Sheila spürte vor allem ein Gefühl: Angst.
Jonathan schien es noch immer ernst zu meinen mit der Trennung, auch nachdem sie eine Nacht darüber geschlafen hatten. Er wollte sogar ein anderes Zimmer für sie suchen. Immerhin hatte er nicht gesagt, sie sollte bei Leonard übernachten, da sie bei ihm ja sowieso viel lieber war.
So etwas hätte zu Jonathan gepasst, aber seine kühle und berechnende Art zeigte ihr, dass er keine Witze machte und er sich nicht von ihr in einem Anflug blinder Wut getrennt hatte.
Diese Erkenntnis traf sie hart, gleichzeitig fühlte sie sich noch nicht bereit, das zu akzeptieren. Ihr Leben konnte doch nicht auf einmal ganz anders sein.
Fragen über Fragen, auf die sie keine Antworten wusste, drängten sich in ihr Hirn. Würde sie ausziehen müssen? Wenn ja, wohin? Zwar ging sie arbeiten, aber eine wirklich große Wohnung würde sie sich nicht leisten können. Was war mit Mona? Würde sie bei Jonathan bleiben wollen und zu ihr nur zu Besuch kommen?
Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken.
Eilig machte sie sich einigermaßen zurecht, dann verließ sie das Bad. Im Schlafzimmer lag Jonathan auf dem Rücken in ihrem Bett, Monas Kopf auf seiner Brust und er erzählte irgendetwas von Piranhas.
Er schien sie nicht zu bemerken, denn seine Augen waren geschlossen und einen Moment lang überlegte sie, sich einfach zu ihm zu legen. Bevor sie jedoch irgendetwas tun konnte, klopfte es energisch an der Zimmertür.
Sheila zuckte zusammen, doch als Jonathan keinerlei Anstalten machte, sich zu erheben, ging sie zur Tür und öffnete sie einen winzigen Spalt. Natürlich war es Leonard, der vor ihr stand und eilig hob sie den Blick, um ihm ins Gesicht zu sehen.
Er sah ungewöhnlich nervös aus und wirkte, als ginge es ihm gar nicht gut.
„Ich wollte mich verabschieden, ich werde abreisen", sagte er, doch Sheila begriff nicht, was er da sagte. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung und auf einmal stand Jonathan neben ihr und öffnete die Tür weiter. Sheila trat einen Schritt beiseite, denn offensichtlich wollte Jonathan mit Leonard reden.
„Ich wollte nicht, dass es so weit kommt. Bitte bestrafe sie nicht dafür, sie hat nichts gemacht", sagte Leonard und Sheila spürte, wie ihr das Herz in die Hose rutschte.
Sie war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, wenn Leonard versuchte, ein gutes Wort für sie einzulegen, denn Jonathan schien seine Entscheidung nicht zu bereuen.
„Du reist ab? Dann kann sie in dein Zimmer", sagte Jonathan kalt und machte eine abwertende Kopfbewegung in ihre Richtung.
Panisch hob Sheila den Blick und sah Jonathan an, denn eigentlich wollte sie hier bei ihm bleiben.
Sheila spürte Jonathans und dann auch Leonards Blick auf sich und sie glaubte, gleich zu stürzen. Hilfesuchend klammerte sie sich an Türrahmen fest, doch dann schüttelte sie den Kopf.
„Ich will hier bei dir bleiben", sagte sie zu Jonathan, der entschieden den Kopf schüttelte.
„Nein, entweder du gehst oder ich", sagte er und klang dabei, als wäre er nicht bereit, es sich noch einmal anders zu überlegen.
„Du willst sie wirklich im Urlaub verlassen?", fragte Leonard an Jonathan gerichtet, woraufhin Jonathan schnaubte.
„Du bist nicht ganz unschuldig daran. Ich werde mit dir an die Rezeption kommen und fragen, ob sie in dein Zimmer ziehen kann", sagte Jonathan, stieg dann in seine Schuhe und drängte sich an Leonard vorbei aus dem Zimmer.
Die Tür schlug er so heftig zu, das Sheilas Haar im Windzug in ihr Gesicht flog.
Sie konnte nicht glauben, dass Leonard sie hier allein lassen wollte, gleichzeitig konnte sie es verstehen. Vermutlich wollte er es nicht noch schlimmer machen, als es ohnehin schon war.
Langsam wankte sie zurück zum Bett, setzte sich am Fußende auf die Kante und streckte die Arme nach Mona aus. Ihre Tochter kam auf sie zugekrabbelt, griff aber noch nach ihren Hörgeräten, die sie ihr hinhielt. Sheila nahm sie, holte sie aus der Dose und setzte sie ihr ein. Erst dann kletterte Mona auf ihren Schoß und schlang die Arme um sie.
„Nicht mehr traurig sein Mama", sagte Mona, was Sheila das Herz in die Hose rutschen ließ.
„Tut mir leid, dass du das gestern alles mit ansehen musstest", sagte sie, aber Mona winkte ab.
„Papa hat angefangen zu streiten. Und heute habe ich Lust, mit euch beiden einen Ausflug zu machen", verkündete Mona. Sheila schluckte schwer, doch dann nickte sie.
„Ich weiß aber nicht, ob Papa Lust dazu hat. Vielleicht möchte er lieber was mit dir allein machen", erklärte sie und traurig senkte Mona den Kopf.
„Papa will nicht mehr, dass du bei uns wohnst, oder?", fragte Mona weiter, die ganz offensichtlich sehr viel mehr verstand, als ihr lieb war.
„Bis wir wieder nach Hause fliegen, kann ich bestimmt in Onkel Leonards Zimmer schlafen. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Und wenn wir wieder zu Hause sind, rede ich noch einmal ganz in Ruhe mit Papa und dann wird bestimmt wieder alles gut", versprach sie, auch wenn sie sich da ganz und gar nicht sicher war.
„Können wir schon mal zum Frühstück gehen? Ich habe Hunger", fragte Mona und Sheila nickte.
„Klar. Aber wir schreiben Papa besser einen Zettel, damit er sich keine Sorgen macht", erwiderte sie, dann kletterte Mona von ihrem Schoß herunter und lief zur Eingangstür, um ihre Sandalen anzuziehen, die daneben standen.
Sheila griff nach dem kleinen Block und dem Stift, die in der Schublade ihres Nachttischs lagen und kritzelte eine Notiz an Jonathan. Kurz überlegte sie, ihm auch noch ein „Ich liebe dich" dazuzuschreiben, entschied sich schließlich aber dagegen.
Sie legte den Zettel gut sichtbar auf sein Bett, griff dann nach Monas Hand und verließ mit ihr das Hotelzimmer.
Mona erwiderte unerwartet fest ihren Händedruck und gemeinsam schlenderten sie den Weg entlang, bis sie am Restaurant angelangten. Automatisch wanderte ihr Blick zur Rezeption, die neben dem Eingang lag und sah gerade noch, wie Leonard das Gebäude verließ. Er zog einen Koffer hinter sich her und wirkte fahrig.
„Onkel Leonard!", schrie Mona und winkte wie eine Verrückte, was Leonard zusammenzucken und stehenbleiben ließ. Als er sie erkannte, erwiderte er das Winken, sah sich noch einmal nach Jonathan um, der anscheinend noch an der Rezeption war und kam dann zu ihnen.
Sein Koffer holperte hinter ihm her und er hatte den Blick auf den Boden gesenkt.
„Hey", sagte er leise, stellte seinen Koffer ab und breitete die Arme aus. Sheila zögerte, aber Mona schmiss sich in eine feste Umarmung. Leonard hob sie hoch und drückte sie an sich, was Mona kichern ließ. Unwillkürlich legte sich auch ein Lächeln auf Sheilas Lippen, was sich merkwürdig angesichts der Situation anfühlte.
„Der nächste Flug geht erst morgen", sagte er dann, während er Mona wieder auf dem Boden absetzte.
„Okay", sagte Sheila langsam, doch dann begriff sie, dass er vermutlich noch eine Nacht länger hier bleiben würde.
„Jonathan diskutiert mit der Rezeptionistin, aber anscheinend gibt es kein anderes freies Zimmer mehr", erklärte er und Sheila nickte.
„Vielleicht schmeißt er mich dann erst morgen raus", sagte sie, was Leonard den Kopf schütteln ließ.
„Das tut mir alles so leid. Wenn ich könnte, würde ich es wieder gut machen, das weißt du, oder?", fragte er und suchte Sheilas Blick. Für eine Sekunde erwiderte sie ihn und nickte, doch dann senkte sie den Blick auf den Boden.
„Ich habe ja noch den ganzen Tag, ihn davon zu überzeugen, dass er... mich doch irgendwie noch liebt", murmelte sie leise und spürte dann Leonards Hand auf ihrer Schulter. Sanft knetete er ihre verspannten Muskeln und zog sie mit sanftem Druck näher an sich heran.
„Ich bin mir sicher, dass er nur ein paar Tage für sich braucht", sagte er leise, doch Sheila zuckte die Schultern. Jonathan wirkte doch sehr entschlossen.
„Hoffentlich", sagte sie dennoch, dann löste sie sich von ihm.
„Onkel Leonard? Bleibst du heute noch hier?", fragte Mona und sofort wandte Leonard sich lächelnd wieder ihr zu.
„Ja, heute bleibe ich noch hier", antwortete er und Mona hüpfte aufgeregt auf und ab.
„Dann will ich was mit dir machen. Und Mama und Papa reden und vertragen sich wieder", sagte sie. Leonard sah Sheila fragend an, doch sie nickte.
Selbst wenn sie und Jonathan sich heute nicht aussprachen, würde es für Mona besser sein, nicht zumindest ein Elternteil um sich rum zu haben, das sich die ganze Zeit Gedanken machte.
„Also von mir aus ist es okay", sagte sie, was Mona vergnügt Jauchzen ließ.
„Habt ihr denn schon gefrühstückt?", fragte Leonard Mona, die den Kopf schüttelte.
„Gehst du mit ihr? Ich warte auf Jonathan", fragte Sheila ihn, woraufhin Leonard nickte, aber noch einmal ihren Blick suchte.
Sheila wusste, was er ihr sagen wollte, nämlich dass er immer für sie da war, sollte sie reden wollen. Zumindest, bis er abreiste.
„Danke", murmelte sie, dann ließ sie die beiden allein und setzte sich auf die kühlen Steinstufen, die zum Gebäude führten, in dem die Rezeption lag.
„Ich muss noch meinen Koffer zurück in mein Zimmer bringen, kommst du mit mir?", hörte sie Leonard fragen, dann sah sie, wie die beiden in Richtung seines Zimmers verschwanden.
Auch wenn Leonard nicht wirklich derjenige war, der ihre Situation besser machte, war Sheila erleichtert, dass er ihr Mona abnahm. So musste sie sich nicht mehr anstrengen, sich zusammenzureißen.
Sie zog die Beine an und umschlang ihre Knie mit den Armen, dann wartete sie, bis Jonathan herauskam.
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