Kapitel 47 - Sheila
Sheila hatte noch lange wachgelegen und sie wusste, dass es Jonathan auch so ergangen war. Irgendwann war sie in einen nicht wirklich erholsamen Schlaf gefallen, doch nun lag sie schon seit fast einer Stunde wach im Bett. Mona lag noch immer neben ihr, doch sie schien tief und fest zu schlafen, genau wie Jonathan.
Immer und immer wieder spielte sich der Streit am vergangenen Abend vor ihrem inneren Auge ab und noch immer konnte sie nicht nachvollziehen, warum Jonathan auf einmal so gereizt gewesen war. Reichte schon ein kleiner Moment aus, um ihn so auf die Palme zu bringen?
Sheilas Blick fiel noch einmal zu ihm, dann zu Mona. Sie wollte nicht, dass Jonathan sie verließ, denn er würde ohne Zweifel Mona mitnehmen. Das wusste sie so sicher, wie sie wenige Dinge wusste und das würde sie nicht ertragen.
Bei dem Gedanken an eine mögliche Trennung stiegen ihr Tränen in die Augen und eilig sprang sie aus dem Bett und verzog sich ins Bad. Ihre Hände zitterten, als sie sich auf dem Rand des Waschbeckens abstützte und in die Spiegel darüber sah.
Sie sah schrecklich aus, die Haare ganz verstrubbelt und tiefe Ringe unter den Augen. Noch einmal warf sie einen Blick zur Tür und drehte dann kurzentschlossen den Schlüssel herum. Sie wollte nicht gestört werden und auch wenn Jonathan sich gestern Abend noch entschuldigt hatte, wollte sie heute nicht allzu viel mit ihm reden. Hinterher sagte sie noch irgendetwas, das ihn nervte und dann war sie auf einmal wieder die Blöde, die irgendetwas Unangemessenes mit Leonard gemacht hatte. Ihm einen Guten Morgen wünschen zum Beispiel.
Kopfschüttelnd pellte sie sich aus ihren Klamotten und stieg unter die Dusche. Noch immer hatte sie Sand in den Haaren von ihrem Ausflug gestern Abend. Es kam ihr so vor, als läge das schon Tage zurück und nicht erst ein paar Stunden. Der Streit schien irgendwie alles Schöne zu überschatten.
Sheila stellte sich für einige Minuten unter den angenehm warmen Wasserstrahl, doch dann seifte sie sich ein und beeilte sich, fertig zu werden. Wieder schlich sie ins Schlafzimmer, um sich frische Klamotten aus dem Koffer zu holen. Noch immer schienen Mona und Jonathan zu schlafen, also beschloss sie, nach draußen zu gehen. Vielleicht könnte sie sich etwas an den Strand setzen und dem Rauschen des Meeren lauschen.
Sie schlüpfte in ihre Ballerinas, zog noch einmal ihren Rock und das Top zurecht und öffnete dann die Tür, um das Hotelzimmer zu verlassen. Gerade als sie nach draußen treten wollte, bemerkte sie erschrocken, dass jemand vor der Tür stand. Sie stieß einen überraschten Laut aus, und blickte auf. Vor ihr stand Leonard, der die Hand erhoben hatte, als hätte er genau in dem Moment an ihre Tür klopfen wollen, als sie sie geöffnet hatte.
„Oh, da seid ihr ja", lachte er, wirkte aber genau so erschrocken wie sie selbst. Sheila lächelte und es fühlte sich so an, als hätte sie das schon eine ganze Weile nicht getan.
„Nur ich. Die anderen beiden schlafen noch", erklärte sie leise, zog dann die Tür hinter sich zu und straffte die Schultern. Sie blickte zu Leonard auf, der sich verlegen am Hinterkopf kratzte.
„Oh... also... du kannst auch nicht mehr schlafen?", fragte er dann ein wenig verunsichert, woraufhin sie den Kopf schüttelte.
„Lust auf einen Spaziergang?", fragte er dann, doch sein musternder Blick entging ihr nicht. Ganz offensichtlich war es ihr anzusehen, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie nickte, verschränkte dann die Arme vor der Brust und ging den gepflasterten Weg entlang zum Strand. Leonard folgte ihr und sie lauschte dem ploppenden Geräusch seiner Flip-Flops. Sie ging zu einer der Liegen und setzte sich darauf und beobachtete, wie Leonard sich auf die Liege neben ihr setzte. Sein Blick lag die ganze Zeit auf ihr, aber er sagte nichts, bis sie seinen Blick erwiderte.
„Hattet ihr einen schönen Abend gestern?", fragte er, doch er klang merkwürdig besorgt. Sheila seufzte.
„Danke noch mal fürs Aufpassen. Es war...", setzte sie an, unterbrach sich aber. Sollte sie Leonard von dem Streit erzählen? Einerseits hatte sie das drängende Bedürfnis, ihm davon zu erzählen, andererseits würde das nur noch mehr Öl ins Feuer gießen. Jedoch war er der Einzige, mit dem sie wirklich reden konnte, alle anderen waren schließlich nicht hier.
Leonard räusperte sich und setzte sich ein wenig aufrechter hin. Für einen Moment musterte sie ihn. Heute trug er ein blaugraues T-Shirt mit einem schwarzen Streifen darauf, dazu seine braun-beige karierte Badehose. Auch Sheila trug ihren Bikini unter ihrem Rock und dem Top und plötzlich verspürte sie den Drang, schwimmen zu gehen. Noch waren sie allein am Strand, denn es war noch recht früh am Morgen.
„Kommst du mit schwimmen?", fragte sie, woraufhin Leonard etwas verlegen grinste.
„Wenn du Lust hast, klar", sagte er, doch sein Blick blieb auf ihrem Gesicht hängen.
„Nein, warte. Ich komme nur mit, wenn du mir erzählst, was gestern passiert ist. Ganz offensichtlich geht es dir nicht gut", sagte er dann und ohne lange darüber nachzudenken nickte sie. Sicherlich würde es ihr gut tun, über alles zu reden und es wäre wohl besser, wenn Leonard Bescheid wusste. Vielleicht konnte er mit Jonathan reden und ihm sagen, dass absolut kein Grund zur Eifersucht bestand.
Leonard erhob sich und hielt ihr die Hand hin, um ihr aufzuhelfen. Dankend ließ sie sich hochziehen und trat dann einige Schritte von ihm weg, während sie sich auszog. Auch er zog sein T-Shirt über den Kopf und warf es auf die Liege, auf der er noch eben gesessen hatte. Sheila legte ihr Zeug dazu, dann ging sie durch den weichen Sand bis zum Ufer. Leonard blieb neben ihr stehen, watete dann aber ins kühle Wasser.
„Huch, ganz schön kalt", sagte er, grinste ihr dann aber schelmisch zu und forderte sie mit einer Handbewegung auf, ihm zu folgen. Vorsichtig setzte sie einen Fuß ins Wasser und auch wenn es kühl war, hatte sie es schlimmer erwartet.
Sie folgte ihm immer weiter ins Meer, bis ihr das Wasser bis kurz unter die Schultern reichte. Für einen Moment schloss sie die Augen und ließ sich von den seichten Wellen umspülen und auch wenn es ein schönes Gefühl war, bekam sie auf einmal Angst, ins offene Meer hinausgetrieben zu werden. Panisch schlug sie die Augen wieder auf und sah zu Leonard.
„Was ist los?", fragte er dann und sah sie besorgt an. Sheila schluckte schwer, dann berichtete sie ihm, was passiert war. Wie Jonathan wütend geworden war, weil sie in Unterwäsche von ihm gesehen wurde bis zu dem Punkt, an dem sie weinend an den Strand gegangen war und er sich schließlich, wenn auch sicherlich nicht ganz ernst gemeint, bei ihr entschuldigt hatte. Leonard unterbrach sie kein einziges Mal, doch mit jedem Satz wurde seine Miene finsterer.
„Er ist so ein Idiot. Begreift er denn nicht, dass er dich so verliert?", fragte er, mehr sich selbst als sie. Dennoch zuckte sie bei seinen Worten zusammen und ihr Herz rutschte ihr in die Hose. Sie wollte sich nicht von ihm trennen, immerhin liebte sie ihn und auch wenn er zwischendurch ein wenig zu eifersüchtig war, hatten sich ihre Gefühle für ihn nicht geändert.
„Sheila, ich sage dir jetzt mal ganz ehrlich meine Meinung. Und das hat nichts damit zu tun, dass ich dich mehr mag, als du mich", sagte er vollkommen ernst und kam ein Stück näher an sie heran.
Sheila wurde schwindelig. Es war gar nicht Leonards Art, so ernst zu sein und auch wenn er ihr mal wieder seine Gefühle für sie gestanden hatte, reagierte sie nicht darauf. Sie senkte den Blick auf die Wasseroberfläche und betrachtete ihre Hände durch das Wasser.
„Offensichtlich liebst du ihn, aber du solltest dir wirklich überlegen, ob du dich so von ihm behandeln lassen willst. Es kann doch nicht sein, dass du ständig wegen ihm weinst", sagte er und Sheila spürte, dass er wirklich wütend auf Jonathan war.
Leonard kam noch einen Schritt näher zu ihr und plötzlich spürte sie, wie er mit dem Finger unter ihrem Kinn ihren Kopf anhob. Kaum dass er ihren Blick mit seinem festhielt, ließ er sie wieder los.
„Ich weiß, dass du ihn nicht verlassen willst und ich will dir gar nichts in der Richtung raten, aber schau dich doch mal an. Dir geht es beschissen, nur weil er wieder irgendwelche Dinge sieht, die gar nicht da sind. Du hast nichts falsch gemacht. Ich meine... du bist im Urlaub und solltest deine Zeit hier genießen und nicht nachts weinend allein am Strand sitzen", sagte er eindringlich.
Sheila fühlte sich wie betäubt, denn natürlich hatte Leonard recht, aber was sollte sie denn tun? Jonathan ein Ultimatum stellen? So nach dem Motto: Wenn du noch einmal unbegründet eifersüchtig wirst, ist es aus? Nein, das konnte und wollte sie nicht.
„Ich...", stammelte sie, wusste aber gar nicht, was sie eigentlich sagen wollte.
„Ich wünsche mir einfach nur, dass du Spaß hast, das ist alles", sagte Leonard sanft, dann ließ er sich zurückfallen und trieb genau wie gestern auf dem Rücken auf dem Wasser.
Sheila atmete zitternd ein und aus, dann tat sie es Leonard gleich und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Ihre Ohren waren unter Wasser und sie hörte die Geräusche das Meeres, so als würde sie die Realität aussperren.
Sie spürte, dass Leonard nicht weit von ihr entfernt trieb, dennoch brachte sie die Füße wieder auf den Boden und sah sich nach ihm um. Er war keine zwei Meter von ihr entfernt und hatte die Augen geschlossen, doch als würde er ihren Blick bemerken, beendete auch er sein Dahintreiben und kam wieder näher zu ihr.
„Denk nicht so viel darüber nach. Überleg dir lieber mal, auf was du heute Lust hättest. Wir könnten einen Ausflug machen", sagte er und Sheila nickte.
„Vielleicht fragen wir nachher mal die anderen beiden, aber wie wäre es mit dem Kaktusgarten? Da gibt es jede Menge Kakteen", schlug Leonard vor, was Sheila zum Grinsen brachte.
„Ach was, in einem Kaktusgarten gibt es Kakteen?", fragte sie, nur um ihn zu ärgern. Tatsächlich entfuhr ihr ein Kichern über ihren eigenen Witz und sie musste zugeben, dass es sich gut anfühlte. Gespielt empört riss Leonard den Mund auf, dann spritzte er ihr mit einer schnellen Handbewegung Wasser ins Gesicht, bevor sie ihn aufhalten konnte.
„Hey", beschwerte sie sich, schlug dann aber die Hand ins Wasser und schleuderte ihm eine viel größere Menge Wasser ins Gesicht. Es war albern und dämlich, aber es machte Spaß, einfach mal den Streit und Jonathan zu vergessen.
„Na warte", drohte Leonard, stürzte sich auf sie und drückte sie an den Schultern unter Wasser. Sheila kniff die Augen zusammen und griff nach seinen Handgelenken, um nicht die Orientierung zu verlieren, allerdings packte er sie ebenfalls an den Handgelenken und zog sie schon nach wenigen Augenblicken wieder nach oben.
Keuchend atmete sie ein und wischte sich das salzige Wasser vom Gesicht. Leonard grinste sie dämlich an und hatte schon wieder den Zeigefinger hinter den Daumen gespannt, um sie schon wieder nasszuspritzen, doch eilig umfasste sie seine Hand und warf sich mit all ihrem Gewicht auf ihn.
Sie drückte auf seine Schultern und auch wenn er untertauchte, wusste sie, dass er es absichtlich getan hatte. Er war viel zu groß und sie zu leicht, als dass sie ihn hätte untertauchen können.
Nach zwei Sekunden ließ sie ihn wieder los, damit er auftauchen konnte, doch er tat es nicht. Verwirrt sah sie nach unten und erkannte ihn im klaren Wasser auf sie zu schwimmen. Genau in diesem Moment umschlang er ihre Taille und zog sie wieder unter Wasser. Sie lachte, bis ihr Kopf untertauchte und sie spürte, wie Leonard sie wieder an den Händen hochzog.
Ein wenig außer Atem kam sie wieder auf die Beine, wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht und sah ihn an, gefasst auf seinen nächsten Angriff. Der jedoch ausblieb, denn auch Leonard keuchte.
Er kam recht nah an sie heran und in diesem Moment spürte sie, wie sehr er sie mochte. Verlegen senkte sie den Blick und beinahe erwartete sie, dass er ihr wieder sagte, dass er sie liebte, aber für eine Weile herrschte Stille.
„Lust auf Frühstück? Ich könnte uns schnell ein Handtuch holen und nachsehen, ob Mona und Jonathan schon wach sind", schlug er vor und Sheila nickte. Tatsächlich bekam sie langsam Hunger und ein gemeinsames Frühstück mit Jonathan und Mona war wirklich verlockend. Vorausgesetzt, Jonathans Laune hatte sich inzwischen gebessert.
Leonard schwamm an ihr vorbei in Richtung Strand und sie folgte ihm. Sheila setzte sich auf eine der Liegen, während Leonard an ihr vorbei ging.
„Warte hier, bin gleich wieder da", sagte er und sie nickte. Sie folgte ihm mit ihrem Blick und beobachtete, wie er erst zu ihrem und Jonathans Zimmer ging und dort an die Terrassentür klopfte, dann versuchte er durch den winzigen Schlitz nach drinnen zu sehen. Keine zehn Sekunden später verschwand er in Richtung seines Zimmers. Anscheinend schlief Jonathan noch immer.
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