Kapitel 52 - Jonathan

Es dauerte noch einige Minuten, bis Jonathans Übelkeit verschwunden war. Er war wütend, dass Sheila immer solche Dinge passierten, wenn er nicht da war. Gleichzeitig fühlte er sich schlecht, weil er es offensichtlich nicht hinbekam, sie zu beschützen. 

Gerade als sie das Restaurant betraten, zog Sheila an seinem Arm, so als wollte sie ihm etwas sagen. Neugierig wandte er sich ihr zu und fand sofort ihren Blick. Sie lächelte, doch es erreichte nicht ganz ihre Augen, so als würde sie über etwas nachdenken. 

„Alles okay?", fragte er, als sie nichts sagte. Eilig nickte sie, klammerte sich aber gleichzeitig fester an seinen Arm. Jonathan zog sie weiter zum Tisch, wo Mona und Leonard saßen und bereits übervolle Teller vor sich hatten. Kurz bevor sie den Tisch erreichten, stupste sie ihn noch einmal kaum merklich am Ellbogen an. 

„Hast du nicht Lust, heute Abend einen Spieleabend zu machen?", fragte sie dann, was Jonathan ziemlich überraschte. Perplex lachte er, doch dann nickte er. 

„Klar, wenn du Lust hast", erwiderte er, zog dann einen Stuhl etwas zurück und bot ihn ihr an. Sie setzte sich dankend, wandte sich dann aber Leonard und Mona zu. 

„Habt ihr beide auch Lust auf einen Spieleabend?", fragte sie und augenblicklich fing Mona aufgeregt an, auf ihrem Stuhl auf und ab zu hüpfen. Sie war glücklicherweise leicht für alle möglichen Dinge zu begeistern. Jonathan setzte sich nun ebenfalls an den Tisch und wandte sich seiner Tochter zu, doch mit einem Ohr lauschte er auf Leonards Antwort. 

„Ich weiß nicht. Bin eigentlich ziemlich müde. Aber auf ein, zwei Runden würde ich vorbeikommen", antwortete er, was Mona entzückt quietschen ließ. 

„Komm doch nach dem Essen direkt mit zu uns. Wir könnten uns auf die Terrasse setzen", schlug Sheila dann vor, woraufhin Leonard nickte, dann aber einen Blick zu Jonathan warf. Er wirkte unsicher, doch Jonathan nickte kaum merklich. Was sollte er gegen einen gemeinsamen Spieleabend schon sagen können? Es war doch nichts dabei und es konnte Sheila auch verstehen, dass sie Leonard nicht allein in seinem Zimmer lassen wollte. 

Jonathan spürte, wie Sheila unter dem Tisch nach seiner Hand tastete und für eine Sekunde drückte er sie, um ihr zu zeigen, dass alles in Ordnung war. 

„Gut, aber jetzt habe ich Hunger", sagte er dann, erhob sich wieder von seinem Stuhl und hielt Sheila die Hand hin. Ohne zu zögern nahm sie sie und schlenderte gemütlich mit ihm in Richtung Buffet. 

„Danke, dass das in Ordnung ist", raunte sie ihm leise zu, doch Jonathan schüttelte den Kopf. 

„Wieso sollte es nicht in Ordnung sein?", fragte er verwirrt, denn er hatte sich doch wirklich bisher Mühe gegeben, seine Eifersucht auf Leonard im Griff zu behalten. Als Sheila auch nach ein paar Sekunden nicht geantwortet hatte, stupste er sie am Ellbogen an, genau in dem Moment, in dem sie sich am Ende der Schlange am Buffet anstellten. Er hörte, wie sie tief Luft holte, als würde sie sich für etwas wappnen. 

„Ich weiß nicht...", stammelte sie, blickte aber angestrengt auf den Boden. Jonathan musterte sie noch einen Moment, aber anscheinend wollte sie nicht weiter darauf eingehen. Kurz legte er den Arm um ihre Schultern, zog sie an sich und drückte sie. 

„Mach dir keine Gedanken. Es ist alles okay", versicherte er ihr und auch wenn Sheila nickte, schien sie sich noch immer wegen irgendetwas Sorgen zu machen. Jonathan nahm sich vor, sie nachher, wenn sie allein waren, darauf anzusprechen. Wahrscheinlich war sie noch ein wenig durch den Wind wegen diesem Typen, der sie schon wieder bedrängt hatte. Jonathan strich ihr noch einmal über den Rücken, dann griff er nach einem Teller und lud sich genau wie Sheila Essen darauf. Immer wieder suchte er ihren Blick, doch entweder sie ignorierte ihn oder sie war so sehr in Gedanken, dass sie es gar nicht mitbekam.

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Einige Zeit später folgten er, Leonard Sheila und Mona, die voller Vorfreude den gepflasterten Weg zu ihrem Hotelzimmer entlanglief. Jonathan umklammerte Sheilas Hand und strich unablässig über ihren Handrücken. 

Auch wenn sie während des Essens ein wenig aufgetaut war, wirkte sie noch immer grüblerisch. Jonathan verlangsamte seine Schritte, bis Leonard ein Stück weiter vor ihnen ging, dann stupste er sie am Ellbogen an. 

„Bist du wirklich in Ordnung? Du bist so... nachdenklich", fragte er dann, woraufhin Sheila viel zu schnell nickte. Beinahe mitleidig sah er sie an, denn irgendetwas schien sie zu quälen. 

„Sprich doch mit mir", bat er, doch Sheila machte eine wegwerfende Handbewegung. 

„Ach, es ist nichts. Ich bin nur ein wenig durcheinander, das ist alles", erklärte sie, aber Jonathan war mit dieser Antwort alles andere als zufrieden. Wenn sie allerdings nicht darüber reden wollte, machte es wenig Sinn, weiter nachzubohren. 

„Na gut, aber du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst", erinnerte er sie, woraufhin sich ihr Mund zu einer harten Linie verzog. 

„Klar doch", erwiderte sie, was ziemlich sarkastisch klang. Jonathan biss die Kiefer aufeinander, denn ganz offensichtlich hatte sie ein Problem, über das sie nicht mit ihm reden wollte und das machte ihn wütend. Wieso glaubte sie nur, dass er ihr nicht zuhören und ihr vielleicht auch helfen konnte? 

Kopfschüttelnd zog er sie weiter, bis sie die anderen beiden wieder eingeholt hatten. Hoffentlich würde sie sich zusammenreißen, immerhin verlangte sie von ihm das Gleiche. 

Sie räusperte sie, beschleunigte dann aber ebenfalls ihre Schritte, bis sie vor ihrem Hotelzimmer stand. Jonathan fischte die Schlüsselkarte aus seiner Hosentasche und öffnete die Tür, während Leonard und Mona durch den Durchgang zwischen den Zimmern liefen, der direkt zur Terrasse führte. 

Er beobachtete, wie Mona nach links abbog und sich auf ihre eigene Terrasse setzte, während Leonard nach rechts abbog, zu seinem Zimmer. 

„Komm", riss Sheila ihn aus seinem Starren und ein wenig verwundert, dass sie anscheinend doch wieder mit ihm sprach, folgte er ihr ins Zimmer. Sheila ließ ihn an sich vorbeigehen und warf dann schwungvoll die Tür ins Schloss. 

Seufzend kickte sie ihre Ballerinas von den Füßen und verschwand anschließend im Bad. Jonathan lauschte einen Moment, aber offensichtlich musste sie wirklich auf die Toilette. Er ging zur Terrassentür und öffnete sie, woraufhin Mona ihm winkte. 

„Ich sitze hier, okay?", fragte sie und deutete auf einen der Stühle. Jonathan nickte und lächelte ihr zu, denn wandte er sich um, damit er das Spiel aus seinem Koffer holen konnte. Sheila hatte die Spielesammlung sowie ein Kartenspiel eingepackt, auch wenn er der Meinung war, dass beides zu viel Platz wegnahm. Allerdings war er nun ganz froh, dass sie auch die Spielesammlung mitgenommen hatte, sodass sie vielleicht Mensch-Ärger-Dich-Nicht spielen konnten. 

Jonathan erinnerte sich daran zurück, wie Sheila und er sich kennengelernt hatten. Es musste eines der ersten Male gewesen sein, als Sheila ihn zu Hause besucht hatte. Damals war sie vor ihrem Ex geflohen, was er allerdings erst später herausgefunden hatte. Auch damals, vor etwas mehr als zehn Jahren, hatten sie Mensch-Ärger-Dich-Nicht gespielt, allerdings waren sie ziemlich schnell dazu übergangen, sich mit den Figürchen zu bewerfen und herumzualbern. Bei der Erinnerung an diese schönen Tage schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen und einmal mehr wünschte er sich in diese Zeit zurück. Damals hatten sie sich noch nicht beinahe täglich gestritten und er war einfach nur glücklich gewesen. Allerdings war es für Sheila eine schwere Zeit gewesen, das alles mit der Trennung von ihrem gewalttätigen Ex. 

Aus dem Augenwinkel sah er eine Bewegung und Jonathan wurde dadurch zurück in die Wirklichkeit gerissen. Er hob den Blick und trat auf die Terrasse, wo genau in diesem Moment Leonard mit den zwei Plastikstühlen von seiner eigenen Terrasse erschien. 

Ein wenig unbeholfen stellte er sie an den Tisch und ließ sich mit einem Seufzen auf dem Stuhl neben Mona nieder. Monas Blick wanderte zu ihm und sie grinste ihn an. Jonathan legte das Spiel auf den Tisch und verschwand dann wieder im Zimmer, um nach Sheila zu sehen. 

Sie war nun doch schon recht lange auf der Toilette und zaghaft klopfte er an die Tür. Sofort wurde die Tür aufgerissen, was ihn zusammenzucken ließ. Sheila grinste ihn an, doch es war eindeutig, dass sie noch vor wenigen Sekunden ein, zwei Tränen vergossen hatte. Eilig legte er ihr eine Hand an die Wange und sah sie eindringlich an. Als er dieses Mal ihren Blick suchte, erwiderte sie ihn. 

„Was ist los?", fragte er mit gedämpfter Stimme, damit Mona und Leonard nichts mitbekamen. Sheila schluckte schwer, doch dann ließ sie ihren Kopf auf seine Schulter sinken. Erleichterung machte sich in ihm breit, denn er ertrug ihre Abweisung nur schwer. Eilig umarmte er sie und küsste sie aufs Haar. 

„Dieser Typ vom Strand, der mich festgehalten hat", setzte sie an, unterbrach sich dann aber selbst mit einem erstickten Laut. 

„Er ist weg und kann dir nichts mehr tun", sagte er sanft, auch wenn er gleichzeitig eine Wut in sich aufsteigen spürte, die er nur schwer unter Kontrolle halten konnte. 

„Findest du, ich bin... naja, ich weiß auch nicht...", stammelte sie und sofort wusste er, was sie ihn fragen wollte. Panisch umfasste er ihr Gesicht und sah ihr fest in die Augen. 

„Lass dich von so einem Idioten nicht verunsichern. Egal was er gesagt hat, das bist du nicht", sagte er eindringlich, woraufhin sie nickte. Jonathan wusste nicht, ob dieses Arschloch sie wieder als Hure beschimpft hatte, aber anscheinend machte ihr das zu schaffen. 

„Du bist eine wunderbare Frau und das weißt du auch", fuhr er fort und wieder nickte sie. Seufzend griff sie nach seinen Handgelenken und zog seine Hände von ihrem Gesicht. 

„Danke", murmelte sie, verschränkte ihre Finger mit seinen und lächelte. Dieses Mal wirkte es echt, was ihm einen Stein vom Herzen fallen ließ. 

„Komm, gehen wir nach draußen und machen uns einen schönen Abend", sagte er und zog sie in Richtung Terrassentür. Sie folgte ihm, löste aber ihren Hände aus seinen, bevor sie nach draußen traten. 

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