Kapitel 43 - Sheila
Schon zum zweiten Mal in diesem Urlaub kam Sheila sich dämlich vor. Ihre Gedanken spielten verrückt und wahrscheinlich hatte sie sich im Vorfeld viel zu oft ausgemalt, wie Jonathan wütend wurde, weil sie mit Leonard seiner Meinung nach unangebrachte Dinge tat.
Tatsächlich schien er aber gar nicht eifersüchtig zu sein, zumindest nicht mehr so sehr wie sonst immer und er schien sein Versprechen halten zu wollen, ihnen nicht den Urlaub zu verderben. Sheila musste endlich begreifen, dass Jonathan sich vielleicht wirklich geändert hatte, was Leonard betraf, auch wenn es ihr schwer fiel.
Sie seufzte und wandte den Blick wieder in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing. Jonathan wartete schon auf sie, während sie hier im Bad herumstand und sich Gedanken machte. Noch ein letztes Mal fuhr sie sich mit der Bürste durchs Haar, bevor sie die Schultern straffte und aus dem Bad zurück ins Schlafzimmer trat.
Jonathan, der auf dem Bett gesessen hatte, sprang auf und streckte grinsend die Hand nach ihr aus.
„Du siehst wirklich hübsch aus", sagte er, woraufhin Sheila an sich hinunter sah. Sie trug einen Jeansrock und ihr noch recht neues, lilafarbenes Top mit der goldenen Feder darauf, dazu einfache Ballerinas. Dennoch schmeichelte es ihr, dass sie ihm gefiel und sie griff nach seiner Hand. Jonathan strich ihr sanft mit dem Daumen über den Handrücken, anschließend führte er sie nach draußen.
Noch immer war es warm, doch sicherlich würde sie in ein, zwei Stunden die Sweatshirtjacke brauchen, die sie sich um die Hüfte gebunden hatte. Leonard hatte Mona vor einer halben Stunde abgeholt und war mit ihr zur Kinderanimation am Pool gegangen und er hatte versprochen, nachher mit ihr essen zu gehen.
Jonathan hatte vorgeschlagen, dass sie zu zweit aßen und Sheila hatte diese Idee gefallen. Sicherlich wollte sie den Urlaub auch nutzen, um viel Zeit mit Mona zu verbringen, aber sie brauchte dringend etwas Zweisamkeit mit Jonathan. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Beziehung in den letzten Wochen etwas abgekühlt war.
Nicht, dass sie nur einen Gedanken daran verschwendet hatte, sich zu trennen, aber Jonathan schien genau wie sie ein wenig im Stress zu sein. Auch wenn er es nicht zugab, war er nervös wegen dieser Sache in Bremen, die kurz nach dem Urlaub anstehen würde. Mona käme bald in die Schule und sicherlich würde dann ihr Alltag auch noch einmal ganz anders aussehen, abgesehen davon schien Jonathan in letzter Zeit gereizter zu sein, was Leonard oder besser gesagt andere Männer überhaupt anging.
„Wo willst du sitzen?", riss Jonathan sie aus ihren Gedanken und erst da bemerkte sie, dass sie bereits auf der Terrasse des Restaurants standen. Es gab noch viele freie Tische, da sie recht früh waren.
Sheila spürte, wie Jonathan sie fragend ansah und sie deutete kurzentschlossen auf einen Tisch ganz am Rand der Terrasse, sodass sie möglichst nah am Meer saßen.
„Okay", sagte er, griff nach ihrer Hand und zog sie bis zu dem Tisch, auf den sie gezeigt hatte. Er setzte sich, sodass er das Meer sehen konnte und zog den Stuhl neben sich zurück. Sheila ließ sich ebenfalls nieder und genoss für einen Moment die schöne Aussicht. Ihre Hand tastete unter dem Tisch nach seiner und als sie sie fand, verschränkte sie ihre Finger mit seinen.
„Glaubst du, Leonard bekommt das alles hin mit Mona?", fragte Jonathan, was Sheila grinsen ließ.
„Bei ihm ist sie doch immer ganz brav", erwiderte sie, auch wenn sie die Vorstellung von Leonard, wie er vollkommen überfordert war mit dem kleinen Wirbelwind, ein wenig lustig fand. Sheilas Gedanken wanderten zu Mona und sofort durchflutete sie eine angenehme Wärme. Es hatte lange gedauert, bis sie schwanger geworden war und noch länger, bis sie schließlich eingesehen hatte, dass es mit einem zweiten Kind einfach nicht klappen wollte. Seit sie sich gemeinsam entschieden hatten, es aufzugeben und glücklich mit Mona zu sein, war ihre Beziehung deutlich entspannter geworden.
„Stimmt", erwiderte Jonathan, doch bevor er noch etwas sagen konnte, tauchte ein Kellner neben ihr auf und fragte, was sie trinken wollten. Sheila bestellte sich eine Cola, denn auch wenn sie vorhin ein wenig geschlafen hatte, spürte sie, dass sie müde war. Sie wollte nicht ihren gemeinsamen Abend dadurch ruinieren, dass sie hundemüde war.
„Willst du dir schon mal was zu Essen holen? Ich warte hier", schlug Jonathan vor und Sheila nickte. Sie erhob sich, schob ihren Stuhl ein wenig zurück an den Tisch und fuhr mit der Hand über Jonathans Arm. Sie spürte, wie er ihr hinterher sah, während sie den Innenbereich des Restaurants betrat und sich an die Schlange am Buffet anstellte.
Sie griff nach einem der Teller und umklammerte ihn, als wäre er ein Rettungsring. Schüchtern warf sie einen Blick nach draußen zu Jonathan, der vollkommen entspannt wirkte und in Richtung des Meeres sah. Unwillkürlich musste sie lächeln, denn auch wenn sie nun schon zwei Mal in zwei Tagen befürchtet hatte, Jonathan würde eifersüchtig werden, war er es nicht und das machte sie ein wenig stolz. Es zeigte ihr, dass es ihm wichtig war, dass es ihr gutging.
Plötzlich spürte sie, wie jemand zu dicht hinter sie trat. Erschrocken fuhr sie zusammen und wandte sich um. Sie blickte in das Gesicht eines Mannes im mittleren Alter, der sie dämlich angrinste. Offensichtlich war er leicht angetrunken, denn er grinste dämlich breit, wodurch sich Fältchen um seine Augen bildeten. Sein Haar war lockig und blond-grau und er trug ziemlich hässliche, helle Leinenhosen und ein beiges Polohemd.
Glücklicherweise trat die Frau, die vor Sheila in der Schlange stand, einen Schritt vor und sie konnte dem Mann ein wenig ausweichen. Es war ihr unangenehm, dass er ihr so nahe gekommen war und eilig wandte sie den Blick ab.
„Where are you from?", sprach der Kerl sie an, doch Sheila entschied sich, ihn einfach zu ignorieren. Sie hatte keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten, auch wenn sie an seinem starken Akzent hörte, dass auch er aus Deutschland kommen musste.
„You look beautiful", plapperte der Mann weiter, woraufhin Sheila ihren Teller fester umklammerte und hilfesuchend zu Jonathan sah, der noch immer aufs Meer blickte und gerade einen Schluck von seiner Cola nahm.
Wieder spürte sie, dass der Typ viel zu nah an sie herantrat, als es angemessen wäre. Allmählich wurde sie wütend, denn sie fand es einfach nur widerlich, wenn Typen sich auf so plumpe Art und Weise an sie heranmachten.
„Ich bin verheiratet", fuhr sie ihn an, verließ ihren Platz in der Schlange und marschierte zurück zu Jonathan. Als er sie bemerkte, sah er verwirrt aus und sein Blick fiel auf ihren leeren Teller.
„Was ist?", fragte er, sah aber sofort beunruhigt aus. Sheila seufzte.
„In der Schlange war hinter mir so ein komischer Typ, der mir auf die Pelle gerückt ist. Kannst du mit mir kommen?", fragte sie, woraufhin sich Jonathans Augen zu Schlitzen verengten.
Wütend sprang er auf, als wollte er losstürmen, doch in letzter Sekunde schien er sich zu besinnen und sein Blick wurde wieder weich.
„Hat er dich... angefasst oder so?", fragte er und strich sanft über ihren Arm. Sheila berichtete in kurzen Sätzen, was passiert war, dann gingen sie gemeinsam zurück zum Buffet. Der Kerl stand noch immer da, als letzter in der Schlange.
„Der da, mit der komischen Leinenhose", sagte sie leise zu Jonathan und machte eine abwertende Kopfbewegung in die Richtung des Mannes. Jonathan nickte und bedeutete ihr mit einem strengen Blick, dass sie hier stehen bleiben sollte, während er zu dem Kerl marschierte.
Sheila umklammerte wieder ihren Teller und verfluchte nicht zum ersten Mal, dass sie anscheinend auf viele Männer attraktiv wirkte. Früher, als sie siebzehn oder achtzehn gewesen war, hatte es ihr gefallen, von Jungs umgarnt zu werden, aber jetzt fand sie es nur noch nervig.
Sie beobachtete, wie Jonathan den Typ unsanft an der Schulter anstieß und ihn böse anfunkelte. Verwirrt sah er ihn an, doch als sein Blick auf sie ein paar Schritte entfernt fiel, grinste er verwegen.
„Sie haben meine Frau bedrängt, lassen Sie das gefälligst", sagte Jonathan ernst und vielleicht auch ein bisschen drohend, doch den Typen schien es kein bisschen zu interessieren. Sein Blick war noch immer auf Sheila gerichtet, was sie sich ein wenig unwohl fühlen ließ.
„Du solltest deiner Frau mal beibringen, sich nicht wie eine Hure anzuziehen", sagte der Kerl, grinste Sheila geifernd an und machte sich dann aus dem Staub. Sheila spürte, wie sich auch noch andere Blicke auf sie richteten, denn einige Leute schienen mitbekommen zu haben, was dieser Kerl gesagt hatte. Sheila wäre am liebsten im Erdboden versunken.
„Arschloch", murmelte Jonathan, kam dann wieder zu ihr und legte den Arm um sie.
„Na komm. Lassen wir uns nicht von so einem Idioten den Abend vermiesen", sagte er und schob sie zurück zum Buffet. Sheila nickte, wollte aber in diesem Moment am liebsten zurück ins Hotelzimmer und sich verkriechen. In ihrem Kopf hallte dieses eine Wort wieder, das der Kerl gesagt hatte. Hure. Auch Ville, ihr Ex, hatte sie so genannt. Ohne es verhindern zu können stiegen ihr Tränen in die Augen, die sie panisch wegblinzelte.
„Alles okay?", fragte Jonathan leise und eilig nickte sie. Dennoch legte Jonathan schützend einen Arm um sie, während er sie näher an das Buffet heranschob.
„Machen wir uns trotzdem einen schönen Abend. Vergiss den Trottel. Hier, das musst du probieren", sagte Jonathan, zweifelsfrei in dem Versuch, sie aufzumuntern. Tatsächlich musste sie ein wenig lächeln, denn seine Begeisterung fürs Essen war schon verrückt.
„Okay", brachte sie hervor und tatsächlich fühlte sie sich ein klein wenig besser.
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