Kapitel 98 - Jonathan

Jonathan öffnete die Zimmertür und erwartete, Sheila heulend in ihrem Zimmer zu finden. Nicht, dass er wollte, dass es ihr schlecht ging, aber irgendwie verschaffte es ihm Befriedigung, wenn sie litt für das, was sie ihm angetan hatte. 

Vielleicht steigerte er sich da auch in etwas hinein, immerhin war sie noch immer seine Frau, doch er wollte, dass sie wusste, wie falsch das alles war. 

Er stieß die Tür auf und ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, doch Sheila war nicht da. Ihr Koffer lag noch immer geöffnet auf ihrem Bett, aber von ihr war nichts zu sehen. 

Eilig schloss er die Tür hinter sich, schaltete das Licht ein und ging ins Bad. Auch hier war sie nicht, aber ihr Schlafanzug, den sie noch getragen hatte, als er gegangen war, lag zerknüllt auf dem Fußboden. 

Sein Herz fing unangenehm an zu pochen, denn er wusste, dass Leonard nach ihrem Gespräch im Restaurant zu ihr gegangen war. Da sie nun beide nicht hier waren, mussten sie doch zusammen irgendwo hingegangen sein. 

Jonathan spürte, wie sich sein Atem beschleunigte und er bekam große Lust, irgendetwas kaputtzuschlagen. Ein paar Sekunden lang stand er einfach nur da, doch dann riss er sich zusammen. Mona wartete auf dem Spielplatz auf ihn und er wollte sie nicht lange warten lassen. 

Dennoch hielt er es für richtig, Sheila eine Nachricht zu hinterlassen, damit sie wusste, wo Mona war. 

Jonathan griff nach einem kleinen Notizblock und einem Stift, der in seiner Nachttischschublade lag und kritzelte eilig ein paar Worte darauf. Er legte den Zettel neben die Tür auf den kleinen Tisch in der Hoffnung, sie würde ihn dort finden, wenn sie zurückkam. 

Anschließend packte er einen Rucksack mit den Sachen, die sie mit zum Spielplatz nehmen wollten, dann verließ er wieder das Hotelzimmer und ging zurück zu Mona. 

Den ganzen Weg über hielt er Ausschau nach Sheila und Leonard, aber er konnte sie nicht entdecken. Missmutig beschleunigte er seine Schritte, bis er am Spielplatz ankam und Mona zu sich rief. 

Allerdings wanderte sein Blick zu einer der Bänke, auf der Nicole saß. Offensichtlich schien sie es darauf abgesehen zu haben, ihm wirklich auf die Nerven zu gehen. 

Jonathan ignorierte sie, doch als Mona zusammen mit Nicoles Tochter zu ihm gelaufen kam, wurde ihm klar, dass die beiden zusammen zum Indoor-Spielplatz fahren wollten. Sein Blick wanderte wieder zu Nicole, die sich in diesem Moment erhob und ihn anlächelte. 

„Können Maja und ihre Mama mit uns kommen?", fragte Mona seine Erwartung erfüllend und zupfte aufgeregt an seinem T-Shirt. Jonathan schluckte schwer und war versucht, einfach Nein zu sagen, aber als Nicole sich zu ihm gesellte und ihn mit genau den gleichen großen Rehaugen ansah wie die Kinder, nickte er. 

„Meinetwegen", nuschelte er, woraufhin Mona und Maja freudestrahlend ihre kleine Hände gegeneinander klatschten. 

„Danke, dass wir mitdürfen", sagte Nicole, doch Jonathan winkte ab. Er hatte nicht wirklich Lust, sich groß mit ihr zu unterhalten, sondern er wollte einfach nur die letzten Tage des Urlaubs hinter sich bringen. 

Zu Hause hatten sie einige Dinge zu regeln und er würde wohl oder übel mit Sheila reden müssen, wie es nun weitergehen sollte. 

Vielleicht würde sie auch von sich aus ausziehen, womöglich noch zu Leonard. 

Die Ironie dieser ganzen Geschichte entging ihm nicht, denn Leonard wohnte inzwischen in der gleichen Wohnung, in der er selbst früher gewohnt hatte. 

Damals, als Jonathan und Sheila sich kennengelernt hatten, war sie vor ihrem gewalttätigen Ex zu ihm aus dem Haus, in dem sie jetzt wohnten, in diese Wohnung geflüchtet. 

Ein Schnauben entfuhr ihm, was natürlich Nicoles Aufmerksamkeit erregte. 

„Willst du reden?", fragte sie, aber er schüttelte den Kopf. 

„Reden hilft", versuchte sie es beharrlich weiter, während sie die Hotelanlage verließen und in Richtung der Bushaltestelle gingen. Jonathan schüttelte nur den Kopf, damit sie wieder den Mund hielt, doch auf einmal spürte er ihre Hand auf seiner Schulter. 

Erschrocken fuhr er herum und sah sie an, was sie erröten ließ. 

„Ich will nicht reden, okay?", sagte er eindringlich, schob ihre Hand von seiner Schulter und schloss zu Mona und Maja auf, die ein paar Schritte vor ihnen gegangen waren. 

Schon nach wenigen Metern erreichten sie die Bushaltestelle und er ließ sich erschöpft auf den hohen Bordstein daneben nieder, denn die beiden Mädchen setzten sich auf die einzigen beiden Stühle. Er stützte den Kopf in die Hände und seufzte. 

Seine Gedanken wanderten zu Sheila und er fragte sich, was sie wohl genau in diesem Moment tat. War sie mit Leonard zusammen? Bestimmt. Was machten sie? Redeten sie über ihn?

All diese Fragen quälten ihn und er wäre am liebsten zurück gerannt, hätte Sheila geschnappt und wäre mit ihr irgendwo hin abgehauen, wo sie Leonard nie wieder sehen konnte. 

Sein Herz hämmerte gegen seine Rippen und er musste für einen Moment die Augen schließen, um sich zu sammeln. Ihm war klar, dass er Sheila und sich keine Chance mehr geben konnte, solange sie weiterhin mit Leonard zusammenhing. 

Und selbst wenn er jetzt mit ihr Schluss gemacht hatte, sollte nun zwischen den beiden mehr passieren, als Freundschaft, würde er ihr nicht mehr verzeihen können. 

Das war so ziemlich das Einzige, das er mit einhundert prozentiger Sicherheit sagen konnte. 

Auch wenn es natürlich albern war, immerhin war sie nun Single und konnte tun und lassen, was sie wollte. Obwohl sie das eigentlich schon immer getan hatte. Wenn sie händchenhaltend mit ihm durch die Gegend laufen oder sich mit ihm betrinken wollte, hatte sie es einfach getan, ohne dabei Rücksicht auf ihn zu nehmen. 

Jonathan biss die Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte, aber diese Gedanken machten ihn verrückt. 

„Papa, der Bus kommt", riss Mona ihn aus seiner Grübelei und eilig sprang er auf und ging zu ihr. 

Tatsächlich hielt genau in diesem Moment der Bus vor ihm und er nahm Monas Hand, während sie einstieg. Er kaufte zwei Tickets für sie und führte sie dann zu einem leeren Zweier, wo Mona sich ans Fenster setzte. 

Er sah aus dem Augenwinkel, dass Nicole sich hinter ihn setzte und er bereute kurz, nicht einen Sitzplatz gewählt zu haben, der keine freien Plätze mehr um sich herum hatte. 

„Freust du dich schon", fragte er Mona, die begeistert nickte, doch dann wurde ihre Miene traurig. 

„Papa?", fragte sie und sah ihn mit großen, braunen Augen – Sheilas Augen – an. 

„Ja?", fragte er, als sie nicht weitersprach, denn senkte sie für eine Sekunde den Blick. 

„Übernachtet Mama bis wir wieder nach Hause fliegen, bei Onkel Leonard im Zimmer?", fragte sie und streute so ungewollt Salz in seine noch blutende Wunde. Eilig strich er ihr über die Wange. 

„Das weiß ich noch nicht. Aber darüber musst du dir im Moment keine Gedanken machen. Jetzt fahren wir erst einmal zum Spielplatz und haben ganz viel Spaß", sagte er und hoffte, Mona würde es dabei belassen. Auch wenn Mona nickte, sah sie ihn weiterhin fragend an. 

„Papa? Bekommen Mama und Onkel Leonard auch ein Baby? Weil Erwachsene doch immer Babys bekommen, wenn sie sich lieb haben?", fragte Mona, was Jonathan keuchen ließ. 

Allein die Vorstellung, die beiden... Nein, allein die Vorstellung schmerzte viel zu sehr. 

„Nein, bekommen sie nicht. Und jetzt hör auf, darüber zu reden", sagte er bestimmt und sofort richtete Mona den Blick aus dem Fenster und schwieg. 

Sie war ein Kind, sie wusste nicht, wie sehr ihn diese Worte verletzten und er konnte ihr nicht böse sein, aber in diesem Moment wollte er sich am liebsten in seinem Bett verkriechen und erst wieder herauskommen, wenn sie nach Hause flogen. 

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