Kapitel 77 - Sheila

Sheila beeilte sich beim Essen und sie war froh, dass Jonathan ihr nicht nachkam. Leonard saß mit ihr am Tisch, aber sie schwiegen die meiste Zeit. 

Anscheinend spürte er, dass es ihr nicht gutging, denn er beobachtete sie aufmerksam. 

Als sie ihren Teller von sich schob und gerade aufstehen wollte, griff er über den Tisch nach ihrer Hand. Erschrocken sah sie sich um, ob Jonathan sie vielleicht beobachtete, doch er war nirgends zu erkennen. 

„Sheila, du musst ihm nicht alles sagen, das weißt du. Vielleicht lässt du... meinen kleinen Gefühlsausbruch lieber weg", sagte er eindringlich und zog besorgt die Augenbrauen zusammen. 

Sheila entzog ihm ihre Hand und zuckte die Schultern. 

„Er wird so lange nachbohren, bis ich ihm alles erzählt habe. Ich kann ihm nichts verheimlichen", erwiderte sie, trat hinter ihren Stuhl und schob ihn an den Tisch. 

Leonard schluckte schwer und senkte schuldbewusst den Blick. 

„Ich will nicht, dass er wegen mir sauer auf dich wird. Sag, dass es meine Schuld war", redete er weiter auf sie ein, doch nun war Sheila verwirrt. 

„Dass was deine Schuld war?", fragte sie, denn Leonard hatte doch gar nichts getan. Ja, er hatte mit ihr geflirtet, als er angefangen hatte, ihr Top hochzuziehen, doch sie glaubte nicht, dass er es ihr wirklich ausgezogen hätte. 

Leonard druckste herum, stand dann ebenfalls auf und zog sie am Arm aus dem Restaurant. Sie ließ sich von ihm mitziehen, wollte aber dennoch eine Antwort von ihm. 

Vor dem Ausgang des Restaurants blieb sie stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. 

„Jetzt spuck es schon aus", forderte sie, woraufhin Leonard sie mit schmerzerfülltem Blick ansah. 

„Ich meine nur, dass du dir nicht von ihm einreden lassen sollst, dass irgendetwas von dir ausgegangen wäre. Ich habe mit dir geflirtet, nicht andersherum", sagte er eindringlich und auch wenn Sheila ihm widersprechen wollte, hielt sie es für eine bessere Idee, einfach nur zu nicken. 

„Es wird schon alles gut gehen, mach dir keine Sorgen", versuchte sie ihn und auch sich selbst zu beruhigen, aber es half bei ihnen beiden nur wenig. 

„Ich will nicht Schuld an eurer Trennung sein", sagte er, was Sheila unsanft zusammenfahren ließ. 

Trennung? 

„Wir... wir trennen uns doch nicht", stammelte sie, doch Leonards Blick zeigte ihr, dass er sich da ganz und gar nicht sicher war. 

Sheilas Knie wurden weich und erschrocken keuchte sie. 

„Das ist Blödsinn", fuhr sie ihn an und machte Anstalten, davon zu gehen. Leonard hielt sie jedoch am Arm fest, sodass sie nicht weit kam. 

„Sheila", mahnte er, als wäre sie ein Kind, das eine Dummheit beging. 

„Was?", schnauzte sie, auch wenn er das gar nicht verdient hatte, so angegangen zu werden. 

„Du hast ihn nur fünf Sekunden gesehen und schon hast du schlechte Laune. Das kann doch nicht sein", sagte er, ließ sie aber los. 

Kopfschüttelnd sah sie ihn an, als ihr schmerzlich bewusst wurde, dass er recht hatte. 

Wütend ging sie davon und erwartete, dass er sie wieder aufhielt, doch er ließ sie gehen. 

Nach wenigen Metern sah sie sich noch einmal nach ihm um, aber er stand noch immer an der Stelle, an der sie ihn stehengelassen hatte. Sie geriet ins Straucheln, fing sich aber gerade noch und ging weiter. 

Ja, vielleicht hatte Leonard recht und sie hatte sich ein wenig in ihn verguckt, weil sie so viel Zeit miteinander verbrachten, aber niemals würde sie Jonathan für ihn verlassen. Auch wenn Leonard sich noch so sehr anstrengte, würde er Jonathan nicht ersetzen können. 

Sheila hetzte den Weg entlang bis sie wieder ihr Hotelzimmer erreichte. Schon von Weitem sah sie Jonathan auf der Terrasse sitzen. Komischerweise fühlte sie sich an jenen Abend erinnert, als sie sich so sehr betrunken hatte. Auch da hatte er auf sie auf der Terrasse gewartet, das Gesicht in den Händen vergraben. 

Er schien in Gedanken zu sein, denn erst als sie mit einem scharrenden Geräusch den Stuhl näher an seinen zog, blickte er erschrocken auf. Beinahe vorsichtig setzte sich sich ihm gegenüber, beugte sich vor und griff nach seiner Hand. 

Sheila wusste nicht, ob sie zuerst etwas sagen sollte, doch bevor sie sich etwas überlegen konnte, kam er ihr zuvor. 

„Ich habe gesehen, wie du seine Hand gehalten hast. Was habt ihr noch alles getan?", fragte er vorwurfsvoll und mit schmerzerstickter Stimme. 

Sheila durchzuckte es wie ein Blitz, denn anscheinend stand für Jonathan fest, dass zwischen ihr und Leonard etwas passiert war, das über die Grenze der Freundschaft hinausging. 

Sie umklammerte seine Hand fester und suchte seinen Blick. 

„Es ist nichts passiert. Er hat ein wenig mit mir geflirtet, aber ich habe ihm klar gemacht, dass wir nur Freunde sind", erklärte sie und fühlte sich schon jetzt von dem Gespräch erschöpft. 

„Ach, hast du das?", fragte er spöttisch und schnaubte. Er glaubte ihr nicht, das war eindeutig. 

„Ja, habe ich. Wir verstehen uns eben gut, das ist alles", sagte sie, aber Jonathan schüttelte immer und immer wieder den Kopf. 

„Hör endlich auf, es zu leugnen", sagte er leise, drohend. 

Sheila fiel die Kinnlade herunter, denn sie konnte einfach nicht glauben, dass Jonathan ganz offensichtlich mit ihr streiten wollte. Egal was sie sagte, er würde ihr nicht glauben. 

Unwillkürlich rutschte sie mit ihrem Stuhl näher an ihn heran. 

„Warum hast du ständig schlechte Laune und suchst Streit? Wenn du dich nicht wie ein Idiot aufführen würdest, gäbe es gar kein Problem", sagte sie, doch kaum dass es draußen war, presste sie sich die Hand vor den Mund. Zwar war es genau das, was sie dachte, aber es war in dieser Situation wirklich nicht schlau, Jonathan zu provozieren. 

Seine Reaktion kam prompt. Er sprang auf und beugte sich drohend zu ihr herunter, die Hände auf den Lehnen ihres Stuhles abgestützt. 

„Schieb mir nicht die Schuld zu. Mir ist klar, dass ich manchmal überreagiere, aber du provozierst es. Du verbringst den ganzen Tag mit ihm, hältst mit ihm Händchen und wahrscheinlich noch viel mehr und jetzt sitzt du hier und machst mit Vorwürfe?", redete er sich in Rage, so laut, dass Sheila zusammenzuckte. 

Ihr Herz pochte wie wild, denn sie war es nicht gewöhnt, mit ihm zu streiten. 

Entschlossen packte sie seine Hände und beugte sie näher an ihn heran, sodass sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. 

„Weißt du was? Glaub doch was du willst. Egal was ich dir sage, du hältst es für eine Lüge. Aber ich hatte heute den ganzen Tag Spaß und erst seit ich zurück bin und du mich ansiehst, als hätte ich jemanden umgebracht, geht es mir schlecht", schrie sie ihm ins Gesicht und fühlte sich sofort befreit. 

Es war ein schönes Gefühl, ihn anzuschreien und all ihren Frust loszuwerden. 

Jonathan lachte und es klang, als wäre er verrückt. Er riss sich aus ihrem Griff und verschränkte die Arme vor der Brust und fing an, vor ihr auf und ab zu gehen. 

„Wenn es dir so schlecht bei mir geht, warum bist du dann noch hier? Wegen Mona?", fragte er vorwurfsvoll, aber wieder mit leiserer Stimme. 

Sheila schluckte schwer, schüttelte dann aber den Kopf. 

„Ich bin hier, weil ich aus irgendeinem Grund immer noch in dich verliebt bin und diese Ehe retten will. Aber du machst es mir wirklich schwer", sagte sie ehrlich, doch Jonathan lachte wieder verächtlich. 

„Komische Art der Eherettung, wenn du den Tag mit einem anderen Typen verbringst und offensichtlich glücklich mit ihm bist. Du liebst ihn, nicht mich. Gib es endlich zu und beende dieses Drama", sagte Jonathan hitzig, eindeutig nicht klar darüber nachdenkend, was aus seinem Mund kam. 

Sheila spürte etwas in sich zerbrechen. Wollte er, dass sie Schluss machte? 

Ihr entfuhr ein ersticktes Geräusch und es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder gefasst hatte. Ängstlich sah sie zu Jonathan, der auf einmal nicht mehr wütend, sondern genau so ängstlich aussah, wie sie sich fühlte. 

Sie wusste instinktiv, dass Jonathan eigentlich nicht wollte, dass es zwischen ihnen vorbei war. Irgendetwas in ihr wusste, dass er selbst unsicher war und aus irgendeinem Grund eine Krise hatte, aus der er im Moment einfach nicht herauskam. 

Sheila fühlte sich an den Beginn ihrer Beziehung erinnert, wo er sie aus einem tiefen Loch gezogen hatte. Vielleicht musste sie das nun für ihn tun. 

Langsam stand sie auf und ging auf ihn zu. Er blieb stehen, atmete stoßweise ein und aus, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen und beobachtete sie. 

„Wir schaffen das, okay? Ich verspreche dir, es wird alles wieder gut", sagte sie und streckte zaghaft die Hände nach ihm aus. Er ließ es zu, dass sie ihn berührte und sie fuhr sanft mit einer Hand über seine Brust, über seinen Hals bis zu seiner Wange. 

„Ich weiß, es ist schwer, wieder über die Kante des Abgrundes zu klettern, aber gemeinsam schaffen wird das", redete sie auf ihn ein und führte ihre Lippen zu seinen. 

„Du glaubst ich bin in den Abgrund gefallen?", fragte er, seine Lippen nur Millimeter von ihren entfernt. 

Sheila hielt inne und sah ihm fest in die blauen Augen. Sie schluckte schwer, denn sie hatte nicht damit gerechnet, dass er es anders sah. 

„Ja und ich helfe dir da wieder raus", erklärte sie, aber ihre Stimme brach. 

Kaum merklich schüttelte er den Kopf. 

„Die Sache ist nur, dass du dich von Leonard in den Abgrund reißen lässt und genau heute hast du meine Hand, die dich noch zurückgehalten hat, losgelassen", sagte er dramatisch, packte sie an den Schultern und schob sie von sich weg. 

Tränen stauten sich in ihren Augen, denn ganz offensichtlich steigerte Jonathan sich in seine Vorstellungen hinein, was heute alles passiert sein sollte zwischen ihr und Leonard. 

„Ich erzähle dir alles, was heute passiert ist, wenn du das willst. Bitte, wir kriegen das hin", flehte sie und griff wieder nach seiner Hand. 

Jonathan wich zurück und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht, als redete er mit einem kleinen Kind, das einfach nicht hören wollte. 

„Ich will keine Details wissen. Ich will nur, dass du endlich zu deinen Gefühlen für ihn stehst und das hier nicht unnötig in die Länge ziehst", sagte er und Sheila glaubte, sie würde fallen. 

„Was? Du... was?", stammelte sie ungläubig, doch Jonathan schüttelte nur den Kopf. 

„Ich weiß, du liebst ihn. Das sieht man, wenn man euch beide fünf Sekunden lang ansieht. Gib es endlich zu, dann können wir das hier beenden", sagte er vollkommen gleichgültig, aber Sheila sah, dass in ihm ein Kampf tobte.

Er wollte nicht wirklich, dass es zwischen ihnen vorbei war. 

Sheila war verzweifelt. Was sollte sie tun? Worte halfen anscheinend nicht mehr, also blieb ihr nur eine Möglichkeit. 

Panisch rannte sie auf ihn zu, schlang die Arme um ihn und küsste ihn so schnell, dass er nicht mehr reagieren konnte. Er ließ es zu, erwiderte den Kuss aber nicht. 

Nach wenigen Sekunden löste sie ihre Lippen von seinen und sah ihm fest in die Augen. 

„Ich liebe dich und ich will nicht, dass wir Schluss machen", sagte sie und hoffte, dass es zu ihm durchdrang. Ein Flackern tauchte in seinen Augen auf, das seine Gefühle für sie verriet.

 Auch er empfand so wie sie, aber er stand sich selbst im Weg. 

Sie spürte, wie er ihre Umarmung erwiderte und sie küsste, so leidenschaftlich, wie schon lange nicht mehr. 

Sheila schluchzte und lachte gleichzeitig und ihm schien es genau so zu gehen. Sie zitterte am ganzen Leib, als er sie nach einigen Momenten losließ. Tatsächlich lag ein Lächeln auf seinen Lippen, das jedoch schnell wieder verschwand. 

„Vielleicht will ich doch Details", sagte er, griff nach Sheilas Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. 

Sheila nickte, bereit, ihm alles zu erzählen, was er wissen wollte, wenn es nur dabei half, ihre Ehe zu retten. 

Sie drängte ihn bestimmt nach drinnen, warf einen Blick zu Mona, die friedlich schlummerte und schob ihn weiter ins Bad. Sie wollte in diesem Moment so dringend seine Haut auf ihrer spüren und ihm zeigen, wie sehr sie ihn liebte. 

„Sheila", keuchte er, als sie anfing, ihn auszuziehen. Sie erstickte seine Stimme mit einem Kuss, bis er sich entspannte und ihre Berührungen zuließ. 

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