Kapitel 85 - Sheila
Sheila glaubte, in einer Blase zu stecken, aus der sie sich allein nicht mehr befreien konnte.
Sie und Jonathan schafften es noch nicht einmal, anständig miteinander zu reden, ohne dass sie sich anfuhren. Dazu kam, dass Mona auch noch mitbekam, dass sie sich stritten und das war das Letzte, was sie wollte.
Irgendetwas mussten sie ändern, aber es war schwierig, hier im Urlaub etwas anders zu machen. Hier hockten sie nun einmal vierundzwanzig Stunden aufeinander und sobald sie sich eine Auszeit nahm, fing Jonathan an, Gespenster zu sehen.
Die einzige Möglichkeit wäre, dass sie allein irgendwo hinging, dass sie wirklich ganz allein einen Tag verbrachte und versuchte, sich über alles klar zu werden.
Leonard durfte nicht dabei sein, denn das würde alles nur noch schlimmer machen, zumindest wenn man es aus der Sicht ihrer und Jonathans Ehe betrachtete.
Sheila musste daran denken, wie sehr ihr der Tag in der Stadt mit Leonard gefallen hatte, gleichzeitig erinnerte sie sich, dass sie sich gewünscht hatte, Jonathan wäre an seiner Stelle.
Sie hörte, wie ihr ein Seufzen entfuhr und sofort richtete sich Jonathans Blick auf sie. Inzwischen saßen sie wieder im Bus, der sie zurück in den Ort brachte, in dem ihr Hotel lag. Mona schlief auf Jonathans Schoß, friedlich und ruhig.
„Sag schon, was dir durch den Kopf geht", forderte Jonathan mit gesenkter Stimme, doch Sheila wusste nicht so recht, was sie darauf sagen sollte. Sie wusste ja noch nicht einmal, was genau sie eigentlich wollte, sie fühlte sich nur von allem ausgelaugt und erschöpft.
„Ich weiß es nicht", sagte sie, was Jonathan den Kopf schütteln ließ. Allein diese Geste trieb ihr Tränen in die Augen.
Offensichtlich konnte er nicht einmal im Ansatz nachempfinden, wie sie sich fühlte.
„Es ist schwer, in einem Satz zusammenzufassen", verteidigte sie sich, was Jonathan wieder den Kopf schütteln ließ.
„Dann sag doch zwei Sätze", murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr, aber Sheila hatte es sehr wohl gehört.
Fassungslos sah sie ihn an, denn sie konnte nicht glauben, dass er sich nicht in sie hineinversetzen konnte. In ihrem Kopf schwirrten Erwiderungen herum, aber allesamt waren nicht besonders freundlich.
Sie suchte nach irgendeiner Antwort, die ihn zufriedenstellen würde und gleichzeitig nicht gelogen war, aber seine abwehrende Haltung machte es nicht gerade leichter.
„Warum kannst du nicht mehr mit mir darüber reden, wie du dich fühlst? Weil du weißt, dass es falsch ist?", fragte er, ohne sie anzusehen. Sheila glaubte, gleich von ihrem Sitz zu fallen, denn er machte ihr durchgehend Vorwürfe. Zwar nur abstrakt und indirekt, aber jeder seiner Sätze ließ ihr Herz ein wenig schwerer werden.
„Nein, weil du mich einfach nicht verstehst und direkt wütend wirst", gab sie zurück, was ihr einen zornesfunkelnden Blick einhandelte, den sie jedoch ignorierte.
Es war sinnlos, mit ihm zu reden.
Sie spürte, wie er sie noch eine ganze Weile ansah, aber sie ignorierte ihn und zog stattdessen ihr Handy aus ihrer Handtasche, um sich noch einmal die Bilder anzusehen, die sie heute gemacht hatte. Sie öffnete die Galerie und betrachtete die Fotos, das kleine Nachrichtensymbol in der Ecke ignorierend.
„Zeig mal", forderte Jonathan, griff nach ihrem Handy und nahm es ihr aus der Hand. Sheila schnalzte mit der Zunge, denn sie sah, wie er die Galerie schloss und stattdessen das Nachrichtenprogramm öffnete und all die Nachrichten las, die Leonard ihr geschrieben hatte, die sie selbst aber noch nicht gelesen hatte.
„Was soll das? Gib es wieder her", forderte sie, doch er wandte sich von ihr ab. Sie sah, wie seine Hand anfing zu zittern, aber ganz offensichtlich suchte Jonathan Streit.
Sie wusste nicht, was das alles sollte und es zu hinterfragen wurde ihr allmählich zu mühselig. Sollte er doch alles lesen, es war ihr egal. Sie hatte nichts Verbotenes getan und sie war sich sicher, dass Leonards Nachrichten zwar flehend, aber nicht verwerflich sein würden.
Sie ließ den Blick über die belegten Sitze im Bus schweifen und hoffte, irgendwo einen freien Platz zu finden, auf den sie sich zurückziehen konnte, aber es war überall besetzt.
Kurzentschlossen drehte sie sich seitlich, sodass ihre Beine in den Gang ragten und sie Jonathan den Rücken zuwandte. Eine kleine Träne lief ihr über die Wange, jedoch machte sie sich nicht die Mühe, sie wegzuwischen. Jonathan hatte es geschafft, auch diesen Tag zu verderben. Sie war optimistisch gewesen, dass er seine Eifersucht nur für einen Tag vergessen konnte, aber offensichtlich war das zu viel verlangt.
Nach einer Weile spürte sie einen Druck an der Schulter, aber sie ignorierte ihn, bis er immer nerviger und penetranter wurde. Jonathan schien sie unablässig mit ihrem Handy anzustupsen, bis sie die Hand über die Schulter ausstreckte und es nahm.
Sie machte sich nicht die Mühe, nachzusehen, ob er in ihrem Namen eine Nachricht an Leonard geschickt hatte, denn selbst wenn es so wäre, würde es sie nur noch mehr verletzen. Sein Misstrauen machte sie fertig und sie schien nichts tun zu können, um ihn davon abzubringen.
Sheila schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken, bis der Bus anhielt und sie aussteigen mussten.
Eilig drängte sie sich aus dem Bus und dachte für eine Sekunde daran, loszumarschieren, aber sie konnte Mona nicht allein lassen. Also wartete sie, bis sie und Jonathan zu ihr kamen, aber anstatt kurz stehen zu bleiben oder sie zumindest anzusehen, ging er in schnellem Schritt an ihr vorbei und ließ sie stehen. Mona zog er unsanft mit sich, doch sie sah, wie Mona über die Schulter zu ihr blickte.
Sheila rannte ihm hinterher und hatte sie schon nach wenigen Schritten eingeholt, aber sie begriff einfach nicht, warum Jonathan sich so albern verhielt. Was hatte sie nun schon wieder falsch gemacht?
Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen, oder hatte sie die ganze Fahrt über einfach nicht aufgehört zu weinen? Sie wusste es nicht und es war ihr auch egal.
In diesem Moment dachte sie deutlicher und bewusster als jemals zuvor, dass Mona in Wahrheit der einzige Grund war, warum sie sich an Jonathan klammerte. Seit sie hier im Urlaub waren, suchte er ständig grundlos Streit, seine Eifersucht wuchs mehr denn je ins Lächerliche und er war noch nicht einmal sonderlich nett zu ihr.
Sie eilte hinter ihm her und sie wusste, dass er es in seinem Wahn noch nicht einmal bemerken würde, wenn sie einfach verschwand. Aber sie wollte ihm zeigen, dass sie bereit war, an ihren Problemen zu arbeiten, also lief sie ihm nach, bis sie vor ihrem Hotelzimmer standen und er mit zitternden Fingern die Karte aus dem Rucksack kramte.
Als er die Tür öffnete, stürmte er herein, schmiss den Rucksack auf sein Bett und sich gleich hinterher.
Mona stand mitten im Raum, offensichtlich vollkommen überfordert.
Sheila wurde panisch, denn Mona sollte nicht unter Jonathans dämlichem Verhalten leiden.
„Mona, kommst du mit mir ein Eis holen?", fragte sie und auch wenn Mona nickte und zu ihr kam, sah sie immer wieder zu Jonathan.
Sheila nahm ihre Hand und ging mit ihr aus dem Zimmer. Kaum dass die Tür hinter ihr geschlossen war, zog Mona an ihrer Hand.
„Was hat Papa?", fragte sie, doch Sheila seufzte nur.
„Weißt du, er hat im Moment einfach ein bisschen viel Stress. Vielleicht braucht er mal ein bisschen Zeit für sich, um sich zu beruhigen", versuchte sie, es ihrer Tochter zu erklären, die zwar nickte, es aber ganz eindeutig nicht verstehen konnte. Wie denn auch? Sie selbst verstand es ja auch nicht.
„Ich finde das doof, dass ihr euch nicht mehr lieb habt", sagte Mona, was Sheila abrupt stehen bleiben ließ.
„Was meinst du damit? Natürlich habe ich Papa lieb", sagte sie, ging in die Hocke und zog Mona an sich. Mona wirkte traurig und schlang die Arme um sich, als hätte sie wirklich Angst.
„Aber Papa hat ganz oft schlechte Laune und du bist immer traurig", bemerkte Mona und Sheila konnte nicht anders, als zu nicken.
„Ja, das stimmt. Aber es wird auch wieder alles normal. Ganz bald sogar. Bestimmt schon morgen", versprach sie, was Mona ein wenig zu beruhigen schien.
„Na komm", forderte sie, erhob sie sich wieder und ging weiter den Weg entlang in Richtung des Restaurants, wo es rund um die Uhr Eis gab.
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Wenige Minuten später verließen sie das Restaurant mit drei riesigen Eisbechern in der Hand, einen hatten sie für Jonathan mitgenommen.
Hoffentlich würde er sich nicht wie ein Idiot benehmen und sich mit ihnen auf die Terrasse setzen und das dämliche Eis essen.
Eilig liefen sie zurück zum Zimmer, damit es nicht schmolz und stellten die Becher auf dem Tisch ab. Die Terrassentür war verschlossen und Sheila klopfte leise, damit Jonathan herauskam.
Tatsächlich öffnete er recht schnell die Tür, allerdings nur einen Spalt breit. Sheila sah zu Mona, die sich auf einen der Stühle gesetzt hatte und ihr Eis löffelte, dann trat sie näher zu Jonathan.
„Wir haben dir ein Eis mitgebracht. Kommst du zu uns nach draußen?", fragte sie, bemüht einen Ton zu treffen, der keine Widerrede zu ließ. Nach kurzem Zögern nickte er und trat nach draußen.
Kaum dass er in Monas Blickfeld kam, setzte er ein Lächeln auf, griff nach dem Eisbecher, auf den sie deutete und setzte sich.
Sheila lief eilig zu Leonards Terrasse, denn hier standen nur zwei Stühle. Ohne es zu wollen, warf sie einen Blick zu ihm hinein durch die geöffneten Vorhänge, aber er war nicht zu sehen.
Sie beeilte sich, zurück zu Jonathan und Mona zu kommen, setzte sich zu ihnen an den Tisch und aß ihr Eis. Jonathans Blick wanderte immer wieder zu ihr, aber er blieb stumm, genau wie sie. Es war einfach zu anstrengend, mit ihm zu reden, wenn er alles absichtlich falsch verstand.
„Und gleich gehen wir schwimmen", verkündete Mona und grinste. Jonathan nickte.
„Ja, aber erst müssen wir uns ein wenig ausruhen. Man soll doch nicht mit vollem Magen schwimmen gehen", belehrte er sie und Mona nickte.
Wenigstens schaffte Jonathan es, mit Mona anständig umzugehen, denn würde er auch ihr gegenüber gemein sein, hätte Sheila sie geschnappt und wäre mit ihr abgereist.
Denn das war es wirklich nicht wert und sie würde es nicht hinnehmen, dass Mona alles abbekam, nur weil er wegen irgendeinem nicht ersichtlichen Grund Komplexe hatte.
Sheila schob sich den letzten Löffel Eis in den Mund und ließ den Blick zum Strand wandern. Die Aussicht war wirklich schön und sie schaffte es einen Moment lang, den Stress von sich zu schieben.
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