Kapitel 76 - Jonathan
Inzwischen war es Abend und Jonathan und Mona gingen vom Restaurant zurück in ihr Hotelzimmer. Mona war zum Glück müde und er war sich sicher, dass sie schnell einschlafen würde.
Sheila war bisher noch nicht aufgetaucht, aber vielleicht war er darüber auch froh. Ganz offensichtlich bahnte sich zwischen ihr und Leonard etwas an, das weit über Freundschaft hinaus ging.
Jonathan fühlte sich merkwürdig bestätigt, so als hätte er es die ganze Zeit über gewusst. Gleichzeitig machte es ihn wütend und er hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen, was Sheila einfiel, sich einfach klammheimlich in Leonard zu verlieben und es dennoch die ganze Zeit zu leugnen.
Sein Herz schmerzte und er fühlte sich aufgewühlt und verzweifelt. Sheila entglitt ihm mehr und mehr, mit jeder Sekunde, die sie mit Leonard verbrachte.
Aber was sollte er tun? Es ihr verbieten? Sicherlich würde das den gegenteiligen Effekt erzielen und sie würde es einfach nur aus Protest tun, um ihn wütend zu machen.
„Wann kommt Mama wieder?", riss Monas zarte Stimme ihn zurück ins Hier und Jetzt und erst da bemerkte er, dass sie schon vor der Zimmertür ihres Hotels standen.
Eilig kramte er die Schlüsselkarte heraus und öffnete die Tür.
„Ich weiß es nicht. Ich rufe sie gleich an", sagte er und Mona nickte.
Die Sorge in ihrem kleinen, kindlichen Gesicht zu sehen ließ etwas in ihm zerbrechen. Sie betraten das Zimmer und Mona schmiss sich auf ihr Bett. Sie war noch ganz sandig von ihrem Herumtoben auf dem Spielplatz.
„Gehst du dich erst duschen? Sonst liegt der ganze Sandkasten mit dir im Bett", sagte er, was Mona kichern ließ. Dennoch sprang sie auf und lief zu ihm, damit er ihre Hörimplantate entfernen konnte.
Sie packte seine Hand und zog ihn ins Bad und bedeutete ihm, dass er sich auf den Klodeckel setzen und warten sollte. Er gehorchte, während Mona sich auszog und unter die Dusche sprang. Sie konnte schon allein duschen, auch wenn sie Angst hatte, wenn man die Badezimmertür schloss.
Jonathan beschloss, Sheila eine Nachricht zu schreiben, damit Mona nicht allzu viel von ihren Problemen mitbekam.
„Wo bist du? Muss ich mir Sorgen machen?", fragte er und spürte, wie sein Herz unangenehm pochte, als er die Nachricht abschickte.
Die wildesten Fantasien tauchten vor seinem inneren Auge auf, wie Sheila und Leonard gemeinsam durchbrannten und ihn allein zurückließen.
Seine Hände fingen an zu zittern und er starrte weiterhin auf sein Handy. Er konnte erkennen, dass Sheila die Nachricht las, doch auch nach weiteren zwei Minuten hatte sie ihm nicht geantwortet. Warum schrieb sie nicht eine kurze Nachricht zurück?
„Ich meine es ernst, wann kommst du zurück? Mona fragt nach dir", schrieb er, doch wieder das Gleiche. Sie las die Nachricht, antwortete aber nicht.
Wütend grummelte er vor sich hin, schob sein Handy wieder in seine Hosentasche und warf einen Blick in Richtung Dusche.
Das Wasser plätscherte und Mona summte leise vor sich hin, was immer ein wenig lustig klang, da sie sich selbst nicht hören konnte.
Genau in diesem Moment bemerkte er eine Bewegung im Augenwinkel und erschrocken riss er den Blick herum.
Die Zimmertür öffnete sich langsam, dann schob Sheila sich hinein. Sie wirkte, als würde sie eindeutig ein schlechtes Gewissen haben.
Jonathan spannte sich unwillkürlich an und als sie ihn ansah, wollte er sie umarmen und gleichzeitig schütteln.
Sie trat ins Bad, schob vorsichtig den Duschvorhang ein Stück zu Seite und winkte Mona, die freudestrahlend quietschte. Erst da bemerkte er, dass ihr Top und auch ihr Rock fleckig waren, so als wäre sie nass geworden und ihre Klamotten waren noch nicht richtig getrocknet. In der Hand hielt sie eine Plastiktüte und ihr Haar war feucht.
„Da bist du ja", sagte er, gleichzeitig bohrten sich brennende Fragen in sein Hirn. War sie etwa in einen Regen gekommen? Unwahrscheinlich, denn den ganzen Tag war strahlender Sonnenschein.
Sheila trat näher an ihn heran, streckte die Hand aus und drückte sanft seine Schulter.
„Du bist ganz nass", stellte er dann fest, woraufhin sie nickte und sich anschließend zu ihm herunterbeugte und ihn ungeschickt umarmte.
Zögerlich erwiderte er die Umarmung, doch die Erinnerung an heute Mittag kamen zurück. Wie sie Leonards Hand gehalten und gelacht hatte. Er packte sie an den Armen und schob sie von sich weg.
„Wo warst du?", fragte er streng und suchte ihren Blick, doch sie wich ihm aus.
Ihre Finger klammerten sich um die Tüte in ihrer Hand.
„Ich habe neue Schuhe gekauft. Und die Musikkapelle angesehen. Und... dann war ich schwimmen", berichtete sie seltsam monoton, so als wäre eigentlich etwas ganz anderes passiert.
Jonathan nickte langsam.
„Und warst du allein?", fragte er, auch wenn er die Antwort schon kannte.
„Nein. Leonard war mit", sagte sie und endlich sah sie ihm in die Augen.
Jonathan fing an zu beben, denn würde sie nicht zugeben, dass ganz offensichtlich mehr zwischen ihr und Leonard gelaufen war, wäre sein Vertrauen in sie eindeutig zerstört. Er sah, wie sie schwer schluckte und verlegen den Blick senkte.
„Können wir reden, wenn Mona schläft?", fragte sie leise, woraufhin er schnaubte.
„Wir müssen sogar", fuhr er sie unbeabsichtigt unfreundlich an, was sie zusammenzucken ließ.
Sheila schlang die Arme um sich, als wäre ihr kalt, wobei die dämliche Tüte in ihrer Hand raschelte.
„Ich weiß, dass du mich bei der Kapelle gesehen hast", sagte sie, dann verschwand sie, ohne seine Reaktion abzuwarten.
Kopfschüttelnd sah er ihr nach, doch recht schnell war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Offensichtlich hatte sie ihn bei der Kapelle gesehen, doch anstatt direkt mit ihm zu reden, hatte sie lieber noch den ganzen Tag mit Leonard verbracht. Jonathan war fassungslos und traurig zugleich, aber irgendwie fühlte er sich auch betrogen.
Er zwang sich, hier sitzen zu bleiben und zu warten, bis Mona fertig war, aber schon nach zwei Minuten kam Sheila wieder ins Bad. Sie hatte sich umgezogen und griff nach ihrer Bürste, die auf der Ablage am Waschbecken lag. Mühsam kämmte sie ihr verknotetes Haar und ihm war durchaus bewusst, dass sie ihn im Spiegel beobachtete.
„Wart ihr schon essen?", fragte sie, als sie die Bürste wider zur Seite legte. Jonathan nickte, denn es war schon wirklich spät.
„Hast du mal auf die Uhr geguckt? Mona muss ins Bett", gab er patzig zurück, was sie seufzen ließ.
„Okay, ich gehe schnell was essen, dann reden wir", sagte sie und wandte sich um.
Eilig sprang Jonathan auf und griff nach ihrem Arm, bevor sie das Bad verlassen konnte.
„Hast du ihn geküsst? Oder... noch mehr?", fragte er, denn wenn sie ihm diese Frage nicht beantworten würde, drehte er durch.
Beinahe geschockt sah sie ihn an, errötete aber gleichzeitig.
„Nein, wie... nein, habe ich nicht. Und fass mich nicht so an", schleuderte sie ihm entgegen, riss sich los und verließ türenknallend das Zimmer.
Jonathan schnaubte, ballte die Hände zu Fäusten und biss die Kiefer so fest aufeinander, dass es schmerzte.
Was war nur passiert, dass sie noch nicht einmal drei Sätze miteinander reden konnten, ohne dass einer von ihnen eingeschnappt oder wütend war?
Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann griff er nach Monas Handtuch und zog den Duschvorhang auf. Es wurde Zeit für sie, ins Bett zu kommen und er spürte den Drang, diese Sache mit Sheila endgültig zu klären.
Er musste wissen, was sie den ganzen Tag getrieben hatte und sie musste ihm einiges erklären. Zum Beispiel, wie sie auf die Idee kam, mit Leonard den ganze Tag zu verbringen und sich eindeutig prächtig zu amüsieren, obwohl sie ihm versprochen hatte, ihm keine zweideutigen Signale mehr zu schicken.
Mona kam aus der Dusche geklettert und ließ sich bereitwillig von ihm abtrocknen und die Haare föhnen, dann brachte er sie ins Bett. Auch wenn sie nach Sheila fragte, wich er ihr aus und versprach ihr, dass morgen alles wieder in Ordnung sein würde.
Allerdings war er sich gar nicht sicher, ob wieder alles in Ordnung kommen würde. Irgendetwas tief in ihm drin sagte ihm, dass Sheila heute den Vogel abgeschossen hatte. Natürlich hoffte er, dass er sich irrte, aber ihre Art hatte sich so sehr verändert, dass es einfach nur so sein konnte.
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