Kapitel 49 - Sheila
Sheila hätte am liebsten geheult, denn immer wenn sie allein mit Jonathan sprach, beteuerte er, dass er sie liebte und ihr vertraute. Allerdings stand das im Gegensatz zu seinen Handlungen und das brachte sie durcheinander. Im einen Moment war noch alles okay, dann auf einmal bekam er wieder irgendwelche Anfälle und er sah sie an, als wollte er sie am liebsten erwürgen und Leonard gleich mit.
Doch was konnte sie anderes tun, als darauf zu vertrauen, dass er sich soweit im Griff hatte, nichts Unüberlegtes zu tun? Wenn er auf einmal die Idee hatte, sie vor die Tür zu setzen oder so etwas?
Sheila umfasste Jonathans Hand fester und versuchte so, den Gedanken zu vertreiben. Sie saßen im Bus, der sie zum Kaktusgarten brachte und fuhren über die holprige, kurvenreiche Straße. Mona saß in der Sitzreihe vor ihnen neben Leonard und berichtete ihm gerade, wie sie vorhin in nur einer Sekunde die Rutsche hinuntergerutscht war.
Jonathan strich mit dem Daumen über ihren Handrücken und presste ihr einen Kuss auf die Schläfe.
„Alles in Ordnung?", fragte er sanft, woraufhin sie nickte. Sie war unendlich erleichtert, dass sie und Jonathan sich wieder vertragen hatten, allerdings fühlte sie sich angespannt und auf der Hut, denn auch wenn eigentlich an einem gemeinsamen Ausflug nichts auszusetzen war, konnte Jonathan jederzeit irgendetwas sehen, was sie und Leonard angeblich taten.
Sheila biss sich auf die Wange, denn ihr wurde bewusst, wie absurd das doch alles war. Immerhin waren sie verheiratet und vertrauten einander, da sollte man doch nicht so auf der Hut sein müssen.
Seufzend ließ sie den Kopf an die Fensterscheibe des Busses sinken, doch schon nach wenigen Sekunden knallte ihr Kopf unsanft dagegen, als der Bus durch ein riesiges Schlagloch fuhr.
Jonathan gluckste, strich ihr dann aber übers Haar und ließ ihre Hand los, um den Arm um sie zu legen.
„Hau dir nicht den Kopf auf", lachte er, was auch sie zum Kichern brachte. Jonathan strich ihr sanft über den Arm und sie hätte stundenlang einfach nur hier sitzen und seine Berührungen genießen können.
„Tut mir leid, dass ich dich... zum Weinen gebracht habe", flüsterte er plötzlich leise an ihr Ohr, woraufhin ihr das Lächeln aus dem Gesicht wich. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er das Thema noch einmal ansprechen würde und er erinnerte sie so an den letzten Streit.
„Ja", sagte sie nur, denn sie wollte nicht sagen, dass es schon okay war, denn das war es nicht. Er sollte ruhig spüren, dass sein Verhalten alles andere als okay war. Noch einmal küsste er sie auf den Kopf, dann schwiegen sie für den Rest der Fahrt, bis sie genau vor dem Kaktusgarten anhielten.
Leonard warf einen Blick über die Schulter zu ihnen, wie um sicherzugehen, dass sie auch mit ausstiegen. Sheila folgte Jonathan, der sie noch immer an der Hand hielt. Es war ein schönes Gefühl und tatsächlich freute sie sich schon, die Kakteen anzusehen. Vorhin hatte sie sich Bilder im Internet angesehen und sicherlich würde es auch Mona gefallen. Zum Glück war sie für vieles zu begeistern und wenn auch noch Leonard dabei war, würde sie sicherlich einen schönen Tag haben.
Sie verließen den Bus und stellten sich in die Schlange, die sich vor der Kasse am Eingang gebildet hatte. Mona grinste, umklammerte aber Leonards Hand und schien damit ziemlich zufrieden zu sein.
*******************************
Wenige Minuten später betraten sie den weitläufigen Garten, der auf mehreren Ebenen angelegt war, ganz ähnlich einem Freilichttheater mit den unterschiedlich hohen Rängen. Auf der unteren Ebene, auf der sie sich im Moment befanden, standen mehrere Meter hohe Kakteen, in sämtlichen Formen.
„Wow, sieht der da nicht cool aus?", hörte Sheila Leonard zu Mona sagen, während er auf einen riesigen, weit ausladenden Kaktus deutete. Mona löste sich von Leonard und rannte darauf zu, während er ihr hinterherging.
Eilig warf er Sheila einen Blick über die Schulter zu und sie wusste genau, was er ihr damit sagen wollte. Nämlich dass sie die Zeit mit Jonathan nutzen sollte. Sheila nickte ihm kaum merklich zu, denn sie wusste es wirklich zu schätzen, dass er ihr dabei half, ihre Beziehung mit Jonathan irgendwie wieder hinzubekommen, auch wenn er mehr für sie empfand.
Sheila zog Jonathan einen anderen Weg entlang, als Mona und Leonard gegangen waren und klammerte sich wieder an Jonathans Hand fest. Sie betrachtete die Kakteen, die es hier in sämtlichen Farben und Formen gab, bis Jonathan sie an der Hand zurückhielt und so zum Anhalten zwang.
Ein wenig verwundert blieb sie stehen und sah ihn fragend an. Er suchte offensichtlich ihren Blick und zog sie näher zu sich heran.
„Hast du nicht heute Abend Lust, mit mir schwimmen zu gehen? Wir waren noch gar nicht zusammen im Meer", fragte er sie und sah sie beinahe flehend an. Sheila lächelte und nickte, woraufhin auch Jonathans Mundwinkel nach oben zuckten.
„Die beiden scheinen ein Herz und eine Seele zu sein, also... könnten wir noch ein wenig Zeit zu zweit verbringen", sagte er und machte eine Kopfbewegung zu Leonard und Mona.
„Klingt gut", sagte sie und strich ihm sanft über den Arm, um ihm zu zeigen, dass sie sich wirklich freute. Sie setzte an, weiter den Weg entlang zu schlendern, doch Jonathan hielt sie zurück.
„Warte, ich...", sagte er, senkte dann aber den Blick für eine Sekunde auf den Boden, ehe er sie wieder ansah. Sheila schluckte schwer, denn noch immer war die Stimmung zwischen ihnen etwas angespannt.
„Kann ich dir was sagen?", fragte er dann und wirkte auf einmal verunsichert. Sofort wurde sie nervös, nickte dann aber. Jonathan druckste noch einen Moment herum, doch dann atmete er tief durch und sah ihr direkt in die Augen.
„Es ist bescheuert aber... manchmal schleicht sich so ein Gedanke in mein Hirn und ich habe noch nicht rausgefunden, wie ich das verhindern kann", sagte er und sah an ihr vorbei zu Mona und Leonard.
„Was für ein Gedanke?", fragte sie, spürte aber gleichzeitig, wie er anfing zu zittern.
„Ich weiß, dass du nicht so für ihn empfindest aber... manchmal, wenn ich Leonard mit Mona sehe und wie glücklich sie bei ihm ist und wenn ich dann dich sehe, wie glücklich du in seiner Gegenwart bist, dann...", setzte er an, beendete den Satz allerdings mit einem Schulterzucken.
Sheilas Herz begann wie wild zu pochen, denn sie wusste, was er ihr sagen wollte. Gleichzeitig breitete sich Enttäuschung in ihr aus, denn ganz offensichtlich konnte sie Jonathan einfach nicht begreiflich machen, dass sie ihn liebte und nicht Leonard.
„Du meinst, dass ich dich durch ihn ersetze?", fragte sie dennoch, woraufhin er gequält das Gesicht verzog und nickte. Es verletzte sie, dass er ihr nicht glaubte, dass sie nicht solche Gefühle für ihn hatte und Leonard für Mona nun einmal zur Familie gehörte.
„Das wird nicht passieren. Warum hast du dich nur so sehr auf ihn eingeschossen? Ich... weiß langsam nicht mehr, wie ich dir zeigen soll, dass ich dich liebe, nicht ihn oder sonst irgendjemanden", sagte sie und legte ihm eine Hand an die Wange. Jonathan schluckte und wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht, so als würde er Tränen abfangen.
„Ich glaube dir ja, aber was soll ich denn machen, wenn ich immer diese Gedanken habe? Ich kann sie nicht abstellen und jedes Mal verletze ich dich damit", sagte er dann und griff nach ihrer Hand, die an seiner Wange lag. Sheila spürte den Drang, ihn fest zu umarmen, doch sie war sich nicht sicher, ob hier in der Öffentlichkeit der richtige Ort dafür war.
„Vielleicht... kannst du mit mir darüber reden. Du könntest mir Bescheid sagen, wenn du solche Gedanken hast und mit mir darüber reden", schlug sie vor, doch Jonathan schüttelte den Kopf.
„Wenn das so einfach wäre. Ich bin dann direkt auf hundertachtzig und kann nicht mehr klar denken. Ich weiß, dass ich dieses Problem habe, aber... ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll", sagte er dann und Sheila konnte gut verstehen, was er meinte, auch wenn es ihr schwerfiel, sich in ihn hineinzuversetzen.
„Bitte versuch es doch mal. Einen Versuch wäre es doch wert, oder nicht?", sagte sie und er nickte.
„Ich will nicht, dass du mich deswegen irgendwann verlässt", flüsterte er so leise, dass sie es kaum verstehen konnte. Panisch schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn fest an sich.
„Ich werde dich nicht verlassen, das verspreche ich dir", sagte sie in sein Ohr und nun erwiderte er die Umarmung. Sie wusste nicht, woher seine Selbstzweifel kamen und noch weniger wusste sie, was sie dagegen tun konnte. Sie konnte ihm nur immer und immer sagen, dass sie ihn liebte und hoffen, dass er irgendwann vielleicht nicht mehr eifersüchtig war.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top