Kapitel 113 - Sheila
Sheila war verwirrt. Jonathan benahm sich widersprüchlich und sie konnte sein Verhalten absolut nicht einschätzen. Seit er sie aus der Krankenstation abgeholt hatte, schien er all ihre Streits und seine Eifersucht vergessen zu haben. Er war genau so, wie sie es sich in den letzten Wochen immer und immer wieder gewünscht hatte.
Blöd nur, dass sie Leonard geküsst hatte und davon noch vollkommen durch den Wind war. Leonard hatte zwar gesagt, dass es nur ein Urlaubsflirt war und er wusste, dass es nichts Ernstes wurde, aber Sheila fühlte sich unsicher.
Nicht, dass sie mit Leonard zusammen sein wollte, aber da war eindeutig dieses Gefühl, dass sie ihm nahe sein wollte.
Sie folgte Mona und Jonathan in einigem Abstand in Richtung des Hotelzimmers und bog in die entgegengesetzte Richtung ab, als die beiden. Sie ging zu Leonards Zimmer, zog die Schlüsselkarte heraus und öffnete die Tür.
Sie spürte Jonathans Blick und wusste, dass er wollte, dass sie mit zu ihm kam, aber sie konnte es nicht. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er spätestens morgen schon wieder anfing zu streiten und sie wieder ganz am Anfang standen und das wollte sie nicht. Zumindest bis sie zu Hause waren, würde sie ihn abweisen.
Zwar flogen sie schon übermorgen nach Hause, aber zwei Tage konnten eine lange Zeit sein zum Nachdenken sein.
Sheila ließ sich aufs Bett fallen und griff heute zum ersten Mal nach ihrem Handy. Erschrocken stellte sie fest, dass sie einen verpassten Anruf von ihrem Vater hatte und eilig wählte sie seine Nummer. Schon nach dem ersten Klingeln nahm er ab und fluchte.
„Was zu Hölle machst du? Dein Bruder hat von deinem Unfall erzählt, was ist passiert?", fragte er, vollkommen außer sich. Sheila zog den Kopf ein und rollte sich zu einem Ball zusammen.
„Es ist halb so wild, ich habe nur ein paar blaue Flecken", sagte sie, um ihn erst einmal zu beruhigen. Allerdings hörte sie, wie ihr Vater leise vor sich hingrummelte.
„Und was ist mit dir und Jonathan?", fragte er nun in einem versöhnlicheren Ton, doch Sheila zuckte unsanft zusammen. Diese ganze Sache war nun wirklich nicht gerade etwas, worüber sie mit ihrem Vater sprechen wollte, auch wenn sie wusste, dass sie ihm vertrauen konnte.
„Er hat Schluss gemacht. Vorgestern Abend", sagte sie und spürte, wie ihr bei der Erinnerung an diesen Abend Tränen in die Augen stiegen.
„Was heißt das? Ihr seid getrennt? So richtig?", fragte er und Sheila wusste, dass ihr Vater enttäuscht war, auch wenn er es versuchte, zu verbergen. Sheila seufzte.
„Ich weiß es nicht. Seit gestern Abend scheint er es sich anders überlegt zu haben aber... vielleicht habe ich ja einen Fehler gemacht", gab sie zu und dachte an ihre Gefühle, die sie bei dem Kuss heute Morgen verspürt hatte.
„Was soll das nun wieder heißen?", fragte ihr Vater und sie konnte bildlich vor sich sehen, wie er die Augen schloss und sich in die Nasenwurzel kniff.
„Ich habe Leonard geküsst. Zwei Mal", sagte sie tonlos, was ihr Vater mit weiteren Flüchen kommentierte.
„Was soll das? Ihr habt ein Kind und seid erwachsen. Reißt euch zusammen. Aber... ich bin froh, dass dir so weit nichts passiert ist", sagte er, wobei seine Stimme weicher wurde. Sheila schluckte schwer und spürte, wie ihr ein Schluchzen entwich.
„Es ist nur... Jonathan war so gemein zu mir, weil er eifersüchtig war und wir haben uns deswegen nur gestritten. Leonard war nett zu mir und hat mich abgelenkt und da... bin ich irgendwie schwach geworden. Außerdem hat Jonathan gesagt, ich soll tun und lassen, was ich will, also...", erklärte sie, merkte aber selbst, wie kindisch sie klang.
„Und was ist jetzt? Bist du bei Leonard oder deiner Familie?", fragte ihr Vater und diese Worte schmerzten. Ihr war klar, dass sie mit Absicht so gewählt waren, dennoch rannen nur noch mehr Tränen über ihre Wangen.
„Er ist heute Morgen abgereist. Ich bin in seinem Zimmer, weil Jonathan mich erst rausgeschmissen hat, jetzt aber will, dass ich zurückkomme", erklärte sie, woraufhin ihr Vater brummte.
„Reiß dich zusammen. Für Mona. Vergesst euren Streit und macht das, was für sie am besten ist", riet er ihr und Sheila nickte.
„Ja, ich versuche es. Aber... ich bin so verwirrt", sagte sie und schloss für einen Moment die Augen. Sofort schossen ihr Bilder von Mona in den Kopf, wie sie bei ihnen zu Hause im Garten spielte und lachte.
Wollte sie das wirklich aufgeben wegen ihren eigenen, dämlichen und verwirrten Gefühlen? Sie wusste selbst wie es war, wenn die Mutter einen im Stich ließ und was das für Schäden anrichtete.
„Ich will nur sagen, dass du darüber nachdenken solltest, ob du diese Ehe wirklich beenden willst. Jonathan ist ein anständiger Kerl, der vielleicht manchmal etwas überreagiert, aber das kannst du auch ziemlich gut. Wenn du es nicht für ihn tust, dann für Mona", sagte ihr Vater und Sheila nickte wieder.
„Ich brauche ein paar Tage zum Nachdenken, aber... es ist wohl eher eine Pause als Schluss", sagte sie, dann beendete sie das Gespräch mit ihrem Vater. Komischerweise fühlte sie sich ein wenig besser, auch wenn seine Vorwürfe wehtaten.
Sie wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht, dann ging sie ins Bad und machte sich ein wenig frisch, bevor sie wieder ihren Bikini anzog. Er war noch feucht und der Stoff war kühl auf ihrer Haut.
Zum ersten Mal seit ihrem Unfall betrachtete sie sich genauer im Spiegel und bemerkte, dass einige der blauen Flecken doch recht fies aussahen. Dunkelblau leuchteten sie auf ihren Schultern, ihren Rippen, Armen und Beinen. Vorsichtig betastete sie sie und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz durch ihren Körper fuhr.
Sie ließ die Schultern hängen und ging zurück ins Schlafzimmer, wo sie nach ihrem Handtuch griff und es sich umband.
Auf einmal hörte sie, wie ihr Handy auf dem kleinen Nachttisch anfing zu vibrieren und nicht mehr aufhörte, so als bombardierte jemand sie mit Nachrichten. Eilig nahm sie es in die Hand und erkannte, dass Jonathan ihr jede Menge Fotos schickte.
Neugierig öffnete sie sie, wartete dann aber, bis keine neue mehr eintrafen. Auf den Bildern war hauptsächlich Mona zu sehen, aber auch das Meer, ihre kleine Terrasse und sie selbst hatte er fotografiert.
Bei Monas lachendem Gesicht wurde ihr Herz schwer und sie spürte, dass sie für ihre Tochter da sein musste, egal was zwischen ihr und Jonathan stand. Sie entschied sich, ihm eine Nachricht zu schreiben.
„Seid ihr bereit für den Pool?", fragte sie und hoffte, dass Jonathan es richtig verstand. Er sollte mitkommen, einfach aus dem Grund, dass es für Mona besser wäre. Sie sah, dass Jonathan eine Antwort eingab und gespannt wartete sie.
„Sie ist fertig, kannst rüber kommen", stand da. Sheila schluckte, denn ganz offensichtlich wollte Jonathan doch nicht mitkommen.
Sie erhob sich, packte ihre Sachen in eine kleine Tasche und suchte ihre Flip Flops. Erst da fiel ihr ein, dass sie sie gestern Abend verloren haben musste, genau so wie ihr Kleid. Beziehungsweise war es von den Ärzten zerschnitten worden, als sie sie untersucht hatten.
In diesem Urlaub hatte sie nun schon zwei Paar Schuhe und ein Kleid verloren, wenn sie so weiter machte, reiste sie mit leerem Koffer nach Hause.
Kurzentschlossen tapste sie barfuß nach draußen und eilte zur Zimmertür gegenüber. Bevor sie klopfen konnte, wurde die Tür geöffnet, allerdings nicht von Mona, sondern von Jonathan. Er sah sie einfach nur an, als wollte er ihr irgendetwas sagen.
„Du... kannst mitkommen, wenn du willst", sagte sie dann und hörte selbst, wie kratzig ihre Stimme klang. Jonathan riss die Augen auf und Sheila sah, wie es in ihm arbeitete, dann nickte er.
„Ja, wenn das okay ist", sagte er und ein kleines, scheues Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Sheila nickte, trat dann einen Schritt zurück und wartete, bis die beiden zu ihr nach draußen kamen.
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