Kapitel 59 - Sheila

Sheila spürte, wie sich die Steinchen in ihre Haut bohrten, doch sie fand einfach keinen Halt. Jonathan hatte noch versucht, sie festzuhalten, aber es war alles viel zu schnell gegangen. Sie schlitterte zum Glück nicht weit, denn starke Arme fingen sie auf. 

Sie war bis vor Leonards Füße gerutscht, der sie nun an den Armen packte und auf die Füße zog. Gleichzeitig spürte sie Jonathans Hand auf ihrer Schulter. 

„Bist du okay?", fragte er und fing an, ihr den Staub von den Klamotten zu klopfen. Sheila brauchte ein paar Sekunden, bis sich ihr Atem wieder normalisierte, doch dann nickte sie. Noch immer hielt Leonard sie fest, anscheinend hatte er Sorge, dass ihre Knie einknickten. 

„Ja, alles okay", sagte sie und suchte Leonards Blick, damit er sie los ließ. Als ihr Blick seinen traf, nickte er und ließ sie los, doch er schien ihr noch viel mehr sagen zu wollen. Seit heute Morgen schon sah er sie ständig so vielsagend an, ohne dass sie begriff, was er ihr eigentlich sagen wollte. 

Sheila spürte, wie Jonathan den Arm um ihre Schultern legte und sie an sich zog. Im gleichen Moment griff Mona nach ihrer Hand und drückte sie. 

„Hast du dir wehgetan, Mama?", fragte sie und eilig löste Sheila sich aus Jonathans Umarmung, um sich ihrer Tochter zuzuwenden. 

„Nein, alles in Ordnung", versicherte sie ihr, woraufhin Mona nickte und wieder nach Leonards Hand griff. 

„Erschreck mich doch nicht so", raunte Jonathan ihr zu und zog sie erneut an sich. 

„Ist ja nichts passiert", erwiderte sie, löste sich erneut von ihm und hakte sich bei ihm unter. 

„Lass uns weiter gehen, sonst verlieren wir noch den Anschluss", sagte sie und machte Anstalten, weiterzugehen, doch er hielt sie fest. 

„Du bist noch voller Staub", lachte er und fing an, ihr mit der freien Hand über den Rücken zu fahren. 

„Wir wollten doch sowieso schwimmen gehen", sagte sie und setzte sich dann in Bewegung. Ihr Hintern schmerzte ein wenig und sie war sich sicher, dass sie einen ziemlich dämlich aussehenden blauen Fleck davontragen würde. 

„Stimmt. Aber du musst nicht noch einmal in den Vulkan fallen", scherzte er und stupste sie mit dem Ellbogen in die Rippen. Sheila gluckste und spürte in diesem Moment, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Schon seit einer gefühlten Ewigkeit war Jonathan nicht mehr zu Scherzen aufgelegt und sie hoffte, dass seine vergleichsweise gute Laune noch eine Weile anhielt. 

„Ja, wer weiß, ob da unten nicht eine giftige Spinne lauert", gab sie zurück und für eine Sekunde wanderte ihr Blick auf die Stelle an ihrer Schulter, an der die Spinne sie gebissen hatte. Zum Glück war nur eine kleine Narbe geblieben, doch so würde sie ihre Reise sicherlich nicht allzu schnell vergessen. Jonathan prustete. 

„Hoffentlich nicht. Ich kann auf einen Krankenhausbesuch eigentlich ganz gut verzichten", erwiderte er und sie nickte.

„Ja, ich auch", sagte sie, dann gingen sie eine Weile schweigend weiter. 

Unerwartet schnell waren wieder im Dorf angekommen, wo sich einige Leute aus der Gruppe verabschiedeten, um noch etwas einzukaufen. Sheila warf einen Blick zu Leonard, der ein gutes Stück vor ihnen ging, Mona noch immer an der Hand. 

„Bist du wirklich in Ordnung?", fragte Jonathan auf einmal mit besorgter Stimme und zog sie an der Hand an den Rand der Einkaufsstraße. Er blieb stehen, umfasste ihre Handgelenke und sah sie eindringlich an. 

Sheila sah an sich herunter, ob sie nicht vielleicht eine Verletzung noch nicht bemerkt hatte, aber bis auf ein wenig Staub und ein paar blauen Flecken war sie unversehrt geblieben. Sie schluckte schwer, denn einerseits fand sie es süß, dass Jonathan sich um sie sorgte, andererseits schien alles, was aus seinem Mund kam, in der letzten Zeit eher auf Kontrolle abzuzielen. Er wollte sicherlich nicht sichergehen, ob sie sich nicht doch verletzt hatte, sondern irgendetwas anderes. 

Sheila trat einen Schritt näher an ihn heran und entzog sich seinem Griff, um ihre Arme auf seinen Schultern abzulegen. 

„Ja, es ist wirklich alles in Ordnung", versicherte sie erneut, woraufhin Jonathan den Blick senkte. Er wirkte auf einmal traurig und sofort war sie alarmiert. 

„Aber du siehst nicht so aus", bemerkte sie, woraufhin er nur die Schultern zuckte. Sie sah ihn noch einen Moment lang an, doch er schien nicht darüber sprechen zu wollen. 

„Willst du darüber reden, was los ist?", fragte sie dennoch, was ihn wieder den Blick heben ließ. Er sah gequält aus, nickte dann aber zu ihrer Überraschung. 

„Es ist dämlich und eigentlich weißt du es auch schon. Ich bekomme es nur einfach nicht aus meinem Kopf", sagte er kryptisch, allerdings wusste Sheila genau, worum es ging. Oder besser gesagt: Um wen es ging. 

Nur mit Mühe konnte sie einen genervten Seufzer unterdrücken, denn sie hatte inzwischen aufgehört zu zählen, wie oft sie Jonathan schon versichert hatte, dass zwischen ihr und Leonard niemals mehr sein würde als Freundschaft. 

Dennoch nahm sie sich vor, nicht wütend zu werden. Immerhin schien Jonathan noch einmal mit ihr darüber reden zu wollen, denn vorhin, oben auf dem Vulkan, hatte er mit ziemlicher Sicherheit auch über genau dieses Problem nachgedacht. Dieses Problem, das nur in seinem Kopf existierte. 

„Erzähl es mir doch. Ich weiß selbst, wie quälend Gedanken sein können und wie viel es hilft, darüber zu sprechen", ermunterte sie ihn, doch er schüttelte den Kopf. 

„Nein, es ist... es ist egal. Gehen wir zum Strand und machen uns einen schönen Abend. Mona scheint es bei Leonard besser zu gefallen als bei uns", erwiderte er dann und fing bei der Erwähnung von Mona an zu grinsen. Auch Sheila lächelte, doch innerlich seufzte sie. 

Was konnte sie nur tun, damit Jonathan nicht mehr so viel grübelte? Sie hatte keinen blassen Schimmer und doch wusste sie, dass sie irgendetwas tun musste, um ihn da raus zu holen. Sie ließ ihre Arme sinken, hakte sich wieder bei ihm unter und ging dann gemeinsam mit ihm zurück zum Hotel. 

Jonathan sagte den ganzen Weg über kein Wort, erst als er Mona und Leonard auf der Terrasse ihres Zimmers sitzen sah, taute er auf. 

„Hey, da seid ihr ja. Wie hat dir der Ausflug gefallen?", fragte er Mona in einem Ton, der ganz und gar nicht mehr grüblerisch oder besorgt klang. Sofort fing Mona an zu erzählen, wie toll sie die Wanderung gefunden hatte. 

Sheila sah zwar zu Mona, doch sie spürte Leonards Blick auf sich. Eilig erwiderte sie ihn und lächelte. 

„Danke, dass du auf sie aufgepasst hast", sagte sie leise zu ihm, was er mit einem kaum merklichen Nicken quittierte. Er saß auf einem der beiden Gartenstühle, einen Ellbogen auf dem Tisch abgestützt. Auf einmal räusperte er sich und stand auf. Er griff nach Sheilas Arm und zog daran. 

„Komm mit, ich muss mit dir reden. Nur fünf Minuten", sagte er, warf einen Blick über die Schulter zu Jonathan, der jedoch noch mit Mona beschäftigt war und zog sie dann eilig in den überdachten Gang zwischen ihrem und seinem Apartment. 

Ein wenig nervös folgte Sheila ihm, denn sicherlich würde Jonathan wissen wollen, worüber er mit ihr geredet hatte. 

„Was ist los?", fragte sie, doch Leonard schüttelte den Kopf und zog sie stattdessen weiter bis zu seiner Zimmertür, wo er die Schlüsselkarte aus seiner Hosentasche zog und die Tür öffnete. 

Sheila zögerte, denn ganz offensichtlich wollte er, dass sie mit in sein Zimmer kam. Ein Anflug von Panik überkam sie und sie warf einen Blick in Richtung Terrasse, doch sie konnte Jonathan nicht sehen. Offensichtlich war er ihnen nicht hinterhergekommen. 

„Jetzt komm schon rein, es ist wichtig", forderte Leonard, der auf einmal gar nicht mehr gut gelaunt klang, sondern ungewohnt ernst. 

„Okay", murmelte sie und huschte in das angenehm kühle Zimmer. Leonard warf die Tür hinter ihr ins Schloss, verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Sheila wurde ein wenig mulmig zumute, denn sie hatte nicht erwartet, dass Leonard wütend auf sie war. Fragend sah sie ihn an und sofort wurde sein Blick wieder weich. 

„Setz dich doch für einen Moment", sagte er und deutete mit der Hand auf das ordentlich gemachte Bett. Sheila nickte und gehorchte, doch sie fühlte sich noch immer ein wenig unbehaglich. Warum war Leonard so ernst? 

Mit einem Seufzen ließ er sich neben ihr nieder, vermied aber sorgsam, sie zu berühren. 

„Jetzt erzählst du mir einmal ganz genau, was zwischen dir und Jonathan los ist. Es macht mich verrückt, euch beide zu sehen und ich spüre doch, dass du seine ganzen Eifersuchtsanfälle genau so lächerlich findest wie ich. Also, spuck alles aus, dann geht es dir bestimmt besser", forderte er sie auf, ganz eindeutig in einem Ton, der keine Widerrede zuließ. 

Dennoch zögerte sie, denn eigentlich wollte sie den Tag mit Jonathan verbringen. Gleichzeitig wusste sie, dass es ihr guttun würde, mit Leonard zu sprechen. Sie würde sicherlich nicht lange brauchen, denn eigentlich drehten sie und Jonathan sich schon seit Beginn des Urlaubs, wenn nicht schon länger, nur im Kreis. Er wurde eifersüchtig, weil sie angeblich Leonard zu nahe kam, er wurde wütend, sie vertrugen sich wieder und alles ging von vorn los. Es war schnell erzählt, auch wenn sie sich beinahe rund um die Uhr Gedanken machte, waren es doch immer die selben. 

Noch einmal atmete sie tief durch, dann brach es aus ihr heraus wie ein Wasserfall. Sie berichtete von den verletzenden Dingen, die Jonathan zu ihr gesagt hatte und wie sehr sich sein Verhalten in Bezug auf Leonard selbst verändert hatte. Wie sehr er sie zu kontrollieren versuchte und wie albern sie das alles fand. 

Leonard hörte ihr aufmerksam zu, auch wenn sie glaubte, dass er das eigentlich schon alles wusste. Mit jedem weiteren Wort, das aus ihr herauskam, fühlte sie sich mehr und mehr erleichtert. Sollte Jonathan doch eifersüchtig sein, sie konnte sich mit den Leuten unterhalten, mit denen sie es wollte und mit Leonard zu reden, besserte eindeutig ihre Laune. 

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