Kapitel 7 - Sheila

Sheila suchte unter dem Tisch nach Jonathans Hand, denn auch wenn sie Leonard und seine Freundin kannte, fühlte sie sich merkwürdig angespannt. Nicht nur wegen dem untypischen Schweigen, das am Tisch herrschte, sondern auch, weil es offensichtlich war, dass Kathi und Leonard sich gestritten hatten. 

Er starrte stumm und mit angespanntem Kiefer auf seinen noch leeren Teller, sie sorgsam ignorierend, wohingegen Kathi so aussah, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. 

Sheila spürte Jonathans Blick auf sich und sie drehte den Kopf, um diesen zu erwidern. Er schien sich unwohl zu fühlen, was Sheila nur zu gut verstehen konnte. 

„Ich hole schon mal den Kuchen", sagte er dann eilig, sprang auf und verschwand in der Küche. Sheila sah ihm nach und als er aus dem Blickfeld ihrer beiden Gäste verschwunden war, sah er sie hilfesuchend an. Wortlos versuchte sie ihm zu sagen, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Mona und seine Eltern ankamen und sich dann die Situation mit Sicherheit etwas lockern würde, aber sie war unsicher, ob er ihren Blick richtig deutete. 

Unbeholfen balancierte er den Kuchen zum Tisch und platzierte ihn mitten auf darauf. 

„Mh, sieht wirklich lecker aus", sagte Leonard und versuchte, zu lächeln. Kathi neben ihm schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. Sofort richteten sich alle Blicke auf sie, doch sie fing nur stumm an zu weinen und wich sämtlichen Blicken aus. Leonard sah wieder auf den leeren Teller vor ihm, verschränkte die Arme und schwieg. 

Sheila sprang auf und lief um den Tisch zu Kathi herum, denn auch wenn sie sie nicht kannte, wollte sie sie trösten und ihr vielleicht ein wenig helfen. 

„Komm, gehen wir kurz nach draußen", sagte sie, woraufhin Kathi ihr sichtlich widerwillig folgte. Sheila und Jonathan wechselten noch einmal einen vielsagenden Blick und auch wenn sie sicherlich nicht dafür verantwortlich waren, ob die beiden sich stritten oder nicht, wollte Sheila, dass Jonathan mit Leonard redete. 

Sheila führte sie durch die Küche nach draußen in den Garten und bot ihr einen Platz auf der Holzbank unter den großen Nadelbäumen an. Dankend setzte sie sich, vermied es aber noch immer, Sheila anzusehen. 

„Was ist los?", fragte sie möglichst neutral, auch wenn sie unheimlich neugierig war. Allerdings wollte sie auch, dass es mit ihr und Leonard funktionierte. Nicht nur, weil sie ihn mochte und ihm es gönnte, dass er glücklich war und endlich eine Freundin fand, sondern auch, weil Jonathan dann vielleicht nicht mehr eifersüchtig war. Oder vielleicht zumindest etwas weniger. 

Kathi zuckte als Antwort nur die Schultern, doch in ihr arbeitete es. 

„Mit mir kannst du darüber reden. Ich bin unvoreingenommen", versuchte sie es weiter, auch wenn sie es vollkommen nachvollziehen konnte, wenn Kathi sich ihr gegenüber nicht öffnen würde. Doch endlich reagierte sie, zwar unerwartet, aber immerhin schien sie sich auf ein Gespräch einzulassen. Ruckartig hob sie den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und sah Sheila ungläubig an. 

„Unvoreingenommen? Du?", fragte sie in beinahe spöttischem Ton, der Sheila verwirrte. 

„Ja, wieso sollte ich...", setzte sie an, doch Kathi unterbrach sie, indem sie mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf sie zeigte. Sofort fühlte Sheila sich schlecht und ihr Herz fing an wie wild zu pochen, auch wenn sie sich keiner Schuld bewusst war. Fassungslos schüttelte Kathi immer weiter den Kopf. 

„Du raffst es wirklich nicht, oder?", fragte sie, als wäre irgendetwas vollkommen offensichtlich. Sheila bereute, dass sie ihr hatte helfen wollen und spürte Unsicherheit und auch Wut in sich aufsteigen. Was fiel dieser Tussi ein? Immerhin war sie hier bei ihr zu Hause, um ihr blödes Portemonnaie abzuholen, das sie verloren hatte. Ein bisschen freundlicher könnte sie schon sein. 

„Was denn?", fragte Sheila, deutlich aufgeheizter als beabsichtigt. 

„Du und er", sagte Kathi und sprang auf. Perplex blieb Sheila sitzen und sah zu ihr auf. Was meinte sie damit? In ihr keimte die Ahnung auf, dass auch Kathi genau wie Jonathan eifersüchtig war und die Vertrautheit, die schon immer zwischen ihr und Leonard bestanden hatte, fehlinterpretierte. 

„Bitte?", fragte sie dennoch und stand ebenfalls auf und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Na du und Leonard. Dass da zwischen euch etwas ist, ist offensichtlich. Wahrscheinlich lässt du ihn die ganze Zeit abblitzen, um deine Ehe noch irgendwie zu retten, aber leugne nicht, dass du nicht auch Gefühle für ihn hast", schrie Kathi auf einmal vollkommen hysterisch, dann sank sie schluchzend zurück auf die Bank, das Gesicht in den Händen vergraben. 

Sheila glaubte, der Boden unter ihr würde wegbrechen. Wie kam sie nur auf so einen Gedanken? Hatte Leonard ihr gestern im Suff irgendetwas erzählt? Hatte sie Jonathans eifersüchtige Blicke mitbekommen? 

„Das ist Blödsinn", sagte Sheila, klang dabei aber weniger entschlossen, als es angemessen wäre. Ja, sie mochte Leonard, das war eine Tatsache und sie standen sich auch recht nahe, aber sie hatte keine romantischen Gefühle für ihn. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er an Jonathans Stelle wäre und allein bei dem Gedanken, Jonathan würde sie verlassen, wurde ihr schlecht. 

Dennoch warf sie unwillkürlich einen Blick ins Innere des Hauses, wo sie Jonathans Rücken im Fenster sah. Hoffentlich hatte er ihren Ausbruch nicht mitbekommen, denn dann würde seine dämliche Eifersucht neues Futter bekommen. 

Noch einmal sah sie zu Kathi, die unverändert auf der Bank saß, dann aber plötzlich aufsprang und in Richtung Haus marschierte. Sheila folgte ihr in einigem Abstand, doch sie sah, wie Kathi sich ihre Handtasche schnappte, Leonard hart gegen die Schulter schlug und ihm irgendetwas zumurmelte, das sie nicht verstand. Seine Reaktion kam prompt und alarmiert sah er ihr nach, machte aber keine Anstalten, ihr hinterher zu gehen. 

Keine fünf Sekunden später knallte sie die Haustür zu und Sheila hörte, wie der Motor ihres Wagens startete und sie mit quietschenden Reifen davonfuhr. Zwei Augenpaare wanderten zu ihr und sahen sie fragend an. Sheila winkte ab und lachte eilig, denn sie wollte nicht schon wieder mit Jonathan diskutieren. 

„Keine Ahnung, was sie hat", sagte sie schulterzuckend, doch nun sah Jonathan zwischen ihr und Leonard abwechselnd hin und her. 

„Ich sollte... sie irgendwie beruhigen", sagte Leonard und stand auf. 

„Ja, solltest du", sagte Jonathan und erhob sich ebenfalls, um Leonard zur Tür zu begleiten. 

„Wenn sie schon weg ist und nicht hinter der Kurve angehalten hat, fahre ich dich", hörte Sheila Jonathan sagen, dann wurde die Haustür geschlossen. Sie sah aus dem Fenster im Wohnzimmer, aus dem man in den Vorgarten sehen konnte und erkannte Leonards große Gestalt daran vorbeigehen. Er schien es eilig zu haben ihr hinterherzukommen, was Sheila unendlich erleichterte, denn das machte Kathis Vermutung unglaubwürdiger. 

Dennoch fühlte Sheila sich auf einmal wie überfahren. Seufzend sank sie auf einen der Stühle am Esstisch und stützte den Kopf in die Hände. Sicherlich würde Jonathan mit ihr über diese ganze Sache reden wollen, denn sie war sich sicher, dass er schon wieder an sich zweifelte und was noch schlimmer war, an ihren Gefühlen für ihn zweifelte. 

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