Kapitel 35 - Sheila

Teil 2

Sheila hielt Monas Hand fest umklammert und versuchte sie so zu beruhigen. Auch Sheila war nervös, denn sie war schon einige Jahre lang nicht mehr geflogen. Mona sah neugierig aus dem Fenster, obwohl das Flugzeug noch immer stand und die letzten Fluggäste einstiegen. 

„Bist du schon aufgeregt?", fragte Sheila ihre Tochter, die nur schwach nickte und dann weiterhin fasziniert aus dem Fenster sah. Ihre Hand hielt sie jedoch fest umklammert. Sheila sah zu Jonathan, der auf der anderen Seite neben ihr saß. Er lächelte und sie wusste, dass auch er sich auf die Reise freute. 

In den letzten Wochen hatten sie noch ein paar Mal über Leonard geredet und Jonathan hatte darauf bestanden, dass sie ihm hoch und heilig versprach, ihm sofort zu erzählen sollte er sie auch nur in seinen Augen unangemessen ansehen. Sheila hatte eingewilligt, denn wenn es ihn beruhigte und er nicht eifersüchtig wurde, wäre es für sie in Ordnung. 

Allerdings plante sie nicht, dass sie allein etwas mit Leonard unternahm, sondern sie entweder als Gruppe unterwegs waren oder Leonard sich allein etwas ansah. Sheila wusste, dass Leonard sich ein wenig fühlte, als würde er sich zwischen sie als Familie drängen, aber Sheila sah das nicht so. Mona mochte Leonard und freute sich darauf, mehr Zeit als sonst mit ihm zu verbringen und Sheila war froh, dass Leonard versprochen hatte, sie den ein oder anderen Abend zu beschäftigen, damit sie und Jonathan Zeit für sich hatten. 

„Bist du okay? Du siehst nachdenklich aus", fragte Jonathan leise an ihrem Ohr, was Sheila aus ihren Gedanken riss. Eilig wandte sie den Kopf zu ihm um und nickte. Dennoch wanderte ihr Blick für einen Moment an Jonathan vorbei zu Leonard, der in der Reihe auf der anderen Seite des Flurs saß. Er blätterte in einer der Werbezeitschriften der Fluglinie herum und schien ihren Blick nicht zu bemerken. 

„Ja, alles okay. Nur ein wenig aufgeregt. Es ist doch Monas erster Flug", erklärte sie. Jonathan lächelte und griff nach ihrer Hand. Sanft strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken. 

„Mach dir keine Gedanken. Sie wird schon alles unbeschadet überstehen", sagte er beschwichtigend, denn tatsächlich war es Sheila gewesen, die sich mehr Sorgen machte. 

Stundenlang hatte sie im Internet recherchiert, ob Mona ihre Hörimplantate herausnehmen musste, damit die Funksignale des Flugzeugs nicht gestört wurden, doch recht schnell hatte sie bemerkt, dass sie sich unnötig Sorgen machte. Jonathan schien das alles gelassener zu sehen und auch Mona schien sich keinerlei Gedanken zu machen. 

„Und ich bin aufgeregt. Ich war schon so lange nicht mehr am Meer", fuhr sie fort und erinnerte sich an ihre Weltreise kurz nach ihrer Hochzeit zurück. Sie hatten unendlich viele Länder bereist und waren insgesamt sieben Monate unterwegs gewesen. 

Mehr als einmal war sie nah an einem Nervenzusammenbruch gewesen, doch Jonathan hatte sie immer wieder auf dem Boden gehalten. Als sie sich im Regenwald in Brasilien verlaufen und von einem Gewitter überrascht worden waren oder als sie in einer dunklen, engen Höhle in herumgekrochen waren und ein riesiger Schwarm Fledermäuse nur Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt vorbeigerauscht war. Im Nachhinein erinnerte sie sich gern daran zurück, doch in diesem Moment hatte sie sich panisch an Jonathan geklammert, während er sie beschützt hatte. 

„Pass dieses Mal vor Spinnen auf", raunte Jonathan ihr zu, lachte dann aber in sich hinein. Ganz offensichtlich schwelgte auch er gerade in Erinnerungen an ihrer Reise. 

Sheila war bei einem Stopp in Louisiana von einer Spinne gebissen worden und musste sogar ins Krankenhaus. Bei der Erinnerung schüttelte es sie, denn die Schmerzen waren wirklich schlimm gewesen und es hatte sich sogar eine kleine Nekrose, etwa so groß wie eine Euromünze, gebildet. Jonathan war fast verrückt geworden vor Sorge, doch sie hatte alles gut überstanden. 

„Keine Sorge", lachte sie, dann lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Schon in wenigen Stunden würden sie auf Lanzarote sein und die warme Sonne genießen können. Mona wollte zuerst an den Strand und sie hatten ihr versprochen, ihr diesen Wunsch zu erfüllen.

**********************

Sechs Stunden später stiegen sie aus dem Bus, der sie vom Flughafen zum Hotel gebracht hatte. Mona hatte die meiste Zeit vom Flug und von der Busfahrt verschlafen, genau wie Jonathan. Leonard hatte im Bus neben Sheila gesessen, denn Mona wollte unbedingt neben ihrem Vater sitzen. Auch wenn sie Jonathans argwöhnischen Blick bemerkt hatte, war er still geblieben, denn sollte er sich schon darüber aufregen, dass sie und Leonard nebeneinander im Bus saßen, dann würde das ein ziemlich anstrengender Urlaub werden. 

Doch nun standen sie vor dem Rezeptionsgebäude der Hotelanlage. Jonathan und Leonard holten ihre Zimmerschlüssel, während Sheila und Mona draußen in der Sonne warteten. Sheila nutzte die Zeit, erst Mona und dann sich selbst mit Sonnencreme einzuschmieren, denn einen Sonnenbrand konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen. Mona ließ es klaglos über sich ergehen, auch wenn sie die ganze Zeit das Gesicht verzog. 

„Gleich bringen wir unsere Koffer ins Zimmer und dann gehen wir an den Strand. Schau mal, da hinten sieht man schon das Wasser", sagte Sheila und deutete mit dem Finger in Richtung des Meeres. 

Die Hotelanlage, die aus mehreren zweistöckigen, beigen Apartmentkomplexen bestand, hatte einen eigenen Strandabschnitt. Mona reckte sich und als sie den Strand entdeckte, fing sie aufgeregt an auf und ab zu hüpfen. 

„Ja! Und ich will schwimmen gehen!", verkündete sie und lachte. Sheila erwiderte ihr Lachen und nickte. 

„Ja, das ist eine gute Idee. Nimmst du mich mit?", fragte sie und Mona nickte eifrig. 

„Ich nehme dich mit und Papa und Onkel Leonard", antwortete sie, was Sheila beruhigte. Sicherlich würde sie sie nicht allein ins Wasser lassen, zumindest nicht am Anfang. Mona blickte in Richtung des Rezeptionsgebäudes und seufzte. 

„Papa redet immer noch mit der Frau", seufzte sie und nun folgte Sheila ihrem Blick. Genau in diesem Moment nahm Jonathan einige Unterlagen von der Rezeptionistin entgegen, reichte einige davon Leonard und kam wieder zu ihnen nach draußen. 

Er grinste übers ganze Gesicht, reichte Sheila eine kleine Papphülle mit den Schlüsselkarten darin und schnappte sich ihre beiden Koffer, während Leonard seinen eigenen und den von Mona nahm. Sheila schulterte ihre Handtasche und hielt Mona die Hand hin, die sie sofort nahm. 

„Gebäude 37 Apartment A und B", sagte Leonard, deutete mit dem ausgestreckten Arm in eine Richtung und marschierte über den Vorplatz vor der Rezeption auf einen der Wege zu, die davon abgingen.

Sheila und Mona folgten ihm und auch Jonathan setzte sich in Bewegung. Er räusperte sich und als Sheila sich zu ihm umwandte, schüttelte er langsam den Kopf. 

„Was ist?", fragte sie, doch er brummte nur etwas Unverständliches. Wahrscheinlich war er noch etwas grummelig von der Busfahrt, denn immer wenn er morgens aufwachte, war er erst einmal schlecht gelaunt. 

Sie folgten Leonard den Weg entlang, der sich durch die Apartmenthäuser schlängelte. Zwischen den einzelnen Häusern lagen Wiesen, durchzogen von kunstvoll angelegten Blumenbeeten. Überraschend zielstrebig führte Leonard sie zu einem der Häuser, die nur wenige Meter vom Strand entfernt lagen. 

„Nummer 37", sagte er und sah sich suchend um. 

„A ist hier und B direkt gegenüber", fuhr er fort und stellte Monas bunten Koffer vor der Tür mit der Aufschrift A ab. Ihre beiden Apartments wurden von einem weiß gefliesten, offenen Flur abgegrenzt, an dessen Ende eine Treppe in das obere Stockwerk führte. 

„Das hier ist unser Zimmer?", fragte Mona aufgeregt, während Sheila die Schlüsselkarte in das kleine Lesegerät neben der Tür schob. 

„Ja, das hier ist unser Zimmer und Onkel Leonards Zimmer ist direkt da vorn", erklärte Jonathan ihr und deutete zu Leonard, der ihr zuwinkte und dann in seinem Zimmer verschwand. Bevor er die Tür schloss, streckte er noch einmal den Kopf heraus und winkte. 

„In einer halben Stunde am Strand?", fragte er und Jonathan streckte den Daumen nach oben. Sheila öffnete die Tür und betrat das angenehm kühle Apartment. 

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