Kapitel 13 - Sheila
Sheilas Atem beruhigte sich allmählich, während sie und Karim sich gemeinsam die Videoaufnahme der heutigen Probe ansahen. Sie war durchaus selbstkritisch, aber heute schien alles zu funktionieren. Sie war nicht einmal gefallen, auch wenn sie in ihrer Choreo viele Hebefiguren hatten. Karim, ein schlaksiger, dunkelhäutiger Kerl mit Rastazöpfen, nickte anerkennend.
„Wir werden immer besser", sagte er und hielt ihr die Hand zu einem High-Five hin. Sheila schlug ein und lächelte ihn an. Bevor er das Lächeln erwiderte wandte er sich wieder seiner Kamera zu und schaltete sie ab.
„Wann hast du diese Woche Dienst?", fragte er, während er das kleine Gerät in die dafür vorgesehene Tasche packte.
„Morgen Nachmittag und am Donnerstag", antwortete sie, was Karim mit einem Nicken zur Kenntnis nahm.
„Okay, ich habe die ganze Woche jeden Tag Abenddienst, also könnten wir vielleicht ab morgen nicht ganz so früh loslegen?", fragte und sofort nickte Sheila.
„Klar, ich kann auch später. Wie wäre es um zehn?", schlug sie vor, denn wenn Karim Abenddienst hatte, musste er bis Mitternacht arbeiten. Er streckte den Daumen nach oben, grinste und schnappte sich seine Tasche.
„Okay, dann sehen wir uns morgen?", fragte er, auch wenn es schon seit einigen Monaten normal war, dass sie sich täglich am Vormittag trafen, um zu trainieren.
„Ja, bis morgen", sagte sie und griff ebenfalls nach ihrer Tasche. Komischerweise schien Karim heute wenig gesprächig zu sein, denn er verzog sich ohne ein weiteres Wort in die Umkleide. Auch Sheila ging in die Umkleide für Damen, ließ ihre Tasche auf die Bank fallen und sah zum ersten Mal, seit sie das Gespräch mit Leonard beendet hatte, auf ihr Handy.
Sie hatte eine Nachricht von Jonathan, der ihr wie jeden Morgen viel Spaß wünschte. Eilig tippte sie ein, dass sie sich auf den Weg machte, dann öffnete sie die Nachricht, die sie von Leonard erhalten hatte.
„Hilfe! Ich bin verzweifelt und brauche Ablenkung! Kathi hat mich überall blockiert und ich kann sie nicht mehr erreichen!", schrieb er und auch wenn es sicherlich nicht als Scherz gemeint war, musste sie grinsen. Es fiel ihr noch immer schwer, Leonard ernst zu nehmen, da er meistens zu Scherzen aufgelegt war. Dass er nun wirklich wegen etwas bedrückt war und eine Schulter zum Anlehnen brauchte, kam ihr irgendwie absurd vor.
Sheila schob ihr Handy in die Tasche, ohne ihm zu antworten. Auch wenn sie ihn nur zu gern zu sich eingeladen hätte, musste sie vorher mit Jonathan sprechen.
Wieder einmal musste sie daran denken, wie Jonathan ihr gesagt hatte, dass ihn ihr offensichtlich nicht normaler Körperkontakt zu Leonard störte. Sie schluckte schwer, denn einerseits wollte sie Jonathan nicht verärgern, gleichzeitig wollte sie sich nicht wegen seiner unbegründeten und vollkommen überzogenen Eifersucht verstellen.
Grübelnd zog sie sich um und machte sich dann auf den Weg nach Hause. Mona und Jonathan waren sicherlich schon zu Hause, wenn sie ankam und bei dem Gedanken an ihre Tochter breitete sich ein Lächeln auf ihren Lippen aus. Wie beschwingt beschleunigte sie ihre Schritte und lief durch den wunderbar sonnigen Tag bis nach Hause.
Mona saß am Esstisch und malte, während Jonathan in der Küche herumhantierte. Kochte er etwa? Keiner der beiden schien sie zu bemerken und erst als sie sich räusperte, hob Mona den Kopf und Jonathan streckte den Kochlöffel durch die Tür zur Küche und winkte damit.
„Hi Mama!", sagte Mona und Sheila ging zur ihr um den Tisch herum und strich ihr übers Haar. Neugierig warf sie einen Blick auf das Bild, das sie malte.
„Was malst du denn da?", fragte sie, auch wenn es eindeutig zu erkennen war.
„Das hier bin ich, das bist du, das ist Papa und das ist Onkel Leonard", erklärte sie und deutete auf die vier Männchen, die sie in die Fenster eines Flugzeuges gemalt hatte.
„Oh und wo fliegen wir hin?", fragte sie weiter, warf aber eilig einen nervösen Blick zu Jonathan in die Küche. Er wirkte ziemlich beschäftigt und seine Wangen waren gerötet.
„Nach Spanien! Papa hat gesagt, dass Onkel Leonard mitkommen darf", sagte sie extra laut und endlich sah auch Jonathan zu ihnen. Er lächelte verunsichert und bedeutete Sheila mit einem Blick, dass sie zu ihm kommen sollte. Noch einmal strich sie Mona durchs Haar, dann ging sie in die Küche und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen.
„Mona kam auf die verrückte Idee, dass Leonard mit uns Urlaub machen wollen würde", sagte er und sah sie vielsagend an. Erst da begriff Sheila, was mal wieder passiert war. Jonathan konnte Mona nichts abschlagen und wo sie nun von sich aus vorgeschlagen hatte, dass Leonard mitkommen sollte, war es so gut wie beschlossen.
Natürlich war sie ein Kind und begriff nicht, was das für eine Spannung auslösen würde, dennoch ärgerte es Sheila ein wenig. Sie trat näher an Jonathan heran, um ihm etwas zuzuraunen.
„Ach, wenn sie das so will, ist es okay? Dann bist du nicht mehr eifersüchtig?", fragte sie ein wenig provozierend, was ihr einen strafenden Blick von Jonathan einhandelte. „Wir müssen in Ruhe darüber reden, aber sollte ich ihr die Vorfreude kaputt machen?", entgegnete er und wandte sich wieder den Töpfen zu.
„Nein, das nicht. Aber noch gestern warst du strikt dagegen. Apropos, Leonard hat mir eine ziemlich verzweifelte Nachricht geschrieben und er bräuchte jemanden zum Quatschen", berichtete sie, legte aber gleichzeitig einen Arm um Jonathans Mitte. Endlich hielt er inne und beugte sich zu ihr, um sie zu küssen.
„Heißt das, du willst ihn einladen und dir seine Sorgen anhören?", fragte er, doch Sheila legte den Kopf schief.
„Ich dachte eigentlich daran, dass du das machst. So von Mann zu Mann", sagte sie, doch Jonathan sah sie gequält an.
„Er hat doch dir geschrieben, also will er ganz offensichtlich mit dir reden. Außerdem überlege ich, heute Abend noch was zu arbeiten, wenn Mona im Bett ist", sagte er und Sheila nickte. Jonathan hatte schon oft bis spät in die Nacht gearbeitet, wenn er viel zu tun hatte.
„Wie war denn die Arbeit heute?", fragte sie, froh darüber, das Thema wechseln zu können. Ein Zucken ging durch Jonathan, doch dann lächelte er.
„Erzähle ich dir nachher, ganz in Ruhe", sagte er und suchte ihren Blick. Es musste etwas Gutes sein, denn sonst hätte er eindeutig schlechtere Laune. Dennoch war sie neugierig, was es wohl Neues gab.
„Okay", sagte sie langsam und beobachtete ihn noch einen Moment, wie er geschäftig in der Pfanne herumrührte.
„Kannst du schon mal den Tisch decken? Ist gleich fertig", forderte er sie auf und sie nickte. Wortlos ging sie wieder zu Mona.
„Hilfst du mir beim Tischdecken? Du kannst gleich weiter malen", sagte sie und auch wenn es Mona offensichtlich nicht gefiel, in ihrer Arbeit unterbrochen zu werden, nickte sie. Innerlich grinste Sheila, denn auch wenn Jonathan und sie einige Probleme hatten, was nicht zuletzt auf seine Eifersuchtsanfälle zurückzuführen war, hatten sie Mona wirklich gut erzogen. Gehorsam brachte sie ihre Zeichnung und die Stifte zu der kleinen Kommode und lief dann in die Küche, um das Besteck zu holen. Sheila währenddessen holte die Teller aus dem Wohnzimmerschrank und verteilte sie auf dem Tisch.
„Mama?", riss Mona sie aus ihren Gedanken und sofort richtete sie den Blick auf ihre Tochter.
„Darf ich nach dem Essen Onkel Leonard anrufen?", fragte sie, doch bevor sie ihr antwortete sah sie noch einmal zu Jonathan, der mit Sicherheit ihre Frage mitbekommen hatte. Er erwiderte ihren Blick und nickte dann resignierend.
„Darfst du. Und frag ihn doch, ob er nicht Lust hat, zum Abendessen vorbei zu kommen", sagte sie, in der Hoffnung, Jonathans Blick richtig gedeutet zu haben. Sein tiefes Seufzen bestätigte sie, dann kam er mit einer dampfenden Pfanne in den Händen aus der Küche.
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