Kapitel 5 - Sheila
Sheila beobachtete den Kuchen durch die Glasscheibe des Backofens. Sie saß auf dem Boden davor, die nackten Beine auf den angenehm kühlen Fliesen. Jonathan kramte ein wenig herum, was Sheila grinsen ließ.
Noch immer schien er die Hoffnung zu haben, seine Mutter würde keinen Kommentar zu einem unordentlich aufgeschlagenen Kissen oder ein paar winzigen Staubkörnern machen, die sie immer fand.
Zu Beginn ihrer Beziehung war Sheila verletzt gewesen, denn sie hatte geglaubt, es wäre eine Kritik an ihr, doch mit den Jahren hatte sie gelernt, dass seine Mutter es gar nicht böse meinte und sie wahrscheinlich in jedem noch so penibel geputzten Haus etwas fand, über das sie meckern konnte. Jonathan schien das noch nicht begriffen zu haben, doch es amüsierte sie, ihn so geschäftig herumwuseln zu sehen.
Sie griff nach ihrem Handy und tippte eine Nachricht an ihren Bruder, von dem sie schon seit ein paar Tagen nichts gehört hatte. Er war im Moment ein wenig im Stress, rein subjektiv gesehen natürlich, so wie meistens und sie machte sich ein wenig Sorgen um ihn.
„Wie geht es dir? Wie läuft die Wohnungssuche?", fragte sie, auch wenn sie wahrscheinlich mit der zweiten Frage gefährliches Terrain betrat. Ihr Bruder und sein Freund waren schon ein wenig länger zusammen als sie und Jonathan, dennoch waren sie weder verheiratet, noch hatten sie Eigentum. Zumindest der zweite Punkt sorgte in den letzten Monaten häufig für Streit, denn Jonas, der Freund ihres Bruders wollte in eine Eigentumswohnung investieren. Ihr Bruder hingegen fand diese Idee ganz und gar nicht gut und hatte in einer hitzigen Diskussion erwähnt, dass ihm das zu verbindlich wäre. Natürlich bereute er diese Aussage nun, aber Jonas war wirklich tief verletzt und melodramatisch wie sie beide waren, hatten sie danach für ein paar Tage nicht miteinander geredet. Bei der Vorstellung an ihre Streits musste sie grinsen, denn bei ihr und Jonathan war das alles ganz anders.
Sicherlich hatten auch sie manchmal Meinungsverschiedenheiten oder jemand sagte etwas, was ihm im Nachhinein leidtat, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich so sehr mit ihm streiten konnte. Nicht mehr.
Als Matthias, ihr Bruder, auch nach ein paar Minuten noch nicht geantwortet hatte, legte sie ihr Handy neben sich auf den Boden und schloss für einen Moment die Augen.
Ohne es zu wollen dachte sie an Leonard und seine Freundin, die sie noch nicht so recht einschätzen konnte. Auch wenn sie beide gemeinsam gekommen und auch wieder gegangen waren, fand zwischen den beiden wenig Interaktion statt. Kathi hatte die meiste Zeit stumm ein wenig abseits gesessen, während Leonard mit Jonathan und zwischendurch auch mit ihr herumgealbert hatte.
„Ja?", hörte sie Jonathan auf einmal sagen und verwirrt öffnete sie die Augen.
„Hast du was gesagt?", fragte sie, doch da erschien er im Türrahmen, das Handy an sein Ohr gepresst. Anscheinend telefonierte er.
„Warte, ich frage sie mal", sagte er dann und wandte sich nun ihr zu.
„Kathi hat ihr Portemonnaie verloren. Hast du es zufällig gefunden? Es ist rosa mit Blumen drauf", fragte er, doch Sheila schüttelte den Kopf.
„Ich kann mal im Garten nachsehen", sagte sie und sprang auf, noch während Jonathan nickte. Eilig ging sie nach draußen in die bereits jetzt brütend heiße Sonne. Sie suchte den Rasen um die Stelle ab, wo sie gestern Abend die Bierzeltgarnitur aufgestellt hatten, dann ging sie zum Pool, wo sie gestern gesessen hatte. Tatsächlich lag das Portemonnaie dort im Gras.
Sheila bückte sich und hob es hoch. Es war ein klobiges, hässliches Teil, das sie selbst niemals kaufen würde. An einigen Stellen hatte sich der rosafarbene Stoff dunkel verfärbt und war noch nass vom Tau. Sheila zupfte ein paar Grashalme ab und ging zurück ins Haus.
„Ich hab es. Lag am Pool", sagte sie und legte das Portemonnaie auf den Esstisch. Jonathan nickte und berichtete Leonard, dass sie es gefunden hatte.
Sheila setzte sich wieder auf ihren Platz vor dem Backofen und warf einen Blick auf ihr Handy. Tatsächlich hatte sie eine Nachricht und eilig öffnete sie sie, in der Hoffnung, ihr Bruder würde ein Lebenszeichen von sich geben. Tatsächlich war er es, der ihr geschrieben hatte.
„Es geht schon. Jonas sucht fleißig weiter, aber glücklicherweise sind seine Ansprüche so hoch, dass ich mir erst einmal keine Sorgen machen muss, dass er etwas Passendes findet", schrieb er, was Sheila nur den Kopf schütteln ließ.
„Du bist albern", antwortete sie ihm nur, legte ihr Handy wieder neben sich und lauschte Jonathans gedämpfter Stimme. Anscheinend hatte er sich aufs Sofa gesetzt, denn seine Stimme klang ein wenig weiter weg als noch vorhin.
„Sheila meinte auch, dass sie nett ist", hörte sie ihn sagen und sofort wusste sie, dass sie über Kathi sprachen. Sicherlich hatte sie sich gestern ein wenig ausgeschlossen gefühlt, weil sie sich alle untereinander kannten und Leonard sich nicht wirklich darum bemüht hatte, sie in die Gruppe einzubinden.
Jonathan senkte seine Stimme noch ein wenig mehr, dann hörte sie, wie er in den Flur ging und die Tür hinter sich schloss. Wahrscheinlich redete Leonard über den Urlaub und er wollte nicht, dass sie das mitbekam. Sheila grinste, doch bevor sie sich darüber lustig machen konnte, wie sehr Jonathan sich gegen diese Idee sträubte, klingelte der Küchenwecker und sie beeilte sich den Kuchen aus dem Backofen zu holen.
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