Kapitel 34 - Jonathan
Als Jonathan vom Kindergarten zurück nach Hause kam, war Sheila nicht da. Vielleicht quatschte sie noch mit Karim oder sie schlenderte ein wenig durch die Innenstadt.
Er beschloss, hier auf sie zu warten, falls sie jemanden zum Reden brauchte und anschließend zu arbeiten. Auch wenn er dann heute Abend sicherlich noch etwas arbeiten musste, wollte er sie nicht allein lassen, wenn sie durcheinander war.
Er setzte sich aufs Sofa und holte sein Handy heraus, doch niemand hatte sich bei ihm gemeldet. Er lehnt sich in die Kissen zurück und streckte sich. Seine Knochen knackten und er spürte, wie er Rückenschmerzen bekam.
Wahrscheinlich würde ihm ein wenig Bewegung im Urlaub gut tun. Sheila mochte es, im Urlaub stundenlang spazieren zu gehen. Bei dem Gedanken an den Urlaub spürte er das angenehme Gefühl der Vorfreude in sich aufsteigen. Auch wenn Leonard mit dabei sein würde und er sicherlich auf einige Ausflüge mitkommen wollte, trübte das seine Freude nicht.
Gestern Abend hatten sie lange geredet, zwar meist über Belangloses, aber auch ein wenig über Sheila. Jonathan wusste, dass Leonard sie sehr mochte, auch wenn er vehement behauptete, dass er sie nur als eine Freundin mochte. Irgendwie wusste er, dass Leonard öfter an Sheila dachte, als er sollte.
Kopfschüttelnd vertrieb er diesen Gedanken, denn gleichzeitig wusste er auch, dass Sheila nicht so empfand und normalerweise musste dieses Gefühl nach mehr als Freundschaft von beiden ausgehen, damit etwas passierte.
Unwillkürlich dachte er an jenen Abend zurück, als zwischen den beiden mehr passiert war. Es war sein Geburtstag gewesen und er hatte sie erwischt, wie er sie befummelte und sie es zuließ. Schon unzählige Male hatte Sheila ihm versichert, dass sie niemals mit ihm geschlafen hätte, aber allein die Vorstellung, wie weit sie möglicherweise gegangen wäre, hätte er sie nicht unterbrochen, bereitete ihm Magenschmerzen.
Sein Herz setzte für einen Schlag aus, denn er sah dieses eine Bild vor sich, das ihn schon so lange quälte. Sheila und Leonard zusammen.
Jonathan keuchte, was ihn gleichzeitig zurück in die Gegenwart holte. Kopfschüttelnd stand er auf und ging in die Küche. Seine Fantasie drehte mal wieder durch. Das musste er dringend in den Griff kriegen, denn sonst tat oder sagte er noch irgendetwas Dummes, was Sheila verletzte.
Nicht ganz unsanft schlug er sich mit der Hand gegen dir Stirn und sagte sich immer und immer wieder, dass das Blödsinn war.
Er ließ den Blick durch die Küche schweifen und blieb bei den Resten des Kuchens von gestern hängen. Er stand auf der Arbeitsfläche unter einer Haube, die er vorsichtig abnahm, als hätte er Angst, bei etwas Verbotenem erwischt zu werden. Er holte sich einen Teller aus dem Schrank, lud gleich zwei Stücke darauf und ging zurück zum Sofa. Sheilas Backkreationen schmeckten einfach zu gut.
Genau in dem Moment, als er sich niederließ, sah er einen Schatten draußen vor dem Fenster. Erst erschrak er, doch als er genauer hinsah, erkannte er Sheila. Er stellte den Teller mit dem Kuchen vor sich auf dem kleinen Wohnzimmertisch ab und ging ihr entgegen. Als sie hereinkam, zuckte sie zusammen, als hätte sie ihn nicht erwartet.
„Oh hey", sagte sie und lächelte.
„Wie war es?", fragte er, während er ihr die Handtasche abnahm und auf die Ablage an der Garderobe stellte. Sheila streifte ihre Schuhe von den Füßen und küsste ihn auf die Wange, bevor sie antwortete.
„Ganz okay. Ich meine... er ist nicht wütend oder so und wir haben uns noch ein wenig unterhalten", antwortete sie, griff dann nach ihrer kleinen schwarzen Handtasche und zog einen weißen Umschlag heraus.
„Hier, das hat er uns geschenkt", sagte sie dann und um ihre Lippen zuckte es. Jonathan sah sie verwirrt an, denn damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet.
„Okay...", sagte er langsam und öffnete den Umschlag. Als er sah, was darin war, riss er die Augen auf.
„Naja, er arbeitet im Operettenhaus und konnte uns Karten besorgen. Er meinte, wir könnten ihn ja besuchen kommen, wenn wir sie einlösen", erklärte sie. Jonathan staunte, denn das war wirklich nett.
„Ich dachte, vielleicht hättest du Lust, mit mir und Mona ein verlängertes Wochenende in Hamburg zu verbringen", sagte sie schulterzuckend und sah ihn an, als wäre sie nicht sicher, ob er das gut finden würde.
„Ja, das wäre schön", sagte er, schob die Karten zurück in den Umschlag und legte ihn neben ihrer Handtasche ab. Er zog sie in eine feste Umarmung und strich ihr sanft übers Haar.
„Und wie geht es dir sonst? Ich meine... heute Morgen warst du ein bisschen durcheinander", fragte er leise an ihrem Ohr, woraufhin sie ihn noch fester umarmte.
„Ich habe mich noch nicht entschieden, wie es mit dem Tanzstudio weitergeht, aber ich bin erleichtert, dass Karim nicht sauer auf mich ist", sagte sie, anschließend löste sie sich von ihm, hielt aber seine Hände fest.
„Ein Schritt nach dem anderen. Du musst dich ja nicht sofort entscheiden", erwiderte er und sie nickte.
„Stimmt. Aber... musst du nicht arbeiten?", fragte sie, was ihn zum Lachen brachte.
„Willst mich wohl los werden", witzelte er, doch Sheila zuckte die Schultern.
„Nein, das nicht, aber... wenn du tagsüber so viel Zeit verplemperst, gehst du nachts immer rüber und... ich schlafe nicht gern allein", sagte sie und schluckte schwer. Jonathans Blick wurde weich, denn er wusste gar nicht, dass sie das so sehr bedrückte.
„Oh... dann... mache ich mich besser auf den Weg. Ich wollte nur sicher gehen, dass mit dir alles okay ist", erklärte er, doch Sheila winkte ab.
„Mit mir ist alles okay", versicherte sie und beugte sich vor, um ihn zu küssen.
„Gut", sagte er, dann griff er nach ihrer Hand und zog sie ins Wohnzimmer.
„Aber zuerst müssen wir noch ein Stück Kuchen essen", sagte er, woraufhin Sheila gluckste.
„Es ist neun Uhr morgens", erwiderte sie, doch Jonathan zuckte die Schultern.
„Genau die richtige Zeit für Kuchen", lachte er und führte sie zum Sofa.
„Oh, du wolltest direkt zwei Stücke essen?", fragte sie mit einem Unterton, der eindeutig heißen sollte, dass er verfressen war.
„Nein, wie kommst du darauf? In weiser Voraussicht habe ich eins für dich mit auf meinen Teller gelegt", scherzte er, was sie kichern ließ.
„Du bist bescheuert", lachte sie, ließ sich dann mit einem zufriedenen Seufzen auf dem Sofa nieder und griff nach einem Stück Kuchen. Sie hielt ihre Hand darunter, um die Krümel aufzufangen und biss anschließend genüsslich hinein.
„Das Rezept können wir uns mal merken, oder?", fragte sie und sah ihn neugierig an.
„Ja, schmeckt gut", kommentierte er, auch wenn er das zu jedem ihrer Kuchen sagte. Eine Weile aßen sie schweigend, doch dann stupste Sheila ihn mit dem Knie an.
„Hm?", fragte er mit vollem Mund und sah sie fragend an.
„Leonard hat Kathi nicht mehr getroffen?", fragte sie dann, ganz offensichtlich neugierig, über was er mit ihm gestern Abend geredet hatte.
„Nein, zumindest gestern Abend nicht. Er meinte, er will sich das Drama nicht antun und bleibt lieber allein", antwortete er und Sheila nickte wissend.
„Find ich gut. Also, dass er sie nicht zurücknimmt. Sie war doof", sagte sie trocken, was ihn glucksen ließ.
„Wir haben sie doch gar nicht richtig kennengelernt", verteidigte er Kathi, auch wenn sein erster Eindruck auch nicht gerade positiv gewesen war.
„Naja, vielleicht lernt er ja im Urlaub jemanden kennen", lachte sie und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen. Jonathans Herz wurde schwer, doch dann nickte er.
„Ja, ich würde mich für ihn freuen, wenn er endlich die Richtige findet", sagte er, beobachtete aber genau Sheilas Reaktion. Er kannte sie inzwischen gut und wusste, dass sie nichts für sich behalten konnte. Zwar sagte sie manche Dinge nur indirekt und er begriff es meistens erst, wenn es zu spät war, aber in diesem Moment spürte er, dass sie ihm etwas sagen wollte.
„Ja, ich auch", seufzte sie dann und wandte den Blick ab. Jonathan schob sich das letzte Stück seines Kuchens in den Mund, stellte den Teller auf den Tisch und musterte sie. Sie war wirklich eine schlechte Lügnerin.
„Hat er was zu dir gesagt?", fragte er dann, woraufhin Sheila ihr verbleibendes Stück Kuchen auf den Teller legte und sich die Hände abklopfte.
„Nein", sagte sie, doch es war eindeutig gelogen. Jonathan spürte, wie seine Eifersucht in ihm aufkochte, denn wenn sie es ihm eigentlich nicht sagen wollte, dann würde das diese Eifersucht eindeutig anheizen.
„Sheila", mahnte er und griff nach ihren Händen. Noch immer hielt sie den Blick gesenkt und wich dem seinen aus.
„Ich habe versprochen, nichts zu sagen. Aber... ich wäre erleichtert, wenn er im Urlaub... abgelenkt wird", sagte sie kryptisch. Jonathan schüttelte ungläubig den Kopf.
„Was für ein Arsch. Er hat dir doch nicht etwa gesagt, dass er sich an dich ranmachen will, oder? Sag mir, dass er das nicht gesagt hat", sagte er drängend und vielleicht auch ein wenig zu aufbrausend. Sheila seufzte hob dann aber den Blick und sah ihm direkt in die Augen.
„Ich habe versprochen, es dir nicht zu sagen, aber... ich weiß, dass dein Problem diese Eifersucht ist und ich will nichts tun, was das verschlimmert", sagte sie, was Jonathan schnauben ließ.
„Du sagst das so, als wäre das eine... Krankheit oder so", beschwerte er sich, doch Sheilas eindringlicher Blick ließ ihn wieder ruhiger werden.
„Jetzt hör erst einmal zu, bevor du sauer wirst. Er hat mir gesagt, dass er mehr für mich empfindet. Aber gleichzeitig hat er auch gesagt, dass ihm bewusst ist, dass er keine Chance bei mir hat. Er meinte, er wird nichts versuchen, was uns auseinanderbringt", sagte sie ruhig, doch ihr Blick war gequält. Jonathan fing an zu zittern, atmete aber ein paar Mal tief ein und aus, um sich zu beruhigen.
„Ich wusste es. Er ist so ein hinterhältiger Idiot. Warum sagt er dir sowas?", fragte er, doch Sheila zuckte die Schultern.
„Ich glaube, es ist ihm nur so herausgerutscht. Er weiß, dass es aussichtslos ist und hat sich damit abgefunden", sagte sie eindringlich, während sie etwas näher an ihn heranrutschte.
„Toll", stieß er aus, panisch gegen die aufkommenden Bilder ankämpfend, die seine Eifersucht zum überkochen brachten.
„Ich will nichts von ihm, das weißt du. Aber... ich wollte, dass du es vorher weißt. Nicht, dass... ich meine... ich weiß auch nicht. Ich wollte dir nur noch einmal sagen, dass du... dich nicht in was reinsteigern sollst, was nicht da ist", stammelte sie und umfasste sein Gesicht mit den Händen.
Jonathan schluckte schwer. Sheila wollte, dass er vorher über alles Bescheid wusste und nicht zu viel in Leonards Blick interpretierte.
„Ich verspreche dir, ich werde nichts tun oder sagen, was ihn hoffen lässt. Ich werde mich niemals in ihn verlieben, dafür bin ich viel zu glücklich mit dir", sagte sie eindringlich und irgendwie beruhigten ihn ihre Worte. Es würde wahrscheinlich immer diese gewisse Spannung zwischen ihnen dreien geben, aber wenn er sich Sheilas Gefühlen für ihn sicher sein konnte, war es für ihn im Zaum zu halten. Allmählich beruhigte sich sein Herzschlag wieder und er nickte langsam.
„Danke, dass du mir das gesagt hast. Ich werde dich nicht verraten und... ich bemühe mich wirklich, nicht zu eifersüchtig zu sein. Ich weiß, dass diese Gefühle nur von seiner Seite ausgehen", sagte er und beinahe erleichtert atmete Sheila aus. Sie ließ ihre Hände von seinen Wangen auf seine Schultern sinken und kletterte dann auf seinen Schoß.
„Ich bin so stolz auf dich, dass du dich bemühst, nicht eifersüchtig zu sein. Es gibt wirklich keinen Grund", flüsterte sie leise in sein Ohr. Jonathan nickte, denn auch wenn es ihm wirklich schwer fiel, wollte er durch seine Eifersucht nicht seine Ehe gefährden.
„Vielleicht musst du doch eine Nachtschicht einlegen", hauchte Sheila und ließ ihre Hand seinen Körper entlangwandern. Sein Körper reagierte auf ihre Berührungen und er zog sie zu einem Kuss heran. Seine Eifersucht war wie weggeblasen und er ärgerte sich, dass er sie zuließ. Sheila bewies ihm mit jedem Tag, dass sie ihn liebte und nichts an ihrem Leben ändern wollte. Sie hatte sich für ihn entschieden und er wusste, dass sie, genau wie er selbst, den Rest ihres Lebens mit ihm verbringen wollte.
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