Kapitel 61 - Sheila
Sheila hätte am liebsten geschrien, gleichzeitig wollte sie sich in einem Loch verkriechen und nie mehr herauskommen. Sie begriff einfach nicht, was mit Jonathan los war, warum er sie von sich wegstieß. War das vielleicht seine Masche, um sie dazu zu bringen Schluss mit ihm zu machen?
Das hatte Leonard eben vorgeschlagen, doch eigentlich glaubte sie selbst nicht daran. Allerdings fand sie und auch Leonard keine logische Erklärung für sein Verhalten. Sie waren alle Möglichkeiten durchgegangen, doch nichts schien zuzutreffen.
Rein objektiv gesehen, müsste es Jonathan gut gehen, immerhin hatte er alles, was er wollte. Es lief auf der Arbeit gut, Mona war das süßeste kleine Mädchen, das man sich wünschen konnte und auch sie war glücklich mit ihm.
Seufzend drehte sie sich wieder zu Jonathan um, der mit ausdruckslosem Blick durch sie hindurch zu starren schien. Er sah verletzlich und irgendwie verloren aus, aber Sheila wusste einfach nicht mehr, was sie tun oder ihm sagen sollte, damit er sich wieder besser fühlte und sich nicht mehr wie ein Vollidiot benahm.
„Hast du noch Lust, gleich zum Strand zu gehen?", fragte sie und für eine Sekunde erschien ein Funkeln in seinen Augen, doch dann schüttelte er den Kopf.
„Wieso nicht?", wollte sie wissen, denn wenn er ihr nun noch nicht einmal mehr die Möglichkeit gab, ihm zu zeigen, dass zwischen ihnen wieder alles so sein konnte wie früher, dann würde es wirklich schwer werden, das alles hier zu kitten.
Jonathan atmete tief ein und aus, bevor er antwortete.
„Wir können Mona nicht so lang allein lassen", sagte er tonlos, doch das war eindeutig eine Ausrede.
„Sie kann mitkommen. Ich will doch einfach nur... Zeit mit dir verbringen, ohne dass wir uns streiten", sagte sie möglichst ruhig, auch wenn sie sich innerlich ganz aufgekratzt fühlte. Es machte sie verrückt, dass sie nicht dahinter kam, was Jonathans Problem war. Gut, er war eifersüchtig, das hatte sie ja begriffen, aber dazu gab es überhaupt keinen Grund.
Jonathans Blick wanderte von links nach rechts, als würde er darüber nachdenken. Zögerlich schob sie ihre Hand über die Matratze zu ihm, bis sie ganz leicht seine Hand berührte.
„Bitte", flehte sie, denn ganz offensichtlich hatte sich ihr Unterbewusstsein dafür entschieden, nicht mehr auf Konfrontationskurs zu gehen. Allmählich fehlte ihr dafür die Kraft.
Nach einigen Sekunden nickte Jonathan kaum merklich, dann entzog er ihr seine Hand und erhob sich. Er blieb mit dem Rücken zu ihr auf der Bettkante sitzen, die Hände auf die Knie gestützt. Eindeutig war auch er erschöpft, auch wenn er die größte Schuld an dem ganzen Chaos hier trug.
Sheila setzte sich ebenfalls auf, krabbelte dann aber zu ihm hinüber auf die andere Seite des Bettes. Sie setzte sich neben ihn und lehnte ihren Kopf auf seine Schulter.
Er ließ es zu, gleichzeitig spürte Sheila, wie er zitterte. Es kochte schon wieder in ihm und wenn er es nicht aussprach, würde er bald platzen.
„Hat Leonard dir Tipps gegeben, wie du mich loswirst? Oder habt ihr euch einen Plan ausgedacht, mich so sehr zu provozieren, bis ich... bis ich Schluss mache und ihr dann endlich zusammen sein könnt?", fragte er und es dauerte einen Moment, bis Sheila begriff, was er da fragte.
Fassungslos rutschte sie ein Stück von ihm weg und starrte ihn an. Er erwiderte ihren Blick nicht, dennoch schien er es vollkommen ernst zu meinen.
Wie konnte sein Denken sich so sehr auf Leonard und sie begrenzen? Welche Sicherung war ihm da nur durchgebrannt? Auch wenn Sheila wütend wurde, zwang sie sich zur Ruhe. Sie wollte nicht streiten und Leonard hatte ihr versucht zu erklären, dass sie ruhig und besonnen handeln musste, auch wenn es ihr schwer fiel.
„Nein, ganz im Gegenteil. Er hat mir Ratschläge gegeben, wie ich versuchen kann, dich nicht zu verlieren", antwortete sie wahrheitsgemäß, denn auch wenn Leonard eindeutig Gefühle für sie hatte, wollte er nicht, dass sie unglücklich war.
Er wollte, dass es ihr gut ging und Sheila war der Meinung, dass es ihr mit Jonathan gut ging. Zwar bezweifelte Leonard das, aber das würde sie Jonathan mit Sicherheit nicht sagen.
„Ach was", sagte er tonlos, als würde er ihr nicht glauben. Sheila wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Anscheinend wollte er sich nicht aus seinem Loch ziehen lassen, zumindest nicht von ihr.
„Lass uns Mona vom Spielplatz abholen und dann gehen wir an den Strand, okay?", fragte sie bemüht fröhlich und legte ihm die Hand auf die Schulter. Jonathans Mundwinkel zuckten, so als wäre für einen Moment sein wahres Ich wieder hervorgekommen, doch dann schüttelte er den Kopf.
„Nein, ich... denke ich sollte mich noch etwas ausruhen", sagte er und ließ sich wie in Zeitlupe seitlich aufs Bett fallen. Sheila seufzte innerlich, doch dann nickte sie.
„Okay. Willst du, dass ich hier bleibe oder...", setzte sie an, doch sein Blick brachte sie zum Verstummen. Er sah sie einfach nur an, ohne irgendeine Gefühlsregung.
„Wenn du jetzt gehst und ich dich wieder bei ihm finde, ist es aus", sagte er vollkommen gefühlskalt. Sheila zuckte zusammen, denn sie konnte sich seine Kälte einfach nicht erklären.
Sie schluckte schwer, denn eigentlich hatte er ihr damit die Entscheidung abgenommen. Selbst wenn sie sich allein an den Strand setzte, würde er glauben, sie wäre mit Leonard zusammen gewesen.
„Ich hole Mona und komme sofort zurück", sagte sie und kletterte über ihn aus dem Bett. Jonathan antwortete nicht, also nahm sie an, dass das für ihn in Ordnung war.
Sie schlüpfte in ihre Flip Flops und verließ durch die Terrassentür das Zimmer. Kopfschüttelnd marschierte sie den gepflasterten Weg entlang, der zum Spielplatz führte.
Immer und immer wieder fragte sie sich, was nur in Jonathan vorging, aber der Punkt, an dem sie sich noch in ihn hineinversetzen konnte, war schon lange überschritten.
Schon von Weitem hörte sie die spielenden Kinder auf dem Spielplatz und als sie den abgetrennten Bereich betrat, sah sie als erstes Mona, die eine riesige Sandburg gebaut hatte. Sheila lächelte, immerhin eine Person hier schien glücklich zu sein.
Sie ging zu den Bänken, wo die Eltern der Kinder saßen, doch zu ihrer Überraschung erkannte sie Leonard, der im Schatten eines Baumes saß. Er trug seine Sonnenbrille, die ihm gar nicht stand und er aß Nüsse aus einem kleinen Plastikbecher, die man sich an der Bar holen konnte. Neben ihm saß die Frau, mit der Jonathan sich eben unterhalten zu haben schien.
„Hey", sagte sie, als sie direkt neben Leonard stand. Erst da schien er sie zu bemerken, denn er zuckte zusammen und hätte beinahe die Nüsse fallen lassen.
„Oh hi. Wie... ist es gelaufen?", fragte er und nahm seine Sonnenbrille ab. Sheila erkannte die Sorge in seinem Blick, doch sie lächelte und versuchte ihn so davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.
„Naja, so wie immer. Ich soll Mona holen und dann will er sich ausruhen", erklärte sie, doch Leonard schüttelte den Kopf.
„Du und Mona könnt doch auch zu zweit zum Strand gehen. Das war doch der eigentlich Plan, oder nicht?", fragte er, doch Sheila schüttelte den Kopf.
„Nein, das... er will nicht", stammelte sie und merkte selbst, wie dämlich das alles war. Wenn Jonathan müde war und sich ausruhen wollte, dann sollte er es tun, sie und Mona könnten auch zu zweit oder zusammen mit Leonard zum Strand gehen. Leonard zog die Augenbrauen hoch und sah sie erstaunt an.
„Na gut, es ist deine Entscheidung. Ich könnte auch noch mit Mona hierbleiben und ich bringe sie zum Abendessen mit", schlug er dann vor, offensichtlich bemüht, ihr und Jonathan Zeit zu geben, das alles zu klären. Einen Moment lang dachte Sheila darüber nach, aber dann schüttelte sie den Kopf.
„Danke, das ist lieb, aber...", sagte sie, beendete den Satz aber mit einem Schulterzucken. Leonard nickte, dann senkte er den Kopf.
„Okay, dann... sehen wir uns beim Abendessen?", fragte er und sofort nickte Sheila. Sie kam sich ein bisschen gemein vor, ihn so oft allein zu lassen.
„Ja, wir kommen gegen sechs, denke ich", sagte sie, dann rief sie nach Mona, die sofort angelaufen kam.
„Okay, dann... lass ihn ja nicht zu lange warten, sonst wird er wieder wütend und denkt du hättest wer weiß was getan", murmelte er so leise, dass nur Sheila es hören konnte. Sie spürte, wie sich in ihrer Kehle ein Kloß bildete, denn natürlich hatte er recht.
„Komm Mona, gehen wir zu Papa ins Zimmer", sagte sie und warf noch einmal einen Blick auf Leonard.
„Bis nachher Onkel Leonard", rief Mona und winkte ihm. Er erwiderte das Winken, suchte dabei aber eindeutig Sheilas Blick.
„Du weißt, dass du dir nicht alles gefallen lassen musst. Wenn es dir zu viel wird... du weißt, wo ich wohne", lachte er, allerdings sah er sie dabei so ernst an, dass sie sich ganz beklommen fühlte.
„Danke", hauchte sie, dann griff sie nach Monas Hand und gemeinsam gingen sie zurück ins Hotelzimmer. Keine zehn Schritte entfernt warf sie noch einmal einen Blick über die Schulter zu Leonard, der ihn sofort erwiderte.
Irgendwie tat es ihr leid, ihn wegen Jonathan hier allein sitzen zu lassen, aber Jonathan war ihr in diesem Moment wichtiger. Schon mehrmals hatte er ihr in diesem Urlaub gesagt, dass er mit ihr Schluss machen wollte, sollte sie Leonard zu nahe kommen und beides wollte sie nicht.
„Hast du schön gespielt?", fragte sie Mona schließlich, um sich abzulenken. Diese nickte begeistert und plapperte freudestrahlend von der Sandburg, die sie gebaut hatte. Sheila genoss es, ihrer Tochter zuzuhören und für einen Moment vergaß sie den ganzen Stress mit Jonathan.
Doch kaum dass sie in Sichtweite ihres Zimmers kam, spürte sie Jonathans vorwurfsvollen Blick auf sich. Er saß inzwischen auf der Terrasse und beobachtete sie. Sheila wurde nervös, denn er sah ganz und gar nicht gut gelaunt aus, auch wenn sie sich nun wirklich keiner Schuld bewusst war.
Sie hatte ihm all seine dämlichen Fragen möglichst ruhig beantwortet und war jetzt vielleicht fünf Minuten weggewesen. Mona löste ihre Hand aus ihrer und lief die wenigen Schritte bis zu Jonathan und sprang auf seinen Schoß. Sie berichtete von ihrer Sandburg und ihren neuen Freunden, die sie heute kennengelernt hatte, während Sheila sich ins Zimmer verzog.
Immerhin wollte Jonathan sich doch ausruhen und sie erwartete, dass er gleich zu ihr hereinkommen würde. Sie kickte ihre Flip Flops in die Ecke und ließ sich mit einem Seufzen auf ihrem Bett nieder.
Der Stoff fühlte sich gut an auf ihrer noch immer von der Sonne aufgeheizten Haut und auf einmal fühlte sie sich unendlich erschöpft. Sie zog das Laken über sich und schloss für einen Moment die Augen und lauschte den gedämpften Stimmen und Mona und Jonathan.
Wieso konnte nicht alles einfach wieder so sein wie früher? Jonathan musste doch selbst einsehen, dass es ihnen früher besser gegangen war und endlich einmal damit aufhören, sich wegen seiner Eifersucht verrückt zu machen.
Sheila warf noch einmal einen Blick auf ihr Handy, doch natürlich hatte sich niemand bei ihr gemeldet. Wer auch, immerhin wussten alle, dass sie im Urlaub war und die Leute, die sich sonst regelmäßig bei ihr meldeten, waren mit ihr hier. Sie stellte sich einen Wecker auf halb sechs, damit sie das Abendessen nicht verpasste, dann schloss sie erneut die Augen. Keine fünf Minuten später war sie eingeschlafen.
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