Kapitel 80 - Jonathan

Jonathan wachte von einer Bewegung neben sich auf. Erschrocken öffnete er die Augen und blinzelte, bis er scharf sah und in das Gesicht seiner Tochter blickte, die gerade dabei war, zu ihm ins Bett zu kriechen. 

„Na du", sagte er, obwohl Mona ihn sicherlich noch nicht hören konnte. Sie grinste, schmiegte ihren kleinen Kopf an seine Schulter und schlang den Arm um ihn. 

Jonathan erwiderte ihre Umarmung und fühlte sich vollkommen glücklich. 

Vergessen war der dämliche Streit mit Sheila letzte Nacht und er kam sich albern und kindisch vor, sie angefahren zu haben. 

Sie drei hatten doch eigentlich alles, was sie wollten. Sie waren glücklich. 

Sein Blick wanderte über Mona hinweg zu Sheila, die mit dem Rücken zu ihnen lag und sich nicht rührte. 

Sicherlich war sie noch müde und geschafft von dem ganzen Stress. 

Plötzlich löste Mona sich von ihm und rutschte näher an Sheila, die halb im Schlaf die Umarmung ihrer Tochter erwiderte und sie an sich zog. 

Jonathan warf einen Blick auf die Uhr, erkannte aber schon am Licht, das durch den zugezogenen Vorhang hereindrang, dass es Zeit zum Aufstehen war. 

Noch einmal sah er zu Mona, strich ihr über den Kopf und erhob sich. Kaum dass er auf der Bettkante saß, spürte er, wie ihm schwindelig wurde und er atmete ein paar Mal tief ein und aus. 

Der ganze Stress machte ihn vollkommen fertig. 

„Ich geh ins Bad", sagte er leise zu Sheila, dann drückte er sich hoch und wankte ins Badezimmer. 

Als er das Licht einschaltete, kniff er die Augen zusammen, so sehr blendete es ihn. Nur langsam gewöhnte er sich an das Licht und es fühlte sich an, als würden sich die künstlichen Strahlen bis in sein Hirn bohren.

Wäre vielleicht gar nicht schlecht, wenn es mal ordentlich durchgebraten wurde, vielleicht schaffte er es dann endlich wieder, sich zusammenzureißen und sich nicht alle fünf Minuten mit Sheila zu streiten. 

Mit einem Seufzen drehte er die Dusche an, stieg mehr als ungeschickt aus seinen Klamotten und stellte sich unter den angenehmen Wasserstrahl. 

Seine Gedanken kreisten wild durcheinander und er versuchte mühsam, sie einigermaßen zu ordnen. 

Es kam ihr merkwürdig unwirklich vor, dass er gestern mit Sheila hatte Schluss machen wollen, gleichzeitig spürte er, dass ihre Beziehung sich in den letzten Monaten verändert hatte. Sheila wirkte oft genervt und zurückgezogen, während er schnell wütend wurde. 

Noch einmal entfuhr ihm ein Seufzen, dann wurde seine Aufmerksamkeit auf ein Geräusch gelenkt, das zwar leise war, aber sich durch seine Trommelfelle zu schneiden schien. 

Angestrengt lauschte er den Geräuschen aus dem Zimmer und er erkannte, dass er sich nicht geirrt hatte. Es hatte geklopft und er hörte zwei Paar nackte Füße, die über die Fliesen zur Tür tapsten. 

Reflexartig drehte er das Wasser ab, auch wenn er noch überall Seife hatte, aber so konnte er besser hören, was passierte. 

Es war eindeutig, dass Leonard an der Tür war, seine Stimme erkannte er sofort, auch wenn sie gedämpft war. 

„Ich wollte nur nachsehen, ob du in Ordnung bist", hörte er Leonard sagen und automatisch ballten sich seine Hände zu Fäusten. 

Natürlich war Sheila in Ordnung, immerhin war sie bei ihm und Mona, bei ihrer Familie. 

„Ja, alles okay", hörte er Sheila sagen, aber ihre Stimme zitterte und klang ganz und gar nicht so, als wäre das die Wahrheit. War sie etwa nervös? 

Eine Weile blieb es still, dann hörte er Leonard fragen, ob er heute auf Mona aufpassen sollte, damit er und Sheila sich einen schönen Tag machen konnten. Nein! Alles in ihm schrie danach, dass Sheila nein sagen sollte, denn er wollte nicht, dass Leonard sich schon wieder einmischte. 

„Ich weiß nicht, ich muss erst Jonathan fragen, was er geplant hat", stammelte Sheila und klang vollkommen verunsichert. 

„Nein, wir machen heute einen Ausflug zu dritt", rief er, ohne darüber nachzudenken. 

Wieder herrschte Schweigen auf der anderen Seite der Badezimmertür, dann fing Sheila wieder an zu sprechen. 

„Danke, das ist nett, aber...", fing sie an, aber Leonard unterbrach sie jäh und er sprach absichtlich so laut, dass Jonathan ihn hören musste. 

„Gut, dann viel Spaß. Aber wenn du mal eine Auszeit von den ganzen Streitereien brauchst, sag Bescheid", sagte er. 

Jonathan spannte sich an und war kurz davor, aus der Dusche zu springen. 

Was erlaubte dieser Kerl sich eigentlich? 

„Hör auf, ihn zu provozieren", sagte Sheila, doch dann senkte sie die Stimme und er konnte nicht mehr verstehen, was sie sagte. 

Einige Momente später wurde die Tür wieder geschlossen. 

Jonathan entspannte sich sichtlich und drehte das Wasser wieder auf, um sich fertig zu duschen. 

Plötzlich wurde die Badezimmertür so heftig aufgerissen, dass er zusammenzuckte. Keine Sekunde später riss Sheila den Duschvorhang zur Seite und stand mit in die Hüften gestemmten Händen vor ihm. Ihr Gesicht war wutverzerrt und sie sah ihn kopfschüttelnd an. 

„Was?", fragte er, wusch sich die letzten Seifenreste von Körper und stieg aus der Dusche. Dabei kam er ihr so nah, dass einige Wassertropfen auf ihre Schulter landeten, aber sie wich keinen Schritt zurück. 

„Was sollte das? Ich hätte dich vorher gefragt, was du machen willst", wollte sie wissen und sah ihn beinahe herausfordernd an. 

Jonathan schluckte, denn vielleicht war seine Reaktion doch ein wenig übertrieben gewesen. Er atmete tief durch, damit er ihr keine pampige Antwort gab, dann suchte er ihren Blick, während er sich ein Handtuch umwickelte. 

„Was hat er denn danach noch zu dir gesagt?", fragte er, denn das musste er zuerst wissen. 

Sheila schnalzte verächtlich mit der Zunge, doch dann bröckelte ihre abwehrende Fassade. 

„Du machst mich fertig", stöhnte sie, wandte sich um und wollte das Bad schon wieder verlassen, doch Jonathan griff nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. 

Sofort versteifte sie sich und funkelte ihn an. Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, zwar nur halbherzig, aber die Botschaft war klar. 

„Sag mir, was er gesagt hat, dann lasse ich dich los", sagte er leise und bemerkte erst da, wie bedrohlich er klang. 

Sheila sah ihn fassungslos und kopfschüttelnd an, seufzte dann aber und schien einzuknicken. 

„Er hat mir noch einmal gesagt, dass er für mich da ist, sollten wir uns wieder streiten. Mehr nicht", sagte sie resignierend, woraufhin sie noch einmal einen schwachen Versuch unternahm, sich von ihm loszumachen. 

„Und was hast du geantwortet?", wollte er wissen, denn es machte ihn wütend, dass Leonard nicht damit aufhörte, sich an sie heranzumachen. 

„Lass mich los", sagte sie, ohne auf seine Frage zu antworten. 

Noch einen Moment lang starrten sie sich an, bis er sie losließ. 

Sofort zog sie ihren Arm an sich und umklammerte ihn, als hätte er ihr wehgetan. 

„Ich habe ihm gesagt, dass alles okay ist", sagte sie noch, dann verließ sie das Bad. 

Jonathan schluckte schwer und fragte sich, ob seine Reaktion wirklich notwendig gewesen war. 

Eilig lehnte er sich gegen den Türrahmen und sah ins Schlafzimmer, wo Sheila gerade Mona beim Anziehen half. 

„Tut mir leid", sagte er leise, aber Sheila ignorierte ihn. 

Er schloss für einen Moment die Augen und fragte sich, was nur mit ihm los war. Leonard war noch immer sein Cousin, der zwar in Sheila verliebt war, der aber sicherlich nicht ernsthaft versuchen würde, sie ihm auszuspannen. Ja, er überschritt manchmal eine Grenze und er fand es noch immer nicht in Ordnung, dass die beiden gestern händchenhaltend durch die Gegend gelaufen waren, aber er sollte Sheila vertrauen. 

Bis auf diesen einen Tag, der schon Jahre zurücklag, hatte sie noch nie irgendetwas Verwerfliches getan. Zwar stimmte es auch, dass sie sich gern umwerben ließ, aber wenn er ehrlich zu sich war, hatte sie noch nie etwas getan, was er als Fremdgehen bewertete. 

Noch einen Moment lang beobachtete er Sheila und Mona, die sich für den Tag fertig machten, dann verzog er sich wieder ins Bad, um sich anzuziehen und die Zähne zu putzen. 

Hoffentlich schaffte er es, sich heute zusammenzureißen und Sheila zu zeigen, dass es zwischen ihnen beiden funktionieren konnte. 

Sie waren doch eigentlich glücklich und er wusste, dass er durch sein dämliches Verhalten, das er aus irgendeinem Grund nicht abstellen konnte, Sheila von sich stieß. Das musste er dringend ändern, zumindest wenn ihm noch etwas an ihr lag. 

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