Kapitel 65 - Sheila
Sheila erreichte die Felsen, über die sie vor wenigen Tagen mit Jonathan geklettert war und ließ sich auf einem davon nieder. Sie umschlang ihre Knie und legte ihr Kinn darauf ab, sodass sie auf das Meer sehen konnte. Einzelne Strähnen lösten sich aus ihrem Zopf und wehten ihr ins Gesicht, doch heute störte es sie nicht.
Jonathans Launen verursachten ihr ein Schleudertrauma und sie wusste einfach nicht mehr, was sie noch tun sollte, um ihre Beziehung zu retten. Alles was sie tat, bekam er in den falschen Hals und legte es so aus, als wolle sie ihn loswerden, was absolut nicht der Fall war. Sie wollte, dass alles wieder so wurde wie früher, als sie sich gut verstanden hatten und sie beide glücklich waren.
Seufzend beobachtete sie, wie die Wellen gegen die Felsen unter ihr schlugen und lauschte dem Rauschen des Meeres.
„Hey, hier bist du ja", riss sie eine vertraute Stimme aus ihren Gedanken und ein wenig erschrocken wandte sie den Blick um.
Sie erkannte Leonard, der unbeholfen zu ihr auf den Stein kletterte und sich neben sie setzte. Sheila kicherte, denn Jonathan hatte sich genau so dämlich angestellt, wie Leonard. Wenn Sheila sich nicht so ausgelaugt gefühlt hätte, wäre sie in Sorge, Jonathan könnte sie hier mit Leonard sitzen sehen. Es war dämlich und paranoid, denn es war nichts verwerflich daran, mit einem Freund hier zu sitzen und sich zu unterhalten, vor allem dann nicht, wenn man gerade in einer Krise steckte.
„Hier bin ich", erwiderte sie tonlos, wandte aber den Blick vom Meer zu ihm. Er hatte sich auf den Händen abgestützt und musterte sie eindringlich, was sie wieder zum Lachen brachte.
„Hör auf zu lachen", beschwerte er sich und stupste sie am Ellbogen an. Sheila riss sich zusammen, aber wenn sie ehrlich war, tat es einfach mal gut, zu lachen. Gleichzeitig kam sie sich vor wie eine Verrückte, die einfach ohne Grund anfing zu lachen.
Allerdings spürte sie schnell, wie ihr Lachen zu einem erstickten Schluchzen wurde und Tränen stiegen ihr in die Augen. Eilig wandte sie den Kopf ab, um zu verhindern, dass Leonard sie schon wieder weinen sah. Natürlich durchschaute er sie und rutschte näher an sie heran, sodass er ihr einen Arm um die Schultern legen konnte. Es fühlte sich richtig und falsch zugleich an und sie wusste nicht, was sie nun tun sollte.
„Komm schon her und lass dich von mir aufmuntern. Es ist doch viel schöner zu lachen als zu weinen", sagte er sanft und fing an, sie hin und her zu wiegen. Sheila wischte sich die Tränen von den Wangen und seufzte.
„Wenn er uns hier so sehen könnte, würde er sicherlich ausflippen", sagte sie, was Leonard schnauben ließ.
„Ja, ziemlich sicher sogar. Ich habe eben kurz mit ihm geredet", berichtete er dann und sofort durchzuckte es Sheila wie ein Blitz.
„Was? Was hat er gesagt?", fragte sie und versuchte an seinem Blick zu erkennen, ob er ihr die Wahrheit sagte oder ihr nur die schonende Variante darlegte. Leonard sog tief die Luft ein, schüttelte dann aber den Kopf, bevor er etwas sagte.
„Sag schon, was hat er gesagt?", drängte sie und stupste ihn am Bein an. Leonard ließ seinen Arm von ihrer Schulter sinken, platzierte seine Hand aber hinter ihr, sodass sie sich leicht an ihn lehnen konnte, wenn sie es wollte.
„Ich weiß nicht, ob er dir das auch gesagt hat, aber... er ist der Meinung, dass du dich in mich verliebst", sagte er dann, was Sheila fassungslos den Kopf schütteln ließ.
„Warum glaubt er das? Ich meine... er hat mir auch so etwas in diese Richtung gesagt. Er denkt anscheinend, dass... ich weiß nicht, dass er und ich nicht mehr zusammen passen. Gleichzeitig scheint er nicht Schluss machen zu wollen. Er verwirrt mich einfach nur noch", platzte es aus ihr heraus und wie immer in der letzten Zeit tat es ihr gut, mit Leonard darüber zu reden.
Allerdings warf sie ihm anschließend einen entschuldigenden Blick zu, denn sie war absolut nicht dabei, sich in Leonard zu verlieben.
„Denn da ist nichts dran", fuhr sie sanft und vorsichtig fort.
„Daran, dass ich mich in dich verlieben würde", erklärte sie, woraufhin Leonard nur den Kopf schief legte.
„Hey, das weiß ich doch. Du musst mir das nicht sagen, das ist mir schon seit Jahren klar, mach dir deswegen keinen Kopf. Ich habe keine... Hoffnungen oder so etwas", sagte er, klang aber durchaus ein wenig verletzt.
Sheila nickte, fühlte sich aber schuldig, dass sie seine Gefühle, die er offensichtlich hatte, nicht erwidern konnte.
„Tut mir leid", sagte sie, doch Leonard winkte ab.
„Muss es nicht, wirklich nicht. Ich bin sowieso nicht der Typ für feste Beziehungen. Also... mach dir deswegen nicht auch noch Sorgen. Mit mir ist alles okay", sagte er und lächelte. Sheila erwiderte es, denn irgendwie glaubte sie ihm.
„Aber erzähl mir mal, was mit dir los ist. Was dir so durch den Kopf geht", forderte er sie auf und auch wenn sie erst vor wenigen Stunden miteinander gesprochen hatten, kam es ihr schon eine Ewigkeit lang her vor.
„Ach, keine Ahnung. Ich fühle mich die ganze Zeit, als würde ich über ein Minenfeld laufen. Ich kann ihn nicht mehr einschätzen und ich habe keine Ahnung, was ich tun kann, damit er begreift, dass doch eigentlich alles okay ist", setzte sie an und Leonard nickte, als würde er wirklich verstehen, wie sie sich fühlte.
Sein Blick ruhte auf ihr und sie spürte, dass er ihr zuhören würde, auch wenn sie die ganze Nacht hier sitzen würden.
„Vielleicht... würde uns eine Pause gut tun, aber... er wird es nicht als Pause sehen, sondern als Schluss machen", fuhr sie fort, denn genau so würde es sein. Sie hatte sein Gesicht gesehen, als sie vorgeschlagen hatte, dass sie morgen etwas allein unternahm.
„Wenn es das ist, was dir hilft, dann tu es. Er muss es hinnehmen und du solltest dich nicht unnötigem Stress aussetzen. Du bist im Urlaub, du solltest Spaß haben und die Zeit mit deiner Familie genießen. Und mit deinem Kumpel", sagte er und zeigte beim letzten Wort auf sich selbst. Sheila kicherte.
„Du hast ja recht. Ich hoffe einfach, dass er... sich wieder beruhigt? Ich habe keine Ahnung, was ich noch tun kann, außer abzuwarten, bis er sich wieder einkriegt", sagte sie dann, woraufhin Leonard heftig nickte.
„Da sagst du was. Er dreht vollkommen am Rad und lässt sich von niemandem mehr etwas sagen. Er ist vollkommen fixiert auf seine fixe Idee, dass du und ich... du weißt schon. Du hast ihm versichert, dass er Gespenster sieht und ich habe es auch getan, es muss nur bei ihm hier oben ankommen", sagte er und tippte sich ein paar Mal an die Schläfe, wie um jemandem einen Vogel zu zeigen.
„Ja", stimmte sie zu, dann wandte sie den Blick wieder auf die Wellen unter ihr. Leonard seufzte und stupste sie anschließend mit der Schulter an.
„Das wird schon wieder", versprach er, auch wenn sie sich da nicht so sicher war. Allmählich wurde es selbst ihr zu viel und eigentlich konnte sie ziemlich viel aushalten.
„Aber wenn nicht, dann zieh deine Konsequenzen. Wie auch immer die ausfallen mögen, aber... lass dich nicht wieder so runterziehen. Das ist es nicht wert", riet er und wieder nickte Sheila.
Er hatte ja recht, aber das war alles nicht so leicht, wenn man verliebt war. Aus Liebe tat man Dinge, die ein rational denkender Mensch niemals tun würde. Zum Beispiel bei jemandem zu bleiben, der einen regelmäßig schlug.
Kopfschüttelnd vertrieb sie den Gedanken an Ville, ihren Ex und wandte sich wieder Leonard zu.
„Sag mal, hat er dir eine Sperrstunde auferlegt oder hättest du noch Zeit, mit mir an die Poolbar zu gehen?", fragte Leonard plötzlich, was Sheila grinsen ließ. Sie war schon ewig nicht mehr betrunken gewesen und ihr war klar, dass sie es hier auch nicht tun sollte, weil Mona mit ihnen in einem Zimmer schlief, aber ein Cocktail würde schon in Ordnung gehen.
„Wieso eigentlich nicht. Aber ich darf nicht betrunken sein", sagte sie und hob mahnend den Finger, was Leonard grinsen ließ.
„Das liegt bei dir. Du bist erwachsen und kannst selbst entscheiden, wie viel du trinkst", sagte er, umfasste ihren Finger mit seiner Faust und sah ihr für einen Moment in die Augen. In seinem Blick lag so viel Fürsorge, dass ihr das Herz aufging. Leonard war so ein lieber Kerl und es tat ihr in der Seele weh, dass er nicht das passende Gegenstück fand.
„Na dann, worauf wartest du?", fragte sie herausfordernd, zog ihren Finger aus seiner Hand und erhob sich. Sie klopfte sich den Dreck von den Händen und kletterte den Felsen wieder hinunter.
Erst als sie unten war, bemerkte sie, dass ihre Schuhe noch oben auf ihrem Platz standen.
„Oh nein, meine Schuhe! Kannst du sie mir mitbringen?", rief sie zu Leonard, der sofort nach einem ihrer Schuhe griff und so tat, als würde er ihn ins Meer werfen. Sheila schnappte gespielt empört nach Luft, dann lachte sie. Auch Leonard grinste in sich hinein, dann sprang er von dem Felsen hinunter und landete direkt neben ihr im Sand.
„Hier", sagte er und hielt ihr ihre Schuhe hin. Sie nahm sie und setzte sich in Richtung Poolbar in Bewegung.
„Pass auf, dass ich dich nicht in Meer schmeiße", drohte er lachend, packte sie an den Schulter und hob sie tatsächlich ein paar Zentimeter an. Erschrocken suchte sie Halt und ließ ihre Schuhe in den Sand fallen, um nach seinen Armen zu greifen. Glucksend ließ er sie wieder herunter, schlang ihr aber einen Arm um die Taille, bevor sie sich nach ihren Schuhen bücken konnte.
„Darf ich dich mal drücken? Ich... es tut mir so weh, dich leiden zu sehen und...", stammelte er, doch Sheila erfüllte seinen Wunsch, ohne lange darüber nachzudenken. Sie legte den Kopf an seine Brust und legte die Arme um ihn, während er ihr sanft über den Rücken strich. Auch wenn es eine sehr intime Berührung hätte sein können, fühlte es sich nicht so an.
„Ich hoffe so, dass es wieder wird wie früher, aber... bitte versprich mir, dass du deine Energie nicht in einen ohnehin verlorenen Kampf steckst", sagte er leise und eilig nickte sie an seiner Brust.
„Ich versuche es", sagte sie, auch wenn ihr schon jetzt klar war, dass es schwer sein würde, die Grenze zu finden. Zwar behauptete Jonathan, dass ihm noch etwas an ihrer Beziehung lag, aber er verhielt sich nicht so.
Leonard packte ihre Schultern und schob sie ein Stück von sich weg.
„Na komm, ich habe Durst", sagte er, machte eine Handbewegung, die ihr bedeuten sollte, dass sie ihm folgte und stapfte durch den Sand davon. Sheila bückte sich und griff nach ihren Schuhen, dann eilte sie ihm hinterher.
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