experiment durchzuführen, um die Begeisterung für Chemie bei Kindern zu wecken. Während sich Felix um die Praxis kümmert, bin ich für die Theorie zuständig. Auch wenn mein Part einen erheblich größeren Teil der Endnote ausmachen wird, bin ich von Anfang an auf seine Art des Teamworks angesprungen.
"Okay Harrie. Jetzt du." Mit einem Schlauch läuft das Butangas in den Erlenmeyerkolben, wo ich zuvor das Seifenwasser angerührt habe.
"Sehr gerne", lüge ich, wie gedruckt, halte meine Hände so hin, dass mir Felix ein wenig Schaum überreichen kann und bete zu Gott, dass es funktioniert. Der Schalk blitzt in seinen Augen auf, als er sagt: "So, liebe Kinder. Jetzt könnt ihr gespannt sein!" 'Bitte, lieber Gott, lass mich überleben', möchte ich am liebsten schreien. Stattdessen sitzt mein Lächeln, wie fest getackert, während Felix kunstvoll ein Streichholz anzündet. Mit einer schwungvollen Bewegung, bedacht darauf, dass die kleine Flamme nicht erlischt, steckt er die Seifenblasen in meiner Hand an. Zu meinem Glück passiert genau das, was wir uns erhofft haben: Sie Seifenblasen platzen und eine Stichflamme, circa einen Meter hoch, schießt in die Luft und erlischt sogleich wieder.
Am liebsten würde ich nun die Schweißperlen auf meiner Stirn wegwischen und mich vor Freude darüber, dass wir weder mich, noch die Universität in Brand gesteckt haben, in Felix' Arme stürzen. Doch der wesentliche Part, Teil zwei unserer Präsentation und mein persönliches Supersorgenkind, wartet sogleich.
Wieder ist es Felix, der das Sprechen übernimmt und den imaginären Kindern im Hörsaal erklärt, warum genau das Butangas brennt, während ich die Handschuhe wieder abstreife und die Tafel im Hintergrund mit den chemischen Formeln des ersten und zweiten Parts beschreibe.
2 C4H10 + 13 O2 -> 8 CO2 + 10 H2O
Kein Kind wird es verstehen. Doch unsere Prüfer bestehen darauf und so tue ich, was sie verlangen und kritzle unter die Oxidation des Butans auch noch die chemische Formel für Natriumiodid und Wasserstoffperoxid.
Zu meinem Leidwesen ist es nun aber vorbei mit meinem Schweigen. Felix übergibt das Wort an mich und auch die Tatsache, dass ich ihn mit einem Blick anschaue, der sagt 'Muss das jetzt sein?', rettet mich nicht. Ich rede mit einem leeren Hörsaal und muss meine sonst eher freche, vorlaute Tonlage auf ein kindliches Niveau herabschrauben.
"Und so kommen wir auch schon zu unserem nächsten Experiment. Hierzu, lieber Felix, müssen wir uns aber erst einmal Handschuhe und Schutzbrille anziehen, denn Sicherheit geht immer vor!" Das vor Sarkasmus und Unlust triefende Grinsen lässt sich einfach nicht abschrauben, egal, wie sehr ich es versuche. Ich kann nicht anders, als dämlich zu schauen und vermutlich genau so dämlich zu erklären, wie ich Wasserstoffperoxid und buntes Seifenwasser in einem Erlenmeyerkolben mische und anschließend Natriumiodid hinzugebe.
Sofort zeigt mir mein Karma, noch während ich sagen will, dass bei diesem Experiment äußerste Vorsicht geboten ist, warum dieses Experiment mein Supersorgenkind ist. Denn es nicht das Experiment, worum ich mir die meisten Sorgen gemacht habe, sondern Felix.
"Du blöder Idiot!" keife ich ihn an und reibe mir den schmerzenden Rücken.
Sinn dieses Experimentes ist es, eine gigantische Schlange aus Schaum herzustellen. Seifenwasser und Wasserstoffperoxid alleine reagieren nicht. Sie brauchen des Natriumiodid als Katalysator. Sobald diese Chemikalie auf das Seife-H2O2 - Gemisch trifft, entsteht eine Meterhohe Seifenschlange, die sich immer wieder verlängert. Die Reaktion läuft somit selbstständig weiter und diese blöde Schlange wächst und wächst. Nimmt man allerdings zu viel Katalysator, gerät das ganze furchtbar außer Kontrolle, die Partnerin erschrickt böse und knallt vor Schreck heftig gegen die hochgeschobene Tafel, was bewirkt, dass diese blöde Metallschiene, auf welcher der versifte Tafelschwamm vor sich hin verrottet, direkt im Rücken landet.
Während ich versuche meinen Rücken wieder gerade zu biegen, hat Felix Mühe aufrecht stehen zu bleiben. Er krümmt sich vor Lachen und spielt mit der Seife, als wäre er vier. Dass Wasserstoffperoxid als ätzend und umweltschädlich einzustufen ist, scheint ihn nicht zu interessieren.
"Ach Mensch, jetzt stell dich nicht so an, Harrie", lacht er und kommt auf mich zu. Der Experimenttiertisch ist das reinste Chaos, die erste Reihe braucht morgen definitiv Regenschirme und meine Laune ist im Keller. Doch Felix strahlt mit der Sonne um die Wette und legt seine Hände auf meine Schulter. "Jetzt entspann dich einfach mal, okay? Ich habe nur heute ein bisschen mehr NaI genommen, damit du mal ein bisschen lachst."
Natürlich lache ich. Wenn er mich so warm anschaut, kann ich nicht anders. Trotzdem nervt es mich, dass er diese blöde nicht einfach ernst nehmen kann. Ob ich es ihm genau so sage, oder in China fällt ein Sack Reis um. "Versprich mir, dass du so eine Nummer morgen nicht abziehst!" bettle ich und boxe ihm leicht gegen die Schulter.
"Versprochen", grinst er und streckt seinen kleinen Finger zum Schwur in die Höhe. Der Schalk sitzt ihm im Nacken. Ich kann ihn förmlich riechen. "Gnade dir Gott, wenn nicht", versuche ich böse zu funkeln. Doch die Nähe zu ihm und sein wunderbar riechendes Aftershave machen es mir schwer, ernst zu bleiben.
Aber meine 'Rettung' naht.
Gerade, als ich irgendwie einen Annäherungsversuch starten will, schließlich kann ich mir die Signale in letzter Zeit nicht einfach nur eingebildet haben, springt die Tür auf. Ein mir nur all zu bekannter 21 jähriger Ire trägt einen vier Jährigen Iren auf den Schultern und kommt breit grinsend die Treppen nach unten. "Was hat du denn demacht?" fragt Theo aufgeregt mit großen Augen und zappelt so sehr, dass ich Angst habe, Niall wird ihn fallen lassen.
"Das, mein kleiner irischer Freund, ist eine 1A Reaktion von Wasserstoffperoxid und Natriumiodid", antwortet Felix und zaubert ein Zitronenbonbon aus seiner Hosentasche, um es dem kleinen zu reichen.
Theo hingegen interessiert es nicht. Er spricht genau das aus, was Niall in diesem Moment denkt.
"Was?"
"Nur so Chemie-Kram", winke ich ab und beiße mir auf die Zunge. Felix' Gesichtsausdruck ist ein einziges Bild für die Götter, doch mein Handy liegt noch immer in meinem kleinen Smart und nichts bereue ich an diesem Tag mehr, als das. "Was macht ihr hier?" frage ich deshalb und beginne damit unsere Sauerei aufzuräumen. Zu meiner Überraschung fährt sich Niall nervös durch die Haare, ich sehe ganz genau, wie mein bester Freund rot anläuft und wieder verfluche ich meine Gott verdammte Schusseligkeit, denn wieder entgeht mir der perfekte Schnappschuss! "Onkel Niall will seine Freundin besuchen", plappert Theo trocken los und lässt sich weiter von Felix bespaßen, welcher ohne mit der Wimper zu zucken, ein Bonbon nach dem anderen hinter seinem Ohr hervor zaubert.
"Wusste ich es doch! Du stehst auf Sarah, du kleiner Player", necke ich sofort. Dass ich es schon lange vorher wusste, verschweige ich lieber, schließlich stehen die Säuren auch für Niall griffbereit vor mir. Doch er kann mir sagen, was er will. Selbst ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, wie er die schöne Englisch- Studentin anschmachtete.
Der Ire läuft knallrot an und verschränkt trotzig die Arme vor der Brust. "Sie ist nicht meine Freundin und außerdem bin ich extra hergekommen, um zu sehen, wie es mit den Vorbereitungen für die Prüfung meiner besten Freundin läuft." Dass der junge Mann völlig eingeschnappt ist, ist genau so wenig zu überhören, wie meine Schadenfreude zu übersehen.
Trotzdem setze ich eine dunkle Miene auf, funkle böse zu Felix und spreche, triefend vor Sarkasmus: "Läuft super, wie du siehst." Und tatsächlich, die Schlange wächst noch immer, wenn auch nur sehr leicht, vor sich hin.
"Ach Mensch, Harrie, jetzt entspann dich mal. Lass uns doch einfach aufräumen und dann zusammen was Essen gehen?" schlägt Felix stattdessen vor. "Ich hab Kohldampf und du doch sicher auch oder? Ich kenne einen guten Chinesen, was sagst du?" Seine warmen Augen schauen mich hoffnungsvoll an und meine Knie werden weich.
Lädt er mich gerade wirklich zu einem Date ein? Er schaut nur mich an, fragt nicht Niall und sieht auch nicht zu Theo.
"Ja klar, wieso nicht?" stammle ich auf völlig bescheuerte Weise vor mich hin und werde sogleich aus meinen kindischen Illusionen gerissen, als Felix grinsend hinzufügt: "Klasse! Du isst doch gerne Sushi, oder Niall?"
So viel zum Thema: Romantische Signale.
Wieder einmal fiel mir eine Sache auf, die ich schon längst gelernt haben sollte: Soziale Interaktion ist wie das Handy von Simon Cowell. Nicht meins.
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So meine Lieben, hier hätten wir das erste Kapitel in welchem ihr Harriett und Felix ein wenig näher kennenlernen könnt. Auch Niall und Sarah tauchen für einen kleinen Moment auf und somit haben wir alle relevanten Personen (mehr oder minder) kennengelernt :D Die Personen werden sich natürlich näher erklären und auch die Beziehungen untereinander werden erklärt ^^
Es war nur ein kleiner Einstieg aber ich hoffe natürlich trotzdem, dass es euch gefallen hat :3 <3
(P.S.: Entschuldigt aber der Felix Lobrecht - Gag am Ende musste sein ;p)
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