Kapitel 63 - Sheila

Sheila war durchaus bewusst, dass dieser einvernehmlich geschlossene Frieden nicht lange halten würde. Warum auch immer schien Jonathan zu glauben, sie würde ihn nicht mehr wollen. All ihre Versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, schienen alles nur noch schlimmer zu machen. 

Inzwischen war Mona wieder aufgewacht und sie und Jonathan saßen wieder auf der Terrasse, bis es Zeit wurde, zum Essen zu gehen. Sheila hingegen saß auf ihrem Bett, Kopfhörer in den Ohren und schloss so alles um sie herum aus. 

Sie spürte, wie ihr Handy in ihrer Hand vibrierte und ein wenig verwundert sah sie auf das Display. Sie hatte eine Nachricht, die erste seit einigen Tagen. Neugierig klickte sie darauf und erkannte, dass es Leonard war, der ihr schrieb. 

Panisch sah sie durch die wehenden Vorhänge nach draußen, doch Jonathan schien nicht auf sie zu achten. Sie las mit pochendem Herzen die Nachricht von Leonard und spürte dabei, dass sie Angst hatte, dabei von Jonathan erwischt zu werden. Es war albern, dennoch wusste sie, dass er selbst bei so einer Kleinigkeit ausflippen konnte und das war alles andere als gut. 

Abgesehen davon, dass es unangemessen war, denn Leonard erkundigte sich lediglich danach, ob er sie in zehn Minuten zum Essen abholen sollte. Obwohl es nach einer einfachen Frage klang, wusste sie instinktiv, dass mehr dahinter steckte. 

„Ja, wir sind so weit fertig", antwortete sie ihm und hoffte, dass sie seine unausgesprochene Frage, ob alles okay war, damit beantwortete. Natürlich machte er sich Sorgen um sie, immerhin entging ihm nicht, dass sie und Jonathan alle fünf Minuten anfingen zu streiten. Sie sah, dass er sofort eine Nachricht zurückschrieb. 

„Okay, ich bin gleich da", schrieb er, woraufhin Sheila ihr Handy beiseite legte, die Kopfhörer herauszog und ins Bad verschwand. Sie machte sich ein wenig frisch und band sich ihr Haar zu einem Knoten auf dem Kopf zusammen, damit es ihr nicht ständig ins Gesicht wehte. 

Für einen Moment betrachtete sie die dunklen Ringe unter ihren Augen, ihre matte Haut und die Fältchen, die sich allmählich um ihre Augen legten. Sie wurde alt, auch wenn sie sich noch nicht so fühlte. 

Sie straffte die Schultern, setzte ein Lächeln auf und ging dann wieder zurück ins Schlafzimmer, wo sie sich ihre Ballerinas anzog und anschließend zu Jonathan und Mona auf die Terrasse ging. 

Sofort richtete Jonathans Blick sich auf sie und sie trat näher an ihn heran, um ihm die Arme von hinten um die Schultern zu legen. Er saß auf einem der Stühle am Tisch, gegenüber von Mona und machte mit ihr zusammen ein paar Schreibübungen auf ihrem pinken Klemmbrett. Jonathan schrieb einfache Worte vor und Mona schrieb sie nach. 

„Ich bekomme langsam Hunger, ihr auch?", fragte sie und sah über Jonathans Schulter zu Mona, die sofort nickte. Keine Sekunde später bog Leonard um die Ecke und hob zum Gruß die Hand. 

„Essen?", fragte er und rieb sich übertrieben den Bauch, was Mona zum Kichern brachte. 

„Lass mich mal aufstehen", sagte Jonathan leise und eilig nahm Sheila die Arme von seinen Schulter und trat einen Schritt zurück. 

Jonathan erhob sich, streckte die Hand nach Mona aus und ging gemeinsam mit ihr nach drinnen, wahrscheinlich um sich noch einmal die Hände zu waschen und sich umzuziehen. 

Sheila blieb unschlüssig stehen, spürte aber den Blick von Leonard auf ihr ruhen, der nur wenige Schritte von ihr entfernt stand. 

„Habt ihr auch was geschlafen?", fragte er dann, woraufhin sie nickte. 

„Ja, die Wanderung war doch anstrengender als gedacht", gab sie zurück, sah dann aber noch einmal zu Jonathan nach drinnen, der genau in diesem Moment wieder zur Terrassentür kam. 

„Ich mache hier zu. Hast du alles?", fragte er und wieder nickte Sheila. Jonathan schloss die Terrassentür von innen und kam wenige Sekunden später mit Mona zusammen aus der Eingangstür. 

Sheila spürte, wie Leonard ihren Blick suchte, aber sie wich ihm aus. Sie hatte sich gerade mit Jonathan vertragen, da wollte sie ihn nicht schon wieder wütend machen. 

Mona eilte den Weg in Richtung des Restaurants entlang, offenbar freute sie sich schon auf das Eis, das sie bisher jeden Tag gegessen hatte. 

„Kommst du?", fragte Jonathan und hielt ihr fragend seine Hand hin. Zögernd ergriff Sheila sie und ließ sich mitziehen, sah aber noch einmal zurück zu Leonard, der hinter ihnen hertrottete. 

Sie hatte das drängende Bedürfnis, ihm von ihrem Streit zu berichten und seine Meinung dazu zu hören, aber das würde Jonathan endgültig davon überzeugen, dass sie an Leonard interessiert war. Es machte sie nervös, dass sie nicht mehr mit Leonard quatschen konnte, ohne Jonathans Zorn auf sich zu ziehen, aber an erster Stelle stand nun, ihre Ehe zu retten. Immerhin schien Jonathan auch noch etwas daran zu liegen, sonst hätte er eben einfach Schluss mit ihr machen können. 

Jonathan drückte ihre Hand ungewöhnlich fest, so als versuchte er ihr damit etwas zu sagen, das sie nicht begriff. Wortlos gingen sie bis zum Restaurant, wo sie sich an einen der freien Tische auf der Terrasse setzten. 

Sie waren für das Abendessen recht früh da, aber so hatten sie freie Platzauswahl und am Buffet war es nicht so überfüllt. Leonard ließ sich mit einem Seufzen auf einem der Stühle nieder, während Mona an Jonathans T-Shirt zog und ihm so zeigte, dass sie mit ihm ans Buffet gehen wollte. 

„Geht ruhig, ich halte den Tisch frei", forderte Leonard sie auf, sah aber dabei Sheila in die Augen. Nur zu gern hätte sie in diesem Moment in seinen Kopf sehen können, doch es war schwierig, seine Gedanken zu erraten. Sie sah ihn für eine Sekunde lang an, dann folgte sie Jonathan zum Buffet.

**************************

Nach dem Essen gingen sie über den Sandstrand zurück zu ihrem Hotelzimmer, wohingegen Leonard sich an die Poolbar zurückzog. Sheila bemerkte, dass er sich mit der Frau vom Spielplatz unterhielt, die ebenfalls dort saß. 

Innerlich grinste sie, denn es würde sie freuen, wenn Leonard ein wenig mit ihr anbandelte, sei es auch nur, um Jonathan zu zeigen, dass Leonard keine Gefahr für ihn darstellte. 

„Setzen wir uns noch einen Moment hin?", fragte Jonathan, als sie ihre Terrasse betraten und deutete mit dem Kopf auf die beiden Stühle. 

„Klar", erwiderte Sheila und setzte sich auf einen der Stühle. Mona ließ sich im Gras vor der Terrasse nieder und zupfte Grashalme heraus, während sie leise vor sich hin summte. Jonathan ließ sich unendlich langsam auf dem zweiten Stuhl nieder und sah sie dann eindringlich an. 

„Du willst noch immer einen Tag für dich allein morgen?", fragte er dann, klang dabei aber komischerweise anklagend. Kaum merklich nickte sie, denn noch einen Tag wie heute würde sie nicht ertragen. Die Stimmungsschwankungen von ihnen beiden machten ihr zu Schaffen und sie wusste nicht, wie lange es noch dauern würde, bis sie platzte und alles hinschmiss. Bis er sie so sehr verrückt machte, bis ihr alles egal war. 

„Okay", murmelte er, zog dann sein Handy aus der Tasche und klickte darauf herum. Neugierig sah Sheila zu ihm herüber und sah, dass er Ausflugsziele in der Umgebung googelte.

„Hast du Leonard gefragt, ob er mitkommt?", fragte sie vorsichtig, denn sie hatte nicht mitbekommen, dass er ihn beim Essen darauf angesprochen hatte. Jonathan schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. 

„Ich habe es mir anders überlegt, ich will ihn nicht dabei haben", erklärte er, ohne sie anzusehen. 

„Okay", sagte sie nur und hob abwehrend die Hände. Sheila wartete noch einen Moment, ob Jonathan mit ihr reden wollte, immerhin hatte er vorgeschlagen, sich hier her zu setzen, aber er starrte beinahe verbissen auf sein Handy. 

„Ich hätte Lust auf einen kleinen Spaziergang", sagte sie dann, denn sie konnte einfach nicht hier sitzen bleiben und seinem Schweigen lauschen. Erst da hob er den Kopf und sah sie an. 

„Ich muss noch etwas finden, das Mona und ich morgen unternehmen können", sagte er, woraus sie schloss, dass er hierbleiben wollte. 

„Ist es okay, wenn ich ein wenig am Strand spazieren gehe?", fragte sie, woraufhin er nur nickte, aber nicht noch einmal zu ihr herübersah. Sheila befürchtete, dass sich schon das nächste Hirngespinst in seinem Kopf festsetzte und er wieder ein paar Tage daran zu knabbern haben würde, bis er darüber sprach. 

„Gut, dann... bis gleich", sagte sie, erhob sich und drückte ihm im Vorbeigehen kurz die Schulter. Überraschend schnell griff er nach ihrem Handgelenk und hielt sie fest. Er streckte ihr die Lippen zu einem Kuss entgegen und sofort erfüllte sie seinen Wunsch. 

„Ich bin schnell wieder zurück", sagte sie, dann ging sie die wenigen Meter bis zum Strand. Jonathan war in letzter Zeit so sprunghaft und unberechenbar, dass es schwierig war, mit ihm umzugehen. Vielleicht würde sich das ja bald wieder alles einrenken, zumindest hoffte sie das. 

Sheila zog ihre Schuhe aus und betrat dann den noch immer warmen Sand. Es waren noch einige Leute am Strand und genossen den Abend am Meer und sie schlenderte gemütlich durch die seichten Wellen, die ihr um die Knöchel schwappten. 

Sie schlenderte immer weiter von ihrem Hotelzimmer weg, aus Jonathans Blickfeld, denn sicherlich hatte er ihr hinterhergesehen. Genüsslich sog sie die salzige Luft ein und spürte das angenehm kühle Wasser an ihren Füßen. 

Hoffentlich würde Jonathan sich wieder beruhigen und es wurde wieder alles so wie früher. Das war ihr größter Wunsch, gleichzeitig hatte sie Zweifel daran, dass das wirklich passieren würde. Für Mona wollte sie es am meisten, aber auch sie sehnte sich ihre glücklichen Zeiten zurück. Sie liebte Jonathan, auch wenn sie seine Sprunghaftigkeit und seine zum Teil wirklich absurden Ideen nicht mehr nachvollziehen konnte. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top