Kapitel 115 - Sheila

Sheila verbrachte den restlichen Nachmittag in ihrem, oder besser gesagt: in Leonards Zimmer. Für einen kurzen Moment hatte sie geglaubt, dass es zwischen ihr und Jonathan wieder so werden könnte wie früher, aber sie war einfach noch nicht so weit. 

Er hatte ihr wehgetan, sehr sogar und sie hatte diese komischen Gefühle für Leonard. Ständig musste sie an ihren Kuss denken und Leonards intensiven Blick, als er sie hier allein gelassen hatte. 

Sie krabbelte auf Leonards Seite des Bettes und legte sich auf das Kissen, auf dem er eine Woche lang geschlafen hatte. Ein Hauch seines Duftes hing noch daran, aber es kam ihr vor, als wäre er unendlich weit weg. Nicht nur physisch, sondern auch emotional. 

Sie hatte ihm klar gemacht, dass sie niemals so für ihn empfinden würde wie für Jonathan und das machte ihr nun zu schaffen. Nicht, weil es gelogen wäre, sondern weil es ihn verletzt hatte. 

Sie war genervt von sich selbst, dass sie so unsicher war, aber Jonathan machte es ihr wirklich nicht leicht. Sie schloss die Augen und versuchte einen Moment lang, einfach nur ein- und auszuatmen, aber sofort wanderten ihre Gedanken zu Jonathan und seinem Vorschlag, dass sie heute Abend etwas zu zweit unternehmen konnten. 

Er schien sich wirklich zu bemühen, aber sie hatte einfach nur Angst, dass er sie wieder anschrie und eifersüchtig wurde. Andererseits, was hatte sie denn schon zu verlieren? Ihr Herz war ohnehin schon gebrochen, was sollte schon groß noch passieren? 

Seufzend richtete sie sich auf und griff nach ihrem Handy, das noch immer auf dem Nachttisch neben ihr lag. Noch einmal sah sie sich die Bilder an, die Jonathan ihr geschickt hatte. Er selbst war auf keinem zu sehen, nur Mona und sie selbst. 

Sie schluckte schwer, denn auf einmal vermisste sie ihn schmerzlich. Den Jonathan, den sie früher so sehr geliebt und der sie immer zum Lachen gebracht hatte. 

Kurzentschlossen klickte sie auf die Galerie in ihrem Handy und suchte nach einem Bild, auf dem Jonathan zu sehen war. Das erste, das sie fand, zeigte nicht hauptsächlich ihn, sondern Mona, aber er stand ein wenig abseits im Hintergrund. 

Das Bild zeigte Mona in ihrem Garten, wie sie auf der Wiese saß. Jonathan stand am Rand des Bildes, so als hätte er versucht, für das Foto aus dem Bild zu gehen, war aber nicht weit genug zurückgegangen. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und lächelte. 

Sheila vergrößerte das Bild und zoomte so näher an sein Gesicht heran. Er sah glücklich aus und sie bemerkte, dass sie ihn schon lange nicht mehr so glücklich gesehen hatte. 

Vielleicht war er schon länger nicht mehr wirklich glücklich, immerhin war er ja nicht selbst gewählt eifersüchtig. 

Sheila spürte, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle bildete und sie wusste in diesem Moment, dass sie mit ihm reden musste. Dass sie ihm die Chance geben musste, einmal alles rauszulassen. Sie wollte wissen, wie genau sich seine Eifersucht anfühlte und was er dann dachte und was ihn so unglücklich machte, dass er sie anfuhr. 

Mit einer schwachen Bewegung ließ sie ihr Handy fallen, hob es dann aber wieder auf, um sich einen Wecker zu stellen, falls sie einschlief. 

Vielleicht würde sie Jonathan heute Abend überraschen und zurechtgemacht vor seiner Tür stehen. Vorausgesetzt, er würde bis dahin nicht irgendeinen blöden Streit verursachen. 

Sie entschied sich, noch ein wenig zu schlafen und wenn sie aufwachte und das noch immer wollte, würde sie es einfach tun. Denn schlimmer als ihre Situation im Moment war, konnte es nicht wirklich werden.

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Sheila wachte von einem penetranten Piepen auf und nur langsam kam sie wieder zu sich. Sie war tief und fest eingeschlafen und auch wenn sie noch müde war, fühlte sie sich besser. 

Eilig stellte sie den Wecker ab und erhob sich, um ins Bad zu gehen. Inzwischen war es früher Abend und es wurde Zeit fürs Abendessen. 

Sie ging auf die Toilette, dann wusch sie sich die Hände und betrachtete sich im Spiegel. Beinahe erschrak sie selbst vor ihren blauen Flecken, doch dann betrachtete sie ihr Gesicht. Sie sah ungewöhnlich blass aus und sie spritzte sich eine Ladung Wasser ins Gesicht. Es machte es nicht wirklich besser und als sie sich abtrocknete, färbten sich ihre Wangen rot. 

Seufzend ging sie zurück ins Schlafzimmer und erinnerte sich daran, was sie sich heute vor ihrem Mittagsschlaf vorgenommen hatte. Für ein paar Sekunden lauschte sie in sich hinein und wartete auf das erste, was ihr in den Sinn schoss. 

Es war Mona. Wie sie lachte, im Pool herumplanschte und Spaß hatte. 

Ihr Herz wurde schwer, denn ihr wurde in diesem Moment einmal mehr bewusst, dass sie Mona auch verlor, wenn sie Jonathan nicht noch eine Chance gab. Zumindest reden musste sie mit ihm und ihm alles erklären. Wie sie für Leonard empfand und was das für ihre Beziehung bedeutete. Und ob er ihr verzeihen konnte, dass sie Leonard geküsst hatte. 

Sheila stellte sich unwillkürlich vor, Jonathan würde eine andere Frau küssen und ihr sagen, dass er sich in sie verliebt hatte. Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen und sie wusste, dass sie ihm unendlich wehgetan hatte. Sie war eine schlechte Ehefrau und wenn sie ehrlich war in den letzten Tagen auch eine schlechte Mutter. Sie hatte nur an sich und ihre dummen, verwirrten Gefühle gedacht, ohne zu bedenken, wie sehr es Mona verwirren musste. 

Eilig biss sie sich auf die Lippe, um nicht schon wieder zu weinen und fasste einen Entschluss. Sie würde sich hübsch für Jonathan machen und ihn bitten, mit ihr zu reden. Ganz in Ruhe, vielleicht wenn Mona schlief oder wenn sie tatsächlich für ein, zwei Stunden bei der Animation beschäftigt war. 

Fest entschlossen, mit Jonathan zu reden kramte sie in ihrem Koffer nach etwas Hübschem zum Anziehen und entschied sich für ein luftiges, dunkelgrünes Sommerkleid. Sicherlich würde es ihm gefallen, doch nun zögerte sie. 

Was, wenn er nun doch nicht mehr wollte, weil sie eben beim Pool einfach verschwunden war? 

Sie spürte, wie sie anfing zu zittern, dann aber entschlossen den Kopf hob und das Zimmer verließ. Sie ging geradewegs zum Zimmer gegenüber und klopfte, doch niemand öffnete ihr. Noch einmal versuchte sie es, jedoch mit dem gleichen Ergebnis. 

Vielleicht waren die beiden noch am Pool und sie beschloss, dort nachzusehen. Ihre Knie wurden weich und sie fühlte sich merkwürdig aufgeregt, so als wäre es nicht Jonathan, den sie schon seit Jahren kannte, sondern ein Fremder, dem sie ihre Gefühle beschreiben wollte. 

Schon von Weitem hörte sie lautes Kindergeschrei und Lachen, zusammen mit einer weiblichen Stimme, die durch ein Mikrofon verstärkt wurde. Sheila folgte den Geräuschen und als sie am Pool ankam, erkannte sie, dass hier gerade eine Art Kinder-Tanzkurs stattfand. 

Sofort entdeckte sie Mona, die begeistert mitmachte. Sie ließ den Blick durch die umstehenden Eltern schweifen und erkannte Jonathan, der noch immer auf der Liege saß, wo sie ihn zurückgelassen hatte. 

In den Händen hielt er ein Getränk, das verdächtig nach Bier aussah und er starrte gedankenverloren hinein. Zögerlich ging sie zu ihm, doch er schien sie nicht zu bemerken. Erst als sie sich dicht neben ihn setzte, blickte er auf und zuckte bei ihrem Anblick zusammen, als hätte er sie nicht erwartet. 

„Hey", sagte sie leise, während er sie weiterhin ansah. 

„Selber hey", sagte er tonlos und richtete den Blick wieder in seinen Becher. Sheila rutschte näher an ihn heran, sodass sie nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war und ihn beinahe berührte. Sein Atem beschleunigte sich hörbar, doch er wich nicht vor ihr zurück. 

„Können wir reden?", fragte sie, was ihn den Kopf herumreißen ließ. Verwirrt sah er sie an und sie versuchte, seinen Blick festzuhalten. 

„Ja, klar", sagte er und nun zuckte über seine Lippen ein Lächeln. Verlegen kratzte er sich am Kopf und nahm einen Schluck aus seinem Becher. 

„Mona müsste gleich fertig sein, aber... es gibt heute Abend eine Kinderdisko", sagte er und sofort nickte Sheila. 

„Wir könnten sie vielleicht ein Stündchen allein lassen und sie dann ins Bett bringen", fuhr er fort und in seinen Augen erschien ein Glänzen, das sie schon ewig nicht mehr gesehen hatte. Sie nickte und spürte auf einmal den Drang, sich hier und jetzt auf ihn zu stürzen und ihn zu küssen. 

Es kam ihr albern vor, was sie hier veranstalteten, sie waren immerhin nicht mehr 16. Vorsichtig tastete sie mit ihrem Finger nach seinem und berührte ihn minimal. Jonathan sog scharf die Luft ein, als hätte er sich an ihr verbrannt, doch dann legte er ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich. 

„Komm schon her", sagte er und klang dabei irgendwie erleichtert. Sheila lachte, was sich merkwürdig fremd und ungewohnt anfühlte, doch dann erwiderte sie seine Umarmung. 

„Dir ist klar, dass wir über Leonard reden müssen, oder?", fragte er dann leise und Sheila erkannte den nur allzu bekannten Ton der Eifersucht, aber komischerweise klang er nicht angriffslustig, sondern so, als wäre er neugierig. Sie nickte an seiner Schulter, löste sich dann aber von ihm. 

„Und wir müssen über deine Eifersucht reden", gab sie zurück und nun senkte er schuldbewusst den Blick. 

„Ja, sollten wir. Aber zuerst...", sagte er, doch bevor er den Satz beenden konnte, wurden sie von Mona unterbrochen, die auf sie zugestürmt kam. 

„Mama, wo warst du denn? Hast du mich tanzen gesehen?", fragte sie aufgeregt und quetschte sich zwischen sie beide auf die Liege. Sheila schluckte schwer, doch bevor sie etwas sagen konnte, sprang Jonathan für sie ein. 

„Mama musste sich noch etwas ausruhen", sagte er, womit Mona zufrieden zu sein schien. Zumindest nickte sie, sprang aber sofort wieder auf und wischte sich die Haare aus dem Gesicht. 

„Wann gibt es Abendessen?", fragte sie, woraufhin Sheila Jonathans fragenden Blick auf sich spürte. 

„Also ich hätte jetzt Hunger", sagte sie und erhob sich ebenfalls. Jonathan lächelte und Sheila glaubte, ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr ehrlich lächeln gesehen zu haben. 

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