Kapitel 79 - Sheila
Es war kalt und Sheila spürte, wie sie anfing zu zittern. Sie saß im feuchten Sand und beobachtete das Wasser, das mit der Flut immer näher kam. Sie war recht weit in den Bereich hineingegangen, in dem schon bald das Wasser stehen würde, sobald die Flut kam und es war dumm, hier sitzen zu bleiben, aber sie fühlte sich wie gelähmt.
Wie hatten sie sich schon wieder streiten können? Warum war es so anders als noch vor ein oder zwei Jahren?
Sheila schüttelte den Kopf, der sich unheimlich leer anfühlte. Sie wusste nur eins: So konnte es nicht weitergehen.
Plötzlich spürte sie eine kalte Welle, die um ihre Füße schwappte und ihr wurde klar, dass sie nun wirklich dringend hier verschwinden musste.
Mühsam erhob sie sich, wobei ihre Knie knackten, als wären sie eingerostet. Eilig ging sie zurück in den sicheren Bereich des Strandes und warf einen Blick zu ihrem Hotelzimmer, das sie von hier aus sehen konnte.
Es war dunkel im Zimmer und sie konnte Jonathan nicht auf der Terrasse erkennen, aber vielleicht war er bei Mona. Es war gut möglich, dass sie von ihrem Streit aufgewacht war und Jonathan beruhigte sie nun.
Nicht nur, dass sie eine schlechte Ehefrau war, ihre Mutterqualitäten ließen auch eindeutig zu wünschen übrig.
Ein dicker Kloß bildete sich in ihrer Kehle, den sie mühsam versuchte, herunterzuschlucken. Es gelang ihr nicht und sie beschloss, noch etwas am Strand entlangzugehen.
Er war menschenleer und das Rauschen des Meeres hörte sich angenehm an. Sie wollte nicht, dass ihr Urlaub vollkommen ruiniert wurde und Jonathan wirklich ernsthaft auf die Idee kam, sie hier zu verlassen, also nahm sie sich vor, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen. Dann konnte sie ihn immerhin nicht mehr provozieren.
Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit auf einen dunklen Schatten gelenkt, der nur weniger Meter von ihr entfernt auftauchte. Als sie genauer hinsah, erkannte sie, dass es Leonard war.
Verwundert, dass sie ihn hier traf, blieb sie stehen und wartete, bis er zu ihr kam.
„Was machst du hier?", fragte sie, was ihn heftig zusammenzucken ließ. Offensichtlich bemerkte er sie erst jetzt und sie musste leise kichern.
„Erschreck mich doch nicht so. Ich konnte nicht schlafen und dachte, ich könnte mich müde laufen", erklärte er schulterzuckend, schob dann aber die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick auf den Boden.
„Und vielleicht habe ich euren Streit gehört", gab er dann zu deutete mit dem Kopf auf die nahestehenden Liegen.
Sheila nickte und folgte ihm zu den beiden Liegen, auf denen sie sich niederließen.
Seufzend wanderte ihr Blick in die Ferne, denn sie hatte keine Lust, mit Leonard über ihre Auseinandersetzung zu reden.
„Was war los?", fragte er nach ein paar Sekunden, doch Sheila winkte ab.
„Ich will nicht drüber reden", sagte sie, woraufhin Leonard nickte.
„Okay. Aber... du bist soweit in Ordnung?", hakte er nach und sie nickte. Sheila zog die Beine an und schlang die Arme darum.
Sie wünschte sich, dass sie irgendwer in den Arm nahm und sie tröstete, aber Leonard war einfach nicht die Person, die das im Moment tun sollte. Hinterher kam Jonathan auf die Idee, sie zu suchen und erwischte sie beide zusammen.
„Ich muss einen Moment allein sein", sagte sie, was Leonard grinsen ließ.
„Ich auch. Wir könnten zusammen allein sein", schlug er vor, doch Sheila schüttelte eilig den Kopf.
Sie sah, wie Leonard unsicher hin- und herrutschte, dann nickte er.
„Okay, dann... sehen wir uns morgen, schätze ich", sagte er, stand von der Liege auf und ließ sie ohne zurück zu blicken allein.
Schon nach wenigen Sekunden hatte ihn die Dunkelheit verschluckt und sie war weit und breit der einzige Mensch.
Sie vergrub das Gesicht in den Händen und spürte, wie sie anfing zu schluchzen.
Es kam ihr vor, als würde das hier alles nicht passieren, als wäre ihre Ehe nicht am Ende. Niemals hätte sie erwartet, dass es so kommen würde und doch befand sie sich nun mittendrin.
Jonathans verletzende Worte hallten in ihrem Kopf wider und jedes Mal fühlte es sich schmerzvoller an. Sein wütendes Gesicht ließ sich einfach nicht vor ihrem inneren Auge vertreiben und sie wünschte, nicht im Streit gegangen zu sein.
Egal was sie nun tat, es war aussichtslos, dass sie es heute Abend wieder geradebiegen konnte.
Missmutig wischte sie sich die letzten Tränen von den Wangen und erhob sich. Ihr war kalt und sie war müde, außerdem musste sie auf die Toilette.
Mit gesenktem Blick eilte sie zurück zu ihrem Hotelzimmer, wo sie leise gegen die Tür klopfte.
Keine Sekunde später öffnete Jonathan sie, als hätte er dahinter gestanden und nur darauf gewartet, dass sie zurückkam.
„Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe", sagte er tonlos, trat dann einen Schritt beiseite und ließ sie hereinkommen.
„Mir auch", erwiderte sie und hörte, wie kratzig ihre Stimme sich anhörte. Sofort spürte sie die Wärme des Zimmers und auf ihre Haut legte sich eine Gänsehaut.
„Warst du am Strand?", fragte er und sie nickte, während Jonathan die Tür hinter ihr schloss. Sheila sah zu Mona, die ihr Kuscheltier fest umklammert hielt und schlief.
„Sie ist kurz aufgewacht, aber zum Glück schnell wieder eingeschlafen", erklärte er und Sheila spürte ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen.
Sie machten diesen Urlaub hauptsächlich für Mona und nun verdarben sie es ihr, nur weil sie beide nicht miteinander auskamen.
„Leonard war auch am Strand und er wollte mit mir reden. Ich habe ihn weggeschickt", berichtete sie, denn es erschien ihr wenig sinnvoll, ihn anzulügen.
Dennoch zuckte etwas in seinem Gesicht, das sie als Misstrauen interpretierte. Für einen Moment lang sah sie Jonathan an, doch als er einfach nur dastand und sie ansah, riss sie den Blick von ihm los und verschwand ins Bad.
Sie schloss die Tür, verriegelte sie aber nicht, sodass er hereinkommen konnte, wenn er wollte.
Sie ging auf die Toilette und wusch sich anschließend die Hände. Sie ließ sich das angenehm lauwarme Wasser über die Arme laufen und betrachtete sich gleichzeitig im Spiegel über den Waschbecken.
Was war nur aus ihr geworden? Sie spürte de inneren Drang, mit jemanden über alles zu reden, der ihr einen wirklich ernst gemeinten Rat geben konnte. Jemand, der sich nicht angegriffen oder verletzt fühlte.
Sofort fiel ihr ihr Bruder ein, aber der war ziemlich weit weg und es war nachts. Sicherlich schlief er und wenn sie ehrlich war, konnte man sich auf seine Beziehungstipps nicht wirklich verlassen.
Irgendwie kam sie sich vor, als hätte sie niemandem, dem sie ihr Herz ausschütten konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, jemand anderen zu verletzen.
Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken und eilig drehte sie den Wasserhahn ab.
„Ich komme", sagte sie, trocknete sich hastig die Hände ab und öffnete die Badezimmertür.
Jonathan stand direkt davor, seine Augen sahen ausdruckslos aus.
„Gehen wir schlafen?", fragte sie, denn das würde ihnen beiden mit Sicherheit gut tun.
Er nickte, machte aber keine Anstalten, zur Seite zu gehen und sie aus dem Badezimmer zu lassen. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und wippte unruhig hin und her, als brannte ihm etwas auf der Seele.
„Alles okay?", fragte sie, was ihn beinahe erschrocken den Kopf hochreißen ließ, dann aber beinahe wütend dreinblicken ließ, als wäre ihre Frage schwachsinnig.
„Nein", sagte er betont ruhig, verfiel anschließend aber wieder in Schweigen.
Sheila nickte und trat einen Schritt näher, allerdings ließ er sie noch immer nicht vorbei.
„Ich bin müde, gehen wir ins Bett", sagte sie und endlich reagierte er. Doch anstatt zur Seite zu gehen, breitete er die Arme aus.
Überrascht suchte sie seinen Blick, doch er wackelte auffordernd mit den Händen, damit sie sich endlich von ihm umarmen ließ.
Zögerlich folgte sie seiner stummen Anweisung, und kaum dass sie sich gegen seine Brust sinken ließ, umschlang er sie so fest, dass ihr ein erschrockener Ton entfuhr.
„Bitte geh ihm aus dem Weg", flüsterte er in ihr Ohr und ohne darüber nachzudenken nickte sie.
Natürlich wusste sie, dass das nur schwierig möglich war und wenn sie ehrlich war, hatte ihr der Tag heute mit Leonard richtig gut getan, aber manchmal musste man eben Opfer bringen.
„Mache ich. Könntest du dann vielleicht damit aufhören, die ganze Zeit misstrauisch zu sein?", fragte sie und er nickte genau so schnell, wie sie eben.
Sheila löste sich von ihm, griff nach seiner Hand und zog ihn zum Bett, wo sie sich ihr Kleid auszog und wieder in ihren Schlafanzug schlüpfte.
Jonathan lag inzwischen im Bett und klopfte mit einer Hand auf ihre Matratze. Sheila durchströmte eine angenehme Wärme, denn es fühlte sich gut an, dass er sie in seiner Nähe haben wollte.
Sie krabbelte zu ihm ins Bett und schmiegte sich an ihn, auch wenn es viel zu warm war, um so einzuschlafen.
Jonathan küsste sie auf den Kopf, zog sie noch enger an sich und streichelte sanft ihren Rücken.
Auch wenn sie erleichtert war, dass seine Laune wieder besser zu sein schien, fühlte sie sich wie nach einer Achterbahnfahrt. Von seinen Stimmungsschwankungen wurde ihr ganz schwindelig und sie würde eine ganze Menge dafür geben, dass wieder alles so wurde wie früher.
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