Kapitel 28 - Jonathan
Mona wirkte so glücklich, als Jonathan ihr sagte, dass sie heute Nachmittag Besuch von Leonard bekommen würden, um nach Urlaub zu suchen. Ganz hibbelig war sie geworden und es machte ihn selbst unendlich glücklich, sie so zu sehen.
Inzwischen war er wieder zu Hause angekommen und marschierte gerade das kurze Stück bis zu seinem Studio, das nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt lag. Jonathan wurde bei dem Gedanken an seinen bevorstehenden Besuch in Bremen ganz nervös, gleichzeitig musste er daran denken, wie viel er hier noch zu tun hatte. Er würde alle seine größeren Projekte abschließen und sich genug Zeit einräumen, damit er alles rechtzeitig schaffte. Doch er war guter Dinge, dass er das hinbekommen würde.
Er betrat sein Studio, stolperte halb über die herumliegenden leeren Flaschen, die er schon seit zwei Wochen wegräumen wollte und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. Er holte sein Handy aus seiner Hosentasche, um Sheila viel Spaß bei ihrem Training zu wünschen. Auch wenn er das jeden Tag machte und es eigentlich schon Routine war, schien es sie immer noch zu freuen.
Anschließend legte er sein Handy neben sich auf seinen Schreibtisch und schaltete seinen Computer ein. Unschlüssig, was er heute als erstes tun sollte, öffnete er seine To-Do-Liste und überflog sie.
Genau in diesem Moment traf eine neue Mail ein, die seine seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Zu seiner Überraschung war sie von Anna aus Bremen und neugierig und nervös zugleich las er sie.
„Hi! Ich wollte dir noch einmal sagen, dass wir uns schon auf unseren Termin in zwei Monaten freuen. Hier haben wir ein paar Ideen, könntest du irgendetwas Brauchbares daraus machen, bis du zu uns kommst? Liebe Grüße Anna", las er und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte.
Er öffnete die angehängten Dateien und stellte fest, dass es sich um erste Ideen für neue Songs handelte. Jonathans Hände fingen an zu schwitzen, denn er konnte nicht fassen, dass er offensichtlich diese Songs fertig schreiben sollte. Er fügte diesen Punkt auf seiner stetig wachsenden To-Do-Liste hinzu und überlegte, was er Anna antworten könnte. Dass er ihrer Bitte nachkam, stand außer Frage, allerdings würde er zunächst andere Dinge erledigen, die er schon viel zu lange aufschob.
„Hi Anna, ich kann es auch kaum erwarten, endlich zu euch zu kommen. Ich werde mein Bestes geben und etwas zusammenbasteln. Hoffentlich gefällt es euch. Liebe Grüße", antwortete er und drückte mit zitternden Fingern auf Senden. Anna schien wirklich nett zu sein, was ihm ein wenig von seiner Nervosität nahm. Allerdings musste er nun etwas Anständiges zustande bringen, was er ihr und Brian zeigen konnte.
Seufzend schüttelte er den Kopf, denn sein Hirn fing schon an, sich die tollsten Ideen auszudenken. Aber zuerst musste er seine alltägliche Arbeit erledigen. Erst der Spaß, dann das Vergnügen, hieß es doch so schön. Ein wenig missmutig sah er wieder auf die To-Do-Liste, die er nun nach und nach abarbeiten wollte.
Eine ganze Weile hatte er schon gearbeitet, als auf einmal sein Handy klingelte. Verwirrt, wer ihn um diese Zeit anrufen könnte, sah er auf das Display.
Als er Sheilas Namen las, durchfuhr ihn ein Schock. War etwas passiert? Konnte sie doch nicht anständig trainieren wegen ihrem verstauchten Knöchel? Eilig nahm er das Gespräch an.
„Hey, ist alles okay?", fragte er.
„Ich stehe vor der Tür, lässt du mich rein?", fragte sie und an dem Klang ihrer Stimme erkannte er sofort, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
„Ja, warte kurz", sagte er, legte auf und eilte zur Tür, die er wie gewöhnlich von innen verriegelte, um nicht von ungebetenen Gästen gestört zu werden. So schnell es ging öffnete er die Tür und sah in Sheilas verheultes Gesicht. Sofort klingelte alle Alarmglocken in ihm und er zog sie in einer feste Umarmung.
„Hey, was ist denn?", fragte er leise und legte seine Hände um ihr Gesicht, um sie anzusehen. Sie sah ihn ausdruckslos an, schwieg aber. Mit dem Fuß schob sie die Tür zu, dann klammerte sie sich an seinem T-Shirt fest und schmiegte ihr Gesicht an seine Schulter. Noch immer sagte sie keinen Ton, was ihn allmählich wirklich beunruhigte.
„Sheila, was ist passiert?", fragte er nun drängender, doch sie schüttelte nur den Kopf. Er spürte ihr Haar an seiner Wange und bemerkte, dass es noch feucht war. Er schob sie bestimmt ein Stück von sich weg und suchte ihren Blick. Endlich erwiderte sie ihn, während sie schwer schluckte.
„Karim zieht weg. Nach Hamburg", sagte sie und zog gequält die Augenbrauen zusammen. Jonathan brauchte einen Moment, bis er begriff, was das bedeutete, doch dann zog er sie wieder in eine feste Umarmung.
Karim würde nicht mehr mit ihr trainieren können und wenn er ehrlich war, wusste er nicht, was das mit Sheila anstellen würde. Sie liebte das Tanzen mit ihm, auch wenn es nur zum Spaß war. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie durch das Tanzen am Boden gehalten wurde, denn seit sie und Karim sich regelmäßig trafen um zu Tanzen, ging es ihr so gut wie nie.
Sheila klammerte sie hilfesuchend an ihn, so als wäre er ein Rettungsring, der sie vor dem Ertrinken retten könnte.
„Wann zieht er denn um?", fragte er, aber es dauerte eine Weile bis Sheila darauf reagierte.
„Schon am nächsten Wochenende. Aber... er...", setzte sie an, unterbrach sie dann aber und seufzte.
„Er meinte, dass wir sowieso nicht die Chance hätten, aufzutreten. Ich meine... ich weiß, dass es für eine Karriere zu spät ist, aber... ich habe immer gehofft, dass wir vielleicht irgendwann die Chance bekommen würden...", setzte sie erneut an, vergrub dann aber das Gesicht an seiner Schulter und schluchzte.
Jonathans Brust zog sich zusammen, denn wenn er ehrlich war, hatte er nicht damit gerechnet, dass diese Erkenntnis sie so hart treffen würde. Natürlich wusste er, dass sie davon träumte, auf einer großen Bühne zu stehen. Aber er hatte das als eine Tagträumerei abgetan.
Gleichzeitig wollte er nicht noch mehr Salz in ihre Wunden streuen und fing an, sanft mit den Fingern durch ihr Haar zu fahren.
„Beruhige dich erst einmal und dann erzählst du mir alles, okay?", fragte er und spürte an seiner Schulter, wie sie nickte. Sie löste sich von ihm und ließ sich auf dem kleinen Sofa nieder, den Blick auf ihre Hände gerichtet.
Jonathan setzte sich neben sie und verschränkte seine Finger mit ihren. Sanft strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken, um sie zu beruhigen. Sie atmete ein paar Mal kontrolliert ein und aus, dann suchte sie seinen Blick.
„Ich habe das nur nicht erwartet, deswegen... bin ich so durch den Wind. Und vielleicht hätte ich ihn nicht so stehen lassen sollen", sagte sie dann, zuckte aber die Schultern, so als wüsste sie, dass sie etwas falsch gemacht hatte, wollte aber gleichzeitig noch wütend sein.
„Du kannst ihn immer noch anrufen. Aber... warum genau zieht er denn um?", erkundigte er sich, denn wenn er Sheila einmal zum Reden gebracht hatte, wäre ihr Kummer hoffentlich schnell vergessen. Sie schluckte schwer, dann räusperte sie sich und fing an, von ihrem Vormittag zu erzählen. Jonathan unterbrach sie kein einziges Mal und mit jedem weiteren Wort schien die Anspannung von ihr abzufallen. Auch wenn es oft nur so daher gesagt war, dass Reden half, traf es bei ihr zu.
Als sie geendet hatte, ließ sie ihren Kopf auf seine Schulter sinken.
„Meinst du, ich soll mich bei ihm entschuldigen, dass ich einfach weggegangen bin?", fragte sie ihn und auch wenn er ihre Reaktion durchaus nachvollziehen konnte, wäre das nur anständig von ihr.
„Ja, mach das. Es wäre doch schade, wenn ihr im Streit auseinander geht", antwortete er und spürte, wie Sheila an seiner Schulter nickte.
„Ich schreibe ihm am besten direkt", sagte sie dann, sprang auf und kramte ihr Handy aus ihrer Handtasche, die neben ihr auf dem Sofa gelegen hatte. Jonathan beobachtete, wie sie auf ihrem Handy herumtippte und es anschließend wieder in ihre Tasche warf.
„Gut, das habe ich. Woran hast du gerade gearbeitet?", fragte sie und ihre Traurigkeit von vorhin schien wie weggeblasen zu sein. Etwas verwirrt von ihrem schnellen Stimmungswechsel kratzte er sich verlegen am Kopf und versuchte sich wieder zu konzentrieren.
„Komm, ich zeige es dir", sagte er, stand nun ebenfalls auf und griff nach ihrer Hand. Bereitwillig folgte sie ihm in den hinteren Teil des Studios, der abgetrennt durch eine Wand mit Fenster und Tür vom Rest des Studios lag.
Er ließ sich mit einem Seufzen auf seinem Stuhl nieder, während Sheila mit einem dumpfen Geräusch die Tür hinter sich schloss. Ohne zu Zögern setzte sie sich auf seinen Schoß und schlang den Arm um ihn. Jonathan spürte, dass es ihm schwer fiel, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, wenn sie hier war.
„Hier", sagte er, klickte ein wenig herum und lauschte dann seiner Arbeit. Sheila schloss die Augen und fing an zu lächeln. Offensichtlich gefiel es ihr, auch wenn es noch nicht ganz fertig war.
„Hört sich schon wirklich gut an", sagte sie und schmiegte sich enger an ihn.
„Danke", murmelte er, doch ein wenig geschmeichelt fühlte er sich schon.
„Aber jetzt muss ich weiter arbeiten. Immerhin kommt Leonard heute Nachmittag", sagte er bestimmt und schob sie von sich herunter. Sofort spürte er das Verlangen, sie wieder auf seinen Schoß zu ziehen. Sheila seufzte, stemmte dann aber tatkräftig die Hände in die Hüften.
„Na gut. Und ich backe was für uns", sagte sie, beugte sich noch einmal zu ihm herunter, um ihn einen Kuss auf die Wange zu drücken und wandte sich dann zum Gehen.
„Warte", sagte er und sprang auf. Sie hielt inne und drehte sich noch einmal zu ihm um.
„Bist du wirklich okay?", fragte er, denn noch vor einer halben Stunde war sie ziemlich traurig. Ihr Blick traf den seinen und sie nickte.
„Ja, mach dir keine Sorgen. Ich bin in Ordnung", sagte sie, schluckte dann aber schwer. Jonathan suchte in ihrem Blick irgendetwas, das ihm verriet, dass sie log, aber er fand nichts. Vorsichtig streckte er die Hand nach ihr aus und strich über ihre Wange.
„Okay. Willst du Mona aus dem Kindergarten abholen oder soll ich?", fragte er dann, doch an ihrem Blick erkannte er schon ihre Antwort.
„Sie will lieber von dir abgeholt werden", sagte sie nur, dann ließ sie ihn allein. Einen Moment lang blieb er regungslos stehen, denn er glaubte ihr noch nicht so ganz, dass wirklich alles in Ordnung war. Immerhin würde Karim wegziehen und sie konnte nicht mehr mit ihm trainieren. Würde sie allein weiter tanzen?
Jonathan spürte, wie sich ein Knoten in seiner Brust bildete, denn er fing an, sich Sorgen um sie zu machen. Auch wenn es ihr in den letzten Jahren wirklich gut ging, schien sie manchmal gefährlich nah an den Abgrund zu rutschen. Sheila dachte darüber anders und sie versicherte ihm immer und immer wieder, dass sie in Ordnung war, aber er wurde die Sorge um sie nie ganz los.
Seufzend straffte er die Schultern und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er würde noch gut zwei Stunden Zeit haben, bis er sich auf den Weg machen musste, um Mona abzuholen. Er sollte diese Zeit nutzen, um nicht noch mehr in Verzug mit seinem Zeitplan zu geraten und so setzte er sich mit einem Ächzen wieder auf seinen Stuhl und wandte sich dem Bildschirm zu. Damit das Lied, das er eben Sheila gezeigt hatte, fertig wurde, musste er nur noch Kleinigkeiten ändern und wenn er sich nun dranhielt, würde er es locker in den zwei Stunden schaffen.
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