Kapitel 82 - Jonathan
Jonathan spürte, wie Sheilas einfache Berührung seiner Hand jede Menge Gefühle in ihm auslöste. In diesem Moment erinnerte er sich daran, wie es einmal zwischen ihnen gewesen war.
Vertraut, ohne Eifersucht und Streit.
Es wäre schön, wenn er die Zeit zurückdrehen und wieder so wie früher sein könnte, aber es hatte sich in den letzten Wochen, vor allem in den letzten Tagen zu viel verändert.
Er konnte an wenig anderes denken, als die Blicke, die Sheila und Leonard sich zuwarfen, die eindeutig von einer Vertraulichkeit zeugten, die er sich für sie und ihn selbst als exklusiv wünschte.
Seine Finger klammerten sich um ihre, während seine andere Hand die von Mona festhielt.
Hoffentlich spürte seine Tochter nicht, wie angespannt die ganze Situation zwischen ihnen war, denn würde sie unter ihren Streitigkeiten leiden, könnte er sich das nie verzeihen.
Nach wenigen Minuten betraten sie das schon recht gut besuchte Restaurant und auch wenn Jonathan sich nicht umgeblickt hatte, sprang Leonard ihm sofort ins Auge. Er saß an einem Tisch ganz hinten in der Ecke, allein.
Jonathan sah fragend zu Sheila, die Leonard jedoch nicht entdeckt zu haben schien, denn sie sah sich suchend um.
„Er sitzt da hinten. Willst du zu ihm?", raunte er ihr zu, möglichst neutral, denn er wollte ihr die Wahl lassen. Natürlich wäre es ihm am liebsten, wenn sie sich ganz weit weg von ihm hinsetzten, aber wenn Sheila es nun einmal so wollte, dann konnte er es auch nicht verhindern.
„Gehen wir doch da vorne hin, von da kann man nach draußen sehen", schlug sie vor und deutete auf einen der wenigen leeren Tische in der Nähe der großen Glasfront, durch die man einen wunderschönen Blick auf das Meer hatte.
Jonathan nickte und zog die beiden mit sich und er musste zugeben, dass ihm dieses Gefühl gefiel, sie beide um sich zu haben.
Doch seit sie das Restaurant betreten hatten, wirkte Sheila angespannt und ihr Gesichtsausdruck wurde mit jedem Schritt ausdrucksloser. Als sie den Tisch erreichten, zog er ihr den Stuhl zurück, was sie mit einem schwachen Lächeln quittierte, dann setzte er sich selbst ihr gegenüber. Mona kletterte neben ihm auf dem Stuhl, sprang aber sofort wieder auf und zog an seinem Arm.
„Geht ruhig, ich halte den Tisch frei", sagte Sheila und lächelte erneut. Jonathan nickte, erhob sich wieder und ging zusammen mit Mona in Richtung des Buffets.
Unwillkürlich warf er einen Blick zurück und bereute es sofort. Sheila hatte sich umgewandt und sah direkt zu Leonard, der ihren Blick erwiderte, auch wenn sie einige Meter voneinander entfernt saßen.
Er spürte sofort, dass zwischen den beiden eine Art stillschweigende Kommunikation stattfand und das störte ihn.
„Papa, komm schon", forderte Mona und eilig wandte er sich wieder ihr zu. Es dauerte einen Moment, bis er bemerkte, dass er eine Lücke in der Schlange gelassen hatte und nun den ganzen Verkehr aufhielt. Schnell schloss er die Lücke, nahm sich einen Teller von Stapel und betrachtete die verlockend riechenden Speisen.
„Auf was hast du denn heute Hunger?", fragte er Mona, die jedoch schon reichlich Schinken auf ihren Teller geladen hatte.
Jonathan sah noch einmal zu Sheila, die nun zwar nicht mehr zu Leonard sah, aber merkwürdig in sich gekehrt aussah.
Auf einmal spürte er den Drang, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten, wäre da nicht diese Gewissheit, dass sie womöglich traurig war, weil Leonard nicht bei ihr saß.
In ihm fing es an zu kochen, ohne dass er es verhindern konnte und er beeilte sich, mit Mona zurück zu ihr an den Tisch zu gelangen.
Kaum dass er sich setzte, lächelte sie wieder merkwürdig gezwungen, erhob sich ebenfalls und ging ohne ein weiteres Wort in Richtung des Buffets.
Jonathan sah ihr möglichst unauffällig hinterher, doch als er bemerkte, dass Leonard sich in diesem Moment hinter ihr in die Schlange am Buffet stellte, wurde er wirklich wütend. Seine Finger klammerten sich so fest um das Buttermesser, dass seine Knöchel weiß wurden.
„Können wir heute einen Ausflug machen?", riss eine kleine, zarte Stimme ihn aus seinem Wahn und er fühlte sich, als wäre er mit voller Wucht auf den Boden der Tatsachen geknallt. Mona sah ihn erwartungsvoll an, während sie ihren Schinken aß.
„Ja, natürlich. Vielleicht könnten wir uns den Nationalpark ansehen? Da sieht es aus wie auf dem Mond", schlug er vor, denn eigentlich hatten sie das für ihren Urlaub geplant.
„Wie auf dem Mond?", fragte Mona nach und verzog verwirrt das Gesicht. Jonathan nickte.
„Ja, das sieht richtig cool aus", versprach er, doch Mona wirkte komischerweise wenig begeistert. Eigentlich konnte man sie für alles begeistern, aber nun senkte sie den Blick auf ihren Teller.
„Papa? Bist du böse auf Mama?", fragte sie dann und sofort durchzuckte ihn ein Blitz.
„Nein, bin ich nicht. Es ist alles in Ordnung", log er und ihm war sofort klar, dass Mona ihn durchschaute. Ihr Blick war schmerzerfüllt und sie sah aus, als würde sie gleich weinen.
„Es ist alles in Ordnung, mein Schatz", sagte er und legte den Arm um sie.
„Warum streitest du dich dann immer mit Mama?", fragte sie und er überlegte fieberhaft, wie er es ihr erklären konnte.
„Weißt du, manchmal streiten Erwachsene sich, das ist ganz normal. Aber wir vertragen und auch immer wieder, du musst dir keine Sorgen machen", versuchte er es und auch wenn Mona nickte, schien sie sich dennoch Gedanken zu machen.
Jonathan schluckte schwer, denn das war wirklich das Letzte, was er wollte. Mona sollte glücklich sein und nicht wegen ihm und Sheila leiden.
„Heute machen wir uns einen ganz schönen Tag, versprochen", sagte er ihr und nun lächelte sie wieder.
Bevor er noch etwas erwidern konnte, kam Sheila zurück an den Tisch. Als sie sich setzte, trafen sich ihre Blicke für den Bruchteil einer Sekunde und sofort erschauderte er.
Sie wirkte vollkommen gebrochen, so als würde ihre Welt genau in diesem Moment einstürzen.
Panisch schob er die Hand über dem Tisch nach ihr aus und sah zu Leonard, der jedoch verschwunden war.
Sheila ignorierte seine Hand, oder sie bekam gar nicht mit, dass er ihre Hand halten wollte. Sie fing an zu essen, wirkte aber vollkommen abwesend.
Jonathan sah sich noch einmal suchend nach Leonard um, denn irgendetwas musste er ihr gesagt haben, dass sie verrückt machte.
„Schatz, bist du in Ordnung?", fragte er leise, woraufhin sie abwesend nickte. Noch ein paar Sekunden lang beobachtete Jonathan sie, aber sie schien mit den Gedanken vollkommen woanders zu sein.
Er beschloss, sie nach dem Frühstück, wenn Mona vielleicht noch kurz auf dem Spielplatz spielen wollte, darauf anzusprechen was zwischen ihr und Leonard passiert war. Denn eigentlich hatte sie vorhin noch so gewirkt, als freute sie sich zumindest ein wenig auf den gemeinsam Tag, wohingegen sie jetzt wirkte, als wollte sie sich einfach nur noch im Bett verkriechen.
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Recht schnell beendeten sie das Frühstück und wie erwartet wollte Mona auf den Spielplatz, sodass Jonathan und Sheila ein wenig Zeit hatten, sich unter vier Augen zu unterhalten.
Sie saßen auf einer der Bänke am Spielplatz, der noch recht leer war. Sheila malte mit dem Fuß Muster auf den Boden und starrte in die Ferne, bis er sie sanft anstieß.
Beinahe erschrocken richtete sie den Blick auf ihn, das Gesicht ausdruckslos und bleich.
„Was hat Leonard zu dir gesagt? Ich habe gesehen, dass ihr euch am Buffet getroffen habt", sagte er, bemüht ruhig und neutral.
Sheila schluckte und wandte eilig den Blick ab, was ihn sofort alarmierte. Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie enger an sich.
Sie wischte sich mit der Hand über die Wangen, als würde sie Tränen abfangen, bis sie seufzte und sich ihm wieder zuwandte.
„Er macht sich Sorgen um mich, das ist alles", sagte sie, aber da musste noch mehr sein, das wusste Jonathan.
„Okay, aber... warum bist du dann so traurig?", fragte er, aber Sheila zuckte nur die Schultern. Offensichtlich wollte sie nicht mit ihm reden.
Jonathan musterte sie noch eine Weile, dann gab er auf. Es war mühsam und anstrengend, ihr jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen und ehrlich gesagt hatte er auch keine Lust darauf.
Seufzend sah er zu Mona, die auf dem Klettergerüst herumkraxelte.
„Ich habe ihm gesagt, dass... ich ihm aus dem Weg gehen werde. Das hat ihn enttäuscht und er findet es nicht richtig, dass ich...", setzte sie an, was sein Herz aufgeregt pochen ließ. Sie wollte wirklich versuchen, Leonard aus dem Weg zu gehen? Für ihn? Es fühlte sich schön an, denn das zeigte doch eindeutig, dass sie seine Bitte respektierte.
„Das bedeutet mir viel, wirklich", sagte er und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
„Er meinte, dass es das nicht wert sei und du sowieso irgendwann ausflippst und Schluss machst", sagte sie dann und augenblicklich war seine kleine Freude vorbei.
„Was?", rief er aus, woraufhin Sheila zusammenzuckte. Ängstlich sah sie ihn an, wieder einmal den Tränen nahe.
„Warum sagt er sowas? Um dich zu verunsichern, damit du zu ihm kommst?", empörte er sich, denn er war es leid, dass Leonard Sheila manipulierte, um sie für sich zu gewinnen. Es wurde immer offensichtlicher, dass genau das Leonards Ziel war und das machte ihn wütend.
„Jetzt werd doch nicht schon wieder so wütend", sagte Sheila nur, hob die Hände und legte sie sich über die Ohren.
Sie musste fix und fertig sein.
„Tut mir leid", murmelte er, legte seine Hand an ihr Kinn und drehte ihren Kopf zu ihm herum, damit sie ihn ansah.
Ihre Augenlider flatterten, ganz offensichtlich war sie bemüht, nicht zu weinen.
„Halt dich einfach von ihm fern und alles wird gut, okay?", sagte er eindringlich und auch wenn sie nickte, schien sie nicht überzeugt zu sein.
„Aber er fehlt mir irgendwie. Er... schafft es immer, mich aufzumuntern und von meinen Problemen abzulenken", gab sie zu und wieder einmal traf sie damit seinen wunden Punkt.
„Du brauchst ihn nicht, ich werde dich aufmuntern und von deinen Problemen ablenken", versprach er und umfasste ihr Gesicht ein wenig fester.
Sie schwieg eine ganze Weile, bis sie schließlich nickte. Gleichzeitig rann ihr eine Träne über die Wange, die Jonathan eilig mit dem Daumen auffing.
„Nicht weinen, es wird alles wieder gut, versprochen", sagte er, doch Sheila schüttelte den Kopf.
„Nicht, wenn du dich nicht auch bemühst, wieder normal zu werden. Ich verspreche dir, dass ich nichts von Leonard will und ihm so gut es geht aus dem Weg gehe. Aber ich mag ihn und er ist ein Freund, den ich nicht einfach links liegen lassen kann, das hat er nicht verdient", sagte sie und es machte ihn schon wieder wütend, dass sie so sehr von Leonard besessen zu sein schien.
Jonathan nickte, hielt aber eine gemeine Erwiderung zurück. Sie bemühte sich offensichtlich, ihre Ehe irgendwie zu retten und er sollte das Gleiche tun.
„Sag mir, was ich tun kann", forderte er, was Sheila leise lachen ließ.
„Sei nicht mehr eifersüchtig auf ihn. Mehr musst du gar nicht tun", antwortete sie, wirkte dabei aber so, als würde sie nicht erwarten, dass er es hinbekam.
„Dann gib mir keine Gründe mehr dazu", gab er leise zurück, denn Sheila machte es ihm wirklich nicht leicht.
„In Ordnung", hauchte sie, leise und mit zitternder Stimme. Zaghaft legte sie die Arme um ihn, schwach und Halt suchend. Jonathan erwiderte die Umarmung und genoss ihre sanfte Berührung.
Es fühlte sich einfach nur gut an und in diesem Moment glaubte er, dass er zerbrechen würde, wenn er Sheila nicht mehr im Arm halten könnte.
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